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2012-04: Zukunftsfähige Kollektortechnologien

Nachhaltige Gebäude

Abbildung 1:Ansicht der Plusenergiesiedlung Reininghaus SüdQuelle: Nussmüller Architekten ZT GmbH

Im Rahmen des Haus der Zukunft Plus Leitprojektes „Energy City Graz-Reininghaus (ECR)“ wird innerhalb des Forschungsprojektes „Plusenergieverbund Reininghaus Süd“ im Süden der Reininghausgründe eine Plusenergiesiedlung gebaut. Der Wohnbauträger Aktiv Klimahaus Süd GmbH errichtet 143 Wohneinheiten in Form von 12 kompakten Punkthäusern, die durch den Verbund mit einem vorgelagerten Büro- und Geschäftszentrum eine positive Energiebilanz erzielen sollen.

Plusenergiesiedlung Reininghaus Süd

Von Heimo Staller *

Mit der Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie (2010/31/EU) hat die EU verschärfte Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden definiert. Bis Ende 2020 müssen alle Mitgliedsstaaten gewährleisten, dass alle Neubauten Niedrigstenergiestandard (Nearly Zero Energy Buildings) aufweisen, wobei öffentliche Neubauten dieses Ziel bereits 2018 erreichen müssen. Die Erlangung dieses Standards kann auf der Bedarfsseite durch Energieeffizienzmaßnahmen (z. B. Reduktion der Transmissionswärmeverluste durch erhöhte Dämmstandards, kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung) und auf der Versorgungsseite durch Energieproduktion mit erneuerbaren Energieträgern am Grundstück erreicht werden. Auf der Bedarfsseite ist mit dem Passivhausstandard eine technische und ökonomische Grenze erreicht, eine Verbesserung dieses Standards (z.B. durch erhöhte Wärmedämmmaßnahmen) weist nur mehr sehr geringes energetisches Einsparpotenzial auf. Im städtischen Kontext zeigt sich, dass eine Abdeckung des Energiebedarfs von Einzelgebäuden durch vor Ort verfügbare Energieträger (wie z. B. Erdwärme, Solarenergie) aus technischen, rechtlichen und ökonomischen Gründen meist nur sehr schwer realisierbar ist. Erweitert man aber die Systemgrenze vom Einzelobjekt auf den Siedlungsverband eröffnen sich neue Möglichkeiten der Energieeffizienzsteigerung. So bringen multifunktionale Gebäudeverbände (aus Gebäuden mit unterschiedlicher Benutzung) auf Grund ihrer unterschiedlichen Nutzungs- und Lastprofile zahlreiche Synergieeffekte mit sich. Der Focus zukünftiger Energiekonzepte für den städtischen Raum muss daher auf der intelligenten Vernetzung von Gebäuden, Gebäudeverbänden oder Stadtteilen liegen, ein Umstand dem auch die Smart Cities Initiative der Europäischen Kommission Rechnung trägt.

Das Forschungsprojekt „Plusenergieverbund Reininghaus Süd“ verfolgt diesen vielversprechenden Ansatz und möchte mit der Realisierung des Plusenergieverbundes Reininghaus Süd ein Demonstrationsbauvorhaben realisieren, das auf wirtschaftlicher, technischer und organisatorischer Ebene innovative Lösungen für Plusenergiekonzepte auf Siedlungsebene aufzeigt.

Das Demonstrationsbauvorhaben Plusenergieverbund Reininghaus Süd

Der „Plusenergieverbund Reininghaus Süd“ ist integrativer Bestandteil des Haus der Zukunft Plus Leitprojektes „Energy City Graz-Reininghaus (ECR)“ und folgt den Vorgaben des übergeordneten städtebaulichen Rahmenplanes. Die Liegenschaft für den Plusenergieverbund Reininghaus Süd ist in der Peter-Rosegger-Straße zwischen Gollweg und Grazerfeldstraße am südlichen Knotenpunkt des neuen Stadtentwicklungsgebietes ECR gelegen.

