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Energiesystem Deutschland 2050

Bis zum Jahr 2050 sollen die deutschen Treibhausgas-Emissionen um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 sinken – das ist das ehrgeizige Ziel der deutschen Bundesregierung. Doch wie lässt sich das zu moderaten Kosten realisieren? Welche Maßnahmen sind erforderlich? Und wie wird unsere Energieversorgung im Jahr 2050 aussehen?

Hans-Martin-Henning und Andreas Palzer im Gespräch mit Brigitte Röthlein

Abbildung 1: Solare Wasserstofftankstelle am Fraunhofer ISE. Quelle: Fraunhofer ISE

Diese Fragen stellten sich Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Professor Hans-Martin Henning, stellvertretender Institutsleiter und Bereichsleiter Thermische Anlagen und Gebäudetechnik sowie sein Kollege, Diplom-Ingenieur Andreas Palzer, entwickelten bereits im Jahr 2012 gemeinsam eine Computersimulation, die das gesamte deutsche Energiesystem umfassend stundengenau abbildet.

Zunächst untersuchten sie damit, wie sich eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbarer Energien für Strom und Wärme auf Deutschland auswirken würde. Nun haben sie das Modell noch stärker detailliert und zudem um die Themen Verkehr und Industrie erweitert. »In ihrer Gesamtheit ist unsere Simulation einmalig«, betont Hans-Martin Henning. »Wir wollen mit diesem Forschungsprojekt versuchen, verschiedene Welten zusammenzuführen. Denn bisher ist die Kommunikation zwischen den Branchen Stromerzeugung, Wärmeversorgung und Gebäudesanierung sowie Erdgas/ Brennstoffe längst noch nicht eng genug. Aber diese Themen greifen zunehmend ineinander.«

Abbildung 2: Vergangene und geplante zukünftige Entwicklung der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Im Jahr 2050 soll der Wert um mindestens 80 %, wenn möglich 95 % gegenüber dem Referenzwert des Jahres 1990 (Bezugswert Kyoto-Protokoll) abgesenkt werden. Energiebedingte CO2-Emissionen trugen im Jahr 1990 mit rund 993 Mio. Tonnen zu den Gesamtemissionen bei.

Knapp 993 Millionen Tonnen energiebedingte Kohlendioxid-Emissionen wurden 1990 verursacht, um Energiedienstleistungen bereitzustellen. Große Anteile davon entfallen auf die Stromerzeugung und das Heizen. Deshalb muss man in erster Linie hier ansetzen. Im Jahr 2050 soll demzufolge der CO2-Ausstoß noch bei maximal 198 Millionen Tonnen liegen. Das Klimaziel lässt sich jedoch nur erreichen, wenn man Energiesparmaßnahmen, effiziente Wandlung und den Einsatz regenerativer Energien kombiniert. Dabei kommt, so die Autoren, den fluktuierenden erneuerbaren Energien – also Sonne und Wind – eine zentrale Rolle zu. In einem kosten-optimierten Energiesystem, das die Klimaziele erreicht, würden im Jahr 2050 knapp 78 Prozent des Stroms aus diesen Quellen stammen, knapp 16 Prozent von Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung und der Rest aus fossilen Kraftwerken. Mit »grünem« Strom werden künftig nicht nur Elektrogeräte wie Maschinen, Fernseher und Co. betrieben, sondern zunehmend auch Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen für die Wärmeversorgung von Gebäuden. »Da künftig vielfach eine hohe Überproduktion an Strom durch erneuerbare Energien existieren wird, gilt es Optionen für dessen flexible Nutzung in allen Verbrauchssektoren zu erschließen«, betont Andreas Palzer.

Tabelle 1: Zusammensetzung der Stromerzeugung im kosten-optimierten System. Die Brutto-Stromerzeugung beträgt in Summe 634 TWh und liegt damit im gleichen Bereich wie heute.

