Zeitschrift EE

 02 | 2024 Energieinnovationen in Quartieren

Heat Harvest Solare Überschusswärme in Städten nutzen

Edith Haslinger

100 Prozent erneuerbare Energie im sozialen Wohnbau

Das von der FFG geförderte Projekt „Sozial100%Erneuerbar“ der Projektpartner WBV-GPA, Schöberl&Pöll GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH als wissenschaftlichem Partner beschäftigt sich mit der zu 100 Prozent erneuerbaren (Vor-Ort) Wärme- und Kälteversorgung im sozialen Wohnbau. Dazu wurde in einem Bauprojekt der WBV-GPA, den „Wientalterrassen“ in der Käthe-Dorsch-Gasse im 14. Wiener Gemeindebezirk ein Gesamtsystem der Wärme- und Kälteversorgung, das in dieser Kombination - insbesondere im sozialen Wohnbau - noch nicht umgesetzt wurde, errichtet. Dieses System besteht aus Erdwärmesonden (Heizen und Free Cooling), Wärmepumpen, einer Abwasserwärmerückgewinnung, unverglasten Niedertemperatur-Solarkollektoren, Asphaltkollektoren, einer Betonkernaktivierung und einer Photovoltaik-Anlage zur Deckung des Strombedarfs der haustechnischen Anlagen sowie des Allgemeinstrombedarfs. Dieses Energiekonzept kommt ohne fossile Energieträger aus. Im Winter nehmen die 64 Erdwärmesonden mit einer Gesamtlänge von 9,5 km die Erdwärme auf, drei Wärmepumpen machen die Wärme zum Heizen nutzbar und thermisch-aktivierte Betonteile verteilen die Wärme in den Decken auf das ganze Gebäude. Damit wird im Winter ökologisch verträglich geheizt. Um eine Abkühlung des Erdreichs längerfristig zu verhindern, wird dem Boden im Sommer wieder Wärme zugeführt. Das erfolgt auf drei Wegen: Die thermisch aktivierten Betonteile nehmen Abwärme aus den Wohnungen auf und leiten diese über die Sonden in das Erdreich. Zusätzlich gibt es zwei verschiedene Kollektorarten, verglaste thermische Solarkollektoren und einen innovativen Asphaltkollektor, welche Sonnenlicht in Wärmeenergie umwandeln und auch dem Erdreich zuführen können. Über eine Abwasserwärmerückgewinnungsanlage wird den Abwässern aus Küche, Bad und Toilette Wärme entzogen und zur Warmwasserbereitung verwendet. Eine Wärmepumpe sorgt dafür, dass das Warmwasser ausreichend heiß wird. Angetrieben wird diese durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, die Sonnenlicht in Strom umwandelt. Das Projekt legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Einbeziehung zukünftiger Bewohner*innen mit dem Anspruch, individuellen Komfort, eine hohe Lebensqualität, aber auch die Umsetzung klimarelevanter Energieversorgung für die Bewohner*innen (er)lebbar zu machen.

Abkühlung von thermisch aktivierten urbanen Flächen mit Asphaltkollektoren um bis zu 10 K. Quelle: Projekt Sozial100%Erneuerbar

Innovativer Asphaltkollektor

In der Anlage wurde beim Rad-/Fuß- und Lieferweg neben dem Wohnbau eine Versuchsfläche von 135 m² thermisch aktiviert, sodass Österreichs erster Asphaltkollektor als Forschungsprototyp zum Testen der thermischen Effizienz dieser Technologie realisiert werden konnte. Die Absorberschläuche wurden dabei mit Hilfe einer Träger-Gitterkonstruktion aus Kunststoff unter der Asphaltschicht in mehreren Heizkreisen verlegt. Mit Hilfe des Asphaltkollektors soll überschüssige solare Wärme von den im Sommer stark erwärmten Asphaltflächen durch flache Absorberleitungen sozusagen „geerntet“, in Erdwärmesondenfeldern gespeichert und dann im Winter diese gespeicherte Wärme zum Heizen der Gebäude und zur salzlosen Eisfreihaltung der Fläche verwendet werden. Durch die Ernte der Überschusswärme wird nicht nur eine wertvolle, bisher ungenutzte Wärmequelle nutzbar gemacht, sondern auch das lokale Mikroklima durch Abkühlung der Oberfläche verbessert. Der Asphaltkollektor wurde im Oktober 2022 errichtet und ist der erste seiner Art in Österreich. Im Mai 2023 wurde dieser schließlich in Betrieb genommen und mit dem Monitoring begonnen. Die Bodentemperaturen werden an drei Stellen bei den Asphaltkollektoren und an zwei weiteren Referenzstellen gemessen. Dazu sind je Messpunkt drei Fühler verbaut, jeweils an der Oberfläche, auf Rohrhöhe und an der Unterkante der Asphaltschicht.

Die Ergebnisse der ersten Betriebsmonate sind vielversprechend; es konnte eine Abkühlung von bis zu 10 K mit Hilfe des Asphaltkollektors erreicht werden.

