Zeitschrift EE

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2003-02: Mobilität mit Erneuerbaren

Energiepolitik

Was über Jahrtausende immer für Menschen normal war, hat sich in den letzten zweihundert Jahren derart verschoben, dass es für viele in unerreichbare Ferne gerückt scheint: ein Mobilitätssystem basierend nur auf erneuerbarer Energie.

Mobilität und erneuerbare Energien

Von Hermann Knoflacher*

Dabei war der Erfindungsreichtum bezüglich erneuerbarer Energie im technischen Bereich, als noch Geist über Geld dominierte und nicht umgekehrt, viel größer als heute. Abgesehen von den aus Solarenergie erzeugten hochwertigen Energiespeichern in Pflanzen und Tieren für den eigenen Antrieb, war insbesondere das Zeitalter des Überganges von der Jäger- und Sammler- zur Agrargesellschaft ein wichtiger Schritt zur intelligenteren Solarenergienutzung. Denn durch die Verbesserung der Produktionsmethoden, der Pflanzen- und Tierzucht, konnte die Mühe und Ungewissheit früherer Makromobilität abgeschüttelt werden. Dies war auch die Voraussetzung für eine Gesellschaftsentwicklung, die bis heute noch Bestand hat. Erst der Zugriff auf nicht erneuerbare Energiequellen setzte eine Spirale von Begeisterung und Systemunkenntnis in Bewegung, die bis heute irrealen Vorstellungen erliegt. Der Ersatz der mühsamen Körperenergie, nicht nur im physischen, sondern auch im mentalen Bereich, durch externe Mobilitätsenergie, eröffnete neue Raum- und Geschwindigkeitsdimensionen, die beim Einzelnen den Eindruck vermitteln, er könne „Zeit gewinnen“.

Schnell fahren = Zeiteinsparung?

Um schnell zu fahren, wird unglaublich viel Energie aufgewendet, nicht nur für nichts, sondern für die Zerstörung der Lebensgrundlagen. Zeiteinsparung durch Geschwindigkeitserhöhung im Verkehrssystem gibt es nämlich nicht. Die Mobilitätszeit, eine energetisch gesteuerte Größe von großer Elastizität im Einzelfall, ist nämlich im System konstant. Werden die Geschwindigkeiten erhöht, werden die Distanzen vergrößert. Damit ändert sich alles. Damit werden die Dörfer zerstört, die kleinen Wirtschaftsstrukturen, die Sozialsysteme und die Verantwortungsnetze. Billige externe Energienutzung im Mobilitätsbereich ist nicht nur die Ursache der Zersiedlung sondern auch die Grundlage für den Erfolg internationaler Großkonzerne über die lokale Wirtschaft.

Billige externe Energienutzung ist aber auch die Ursache für die zunehmende Verarmung jener Bevölkerung, die keinen Zugang dazu hat, wie es in der dritten Welt und zunehmend auch bei uns der Fall ist. Immer mehr Menschen geraten in immergrößere Abhängigkeit von zentralistischen Strukturen, weil die Nutzung fossiler Energie ein Machtinstrument der großen Zentralstrukturen und nicht des Einzelnen ist, wie Solarenergie. Dies ist besonders im Mobilitätsbereich dramatisch und dann erkennbar, wenn es schon zu spät ist. Immer mehr Menschen erreichen ohne ständigen Zufluss externer Energie immer weniger, weil sich die Strukturen diesem ungeheuren Energiestrom angepasst haben.

Energie zum Luftschieben

Für diese Zerstörung der menschlichen Strukturen wendet die Gesellschaft und die Politik heute mit großem Vergnügen Unmengen an nicht erneuerbarer Energie auf, die, wenn man sie physikalisch ordentlich analysiert, den ganzen Unsinn des heutigen Mobilitätssystems aufzeigen. Rund dreiviertel der Energie wendet ein Autofahrer auf, um Luft vor sich herzuschieben, wenn er über die Autobahn fährt. Der Luftwiderstand muss ja überwunden werden – und dieser steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Wäre er auf erneuerbare Energie angewiesen, wäre er gezwungen, intelligenter zu handeln. Im Stadtgebiet wird der Großteil der Energie dafür vergeudet, die riesige Masse, die ein Autofahrer mit sich schleppt, zu beschleunigen und wieder abzubremsen.

Flächenverbrauch und -entwertung

Damit hat man bereits die wesentlichen Pferdefüße eines Mobilitätssystems aufgedeckt, das auf nicht erneuerbarer Energie aufbaut: die große Masse der Verkehrsmittel und damit deren direkter Flächenverbrauch und die hohen Geschwindigkeiten mit ihrem indirekten Flächenverbrauch durch Verlärmung, Vergasung und optische Zerstörung. Dieser Zugriff auf billige, verantwortungslos nutzbare externe Energie hat die Gesellschaft wieder weit in die voragrarische Position geführt, in die Gesellschaft der Sammler und Jäger, lediglich mit dem Unterschied, dass diese aus erneuerbarer Energie produzierten Lebensmittel als Geschenke, sozusagen umsonst erhielten, der heutige Sammler und Jäger hingegen den optischen Fallen und elektronischen Netzwerken zentralisierter internationaler Konzerne nicht mehr entgehen kann.