Tabelle 2: Zusammensetzung der Stromverwendung im kosten-optimierten System. Der Netto-Stromverbrauch liegt hier in Summe bei 602 TWh und somit höher als heute (rund 510 TWh). Dieses Ergebnis gilt trotz der Annahme, dass der Verbrauch in den klassischen Verbrauchssektoren um 25 % auf 375 TWh abnimmt, da neue Verbraucher im Wärmebereich mit knapp 70 TWh und im Verkehr mit knapp 160 TWh hinzukommen. Die geringere Differenz zwischen Netto-Stromverbrauch und Brutto-Stromerzeugung im Vergleich zu heute erklärt sich einerseits daraus, dass Deutschland heute Netto-Stromexporteur ist und andererseits aus dem relativ großen Eigenverbrauch des Kraftwerkssektors, der im zukünftigen System weitgehend entfällt.

Tabelle 3: Zusammensetzung der Bereitstellung von Niedertemperaturwärme (Raumwärme, Warmwasser) im kosten-optimierten System. Die Summe der bereitgestellten Wärme beträgt 435 TWh und liegt damit deutlich unter dem heutigen Wert. Dies liegt an der Reduktion des Heizwärmeverbrauchs auf 40 % des heutigen Wertes durch Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung. Die Differenz zwischen Netto-Wärmeverbrauch in Höhe von 388 TWh und Wärmebereitstellung durch die aufgeführten technischen Systeme liegt in thermischen Verlusten der Verteilnetze bzw. der Wärmespeicher begründet.

Die Forscher erwarten einen moderaten Ausbau von Wärmenetzen in Kombination mit großen thermischen Speichern und den Einsatz von überwiegend stromgeführten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, um Gebäude zu heizen. Wärmepumpen würden im Jahr 2050 mit knapp 40 Prozent am stärksten zur Wärmebereitstellung beitragen. Solarthermie-Anlagen liefern etwa 20 Prozent. Die Wärme-Kraft-Kopplung und Heizkessel tragen jeweils weniger als 17 Prozent bei.

Das ehrgeizige Klimaziel lässt sich aber nur erreichen, wenn die Gebäude künftig weniger Heizenergie benötigen. Doch dazu müssen die Kosten für die energetische Sanierung sinken. »Dies kann beispielsweise durch Konzepte einer weitergehenden Vorfertigung geschehen, die einen größeren Automatisierungsgrad von Sanierungsmaßnahmen ermöglicht, oder durch neue, kostengünstigere Materialien«, erläutert Professor Henning.

Abbildung 3: Strom-Residuallastkurve des optimierten Systems. Diese Kurve stellt die stündlichen Werte der Differenz aus Basisstromlast und Stromerzeugung durch nicht regelbare, fluktuierende erneuerbare Energien (Wind, Sonne) dar. Positive Werte (rot) charakterisieren Stunden, in denen erneuerbare Energien nicht ausreichen, um die Last zu decken und negative Werte (blau) charakterisieren Überschüsse erneuerbarer Energien.

Abbildung 4: Jahresdauerlinien der Residuallastkurve (untere blaue Kurve) und der verbleibenden Residuallast nach Berücksichtigung von Maßnahmen der Stromspeicherung und der flexibilisierten Stromverwendung in unterschiedlichen Anwendungsfeldern. Die oberste hellblaue Kurve zeigt die resultierende Residuallastkurve nach Einbeziehung von Speichern, Wärmepumpen und der Nutzung von Strom im Verkehrssektor (Batterie, Wasserstoff). Es zeigt sich , dass nur vergleichsweise kleine Strommengen ungenutzt verbleiben (Abregelung).

Die Simulation zeigt aber noch etwas: Sobald die verfügbare Menge fossiler Brennstoffe sehr knapp wird, wächst der Bedarf an synthetischen Brennmaterialien, die sich mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt lassen, also etwa Wasserstoff oder Methan. Wo genau diese Grenze liegt, hängt einerseits davon ab, in welchem Umfang Verbrauchsreduktionen in den einzelnen Sektoren gelingen, und andererseits davon, in wie weit es gelingt, den Verkehrssektor auf Elektromobilität oder Wasserstoff umzustellen.

