Zeitschrift EE

nt 02 | 2020: Hybride Solartechnologien

Niedrige Rücklauftemperaturen für zukunftstaugliche Fernwärmenetze

Jakob Binder, Harald Schrammel, Paolo Leoni, Andreas Müller

Niedrige Fernwärme-Netztemperaturen steigern die Effizienz von Erzeugung und Verteilung und sind dadurch wesentlich für zukünftige Fernwärmenetze. Durch niedrige Netztemperaturen können erneuerbare Wärmequellen und Abwärme gut technisch integriert und hohe Erträge ermöglicht werden. Damit verbessert sich die Wirtschaftlichkeit der Einbindung erneuerbarer Wärmequellen und erleichtert die Transformation zu erneuerbaren, flexiblen und zukunftstauglichen Fernwärmesystemen.

Foto: Stadtwerke Gleisdorf GmbH

Moderne Heiz- und Warmwassersysteme erlauben bereits heute niedrige Temperaturen 1. Hohe Rücklauftemperaturen ergeben sich häufig aus Mängeln bei den Kundenanlagen, die im Fokus des Projekts T2LowEx stehen. Im Rahmen des Projekts wurden Methoden entwickelt, die Wärmenetzbetreiber beim Erschließen von Potenzialen auf Kundenseite unterstützen. Diese umfassen die Abnehmeranalyse, die Ermittlung der wirtschaftlichen Effekte temperaturabsenkender Maßnahmen für das Gesamtsystem unter Berücksichtigung der relevanten Einflussparameter wie z. B. Erzeugungsmix oder Verteilung, sowie Geschäftsmodelle, die einen Anreiz zur Senkung der kundenseitigen Rücklauftemperaturen bieten.

Identifizieren und Beheben von Fehlern

Ein funktionierendes Monitoring und die regelmäßige Analyse von Kundendaten ist die Grundvoraussetzung für einen optimalen Betrieb bzw. das Erfassen von Mängeln. Dazu müssen neben den Energieverbräuchen auch die Volumenströme der Kundenanlagen erfasst werden. Priorisierungsmethoden basierend auf Monats- oder Jahreswerten 2 ermöglichen das Erkennen mangelhafter Kundenanlagen und deren Einfluss auf das Gesamtnetz. In voll digitalisierten Fernwärmenetzen mit zeitlich hochaufgelösten Daten aller Kundenstationen kann die Detektion automatisiert und rasch nach Eintreten von Veränderungen bzw. Mängeln erfolgen. Dazu wurde im Projekt T2LowEx eine digitalisierte und automatisierte Fehlererkennungsmethode auf Basis von Clustering-Algorithmen entwickelt, die derzeit mit realen Messdaten validiert wird. 3, 4 Um die Behebung von erkannten Mängeln zu forcieren, wurden im Projekt die Häufigkeit von Fehlern und der Aufwand zu deren Behebung evaluiert (siehe folgende Abbildung). Auffällig war dabei, dass der Aufwand für viele Fehlerbehebungen gering ist, die Verantwortung dafür aber häufig beim Kunden liegt. Gleichzeit profitieren Wärmenetzbetreiber meist mehr als die Kunden.

Häufigkeit verschiedener Mängel und Aufwand sowie Zuständigkeit für deren Behebung. Quelle: AEE INTEC

Anhand von 17 ausgewählten Fallbeispielen wurden Maßnahmen bei den Kundenstationen umgesetzt und die Auswirkungen untersucht, indem die Zeiträume vor und nach der Umsetzung messtechnisch erfasst und verglichen wurden. Diese Verbesserungsmaßnahmen betrafen z. B. Optimierung bzw. Tausch der Übergabestation, Spülung oder Tausch des Wärmetauschers oder den Tausch von Regelungsventilen. Auch die korrekte Einstellung des Heizungsreglers und die Implementierung einer neuen bzw. optimierten Regelung für Speicher, Pumpen und Warmhaltung zählten zu den umgesetzten Maßnahmen. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen exemplarisch die Ergebnisse von durchgeführten Verbesserungsmaß- nahmen. Die Ergebnisse der Fallbeispiele dienen als Grundlage für die Entwicklung und Validierung neuer Geschäftsmodelle und zur Abschätzung des technischen und wirtschaftlichen Optimierungspotenzials für Österreichs Fernwärmenetze.

Wie viel darf Optimierung auf Kundenseite kosten?

Diese Frage bereitet vielen Netzbetreibern Kopfzerbrechen. Deshalb wurde im Rahmen des Projekts ein Rechenmodell auf Excel-Basis entwickelt, mit dessen Hilfe die technischen und wirtschaftlichen Aspekte von temperatursenkenden Maßnahmen im Gesamtwärmenetz bewertet werden können. Dazu wird die gesamte Anlagenkonfiguration in Hinblick auf die eingesetzten Wärmeerzeugungsanlagen und Energieträger inklusive aller relevanten technischen und wirtschaftlichen Parameter (u. a. Brennstoffund Stromkosten) basierend auf Betreiberangaben erfasst. Eine mögliche Kostenreduktion wird anschließend mittels der geplanten Optimierungs- und Mängelbehebungsmaßnahmen und der dadurch erwarteten Temperaturreduktion für die jeweilige Netzkonfiguration berechnet. Diese Einsparungen können in weiterer Folge den Kosten für die Optimierung der Kundenanlagen gegenübergestellt und so vom Wärmeversorgungsunternehmen auf deren Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Zusätzlich wird auch ein Kostenteilungsfaktor zwischen Betreiber und Kunde errechnet, der die zu erwartenden Kostenvorteile der Optimierung für Kunde und Betreiber widerspiegelt. Die Berechnungsmethode wird derzeit mit realen Anlagendaten getestet und optimiert.

