Zeitschrift EE

„Wir verbinden erstmals Energie und Stadtplanung in größerem Stil“

Mag. Bernd Vogl, Leiter der Abteilung Energieplanung (MA 20) in Wien im Interview über die Rolle der erneuerbaren Energien im städtischen Umfeld. Die Fragen stellt Andreas Reiter (AEE NOW).

ANDREAS REITER: Wien plant, wie die meisten Städte, nach dem Konzept der integrierten Stadtentwicklung und Raum­planung. Was kann man sich ganz allgemein darunter vorstellen?

BERND VOGL: In Wien wird immer für zehn Jahre ein Stadtentwicklungskonzept gemacht, in dem vor allem die Wachstumszonen festgelegt werden. Wir haben in dem jetzigen Konzept, das bis 2025 reicht, zum ersten Mal das Thema Energie in größerem Stil drin, mit dem Ziel, Energie- und Stadtplanung miteinander zu verbinden. Das dazu gehörende Fachkonzept zur integrierten Energieraumplanung wurde Ende April im Gemeinderat beschlossen und wird gerade für die Veröffentlichung aufbereitet.

Worum geht es da konkret?

Im Grunde schaut man, welche Quellen habe ich für die Wärmeversorgung zur Verfügung. In der Stadt sind das erneuerbare Energie und Abwärme. Dann erhebt man, welchen Bedarf es für die Gebäude gibt, wie er sich weiterentwickelt und welche Infrastruktur wir zur Verfügung haben, mit dem Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energiequellen und der Abwärme laufend zu steigern. Städte sind sehr stark vom Energieimport abhängig. Da beginnen wir jetzt auch intensiver zu diskutieren, wie die langfristige Dekarbonisierungsstrategie einer Stadt aussehen kann.

Inwieweit ist es in der Stadt Wien überhaupt möglich, große Abwärmepotenziale in die Netze zu bekommen?

Da helfen uns die vergangenen Monopolstrukturen, in denen Wien Energie und Wiener Netze eins waren. Insgesamt muss man aber festhalten, dass es keine Regelungen für den Zugang zu Fernwärme­netzen gibt und - nach den Erfahrungen mit der Öffnung der Stromnetze - auf der EU-Ebene eine starke Lobby dagegen arbeitet. Deshalb wird da wahrscheinlich wenig passieren. Es gibt aber in Nord­europa sehr wohl Systeme, wo feste Tarife angeboten werden, wenn man zum Beispiel ein Rechenzentrum an die Fernwärme anschließt. Wir diskutieren solche Lösungen auch, um zum Beispiel große Abwärmequellen wie die UNO-City zu erschließen, arbeiten aber derzeit mit individuellen Verhandlungsprozessen, was Vor- und Nachteile hat.

Unabhängig von den regulatorischen Fragen und den Fragen der Märkte: Gibt es überhaupt ein Potenzial und ist die Einbindung von Abwärme mit den unterschied­lichen Temperaturniveaus auf ein Netz mit sehr hohen Vorlauftemperaturen, wie es Wien Energie anbietet, zu realisieren?

Mit Wärmepumpen kann man heute alles auf das Temperaturniveau der Fernwärme heben. In Wien gibt es jetzt auch ein erstes Projekt mit der sehr effizienten Nutzung der Abwärme aus dem Rauchgas. Die nächsten Überlegungen gehen in Richtung Oberflächengewässer. Rein technisch ist der Durchstrom vom Wasser ­ der Donau enorm. Da könnte man sehr viel Energie gewinnen, und wenn man der Donau Wärme entzieht, dann ist das ökologisch mittlerweile sogar ein Vorteil. Besonders stark ist in Wien noch die Tiefen­ geothermie. Durch die Thermen­linie gibt es irgendwo in ein paar tausend Metern Tiefe heißes Wasser. Da werden sicher einige hundert MW herauskommen. Wenn man bedenkt, dass die Sommerlast der Wiener Fernwärme bei 300 bis 350 MW liegt, wird man mit den Tiefensonden einen schönen Anteil davon gewinnen können.

Smart City setzt auf starke Vernetzung von Energieangeboten. Wie wird dieses Potenzial in Wien nutzbar gemacht und gibt es schon erste Leuchtturmprojekte?

Wir haben im Green Energy Lab (https://www.greenenergylab.at) genau das Thema. Nämlich mit den umliegenden Bundesländern und allen Energie­ versorgern gemeinsam zu überlegen, welche Angebote und Verbräuche muss ich in der Stadt entwickeln, damit wir die erneuerbaren Energieträger bestmöglich nutzen. Wie kann man die Stadt antreiben oder ihre Speicher füllen, wenn sehr viel Energie da ist? Wir haben uns schon im Vorfeld zum Beispiel mit der Frage beschäftigt, wie kann die Wärmeerzeugung an das große Windstromaufkommen rund um Wien angepasst werden. Da haben sich jetzt erste Pilotanwendungen ergeben. Aus einem Forschungsprojekt im Einfamilienhausbereich haben wir ein System auf einen Wohnblock mit 120 Einheiten hochskaliert, der mit Tiefensonden und Wärmepumpen versorgt wird. Die haben einen Vertrag mit einem Windstromanbieter, der die Wärmepumpen steuert. Wenn Windstrom da ist, wird die Wärme in die Betonteilaktivierung gespeichert, und wenn es windstill ist, wird diese Energie - ob Wärme oder Kühlung - für den Raum nutzbar gemacht.