Abbildung 2: Luftbild der "Energy City Graz-Reininghaus" Quelle: Stadtbaudirektion Graz / ECR Team

Die „WEGRAZ Gesellschaft für Stadterneuerung und Assanierung mbH“ als Eigentümerin der Liegenschaft führte in Kooperation mit der Stadtbaudirektion Graz ein städtebauliches Gutachterverfahren nach Grazer Modell aus. Ziel dieses Wettbewerbes war, Entwürfe für einen neuen innovativen, multifunktionalen Stadtteil zu erhalten. Als Siegerprojekt des Gutachterverfahrens ging das Büro Nussmüller Architekten hervor. Der städtebauliche Entwurf des Siegerprojektes gliedert sich in zwei Bauteile. Bauteil 1 besteht aus einem an der Peter-Rosegger-Straße vorgelagerten Büro- und Geschäftskomplex mit Wohnnutzung in den Obergeschossen. Bauteil 2 liegt abgeschirmt durch den vorgelagerten Büro- und Geschäftskomplex im südlichen Teil der Liegenschaft und besteht aus 12 kompakten Punkthäusern mit 143 Wohneinheiten (Abbildung 2). Der Bauteil 2 wird vom Bauträger „Aktiv Klimahaus Süd GmbH“ errichtet und soll durch eine Kombination aus Energieeffizienzmaßnahmen, Eigenversorgung und Energielieferung zur Plusenergiesiedlung werden. Neben der energetischen Optimierung werden noch weitere Nachhaltigkeitsaspekte umgesetzt. So werden die zwölf drei- bis fünfgeschossigen Punkthäuser in Holzbauweise (tragende Wände und Decken in Massivholz) errichtet. Die inneren Wandverkleidungen werden als Lehmbauplatten mit Lehmputz ausgeführt, die neben einem verbesserten Schallschutz auch einen Beitrag zu einem guten Raumklima leisten.

Abbildung 3: Modellfoto Plusenergieverbund Reininghaus Süd. Weiß: Punkthäuser, gelb: Büro- und Gewerbekomplex Quelle: Nussmüller Architekten ZT GmbH

Energiekonzept

Wichtigste Bausteine der energetischen Optimierung sind die Verlustminimierung (Transmissionswärmeverluste, Lüftungswärmeverluste, Infiltrationswärmeverluste, energieeffiziente Beleuchtung und Haushaltsgeräte) und Strategien zur Gewinnmaximierung (Nutzung solarer Gewinne durch transparente Bauteile und Speicherkapazität). Der verbleibende Energiebedarf der 12 Punkthäuser wird durch energieeffiziente, intelligente Haustechniksysteme mit vor Ort vorhandenen Energieträgern abgedeckt. Im Folgenden wird das geplante Maßnahmenbündel genauer vorgestellt.

Abbildung 4: Schema Plusenergieverbund Reininghaus Süd. Quelle: Nussmüller Architekten ZT GmbH u. AEE INTEC

Senkung des Heizwärmebedarfs

Wichtigster Punkt für die Erreichung des Plusenergiestandards ist die Senkung des Energiebedarfes. Die kompakte Bauweise der Punkthäuser (charakteristische Länge lc = 2,1 bis 2,8) und ein optimierter Fensterflächenanteil, sowie der hohe thermische Standard der Gebäudehülle tragen zu einer signifikanten Reduktion der Transmissionswärmeverluste bei. Um die Lüftungswärmeverluste auf ein Minimum zu reduzieren werden alle Häuser als Passivhäuser mit kontrollierter Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung ausgeführt. Auf Grund dieser Maßnahmen bewegt sich der Heizwärmebedarf der einzelnen Punkthäuser berechnet nach OIB RL 6 zwischen 6,5 und 9,5 kWh/m2.a und der durchschnittliche Endenergiebedarf beträgt ca. 20 kWh/m2.a (ohne Haushaltsstrom). Zum Vergleich: die Kriterien für das Passivhaus liegen bei 15 kWh/m².a für den HWB.

