Zeitschrift EE

 02 | 2024 Energieinnovationen in Quartieren

Thermische Bodennutzung im urbanen Raum

Philipp Gradl, Peter Trupp

Im Kontext der Energiewende spielt die Bereitstellung von Wärme und Kälte in Wohngebäuden eine entscheidende Rolle. Der Grund hierfür ist, dass etwa ein Drittel des jährlichen österreichischen Endenergieverbrauchs auf Raumheizung, -kühlung und Warmwasserbereitstellung zurückzuführen ist. Ein großer Teil dieser Energie wird immer noch durch Erdgas oder Öl erzeugt. Wenn man den Anteil des Endenergieverbrauchs in Österreich für diesen Bereich betrachtet, wird deutlich, dass hier ein erhebliches Potenzial für eine signifikante Reduzierung der CO2-Emissionen besteht.

Die Wärme- und Kältebereitstellung dieses Bereichs (Raumwärme, -kälte und Warmwasserbereitung) soll - auch in Hinblick auf den Klimawandel - möglichst CO2-neutral erfolgen, ohne dabei den Raumwärmekomfort zu vernachlässigen. Gerade in Hinblick auf den Klimawandel und den dadurch erwarteten Temperaturanstieg ist davon auszugehen, dass vor allem der Kältebedarf in den Sommermonaten in dicht besiedelten Gebieten aufgrund des urbanen Wärmeinsel-Effekts deutlich ansteigen wird.

Quelle: BCE Beyond Carbon Energy

Anergienetze

Für die Wärme- und Kältebereitstellung wird vermehrt auf sogenannte Anergienetze zurückgegriffen. Unter Anergienetzen versteht man Energienetze, die in der Lage sind, niederexergetische Wärmequellen zu nutzen. Niederexergetische Wärmequellen sind vereinfacht gesagt Wärmequellen mit einem niedrigen Temperaturniveau (größtenteils unter 20 °C). Dazu gehören auch Wärmequellen wie oberflächennahe Geothermie, thermische Grundwassernutzung und die thermische Abwassernutzung. Ein Vorteil eines solchen Anergienetzes ist die niedrige Systemtemperatur. Diese befindet sich in der Regel in einem Temperaturbereich von 5 bis 35 °C. Diese niedrige Systemtemperatur hat den positiven Effekt, dass es zu geringeren thermischen Verlusten kommt, verglichen mit konventionellen Wärmenetzen mit höheren Systemtemperaturen. Somit ergibt sich auch eine höhere Effizienz. In den meisten Fällen wird dieses niedrige Temperaturniveau mithilfe von Wärmepumpen auf das benötigte Temperaturniveau angehoben.

In Wien zeigen diverse Projekte exemplarisch die Vorteile von Anergienetzen auf. Diese Anergienetze umfassen ein Spektrum von Versorgungslösungen auf Ebene von Siedlungshäusern bis hin zu gesamten Quartieren.

Eines dieser innovativen Projekte ist das Kraftwerk Krieau, welches das Quartier „ViertelZwei“ in Wien über regenerative Technologien, wie Erdwärmesonden und Abwasserwärmetauscher mit Wärme bzw. Kälte versorgt. Hierbei wird der Wärme- und Kältebedarf mehrerer Gebäude, welche insgesamt über 600 Wohnungen umfassen, gedeckt. Somit konnten allein durch das Kraftwerk Krieau seit der Inbetriebnahme im Jahr 2017 etwa 310 Tonnen CO2 eingespart werden.

Ein anderes Beispiel für ein innovatives Wohnbauprojekt ist das Baufeld H6 im Stadtteil Aspern, ebenfalls in Wien. Bei diesem Wohnbauprojekt handelt es sich um einen Wohnblock, welcher den Wärme- bzw. Kältebedarf durch zwei Erdsondenfelder deckt.

Neben ihrer Beteiligung am Kraftwerk Krieau und dem Baufeld H6 in Aspern, ist das Unternehmen Beyond Carbon Energy auch in zahlreichen weiteren Projekten engagiert, die sich auf die Implementierung und den Betrieb von Lösungen für erneuerbare Energiesysteme konzentrieren. Aufgrund dieser umfangreichen Projekterfahrung verfügt Beyond Carbon Energy über ein tiefgreifendes Fachwissen im Betrieb der Anergienetze, insbesondere unter Berücksichtigung der Herausforderungen, die sich aus der Nutzung von niederexergetischen Wärmequellen ergeben. Gleichzeitig ergeben sich aus diesen vielen Praxisbeispielen aber auch zahlreiche Fragestellungen, die einer Beantwortung bedürfen.

Dazu zählen beispielsweise die Auswirkungen der Bodenbeschaffenheit auf die Leistung der Erdwärmesonden, die Interaktion der Erdwärmesonden in Abhängigkeit von ihrem gegenseitigen Abstand und der Einfluss regionaler Gegebenheiten auf die optimale Sondenkonfiguration. Neben diesen technischen Aspekten sind auch wirtschaftliche Fragestellungen (z.B. optimierte Dimensionierung von Erdsondenfeldern) von Bedeutung. Das Projekt „GeoHub“ widmet sich genau diesen Fragestellungen mit einem besonderen Fokus auf das Verhalten von Erdwärmesondenfeldern.

Im Projektkonsortium von GeoHub arbeiten BCE Beyond Carbon Energy, GeoSphere Austria, Kieback & Peter und AEE INTEC in den nächsten 3 Jahren an diesen Fragestellungen.

