Zeitschrift EE

 erneuerbare energie: 2.2021

Vorgefertigte Fassaden als Energieerzeuger, Wärmespeicher und Heiz-/Kühlsystem

An einem Grazer Hochhaus will das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC seine neue Energiefassade demonstrieren. Sie soll die alten Mauern mit minimalem Aufwand zu Flächenheiz- und Kühlsystemen machen, die auch Energie speichern können. Ein Prototyp hat die Tests am Prüfstand gut bestanden. Auch ein Patent gibt es bereits. Durch die serielle Sanierung könnten hunderttausende unsanierte Häuser aus den 60erbis 80er-Jahren endlich zu geringen Kosten auf Klimaschutzkurs gebracht werden.

Um die Klimaschutzziele im Wärmesektor zu erreichen, ist eine umfassende Sanie rung des Gebäudebestandes nötig – darinsind sich Fachleute einig. Doch diese läuft seit Jahren bestenfalls schleppend. In Österreich lag die Sanierungsquote zuletzt bei 0,5 Prozent, und in Deutschland hing sie im letzten Jahrzehnt bei etwa einem Prozent fest. Die serielle Sanierung mit vorgefertigten, gedämmten Vorhangfassaden könnte Abhilfe schaffen.

Im Rahmen des H2020-Projektes EXCESS geht die AEE – Institut für Nachhaltige Technologien noch einen Schritt weiter. Ein zentraler Aspekt ist hier die Energietransformation eines bestehenden Gebäudes hin zu einem energieflexiblen Plusenergiegebäude, das mehr Energie aus erneuerbaren Technologien vor Ort erzeugt als es selbst verbraucht. Für die Umsetzung des österreichischen Demonstrators ist AEE INTEC verantwortlich und koordiniert dabei die Aktivitäten rund um die Entwicklung von energieaktiven Fassaden zur thermischen Aktivierung von vertikalen Bauteilmassen.

Die Vorhangfassade ist hier zugleich die Tragekonstruktion für Solarenergiesysteme (Photovoltaik), Flächenheizsystem und Wärmespeicher. Das ermöglicht eine hohe Sanierungstiefe bis hin zur thermischen Bauteilaktivierung, die im Bestand sonst nicht möglich wäre. Die Sanierung kann vor Ort in kurzer Zeit und mit geringem Personalaufwand umgesetzt werden. Die Gebäude können durchgängig bewohnt beziehungsweise genutzt werden, was zu einer erhöhten Akzeptanz führt.

DER PROTOTYP HAT SICH AUF DEM TESTSTAND BEWÄHRT

Im Forschungsprojekt hat die AEE INTEC mit Partnerorganisationen Prototypen für eine solche Energiefassade entwickelt und auf dem Prüfstand getestet. Grundlage für den Prototypen ist eine Vorhangfassadenkonstruktion in Metallbauweise. Als aktives Heizelement kommen spezielle Komponenten zum Einsatz, wie man sie vergleichbar aus thermischen Kollektoren kennt. Beim Einblasvorgang des Dämmmaterials wird dieses komprimiert und drückt das Flächenheizsystem an die bestehende Außenwand des Gebäudes. Dabei können Unebenheiten der Bestandswand ausgeglichen werden. Zugleich sorgt das eingepresste Dämmmaterial dafür, dass der Kontakt dauerhaft aufrechterhalten bleibt. So stellt es einen guten Wärmeübergang zwischen Heizschicht und der alten Außenwand sicher. Mit diesem Aufbau und Anpressverfahren erreicht der Prototyp höchste Wärmeübergangszahlen. Insgesamt ist die Vorhangfassade gut 25 Zentimeter dick. Für den Fassadenaufbau und das Verfahren zum Anpressen der aktiven Heizschicht an die Fassade hat AEE INTEC ein Patent angemeldet.

Energiefassade am Prüfstand der AEE INTEC. Foto: AEE INTEC

Den Prototypen hat AEE INTEC in der eigenen Fassaden-Prüfeinrichtung knapp drei Monate lang unter realen Bedingungen getestet. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Messwerte für Wärmedurchgang und andere Eigenschaften sehr gut mit den Werten aus der Simulation decken. Auch auf potenzielle Kondensationsprobleme für die Kühlanwendung wurde die Fassade untersucht. Doch selbst bei niedrigen Kühltemperaturen für hohe Kühlleistungen trat bei der fachgerechten Montage keine Kondensation auf.