Konstruktion des Asphaltkollektors. Foto: Projekt Sozial100%Erneuerbar

Mit den aus dem ersten Monitoring-Jahr vorliegenden Ergebnissen wird zur Zeit die Regelungsstruktur adaptiert und eine Optimierung des Betriebs des Asphaltkollektors vorgenommen. Das Monitoring wird im Jahr 2024 weiterhin stattfinden; endgültige Ergebnisse werden im Jahr 2025 vorliegen.

Mehrwert für Bewohner*innen

Im Zuge des Projekts wurde eine Befragung der Bewohner*innen organisiert, um unter anderem eine Erhebung der Zufriedenheit der Bewohner*innen des Wohngebäudes mit dem erstmalig zum Einsatz kommenden innovativen Heiz- und Kühlsystem durchzuführen. Die Resultate dieser Post Occupancy Evaluierung, die rund ein Jahr nach dem Einzug in die Wohnanlage durchgeführt wurde, zeigen eine überaus hohe Zufriedenheit mit dem innovativen erneuerbaren Energiesystem. Die hohe Zufriedenheit spiegelt sich unter anderem in der Weiterempfehlungsrate wider: so würden 60 Prozent eine Wohnung mit vergleichbarem Energiesystem ohne zu zögern im Freundeskreis weiterempfehlen. Weitere 22 Prozent würden dies sicher tun. Besonders gut wurde das Energiesystem in den Übergangsmonaten sowie im Sommer bewertet. So empfanden 84 Prozent die Raumtemperatur im Sommer immer oder meistens als angenehm, in den Übergangsmonaten lag dieser Wert bei 78 Prozent, im Winter bei 64 Prozent. Die Zufriedenheit mit der Luftfeuchtigkeit spiegelt ähnlich gute Werte wider. Mehr als die Hälfte hat die gewünschte Wohlfühltemperatur innerhalb weniger Tage bis zu einem Monat nach dem Einzug gefunden, während andere dies als Herausforderung wahrnehmen. Die Bedienfreundlichkeit des Geräts zur Regelung der Raumtemperatur weist Optimierungspotenzial auf. So zeigen sich vier von zehn Teilnehmenden damit als unzufrieden. Fast die Hälfte empfindet zudem den Zeitraum zwischen Einstellungsänderung und Eintritt der Wirkung als zu lange. Die Befragung wird wiederholt, um die Bewohner*innen weiterhin bestmöglich unterstützen zu können.

Zusammenfassung

Asphaltkollektoren, Abwasserwärmerückgewinnung und Solarthermie sind wertvolle und bisher weitgehend ungenützte Wärmequellen im großvolumigen Wohnbau. Die Gewinnung von solarer Überschusswärme in Städten könnte wesentlich zur Vermeidung bzw. Verringerung des „Urban Heat Island“-Effekts beitragen. Zusätzlich ist die saisonale Wärmespeicherung in Erdsondenfeldern und generell im Untergrund gerade für dicht verbaute Städte interessant, da es sich hierbei um eine platzsparende und unsichtbare Technologie handelt, die außerdem für ein gutes Mikroklima rund um die Gebäude sorgt. Es konnte gezeigt werden, dass das Projekt „Sozial100%Erneuerbar“ grundsätzlich eine gute Multiplizierbarkeit aufweist, und so als Vorbild für andere großvolumige Bauvorhaben in Gebieten, welche nicht von der Fernwärme erschlossen werden, gelten kann.

Förderhinweis

Dieses Projekt wird im Rahmen der 8. Ausschreibung von "Stadt der Zukunft" gefördert. „Stadt der Zukunft" ist ein Forschungs- und Technologieprogramm des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität Innovation und Technologie. Es wird im Auftrag des BMK von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gemeinsam mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH (AWS) und der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) abgewickelt.

Weiterführende Informationen

Projekt Sozial100%Erneuerbar AIT Austrian Institute Of Technology

Wientalterrassen: Wegweiser für sozialen und nachhaltigen Wohnbau - WBV-GPA

Autorin

Dipl.-Ing.in Dr.in Edith Haslinger, Senior Scientist, Sustainable Thermal Energy Systems, Austrian Institute of Technology (AIT). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Twitter: geek_o_thermal

Kommentar

"Die Wiener Wärmewende wird nur durch den Einsatz verschiedener Lösungen der Wärmeversorgung gelingen. Da die Fernwärme nicht überall verfügbar sein kann, benötigen wir die Entwicklung von gelingen. Da die Fernwärme nicht überall verfügbar sein kann, benötigen wir die Entwicklung von lokalen erneuerbaren Wärmenetzen. Innovative Quartierslösungen für Bestandsgebäude sind daher das Gebot der Stunde."

Herbert Hemis, Referent für Energieraumplanung, Stadt Wien-Energieplanung (MA 20). Foto: MA20/Fürthner

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