Abbildung 5: Abhängigkeit der installierten Leistung von fluktuierenden erneuerbaren Energien und der Leistung von Elektrolyseuren und Sabatier-Wandlern zur Erzeugung synthetischen Methans aus Wasserstoff. Die Abbildung zeigt, dass bei Reduktion der CO2-Emissionen um mehr als 83 % die Herstellung synthetischen Methans erforderlich wird und die Leistung der Wandler fluktuierender erneuerbarer Energien entsprechend stark ansteigt.

Doch was kostet es, die Treibhaus-Emissionen zu senken? »Wir müssen zwar erst einmal mehr bezahlen, können aber danach die Ernte einfahren«, sagt Hans-Martin Henning. »Ist der Umbau der Energieversorgung erst einmal vollzogen, so liegen die jährlichen Gesamtkosten für die Volkswirtschaft in der gleichen Größenordnung wie heute. Hätten wir jedoch im Jahr 2050 immer noch eine Energieversorgung nach heutigem Muster, so wären die Ausgaben deutlich höher, da mittel- und langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit die Weltmarktpreise für fossile Energieträger steigen werden.«

Die möglichen Preise zu prognostizieren, ist keine leichte Aufgabe. »Technologisch sind unsere Aussagen ziemlich solide untermauert«, sagt Professor Henning. »Bei den Kosten ist es aber schwierig, in die Zukunft zu schauen. So haben wir bei den Brennstoffen eine Preissteigerung von etwa zwei Prozent pro Jahr angenommen und bei der Entwicklung der Technologien unterschiedliche Bandbreiten angesetzt. Wir wissen beispielsweise heute nicht, wie sich die Batterietechnologie oder die Herstellung von synthetischem Methan weiter entwickelt.« Deshalb haben die Forscher zusätzlich verschiedene Varianten durchgerechnet, etwa für unterschiedliche Mengen fossiler Rohstoffe, für eine variable Verteilung zwischen Photovoltaik und Wind oder für eine abweichende Entwicklung des Mobilitätssektors.

Abbildung 6: Nutzung von solarthermischer Prozesswärme in einer Wäscherei  . Quelle: Fraunhofer ISE

Die Ergebnisse der Simulation haben in Fachkreisen große Aufmerksamkeit erregt. »Insbesondere Firmen sind daran interessiert, zu erfahren, wie sie ihr Portfolio den Entwicklungen anpassen können«, sagt der Projektleiter. »Das betrifft Unternehmen von der Automobilbranche bis zum Heizungshersteller.« Und auch die Politik ist hellhörig geworden. »Seit unsere erste Studie im Jahr 2012 veröffentlicht wurde, haben uns sehr viele Einladungen zu Vorträgen erreicht«, berichtet der Forscher. »Das reichte von Workshops in Umweltministerien bis hin zu Vorstandssitzungen, in denen die Mitglieder nähere Informationen aus erster Hand wollten.«

Da viele Firmen und politischen Entscheidungsträger nicht nur das Endergebnis im Jahr 2050 interessiert, sondern vor allem auch der Weg dorthin, wollen die ISE-Wissenschaftler nun ihr Modell so erweitern, dass es auch die Zwischenschritte der Transformation zum gewünschten Klimaziel detaillierter beschreibt und die Untersuchung alternativer Transformationspfade ermöglicht.

Autorenbeschreibung

Prof. Dr. Hans-Martin Henning ist stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg und Leiter des Bereichs Thermische Anlagen und Gebäudetechnik. Er ist Inhaber der Professur Technische Energiesysteme in der Fakultät für Maschinenbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Andreas Palzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg im Bereich Thermische Anlagen und Gebäudetechnik

Dipl.-Phys. Dr. Brigitte Röthlein ist Wissenschaftsjournalistin

 

 

 

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