Optimierung einer Pufferladeregelung. Neben der um 3 bis 5 °C erhöhten Spreizung ist die Reduktion des Volumenstroms deutlich zu sehen (hellrot: ganzjährig hoher Durchfluss vor der Umsetzung). Quelle: AEE INTEC

Austausch einer Wärmeübergabestation. Wie bei der Optimierung der Pufferladeregelung ist auch hier der geringere Volumenbedarf nach der Umsetzung aufgrund der 10 bis 40 °C höheren Spreizung zu sehen. Quelle: AEE INTEC

Attraktive Tarif- und Geschäftsmodelle als Motivation

Da die Verantwortung für Optimierungsmaßnahmen und Reparaturen häufig beim Wärmekunden liegt, während der Wärmenetzbetreiber hauptsächlich von der Optimierung profitiert, wurden im Projekt drei innovative Geschäftsmodelle entwickelt, um sowohl Kunden als auch Betreibern entsprechende Anreize für die Umsetzung von Maßnahmen zur (Rücklauf-) Temperatursenkung zu geben:

  • Die Stärkung der Kundenbeziehungen und Kundenmotivation durch neue Tarifmodelle (z.B. Motivationstarif), maßgeschneiderte Angebote, Kundenaufklärung und -beratung
  • Eine Finanzierung durch Schlüsselpartnerschaften und Crowdfunding-Plattformen
  • Energieeinspar-Contracting, um Interessenskonflikte in Mietwohnungen zu umgehen

Mit diesen Konzepten wird die Komplexität der technischen, ökonomischen, regulatorischen Zusammenhänge adressiert, die Entscheidungen hinsichtlich Optimierungsmaßnahmen beeinflussen. Die verschiedenen Geschäftsmodelle werden im Zuge des Projekts anhand der umgesetzten Fallbeispiele quantitativ und qualitativ evaluiert werden [5].

Die Weichen für niedrige Temperaturen stellen

Die Temperaturreduktion in Fernwärmenetzen ist eine wesentliche Voraussetzung zukünftiger, intelligenter und erneuerbarer Fernwärmesysteme. Dies kann unter anderem durch Verbesserungsmaßnahmen auf Kundenseite erreicht werden. Mit der Entwicklung und Testung einer gezielten und systematischen Vorgehensweise unterstützt das Projekt T2LowEx Anlagenbetreiber bei der Optimierung ihrer Wärmenetze durch Kundenanlagenanalyse bzw. automatisierte Fehlerdetektion, Fehlerkataloge, Maßnahmenempfehlungen und eine Wirtschaftlichkeitsbewertung der temperatursenkenden Maßnahmen. Mit Hilfe neuer Geschäftsmodelle sollen Fernwärmekunden gezielt eingebunden, und der Aufwand und Nutzen zwischen allen Beteiligten fair aufgeteilt werden. Die Investitionen in temperatursenkende Maßnahmen sind Investitionen in die Zukunft, ohne die das Ziel einer flexiblen, erneuerbaren und hocheffizienten Fernwärmeversorgung nicht erreicht werden kann.

Autoren

Jakob Binder, BSc. und Dipl.-Ing. Harald Schrammel sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs "Städte & Netze" bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Paolo Leoni ist Research Engineer in der Gruppe Electric Energy Systems am Austrian Institute of Technology (AIT). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Andreas Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Energy Economics Group an der TU Wien. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

  1. z. B. Flächenheizung VL/RL 35/25 °C, Warmwasser VL/RL 65/15 °C, im Vergleich zu derzeit üblichen Vorlauftemperaturen von 70 bis > 100°C und Rücklauftemperaturen von 40 bis 60°C vgl. Averfalk, H., Werner, S., Economic benefits of fourth generation district heating, Energy, Volume 193, 2020, https://doi.org/10.1016/j.energy.2019.116727
  2. z. B. QM Heizwerke/Dr. Friedrich Lettner oder Zinko et al. 2005: Improvement of Operational Temperature Differences in District Heating Systems; IEA report - Annex VII
  3. aufbauend auf Gadd, H., Werner, S. (2014), Achieving low return temperatures from district heating substations, Applied Energy, Volume 136, Pages 59-67, https://doi.org/10.1016/j.apenergy.2014.09.022
  4. Hamilton-Jones M., Schrammel H., District Heating Fault Detection using Clustering Algorithms; 14th SDEWES conference, Dubrovnik 2019
  5. Averfalk, H., Werner, S., Economic benefits of fourth generation district heating, Energy, Volume 193, 2020,
    https://doi.org/10.1016/j.energy.2019.116727
  6. Zinko et al. 2005, Improvement of Operational Temperature Differences in District Heating Systems; IEA report - Annex VII
  7. Gadd, H., Werner, S. (2014), Achieving low return temperatures from district heating substations, Applied Energy, Volume 136, 2014,
    Pages 59-67, https://doi.org/10.1016/j.apenergy.2014.09.022
  8. Hamilton-Jones M., Schrammel H., District Heating Fault Detection using Clustering Algorithms; 14th SDEWES conference, Dubrovnik 2019
  9. Leoni, P, Geyer, R, Schmidt, RR, Developing innovative business models for reducing return temperatures in district heating systems:
    Approach and first results, Energy, Volume 195, 2020, https://doi.org/10.1016/j.energy.2020.116963
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