nt 04 | 2022 Innovationen in der Kreislaufwirtschaft
Lebensmittelreststoffe zur Proteingewinnung
Etwa ein Drittel der weltweit produzierten Nahrungsmittel wird weggeworfen, 14 Prozent nach der Ernte und 17 Prozent auf der Ebene des Einzelhandels und der Verbraucher. Dies führt zu einem Energie- und Nährstoffverlust und Schätzungen zufolge verursachen nicht verbrauchte Lebensmittel 8 bis 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.
In diesem Spannungsfeld ist die Forschung und Entwicklung von neuen Verfahren, um wertvolle Inhaltsstoffe aus organischen Reststoffen zu gewinnen essentiell. Proteine nehmen dabei einen wichtigen Stellenwert ein, sie werden für hochwertiges Tierfutter oder auch für notwendige Proteinzusätze in gesundheitsbedingten Diäten benötigt. Die Gewinnung von Proteinen aus organischen Reststoffen kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, indirekt über Insektenproteine oder direkt mittels Proteinextraktion.
Biertreber im Oszillierenden Flow-Bioreaktor. Foto: AEE INTEC
Erzeugung von Insektenprotein mit der Schwarzen Soldatenfliege – Forschung und Entwicklung bei Christof Industries und Christof Global Impact
Da die Larven der Schwarzen Soldatenfliege organische Rückstände in Biomasse umwandeln können, sind sie ein vielversprechender Ansatz zur Verwertung von Lebensmittelabfällen bzw. für Nährstoffrecycling. Je nach Art setzen sich getrocknete Insekten aus 40 bis 60 Prozent Protein und 20 bis 40 Prozent Fett zusammen und haben eine günstige Aminosäurezusammensetzung. Produkte auf Insektenbasis könnten damit den menschlichen Proteinbedarf teilweise decken und aus Insekten gewonnene Proteine können Tiere wie Fische, Hühner und Schweine ernähren. Insektenprotein ist beispielsweise Ersatz für Fischmehl in der wachsenden Aquakulturbranche, für die ein erhöhter Verbrauch von Fischmehl und Fischöl in Zukunft zu erwarten ist. Als Nebenprodukt entsteht aus der Behandlung der organischen Rückstände mit Larven Dung, der als Düngemittel in der Landwirtschaft verwendet werden kann.
Die Unternehmensgruppe der Familie Christof engagiert sich seit dem Jahr 2016 im Bereich der Herstellung von Insektenprotein aus der Schwarzen Soldatenfliege. Die Christof Unternehmensgruppe ist ein Anlagenbau-Unternehmen mit Sitz in Graz, das weltweit ca. 4000 Mitarbeiter beschäftigt. Christof Global Impact (CGI) ist das jüngste Mitglied der Christof Unternehmensfamilie. Die CGI bietet seinen Kunden technologiegestützte Lösungen zur Abfallverwertung und Emissionsreduzierung. Dr. Alfred Friedacher, CTO der Christof Global Impact und Dipl.-Ing. Christof Ertl sind von Anfang an für Christof Industries am Thema Insekten dran.
Nach zwei Jahren analysieren, testen und probieren hat das Christof Team vor einigen Jahren die erste Anlage mit einer Produktionskapazität von bis zu 10 Tonnen Larven pro Tag aus 40 bis 60 Tonnen organischem Abfall in Südafrika gebaut. Aufbauend darauf wurden weltweit zahlreiche Insektenprojekte durchgeführt. 2022 ging CGI eine Kooperation mit einer Insektenzuchtfirma (Insektianer GmbH) aus Wels ein. In einem ersten Schritt wird eine Pilotanlage für Forschungszwecke in Wels installiert, um das Knowhow in der Insektenzucht noch weiter zu vertiefen. In weiteren Phasen sollen dann auch in Österreich und Europa Großanlagen errichtet werden.
Insektenzuchtanlage
Eine Anlage zur Herstellung von Insekten kann in Form eines Hochregallagersystems oder in flacher Bauweise entwickelt werden und besteht im Wesentlichen aus drei Teilen:
1 Substrataufbereitungsanlage
Um aus organischen Reststoffen bzw. landwirtschaftlichen Nebenprodukten ein Substrat herzustellen, welches leicht von den Larven verarbeitet werden kann. Befinden sich „Störstoffe“ im Substrat, wird als erster Schritt mit Bioseparatoren gearbeitet, welche nicht-organische Fraktionen abtrennen. Zur Einstellung des Wassergehaltes muss entwässert (Obst- und Gemüsefraktionen enthalten viel Wasser) oder ein trockenes Substrat (z. B. Brot) zugemischt werden. Je nach Substratquelle können auch noch weitere Aufbereitungsschritte notwendig werden.
2 Reproduktion und Produktion
Die Larven fressen das Substrat und wandeln es in organischen Dünger um. Am Ende dieses Vorganges wird ein kleiner Anteil der Larven zur Reproduktion herangezogen.
3 Ernte und Endverarbeitung
Nach der Umwandlung des Substrats in organischen Dünger werden die Larven geerntet, das heißt sie müssen vom Dünger getrennt werden. Die Trennung erfolgt durch Siebung (Trennung nach Größe) und darauffolgende Sichtung (Trennung nach Dichte). Anschließend werden die Larven über das sogenannt „dry rendering“ oder „wet rendering“ in Insektenmehl und Insektenfett umgewandelt.