Symptombehandlung

Die technologische Entwicklung und Diskussion im Zusammenhang mit erneuerbarer Energie entspricht der geistigen Oberflächlichkeit unseres Zeitalters. Die Diskussion und Arbeiten konzentrieren sich fast ausschließlich auf einen Teilbereich des Systems, nämlich auf die Antriebsenergie. Nun werden Autos nicht geboren, Autos werden erzeugt. Der ökologische Rucksack eines Autos von rund einer Tonne beträgt 20 bis 25 Tonnen. Je mehr man Gewicht sparen will, umso größer werden die „Geburtswehen“, das heißt, der Eingriff in die nicht erneuerbaren Ressourcen.

 

Abbildung 1
Wird die Fortbewegungsgeschwindigkeit erhöht, werden auch dei Distanzen vergrößert. Daraus ergibt sich keine Zeitersparnis.
Fotocredit: N. Novak / VCÖ

 

 

Auch das übliche Elektroauto ist in einer Gesellschaft erneuerbarer Energie in der Masse der Autos, die wir haben nicht nachhaltig. Paul Pfaffenbichler hat am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik in seiner Diplomarbeit den Eingriff in den Energiehaushalt verschiedener technischer Verkehrssysteme vertieft untersucht und ist zu dem für Naturwissenschaftler nicht überraschenden Ergebnis gekommen, dass auch die heutige Form von Solarautos innerhalb der Grenzen einer Gesellschaft, basierend auf erneuerbare Energien, nicht machbar wäre. Zu groß ist der Energieinput für das Verkehrsmittel alleine, seine Erneuerung, Erhaltung und seine Wiederverwertung. Ganz zu schweigen von dem unglaublichen Ausmaß an Infrastruktur, das auch heute und auch in Zukunft, wenn man die Geschwindigkeiten beibehalten will, aus erneuerbarer Energie in dieser Form nicht aufrecht erhalten werden kann. Das Fahrrad und sehr langlebige öffentliche Verkehrsmittel – vor allem Schienenverkehrsmittel – können es noch schaffen, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen innerhalb der Grenzen erneuerbarer Energie zu befriedigen.

Intelligente Mobilitätslösungen

Intelligente Mobilitätslösungen erkennt man an ihrer Nähe zur erneuerbaren Energie. Die Grenzen erneuerbarer Energie haben in den vergangenen Jahrtausenden zu intelligenten Mobilitätslösungen geführt. Die Lösungen zur Überwindung der topografischen Barrieren im Schiffsverkehr oder bei den Straßenbahnen sind von einer unglaublichen, heute nicht mehr bekannten Vielfalt. Mit dem üppigen Strom an fossiler Energie versiegte der Strom des Ingenieurgeistes. Es gibt kaum etwas einfältigeres und öderes als die Anlagen für den schnellen Verkehr, sei es auf der Straße oder der Schiene. Dafür wird immer noch gebaut, um etwas einzufangen, was nicht eingefangen und verkürzt werden kann: die Zeit. Es gibt allerdings an der vordersten Front heute immer mehr Ansätze, in denen kluge weitblickende Politiker und immer mehr Bürger wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfinden und kluge langsame Lösungen umsetzen. Wir sind daher auch heute noch in der Lage, diese zu realisieren, wie es die Fußgeherzonen und Radwege zeigen.

Die Grenzen des scheinbar machbaren sind heute durch die billigen und bedenkenlos geplünderten fossilen Energieressourcen ins Uferlose explodiert. Nach dem bekannten Gesetz, das in der Volksweisheit „Wer es nicht im Kopf hat, muss es in den Beinen haben“ steckt, kann man etwa die Intelligenz des heutigen Transportsystems einschätzen.

Das Haupthindernis zur Förderung und Einführung erneuerbarer Energie für Mobilität liegt aber in den Machtstrukturen. Solarenergie ist für alle nutzbar, hat man die Einrichtungen zu ihrer Nutzung einmal, wird man immer selbständiger. Wer will aber schon selbständige unabhängige Bürger? Man hat viel lieber Süchtige, die am Schlauch der Zapfsäulen hängen, als vitale Bürger, über die man nicht nach Belieben herrschen kann.

Es führt daher der Weg in die Zukunft erneuerbarer Energie für Mobilität nur dann zur Freiheit, wenn man sich nicht nur auf die Energieversorgung beschränkt, sondern das gesamte System mitberücksichtigt. Derzeit werden für eine eingesparte Einheit erneuerbarer Energie im Körper des Verkehrsteilnehmers, wenn er zum Autofahrer mutiert ist, weit mehr als 200 Einheiten fossiler Energie eingesetzt – und das ist immer noch eher die untere Grenze. Die Ökonomie hat hier eine „Scheinphysik“ jenseits der Gesetze unseres Universums eingerichtet – ebenso wie bei der Stromversorgung aus verschiedenen Quellen. Nur die Täuschung ist im Verkehrsbereich noch viel größer.

 

Abbildung 2
Das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel können es schaffen, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen innerhalb der Grenzen erneuerbarer Energie zu befriedigen
Quelle: Innovationswerkstatt Mettler

 

 

 

*) Prof. Hermann Knoflacher, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Wien [^]

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