Zeitschrift EE

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Gewinnung von Wertstoffen aus Abwasserströmen der Bioraffinerie
- Prozessintensivierung durch Prozessintegration

Susanne Lux, Daniela Painer, Matthäus Siebenhofer

Um dem Ziel einer nachhaltigen, biobasierten Industrie gerecht zu werden wird versucht, neue Einsatzmaterialien zu identifizieren und Produktionsprozesse zu optimieren. Zusätzlich sollte der Fokus zukünftig vermehrt auf die stoffliche Verwertung von Rest- und Abfallströmen durch effiziente Aufarbeitungsverfahren gerichtet werden.

Nutzung von Abwässern biobasierter Prozesse

Abbildung 1: Reaktivdestillationsanlage am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz (Foto: NAWI Graz/Lunghammer)

Vorrangiges Ziel der biobasierten Industrie ist es, biogenen Kohlenstoff möglichst vollständig stofflich zu nutzen. Oft liegt die Schwachstelle dieser Prozesse jedoch in deren mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist unter anderem auf eine aufwändige Aufarbeitung wässriger Prozessströme zurückzuführen. Solche Ströme bestehen meist aus komplexen Multikomponentengemischen, die Wertstoffe lediglich in geringen Konzentrationen enthalten. Aufgrund der niedrigen Wertstoffkonzentration und der vermeintlich komplexen Trennaufgabe werden diese Prozessströme selten einer stofflichen Verwertung zugeführt.
Die Auftrennung von wässrigen Fettsäuregemischen stellt die Voraussetzung für die Nutzbarmachung und Verwertung von Abwässern biobasierter Prozesse dar. Ein potentieller Prozessstrom ist die Kochlauge des Holzaufschlusses für die Zellstoffherstellung. Diese als Schwarzlauge bezeichnete Ablauge enthält im Wesentlichen Lignin, Anteile von Hemicellulosen sowie Abbauprodukte, zu denen auch die niederen Fettsäuren Ameisensäure (HFo) und Essigsäure (HAc) gehören. Nach der Eindampfung der Kochlauge befinden sich diese als wässrige Lösung im Brüdenkondensat. Ameisensäure und Essigsäure sind interessante und wichtige Produkte und Ausgangsstoffe für die chemische Industrie.

Das Dreistoffgemisch Essigsäure-Ameisensäure-Wasser

Wässrige Essigsäure-Ameisensäure-Mischungen sind ein eindrucksvolles Beispiel für Stoffgemische, die mit konventionellen Trennverfahren nahezu untrennbar sind. Dies ist auf das Vorliegen von Azeotropen zurückzuführen. Bei einer azeotropen Mischung hat die Dampfphase dieselbe Zusammensetzung wie die flüssige Phase. Das Gemisch hat einen konstanten Siedepunkt und lässt sich durch einfache Destillation nicht trennen. Es verhält sich wie ein Reinstoff. Das Gemisch Essigsäure-Ameisensäure-Wasser weist diese thermodynamische Besonderheit auf. Es zeigt nicht nur ein binäres Hochsiedeazeotrop zwischen Ameisensäure und Wasser, sondern auch ein ternäres Sattelpunktazeotrop. Die Auftrennung von azeotropen Mischungen in ihre Reinstoffe ist nur unter erheblichem energetischem Aufwand möglich.
Abbildung 2 zeigt die Siedefläche des Dreistoffgemisches. Das Maximum der Siedetemperatur der binären Ameisensäure-Wasser Mischung kennzeichnet das binäre Hochsiedeazeotrop. Der flache Sattel bildet im Minimum das ternäre Sattelpunktazeotrop.

Abbildung 2: Experimentell ermittelte Siedefläche des Dreistoffgemisches Ameisensäure-Essigsäure-Wasser (950 mbar)

Innovative Prozesskonzepte

Reaktive Trennverfahren vereinen konventionelle Trennoperationen mit chemischen Reaktionen in einem Prozessschritt (Abbildung 3). Sie bieten Zugang zu einer Vielzahl an Prozesskonzepten zur effektiven Produktisolierung aus komplexen Mischungen mit thermodynamischen Limitierungen wie beispielsweise Azeotropen. Durch die chemische Reaktion können Stoffeigenschaften gezielt verändert und dadurch die Voraussetzungen für die Auftrennung solcher Gemische geschaffen werden. Die Integration von chemischer Reaktion und Stofftrennung in einem Apparat ermöglicht es außerdem, Synergien zu nutzen und Energiekosten zu senken. So kann beispielsweise durch in-situ Nutzung der Reaktionswärme einer exothermen Reaktion der Energiebedarf des Prozesses gesenkt werden.