Neue Schulcampus-Projekte funktionieren auch mit dieser Kombination. Das Thema Erdsonden ist in Wien deshalb so stark, weil die Wohnbauträger ein Problem mit der Überwärmung haben. Die versuchen jetzt, Technologien einzubauen, wo zumindest gewisse Kühlmengen gegeben sind und Wärme abgeführt werden kann. Wenn sich die hochwärmegedämmten Gebäudehüllen innen einmal aufgewärmt haben, bekommt man die Energie nicht mehr weg, wenn man nicht irgendeine Flächenheizung hat, mit der man kühlt.

Nach den Richtlinien der EU sollen ab 2020 alle neuen Gebäude Niedrigstenergie­ gebäude sein. Ein Gebäude mit nahezu Nullenergie für Heizen und Warm­wasser. In der Praxis sehen wir das größte Problem bei dem Thema im Bereich des Warmwassers. Da leidet die Energieeffizienz massiv. Wäre hier eine dezentrale Warmwasserbereitung zu forcieren - wie das Warmwasserkonzept der AEE?

Das Problem ganz generell sind die Zirkulationsverluste. Der Energiebedarf für Warmwasser ist schon genauso groß wie für den Heizbedarf.

Unser Schuhlöffel in Wien in Richtung erneuerbare Energien ist das Warm­wasser im Sommer. Es kommen jetzt erste Beschwerden, dass trotz der Hitze im Sommer in den Häusern immer noch geheizt wird. Dann muss man den Betroffenen erklären, dass es sich dabei nur um die Warmwasserbereitstellung handelt. Wir heizen ja die Gebäude, wenn das Warmwasser in den Leitungen zirkuliert. Die Gebäude kühlen nicht mehr ab. Das ist schlecht. Das ist jetzt auch politisch eines der großen Themen, wie machen wir Stadtteile und Gebäude klimaanpassungsfähig. Wenn wir jetzt sagen, wir lösen euch das Problem der Gebäude­erwärmung, dann dürfen wir mit den Erneuerbaren ran.

Bernd Vogl (r.), Leiter der MA 20, Energieplanung, in Wien im Gespräch mit Andreas Reiter über das Potenzial der erneuerbaren Energie in einer Großstadt

Die AEE verfolgt auch das Ziel eines „Solaren Niedrigstenergiegebäudes“. Dabei setzen wir auf Baukernaktivierung zur Energiespeicherung im Wohnbau und Hallenbau. Mit der Baumasse lässt sich die Restenergie, die uns die Sonne im Winterhalbjahr zur Verfügung stellt, immer noch aktiv und ohne Mehrkosten nutzen - könnte so ein System auch in Wien ­reüssieren?

Ich sage doppelt „Ja!“. Das ist einer der Hoffnungsmärkte für die Solarthermie, weil man aus der Kollektorfläche relativ viel herausholen kann. Man muss es nur mit dem richtigen System kombinieren. Man kann über Flächenheizung und Beton­kernaktivierung gut Energie speichern. Man kann sehr niedrige Temperaturniveaus nutzen. Kaum scheint ein bissl die Sonne, hat man schon einen Ertrag und - was auch ein Vorteil ist, wenn man eine Solarthermieanlage installiert - man kann damit die Erdsonden regenerieren. Man kann damit Sommer­energie in den Winter bringen. Ich habe ein Lieblingsprojekt aus Stockholm. Da haben sie in ein Gründach Schläuche reingelegt. Die kühlen damit das Gründach und regenerieren mit der gewonnen Wärme die Sonden. Im Prinzip ein naturnaher, einfacher Sonnenkollektor. Solche schlauen Systeme werden sich entwickeln und so etwas brauchen wir in Zukunft.

Produktionsstätten haben einen erheblichen Wärmebedarf, oft auch im Sommer. Wie kann die Solarthermie in Wien stärker als Primärenergieträger genutzt werden?

Wien hat als Großstadt den Schwerpunkt eher auf den Dienstleistungen in seiner Wirtschaftsstruktur, produzierendes Gewerbe tut sich schwerer in der Stadt. Was wir in Wien sehen, ist dass die Gewerbetriebe stark auf die Photovoltaik gehen. Solarthermie braucht mehr Begleitung, mehr Knowhow. Wir haben in Wien die Diskussion angezogen, kann man Solar­ thermie in die Fernwärme einspeisen, wie in Graz. Ich halte sie immer dann für gut, wenn man es professionell und in größerem Stil macht. Ich glaube, dort ist die Zukunft.

Top of page