Senkung des Haushaltsstromverbrauchs

Die Reduktion des Haushaltstromverbrauches auf ca. 1.400 kWh/Haushalt und Jahr (durchschnittlicher Verbrauch ohne Warmwasser, Heizung, Lüftung und Allgemeinstromanteil liegt lt. Statistik Austria bei ca. 2.500 kWh/Haushalt und Jahr) soll durch den Einsatz von energieeffizienter Beleuchtung und energieeffizienten Haushaltsgeräten erfolgen. Des Weiteren werden in Zusammenarbeit mit der Energie Steiermark in zwölf Wohnungen Smart Meters (Intelligente Stromzähler/Steuerungseinrichtungen) installiert, die es den BewohnerInnen ermöglichen ihren Stromverbrauch zu optimieren. Da diese Reduktion nur mit Einbindung der zukünftigen BewohnerInnen möglich ist, findet im Rahmen des Projektes ein intensiver Dialog- und Informationsprozess mit den BewohnerInnen statt.

Energieeffiziente Haustechnik und Energieproduktion am Grundstück

Da die Umsetzung der Punkthäuser in drei Bauetappen erfolgt, wird je Bauabschnitt (eine Gebäudereihe mit vier Häusern) eine Wärmezentrale mit Wärmepumpe und Pufferspeicher errichtet (Abbildung 4). Im Folgenden wird das haustechnische Konzept näher beschrieben.

Wärmeproduktion - Geothermie und Wärmepumpe

Die Energieversorgung für die zwölf Punkthäuser erfolgt mittels sogenannter „Energiepfähle“. Da die vorherrschende Bodensituation für eine Flachgründung ungeeignet ist, erfolgt die Fundamentierung mittels Betonbohrpfählen in denen mit Soleflüssigkeit gefüllte „Energieschleifen“ (Duplexsonden) integriert sind. Die Fundamentplatten aller Punkthäuser sind mittels dieser Pfähle (in Summe 573 Stück, mit 12 m Tiefe) gegründet. In den semizentralen Lüftungsanlagen der einzelnen Wohnhäuser wird die Frischluft aus dem Erdwärmetauscher durch die Soleleitungen der Energieschleifen nacherwärmt (auf ca. 10°C) und steht danach den Wärmepumpen zur Verfügung. Der COP der Wärmepumpen liegt bei ca. 4,0. Die produzierte Energie versorgt den hochgedämmten Pufferspeicher (5.000 l) und danach mittels Zweileiternetz und dezentralen Wärmeübergabestationen jede Wohnung (Fußbodenheizung und Warmwasser). Die Gesamtleistung der drei Wärmepumpen beträgt ca. 215 kW. Die Wärmepumpen decken in Verbindung mit der thermischen Solaranlage den gesamten Heizwärme- und Warmwasserbedarf der 143 Wohneinheiten ab. Für eine eventuell erforderliche Spitzenlastabdeckung besteht die Möglichkeit den Fernwärmeanschluss des vorgelagerten Büro- und Geschäftsgebäudes heranzuziehen. Das Energiekonzept ist stellvertretend für einen Bauabschnitt in Abbildung 5 dargestellt.

Abbildung 5: Systemschnitt des Energiekonzeptes eines Bauabschnittes. Quelle: AEE INTEC

Wärmeproduktion – Thermische Solaranlage

Auf den Dächern der Punkthäuser sind sechs Kollektorfelder zu je 15 m2 Kollektorfläche, die einen jährlichen Gesamtertrag von ca. 30.000 kWh/a (davon 70% für Warmwasserbereitung und 30% für die Heizungsunterstützung) liefern.

