Zeitschrift EE

 erneuerbare energie: 2.2021

Die Bevölkerung einbinden

Nicht nur Umfragen weisen darauf hin, dass die Bevölkerung die Klimakrise ernster nimmt als die Politik. „Wenn Bürgerinnen und Bürger selbst über Klimapolitik entscheiden dürfen, dann fallen ihre Beschlüsse unter Umständen mutiger aus als gedacht“, schrieb DIE ZEIT angesichts eines einmaligen Experiments in Frankreich. Es war ausgerechnet der durch sozial unausgeglichene Reformen in Verruf geratene Präsident Macron, der nach den heftigen Protesten der Gelbwesten eine große BürgerInnen-Beteiligung anregte.

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150 zufällig, aber repräsentativ ausgewählte Menschen versammelten sich über eine Dauer von acht Monaten wiederholt zu folgendem Thema: Wie soll Frankreich die Pariser Klimaziele erreichen, in einer Weise, dass ärmere Personen nicht darunter leiden? Der älteste Teilnehmer war über achtzig, die jüngste Teilnehmerin gerade einmal sechzehn, BewohnerInnen von Land und Stadt, Frauen und Männer, prekär Arbeitende und Gutverdienende waren im Klimarat vertreten.

Die Aufgabe des Klimarats war es, Maßnahmen zu entwickeln. Diese würden, so Macron, „ungefiltert“ zur Volksabstimmung, zur Parlamentsabstimmung oder zur direkten Implementierung freigegeben werden. WissenschaftlerInnen präsentierten den 150 BürgerInnen die Faktenlage, ExpertInnen informierten sie über soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Während wir in Österreich im Juni 2020 die Eintragungswoche des Klimavolksbegehrens starteten, legte der französische BürgerInnenrat sein 149 Punkte starkes Maßnahmenpaket vor. Zentrale Punkte waren

  • Klimaschutz in die französische Verfassung.
  • Ein neuer Straftatbestand des Ökozids. Unternehmen können verklagt werden, wenn sie Artensterben, Versauerung des Bodens oder die Klimakrise verursachen.
  • Geschwindigkeitsbegrenzung auf 110 Kilometer pro Stunde auf allen Autobahnen.
  • Verbot von Inlandsflügen ab 2025 und Bauverbot für neue Flughäfen.
  • Eine ökosoziale Steuerreform, finanziert von den Wohlhabenden des Landes.
  • Keine Werbung für klimaschädliche Produkte, beispielsweise Autos.
  • Fleischgerichte in Kantinen durch vegetarische Alternativen ersetzen.
  • Firmen mit Dividendenausschüttung über zehn Millionen Euro sollten künftig vier Prozent dieser Summe für Ökoprojekte abtreten.

Viele der Teilnehmenden berichteten in Interviews, ihnen sei erst durch die Arbeit im Rat bewusst geworden, wie dringlich neue Klimagesetze seien. Nur zehn Personen brachen ihre Arbeit im Rat ab; viele sprachen anschließend mit ihren lokalen Politikerinnen und Politikern. Alle Sitzungen des Rats waren online mitzuverfolgen und wurden medial begleitet. Das französische Volk konnte transparent erkennen, dass „Menschen wie sie selbst“ zu diesen Schlüssen kamen und nicht „die da oben“.

Leider hielt sich Präsident Macron dann nicht an sein Versprechen. Nur etwa 40 Prozent der Vorschläge flossen in das neue Klimagesetz ein. Zu den Vorschlägen des französischen Rats fiel der rechtsradikalen Partei Rassemblement National keine bessere Kritik ein, als sie „verrückt“ zu nennen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen sind vernünftig. Wenn wir über bestimmte Themen aufgeklärt werden und die Chance bekommen, mitzureden, wissen wir sehr gut, was zur Lösung gesellschaftspolitischer Probleme bräuchte. Wenn man uns bei Entscheidungen einbindet, uns zum Gespräch einlädt und zuhört, uns politisch mitnimmt, dann kann Klimaschutz mit tatkräftiger Unterstützung der Menschen umgesetzt werden.

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Zitiert aus „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ von Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer, Zsolnay Verlag, Wien

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