Abbildung 1: Das Quartier "ViertelZwei" in Wien wird über regenerative Technologien mit Wärme bzw. Kälte versorgt. Foto: BCE Beyond Carbon Energy

Erdwärmesonden und Erdwärmesondenfelder

Das Prinzip ist grundsätzlich einfach und auch durch zahlreiche internationale Forschungsarbeiten bestätigt. Erdwärmesonden, die in Wohnbauprojekten eingesetzt werden, nutzen oberflächennahe Geothermie und reichen in der Regel bis zu 150 m in die Tiefe. Die Leistung der Wärmezufuhr bzw. -abfuhr variiert je nach Bodenbeschaffenheit zwischen 30-70 W/m.

Abbildung 2: Bau der Erdwärmesonden Aspern Baufeld H6. Foto: BCE Beyond Carbon Energy

Erdwärmesonden ermöglichen es, den Erdboden wie einen thermischen Speicher zu laden und zu entladen. Es ist bekannt, dass es dabei zu thermischen Wechselwirkungen kommen kann. Für eine optimale Nutzung in städtischen Gebieten, wo eine hohe Dichte an Erdwärmesonden vorliegt, ist es wichtig, die thermischen Wechselwirkungen bewerten zu können. Somit ist es unerlässlich, sowohl die Mechanismen des unterirdischen Wärmetransports als auch die verschiedenen Betriebsmodi der Sonden in Betracht zu ziehen.

Vorgehensweise im Projekt

Im Kontext des Projekts „GeoHub“ erfolgt eine detaillierte Erfassung und Auswertung der thermischen Leistung, die dem Erdreich zugeführt und entnommen wird, in Demonstrationsumgebungen wie im „ViertelZwei“ oder in Aspern beim „Baufeld H6“. Ergänzend hierzu werden systematische Messungen der Vor- und Rücklauftemperaturen der Erdsondenfelder durchgeführt. Diese umfangreichen Datenerhebungen ermöglichen eine tiefgreifende Analyse und ein umfassendes Verständnis des aktuellen Betriebsverhaltens der Erdsondenfelder.

Ergänzend dazu existieren für die Stadt Wien zahlreiche Messungen für diverse Bodenparameter, einschließlich der Wärmeleitfähigkeit des Bodens in verschiedenen Tiefen. Der Erdboden besteht nicht nur aus verschiedenen Erdschichten, sondern beherbergt auch Grundwasser. Dieses Grundwasser kann eine Strömung haben, die in der Lage ist, Wärmeoder Kältefahnen zu erzeugen.

Abbildung 3: Erdwärmesonde im Erdreich. Quelle: AEE INTEC

Unter Berücksichtigung dieser Parameter wird ein Simulationsmodell erstellt, dass das reale Verhalten der Erdsondenfelder abbilden soll. Dieses Simulationsmodell wird dann verwendet, um zu ermitteln, welche thermischen Auswirkungen der reale Betrieb im Boden verursacht und zu welchen Wechselwirkungen es zwischen den Erdwärmesonden kommt. Mit Hilfe des Simulationsmodells soll der optimale Abstand zwischen den Sonden bestimmt werden, um solche negativen Interaktionen zu vermeiden. Die erzielten Resultate lassen sich anschließend sowohl mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch mit der realen praktischen Durchführung gegenüberstellen. Zudem können aus der Simulation Betriebsstrategien für bestehende Erdsondenfelder abgeleitet werden, um das eventuelle Auftreten solcher negativer Wechselwirkungen zu reduzieren. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse soll im Projekt „GeoHub“ ein Quick-Check Tool entwickelt werden. Dieses Quick-Check Tool soll es ermöglichen, schnell und einfach auf Basis von bekannten Daten fundierte Abschätzungen über die Leistungsfähigkeit von Erdwärmesonden zu machen. Diese Abschätzungen sollen ebenfalls rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigen und grundlegende Aussagen zur Wirtschaftlichkeit eines solchen geothermischen Systems machen. Dies wird dabei helfen die Effizienz von Erdwärmesonden zu erhöhen, und somit die Rentabilität zu verbessern.

Literatur

  1. „Neue EU-Vorgaben richtungsweisend für Österreichs Wärmemarkt“, Erneuerbare Energie Österreich. Zugegriffen: 6. April 2024.
  2. „Kraftwerk Krieau“. Zugegriffen: 6. April 2024.
  3. „Entzugsleistung“, Bundesverband Geothermie. Zugegriffen: 6. April 2024.
  4. Science-Brunch- Broschuere-Urbane- Waermewende-1.pdf“. Zugegriffen: 7. April 2024.
  5. Z. Liu u. a., „Surface warming in global cities is substantially more rapid than in rural background areas“, Commun. Earth Environ., Bd. 3, Nr. 1, S. 1–9, Sep. 2022, doi: 10.1038/s43247-022-00539-x.

Autoren

Dipl.-Ing. Philipp Gradl ist Projektleiter im Bereich „Technologieentwicklung/Erneuerbare Energien“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Peter Trupp, Unternehmensführung und -entwicklung, BCE Beyond Carbon Energy Holding GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Kommentar

"KMU´s sind überlicherweise nicht in der Lage, die erforderliche Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten, die in diesem Bereich erforderlich ist. Aus meiner Sicht ist es daher unerlässlich, mit Instituten wie AEE Intec im Rahmen von Forschungsprojekten zusammenzuarbeiten. Das ist ein wichtiger Baustein, um rasch und lösungsorientiert wirtschaftliche Massnahmen zu Dekarbonisierung des Liegenschaftsbestandes zu entwickeln."

Herbert Hetzel, Gründer, Gesellschafter und CEO, BCE Beyond Carbon Energy Holding GmbH. Foto: BCE beyond carbon energy

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