Stromproduktion

Eine Photovoltaikanlage (netzgekoppelte Direkteinspeisung) mit einer gesamten Modulfläche von 600 m2 und einer Gesamtleistung von ca.110 kWp ist auf den Dächern der Punkthäuser geplant. Der jährliche Ertrag liegt bei ca. 136.000 kWh, was dem Jahresverbrauch von ca. 50 Haushalten entspricht. Für eine zukünftige Erweiterung der Photovoltaikanlage – z.B. für E-Mobility - sind auf den Dächern Vorbehaltsflächen ausgewiesen.

Plusenergieverbund

Das Konzept des Plusenergieverbundes basiert einerseits auf der Vernetzung der einzeln Punkthäuser untereinander und der Verbindung mit dem vorgelagerten Büro- und Geschäftskomplex. Wie bereits angeführt wird je Bauabschnitt (eine Gebäudereihe mit vier Häusern) eine Wärmezentrale errichtet. Die Versorgung jeder Gebäudereihe erfolgt von dieser Zentrale aus, die jedoch untereinander vernetzt sind um wechselweise Spitzenlasten in der Erzeugung oder im Verbrauch auszugleichen. Gleichzeitig sind diese Zentralen an den vorgelagerten Büro- und Geschäftskomplex angebunden und erzeugen somit folgende Synergieeffekte:

- Im Sommer kann die für die Wohnhäuser nicht benötigte Kühlenergie der Energieschleifen vom Büro- und Geschäftskomplex genutzt werden (Büros, Supermarkt). Bei einer Gesamtlänge von 6900 m und einer Kühlleistung von 35 W/m ergibt sich eine max. Kühlleistung von ca. 240 kW, womit sich mit ca. 800 Betriebsstunden eine jährliche Kühlenergielieferung von 192.000 kWh für den vorgelagerten Büro und Geschäftskomplex ergibt.

- In der Heizperiode kann überschüssige Wärmeenergie aus dem Büro- und Geschäftskomplex (höhere innere Wärmelasten und solarthermische Anlage am Dach) zu den Punkthäusern geliefert werden.

Auf Basis vordefinierter Last- und Nutzungsprofile erfolgt derzeit eine Optimierung des Plusenergieverbundes in Form von Berechnungen und detaillierten dynamischen Simulationen der Einzelgebäude und des Gebäudeverbandes. Nach Bezug der Wohnungen soll eine zweijährige Monitoring Phase dazu dienen diese Berechnungen zu evaluieren, um auf Basis der gemessenen Daten eine weitere Optimierung des gesamten Plusenergieverbundes zu ermöglichen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Energiebilanz der 12 Punkthäuser.

Tabelle 1: Energiebilanz der 12 Punkthäuser. Der Energieüberschuss wird durch den Solarenergieertrag (thermisch, PV) und durch die Kältelieferung an den vorgelagerten Büro- und Gewerbekomplex erzielt. Quelle: AEE INTEC

Zusammenfassung und Ausblick

Mit der Realisierung des Plusenergieverbundes Reininghaus Süd soll ein Demonstrationsbauvorhaben geschaffen werden, das eine wirtschaftlich umsetzbare, technisch und organisatorisch innovative Lösung für Plusenergieverbundkonzepte der Zukunft schafft. Der Plusenergieansatz findet dabei nicht auf Ebene des einzelnen Gebäudes, sondern innerhalb eines multifunktionalen Gebäudeverbundes statt. Erst mit der energetischen Optimierung der einzelnen Gebäude auf der Bedarfsseite und durch intelligent vernetzte, energieoptimierte Haustechnikkonzepte auf der Ebene des Gebäudeverbundes können sich unsere Gebäude vom Energieverbraucher zum Energieproduzenten wandeln.

Projektpartner

Haus der Zukunft Plus ist ein Forschungs- und Technologieprogramm des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. Es wird im Auftrag des BMVIT von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft gemeinsam mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH und Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) abgewickelt.

*)DI Heimo Stallerist Mitarbeiter des Bereichs Nachhaltige Gebäude von AEE INTEC (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) [^]

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