Abbildung 3: Vergleich konventioneller Verfahren und reaktiver Trennverfahren

Durch Zusatz einer weiteren Komponente zum Stoffgemisch kann die Umgebung, in der sich die zu isolierenden Wertsubstanzen befinden, verändert werden. Dies kann zu einer vorteilhaften Modifikation der Prozessbedingungen führen. Unter Umständen wird der Betrieb auf einem drastisch reduzierten Temperaturniveau im Vergleich zum konventionellen Prozess ermöglicht. Dies stellt eine optimale Einsatzmöglichkeit für Niedertemperaturprozesswärme dar.
Fettsäuren beispielsweise können durch Zugabe eines Alkohols in die entsprechenden Fettsäureester überführt werden. Bei Verwendung von Methanol wird Ameisensäure zu Methylformiat und Essigsäure zu Methylacetat umgesetzt. Betrachtet man die Stoffdaten der Komponenten des Ausgangsgemisches (Ameisensäure, Essigsäure und Wasser), des Reaktionspartners Methanol sowie der Reaktionsprodukte Methylformiat und Methylacetat (und Wasser), so wird der Vorteil einer chemischen Umsetzung klar ersichtlich. In Tabelle 1 sind die spezifischen Verdampfungsenthalpien ∆Hv und die Siedetemperaturen TS dieser Komponenten zusammengestellt. Während die Siedepunkte der Ausgangssubstanzen Ameisensäure, Essigsäure und Wasser bei Umgebungsdruck im Bereich von 100,0 °C bis 117,9 °C liegen, ist der Siedepunkt von Methanol mit 64,6 °C signifikant niedriger. Die Ester Methylformiat und Methylacetat sieden bereits bei 31,7 °C und 56,9 °C. Vergleicht man die Werte der spezifischen Verdampfungsenthalpien, erkennt man, dass die Verdampfungsenthalpie von Methanol mit 1099 kJ·kg-1 nicht einmal halb so groß ist wie die Verdampfungsenthalpie von Wasser (2256 kJ·kg-1). Die Verdampfungsenthalpien von Methylformiat und Methylacetat weisen hingegen Werte von „nur“ 465 kJ·kg-1 und 409 kJ·kg-1 auf. Diese Unterschiede kommen vor allem in Hinblick auf den Energiebedarf bei der destillativen Auftrennung zum Tragen und zeigen das große Potential von Energieeinsparungen bei dieser reaktiven Trennoperation.
Durch die stoffliche Änderung kann, wie der Vergleich der Stoffdaten für die Ausgangsprodukte und die Endprodukte zeigt, das Temperaturniveau und der Energiebedarf für die Stofftrennung an die Spezifikation des Energieträgers angepasst werden.

Tabelle 1: Vergleich der spezifischen Verdampfungsenthalpien ∆Hv und der Siedetemperaturen TS der Komponenten der Reaktivdestillation [1]

Darauf aufbauend wurde ein Verfahrenskonzept für die reaktive Abtrennung der beiden Fettsäuren Ameisensäure und Essigsäure aus wässrigen Prozessströmen entwickelt (Abbildung 4).

Abbildung 4: Reaktives Trennkonzept zur Abtrennung von Ameisensäure und Essigsäure aus wässrigen Prozessströmen [2]

Reaktivdestillation

Durch Zugabe von Methanol zum wässrigen Fettsäuregemisch werden die beiden hochsiedenden Fettsäuren Essigsäure und Ameisensäure zu ihren leichter flüchtigen Estern chemisch umgesetzt (Abbildung 1). Die Ester als Tiefsieder des Systems werden mit einem Teil des im Überschuss eingesetzten Methanols im Destillat abgetrennt. Durch die ständige Entfernung der gebildeten Ester wird das Gleichgewicht der Veresterungsreaktionen beeinflusst und in Richtung vollständigen Säureumsatzes verschoben.
Mit Hilfe der chemischen Reaktion werden die Stoffeigenschaften so modifiziert, dass eine destillative Auftrennung ermöglicht wird. Im Vergleich zum wässrigen Fettsäuregemisch sind die Siedetemperaturen von Methanol und den kurzkettigen Estern deutlich niedriger und erlauben es, auf einem reduzierten Temperaturniveau zu arbeiten.
Das Destillat, das sich aus den beiden Estern und überschüssigem Alkohol zusammensetzt, kann in darauffolgenden Trennschritten in seine Reinstoffe zerlegt werden. Dafür bietet sich die Kombination aus dem Membrantrennverfahren Pervaporation und einer nachgeschalteten Rektifikation an, da Methylacetat mit Methanol ein Tiefsiedeazeotrop bildet.