Larven kurz vor der Ernte. Foto: Insektianer
Die spezifische Zusammensetzung des Substrates hat einen enormen Einfluss auf die Produktivität der Larven. Bei günstiger Substratzusammensetzung kann eine Biokonversion (die Umwandlung von organischen (Rest-) Stoffen in energetisch oder stofflich nutzbare Produkte) von bis zu 25 Prozent (in seltenen Fällen auch höher) erreicht werden. Somit würde eine Anlage, in die täglich 100 Tonnen Substrat in die Mast eingebracht würden, bis zu 25 Tonnen Lebendlarven produzieren. Nach der Weiterverarbeitung im Rendering ergeben sich ca. 6 Tonnen Insektenmehl und ca. 2,5 Tonnen Insektenöl. Auch die Aminosäurenzusammensetzung hängt vom Substrat ab, Alanin, Lysin, Leucin, Glycin, Prolin, Glutaminsäure und Asparaginsäure sind vorwiegend vorhanden.
Extraktion von Protein mittels neuartigem Oszillierenden Flow Bioreaktor (OFB) - Forschung und Entwicklung bei AEE INTEC
Am Institut für Nachhaltige Technologien in Gleisdorf wird ein alternativer Weg erprobt, um Proteine besser verfügbar zu machen. In den Projekten HIPSTERS und COHORIS werden unterschiedliche Extraktionsverfahren entwickelt und erforscht. Zur Valorisierung von biogenen Reststoffen setzt AEE INTEC den Oszillierenden Flow Bioreaktor als innovative Extraktionstechnologie ein. Gemeinsam mit der TU Graz wird neben der Reaktortechnologie auch an den bestgeeignetsten Extraktionsmitteln geforscht, um Proteine sowie deren Aminosäurebestandteile aus Lebensmittel-Reststoffsuspensionen direkt in einem kontinuierlichen Prozess mit hoher Ausbeute zu lösen und zur weiteren Verarbeitung zu gewinnen. Der Oszillierende Flow Bioreaktor (OFB) wird dafür auf Grund idealer Durchmischung und intensiviertem Massentransfer als eine „Key Enabling Technology“ (Schlüsseltechnologie) eingesetzt, um chemische und enzymatische Extraktionswege, z. B. ionische Flüssigkeiten im kombinierten Einsatz mit Enzymen wie Proteasen, Cellulasen und Xylanasen, mit direktem Einsatz der Biomasse zu realisieren. Neben dem Hauptfokus Reinheit und Zusammensetzung der extrahierten Proteine werden zusätzlich der weitere Weg der verbleibenden Reststoffe auf stofflicher Basis - Nährstoffvalorisierung im Sinne der Kreislaufwirtschaft - und die Möglichkeiten einer energetischen Nutzung betrachtet. Das Ergebnis der Versuche wird in ein gesamtheitliches Bioraffineriekonzept eingebettet.
Der OFB wurde bei AEE INTEC bereits in der enzymatischen Hydrolyse von Zellulose zu Glukose eingesetzt und zeigte deutliches Prozessintensivierungspotenzial gegenüber herkömmlichen Rührkesselreaktoren. Ein wesentlicher Vorteil des Reaktors ist die Entkopplung der Flussgeschwindigkeit von der Verweilzeit der Partikel. Dies wird durch die im Rohrreaktor eingebauten Baffles (Prallplatten/Helices) in Kombination mit optimalen Oszillationsparametern (Frequenz und Amplitude) ermöglicht. Somit können auch langsame Reaktionen kontinuierlich im Rohrreaktor stattfinden. Durch die optimale Durchmischung konnten sehr hohe Feststoffgehalte an Biomasse verarbeitet, und der Enzymeinsatz gesenkt werden. Die Einsatzmöglichkeiten des OFB sind breitgefächert, und viele Herausforderungen von biobasierten Prozessen können mit dem Reaktor bestens adressiert werden.
Aktuell laufen im Labor in Gleisdorf Versuchsreihen mit Biertreber, welcher in großen Mengen als Nebenprodukt des Brauprozesses anfällt und daher ein interessantes Substrat für eine kaskadische Ressourcennutzung darstellt. Bezogen auf sein Trockengewicht liegt der Proteingehalt von Trebern bei etwa 25 Prozent. In unterschiedlichen Versuchsreihen wurden geeignete Bedingungen in Bezug auf Vorbehandlung, Extraktionsmittel, Oszillationsparameter für die Proteinextraktion im OFB evaluiert. Der Aufbau der modularen Anlage kann sowohl im Batch, als auch im kontinuierlichen Modus betrieben werden. Bisher konnten die gewünschten Verweilzeiten der Reaktion, welche im Bereich von drei bis fünf Stunden liegen, in Reaktorlängen von ca. 0,5 bis 5 Meter bei ausreichender Durchmischung des Trebers erreicht werden. Der Treber wurde dabei mit 10 Prozent Feststoffgehalt und ohne Vorbehandlung eingesetzt. Im Zuge der basischen Extraktion im Oszillierenden Flow Bioreaktor konnten Proteinausbeuten zwischen 70 – 85 Prozent erreicht werden. Die entsprechenden Aminosäureprofile zeigen mengenmäßig vorwiegend Glutaminsäure, Leucin, Asparaginsäure, Phenylalanin und Valin. Zudem wurde das Biogaspotenzial des verbleibenden Extraktionsrückstands erfasst. Die spezifische Ausbeute bezogen auf die organische Trockensubstanz erfährt nach ersten Tests verglichen mit einer nicht hydrolysierten Treber-Probe keine wesentliche Veränderung. Weitere Versuchsreihen sowie die Evaluierungen der stofflichen und energetischen Valorisierung des Trebers finden derzeit statt und werden in einem Bioraffineriekonzept zusammengestellt.
Autor*innen
Dipl.-Ing. Christof Ertl ist Head of Engineering, Christof Global Impact. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl-Ing.in Judith Buchmaier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dissertantin in der Forschungsgruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!