Zeitschrift EE

erneuerbare energie: 1.2021

Weitreichende Weichenstellungen auf europäischer Ebene

In der vergangenen Ausgabe haben wir die neuen Strategien der EU auf dem Weg zur Klimaneutralität vorgestellt. Rund um die milliardenschweren EU-Pläne für die Energiewende wurden in den vergangenen Monaten richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Dazu kommen aktuell die nationalen Pläne im Rahmen des „Aufbau- und Resilienzprogramms“. Karl Kellner hat sich angesehen, wie die österreichischen Vorschläge in die Gesamtstrategie der EU passen.

Der Grüne Deal der EU ist der umfassende Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft, mit dem Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050. Die damit verknüpften klima- und umweltpolitische Herausforderungen werden in allen Politikbereichen als Chancen zu sehen sein. Der transformative Übergang wird im Hinblick auf die Investitionserfordernisse für alle gerecht und inklusiv gestaltet werden müssen. Oft ist von den enormen Kosten zu lesen, die die Erreichung dieses Ziels erfordert – wenig ist jedoch von den noch höheren Kosten des Nichthandelns und den dadurch vergebenen Möglichkeiten zu hören.

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden und ihre Netto-Emissionen an Treibhausgas auf Null zu reduzieren. Dafür muss Europa sein Energiesystem massiv umgestalten, auf das 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der EU entfallen. Die im Juli 2020 von der Europäischen Kommission (EK) beschlossenen EU-Strategien zur Integration des Energiesystems und zu Wasserstoff werden den Weg zu einem effizienteren und stärker vernetzten Energiesektor ebnen, der von zwei Zielen – Umweltschutz und eine stärkeren Wirtschaft – geleitet wird (siehe auch unsere Analyse in der vergangenen Ausgabe 2.2020).

Mit dem europäischen Grünen Deal wird im Einklang mit dem Aufbaupaket „Next Generation EU“ eine neue Investitionsagenda für saubere Energie vorgestellt. Die geplanten Investitionen sollen die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise ankurbeln. Sie schaffen Arbeitsplätze in Europa und stärken unsere Führungsrolle und Wettbewerbsfähigkeit in strategischen Wirtschaftszweigen, die für die Widerstandskraft(„Resilienz“) Europas von entscheidender Bedeutung sind. Die Umsetzung des „Green Deals‘“im Zeitablauf basiert auf einem umfassenden Aktionsplan.

Foto: Christophe Maout

Die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament haben im April 2021 eine vorläufige politische Einigung zum EU-Klimagesetz erzielt, mit der das Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 und die kollektive Zielvorgabe, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, rechtlich verankert werden. Darin ist Folgendes vorgesehen:

  • die Senkung der Emissionen erhält im Hinblick auf die Zielvorgabe für 2030 Vorrang vor dem Abbau von Emissionen (insbesondere in Wäldern, die in Europa das Äquivalent von rund 10 Prozent der Treibhausgase aufnehmen),
  • die Europäische Kommission wird ein klimapolitisches Zwischenziel für 2040 vorschlagen, und
  • das ehrgeizige Ziel, dass die EU nach 2050 negative Emissionen erreichen soll.

Dieses EU-Klimagesetz wandelt also die politische Verpflichtung zur Klimaneutralität bis 2050 in eine rechtliche Verpflichtung um.

Ein „Neues Europäisches Bauhaus“ ergänzt den „Green Deal“ um eine kulturelle Dimension, in die Österreich seine Vorreiterrolle im sehr energieeffizienten Holzbau einbringen könnte.

EU-AUFBAU- UND RESILIENZPLAN

Dieser Aufbau- und Resilienzplan für Europa ist mit einem Volumen von 672,5 Milliarden Euro (54 Prozent davon als Darlehen und 46 Prozent als Zuschüsse bzw. Finanzhilfen) der Kernpunkt des Pakets „Next Generation EU“ (NGEU). Dieser Plan erfordert massive öffentliche und private Investitionen, um die Union auf den Weg zu nachhaltiger und robuster Erholung zu bringen. Die Mitgliedstaaten erstellen nationale Aufbau- und Resilienzpläne, in denen die Reform- und Investitionsagenda des Mitgliedstaats für die Jahre 2021–2023 dargelegt ist. Ein wirksamer Beitrag zur grünen und digitalen Wende ist Voraussetzung für eine positive Bewertung durch die Kommission.

Zusammen mit dem „Mittelfristigen EU-Haushalt“ für den Zeitraum 2021 bis 2027, (MFR), der Mittel in Höhe von 1.074,3 Milliarden Euro vorsieht, werden somit in diesem Zeitraum insgesamt 1.747 Mrd. € den Mitgliedsstaaten zur Verfügung stehen.