Pervaporation

Über Membranen mit hydrophilen Oberflächeneigenschaften wird der überschüssige Alkohol pervaporativ abgetrennt und in den Prozess rückgeführt.
Da das Trennprinzip der Pervaporation auf dem Lösungs-Diffusionsverhalten der aufzutrennenden Komponenten in einer dichten Membran basiert, wird die Stofftrennung nicht durch das Vorliegen von Azeotropen limitiert. Im Gegensatz zur destillativen Stofftrennung werden nur jene Komponenten verdampft, die die Membran passieren. Dadurch können Energiekosten gesenkt werden.
Das Gemisch tritt als einphasiger „Feed“ in das Pervaporationsmodul (Abbildung 5) ein. Die Membran teilt das Modul in zwei Kammern mit unterschiedlichem Druckniveau. Sie wirkt als selektive Barriere bezüglich der Komponenten zwischen der flüssigen Phase (feedseitig) und der dampfförmigen Phase (permeatseitig). Triebkraft dieser thermischen Trennoperation ist die Differenz der chemischen Potentiale zwischen Feed- und Permeatseite. Die permeierende Komponente (lat. permeieren: durchdringen,durchtreten, durchwandern, Anm.) wird an der aktiven Schicht der Membran adsorbiert, diffundiert durch diese, desorbiert an der Rückseite und verdampft durch die poröse Stützschicht der Membran hindurch in den gasförmigen Permeatraum. Das Permeat wird anschließend kondensiert.

Abbildung 5: Pervaporationsmodul zur pervaporativen Abtrennung von Methanol aus Methanol-Methylformiat-Methylacetat Mischungen (Foto: NAWI Graz/Lunghammer)

Die beiden Ester Methylformiat und Methylacetat werden im zurückgehaltenen Retentatstrom aufkonzentriert und können danach destillativ voneinander getrennt werden. Dies erfolgt in einer einfachen Destillation, da die Methylester eine hohe relative Flüchtigkeit aufweisen.

Fazit

Der entscheidende Vorteil prozessintensivierender Verfahren in der Bioraffinerie gegenüber konservativen Trennprozessen kommt bei der Wertstoffisolierung von Grundchemikalien aus verdünnten, wässrigen Lösungen zum Tragen. So können aus den Brüdenkondensaten der Kochlaugeneindampfung niedere Fettsäuren direkt aus der wässrigen Phase über einen reaktiven Trennschritt mit nachgeschalteter Kombination der Trennoperationen Pervaporation und Destillation isoliert und als Produkte vermarktet werden. Die Ester finden großtechnisch unter anderem als Lösungsmittel Verwendung.
Das Verfahren zeichnet sich durch hohe Effektivität und Effizienz aus und vereint neben der stofflichen Nutzung von Abfall- und Nebenströmen die Intensivierung von aufwändigen Prozessen und zeigt erhebliches Potential zur Energieeinsparung und zur Implementierung von Niedertemperaturprozesswärme. Die Kombination aus Stoffumwandlung und Trennverfahren kann auf viele ähnlich geartete Problemstellungen in der Bioraffinerie übertragen werden.

Central Lab „Biobased Products“

Der Forschungsschwerpunkt des Central Lab „Biobased Products“ des NAWI Graz liegt in der Entwicklung neuer Technologien, mit denen biologische Rohstoffe vollständig für die Herstellung und Isolierung von Naturstoffen, Wirkstoffen und Grundchemikalien genutzt werden können. Unter anderem wird an reaktiven Trennkonzepten geforscht. In diesem Central Lab werden die Forschungsaktivitäten „Biobased Products“ des Forschungsstandortes Graz von TU Graz, Uni Graz und Joanneum Research zusammengeführt.
Die Autoren bedanken sich bei NAWI Graz für die finanzielle Unterstützung bei der Realisierung dieses Forschungsprojektes.

Literatur

  1. Lide, D.R. (Hrsg), CRC Handbook of Chemistry and Physics, 84th Edition, CRC Press LLC 2004
  2. Lux, S., Painer, D., Siebenhofer, M., Reaktive Trennverfahren in der Bioraffinerie, CITplus 10, 57-58, 2014

Autorenbeschreibung

Dipl.-Ing. Dr.techn. Susanne Lux ist Assistenzprofessorin am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der Technischen Universität Graz (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
Dipl.-Ing. Daniela Painer ist Dissertantin am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der Technischen Universität Graz (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Matthäus Siebenhofer ist Leiter des Instituts für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der Technischen Universität Graz (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

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