GEBÄUDE DER 60ER- BIS 80ER-JAHRE GUT GEEIGNET

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Art der Sanierung für Gebäude aus den 60er- bis 80er-Jahren besonders interessant ist. Die Fassaden aus dieser Bauzeit sind meist geradlinig, was den Einsatz großflächig vorgefertigter Fassadenelemente vereinfacht. Zugleich sind die Gebäude nicht eigens gedämmt. Das erhöht nicht nur die Energiekosteneinsparung, sondern erleichtert auch das Heizen und Kühlen über die Außenwand. In jenen Jahrzehnten bestanden Außenwände vor allem aus Hochlochziegel, Vollziegel, Vollbeton oder Mantelbeton. Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass sich bei entsprechender Reduktion des Heizwärmebedarfs alle diese Wandaufbauten ausgezeichnet für eine Beheizung oder Kühlung über die Außenwände eignen. Allerdings leitet Beton die Wärme deutlich besser als Hohllochziegel. Das kann man kompensieren, indem man die aktive Heizebene der Energiefassade mit Wärmeleitblechen ausstattet. Je nach Heizsystem kann man auch auf höhere Vorlauftemperaturen setzen.

DIE BAUTEILAKTIVIERUNG VON AUSSEN BIETET GROSSES SPEICHERPOTENZIAL

Ein weiterer Vorteil der aktiven Energiefassade ist, dass sie Gebäude und Wände als thermische Speicher nutzbar macht. Durch diese Bauteilaktivierung wird es möglich, den fluktuierenden Windund Solarstrom genau dann in Wärmepumpen zu nutzen, wenn er in großen Mengen verfügbar ist. Die maximale Speicherkapazität ist im Vergleich zu bestehenden Radiatorheizungen mehr als zehnmal so hoch. Demensprechend länger sind die Zeiträume, die nach dem Beladen der Wand ohne aktive Wärmezufuhr überbrückt werden können. Je nach Behaglichkeitsempfinden sind sogar mehrere Tage möglich.

Auch um Produktionsspitzen in der Windenergie abzupuffern und sinnvoll zu nutzen, eignet sich die Bauteilaktivierung. In Österreich gibt es rund 624.000 Wohnungen aus den 60er- bis 80er-Jahren. Sie haben zusammen 26 Millionen Quadratmeter Fassadenflächen. Würde man diese mit Energiefassaden sanieren, erhielte man einen thermischen Kurzzeitspeicher mit einer Kapazität von 31,2 GWh(th). Das ist genug, um eine Stunde lang die Energie aus mehr als 6.000 großen Windkraftanlagen aufzunehmen.

VOM PROTOTYPEN ZUM PILOTPROJEKT

Der erste praktische Einsatz des vollständigen Konzeptes soll in einem Bürogebäude in einem Grazer Gewerbegebiet erfolgen. Ein ehemaliger Futtermittel-Silo wird dabei zu einem Bürogebäude im Passivhausstandard umgebaut. Die multifunktionale Energiefassade ist ein essenzieller Teil des Konzepts und liefert die komplette Heiz- und Kühlenergie sowie einen Teil des Stroms für die Wohnungen. Durch die fassadenintegrierten Photovoltaikmodule wird mehr Strom über das Jahr produziert als das Gebäude verbraucht. Gemeinsam mit Strom aus einem kleinen Wasserkraftwerk treiben sie eine Wärmepumpenkaskade im Quartier an. So stammt die gesamte Energie zum Heizen und Kühlen des Gebäudes aus lokalen Ressourcen. Die Umbauten sollen Anfang 2022 beginnen.

Visualisierung des Demonstrationsgebäudes in Graz: 1, 2. Foto: BAR Vermögensverwaltungs GmbH

Der österreichische Demonstrator innerhalb des EU-Projektes zeigt, wie selbst aus einem alten Industriebau ein Plusenergiegebäude werden und CO2 eingespart werden kann. Wesentlich ist auch die Möglichkeit, unterschiedlichste Materialien oder Heiztechniken, ja selbst externe Energielieferanten in das Sanierungsprojekt einbinden zu können. Am Ende sichert das den Bewohnern Behaglichkeit, ob in kühlen Jahreszeiten oder langanhaltenden Hitzeperioden im Sommer. Mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Evaluierung der energieaktiven Fassade wird der Grundstein für die nachhaltige Sanierung gelegt. Hierzu arbeiten wir seit Jahren, so wie auch in diesem Projekt, mit Fassadenexperten Thomas Buchsteiner von TOWERN3000 zusammen, welcher möglichen Partnern und Interessenten bei Fragen gerne zur Seite steht. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Links

Qualifizierung der Fassade: EU-Projekt EXCESS: www.aee-intec.at/excess-flexiblenutzerzentrierte-plusenergiegebaeude-p247

Pilotprojekt in Graz: https://positive-energy-buildings.eu/demo-cases/austria

Autor

DI Thomas Ramschak Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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