Klimaschutzmaßnahmen werden in den Strategien und Programmen, die über den MFR und NGEU finanziert werden, durchgängig berücksichtigt. Für die MFR-Mittel ist ein Gesamtklimaziel von 30 Prozent vorgesehen, während die nationalen Aufbaupläne mit mindestens 37 Prozent zum ökologischen und mit 20 Prozent zum digitalen Wandel beitragen sollen. Bei beiden muss das Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 eingehalten werden, und beide müssen zur Verwirklichung des neuen, verschärften Klimaziels der Union für das Jahr 2030 (55 Prozent Emissionsreduktion) beitragen.

ÖSTERREICH

Österreich hat einen nationalen „EU-Aufbau- und Resilienzplan“ mit einem Projektvolumen von rund 4,5 Milliarden Euro am letztmöglichen Termin, dem 30. April 2021, an die Kommission übermittelt, in dem laut Regierungsangaben die Mindestvorgaben deutlich überschritten werden (46 Prozent für ökologischen und 41 Prozent für digitalen Wandel). Die Bundesregierung erwartet sich Zuschüsse in Höhe von 3 Milliarden Euro, was nur rund 0,5 Prozent des gesamten EU-Plans ausmacht. Ginge es nach dem Bevölkerungsschlüssel, sollte Österreich fast 2 Prozent erhalten. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die thermische Sanierung im Gebäudebereich mit einem Phasing-Out von Öl- aber auch Gasheizungen durch Biomasse (60 Prozent der Projekte), Wärmepumpen (30 Prozent), und Fern-/Nahwärme gelegt. Während Wärmepumpen und Biomasse im Neubau etabliert sind, werden bei dem geplanten Sanierungsvolumen technisch/ strukturelle Anforderungen wie zum Beispiel Lagerräume, Wärmeabgabesystem etc. entscheidende Erfolgsfaktoren darstellen. Besonderes Augenmerk wird auf Energiearmut gelegt. Insgesamt wird eine Verdreifachung der Renovierungsrate von Gebäuden angestrebt.

Im Bereich Fotovoltaik/PV und Gemeinschaftsanlagen ist das Ziel formuliert, eine Million Dächer damit auszurüsten. Auffällig ist, dass Solarwärme aus dem Fokus gerät und einmal mehr unter ihrem wahren Wert gehandelt wird.

Wasserstoff-/Brennstoffzellenprojekte im Bus-/Schwerlastverkehr können auf der seit Jahren auf EU-Ebene erfolgreich umgesetzten Markteinführung von Wasserstoffbussen in großen Städten Europas aufbauen. Gerade diese Anwendung im streckengebundenen städtischen/regionalen öffentlichen Verkehr sollte für Österreich die Chance bieten – wie von der Europäischen Kommission erst längerfristig angepeilt –, erneuerbare Elektrizität mit dem Energieträger-Vektor Wasserstoff wahrhaft nachhaltig zu koppeln („grüner Wasserstoff“).

Entscheidend wird bei der Entwicklung der Projekt-Pipeline jedoch sein, dass die Angebote der EU – das „Technical Support Instrument“ für die Vorbereitung und Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans sowie die „Technical Assistance“ für die Finanzierung der Projekte – umfassend genutzt werden.

Die auf EU-Ebene gefassten Beschlüsse bieten für Österreich die Chance, die überaus anspruchsvollen Zielsetzungen der nationalen Klimaneutralität bis 2040 im geplanten Zeitrahmen zu erreichen. Damit die Realisierung dieses Ziels eine Dekade vor der EU möglich wird, sollten alle Entscheidungsträger an einem Strang ziehen, um Österreich bestmöglich aus dieser fundamentalen Krise heraus zu investieren: in die richtige, nachhaltige Richtung.

Abschließend eine persönliche Anmerkung: ich erinnere mich noch sehr gut an einen – vor 35 Jahren fast unerträglich – heiß empfundenen Sommertag mit 36 °C. Heute haben wir Sommertage mit 40 Grad und darüber. Welchen Temperaturanstieg wollen wir unseren Kindern und Enkeln zumuten, wenn sie in Pension sind? 45 Grad – noch mehr …?

KARL KELLNER war als Berater bzw. Referatsleiter in der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Energie, für den Bereich der erneuerbaren Energie und Energieeffizienz, insbesondere deren Finanzierung, bis 2013 zuständig. Er ist langjähriges förderndes Mitglied der AEE und berichtet für die „erneuerbare energie“ regelmäßig über gesamteuropäische Aspekte in Energiefragen

EU Green Deal https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

Europäisches Klimagesetz https://www.consilium.europa.eu/de/press/press­releases/2021/04/21/european­climate­law­council­andparliament­reach­provisional­agreement/

Österreichs Aufbau- und Resilienzplan https://www.oesterreich.gv.at/nachrichten/allgemein/EU-Aufbauplan.html

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