Zeitschrift EE

 02 | 2024 Energieinnovationen in Quartieren

Stanz im Mürztal auf dem Weg zur Plusenergiegemeinschaft

Friedrich Pichler, Rainer Rosegger, Werner Nussmüller, Johann Ziegerhofer, Karl Kaltenbrunner, Dieter Schabereiter, Arno Russ, Armin Knotzer

Motivation, in Stanz aktiv zu werden

Die Gemeinde Stanz im Mürztal hat erkannt, dass es nur durch konsequente Innovationen in verschiedenen kommunalen Bereichen möglich ist, die Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität zu steigern sowie den Abwanderungs- und Schrumpfungsprozess zu stoppen. Dem Gemeinderat der e5-Gemeinde Stanz ist es gemeinsam mit engagierten Bürger*innen gelungen, eine neue dörfliche Kultur zu schaffen, die vom Großteil der Bevölkerung getragen wird. Durch das Einbeziehen der relevanten Interessensgruppen werden Maßnahmen gesetzt, welche Stanz lebenswerter machen und gleichzeitig durch nachhaltige Energieversorgung und Wirtschaftsweise die lokale Wertschöpfung steigern. Beides ist Voraussetzung für eine langfristige Attraktivität als Lebensraum und hat dazu beigetragen, dass Stanz zu einem europäischen Leuchtturm und Smart Village wurde, von dem andere Gemeinden lernen können.

Die Idylle trügt: Stanz im Mürztal – eines der neuen Gallischen Dörfer in Österreichs Energielandschaft. Foto: Karoline Karner

Stanz im Mürztal, eine Gemeinde im Bezirk Bruck-Mürzzuschlag, liegt im Stanzertal, einem Seitental des steirischen Mürztals. Die Gemeinde erstreckt sich über etwa 77 km² und beheimatet derzeit rund 1.800 Einwohner*innen. Mit über 80 Prozent Waldanteil auf ihrem Gebiet zählt Stanz zu den flächenmäßig größten Gemeinden in der Region, während die Bevölkerungsdichte mit 24 EW/km² unter dem steirischen Durchschnitt liegt. Die Wirtschaft ist durch Kleingewerbe geprägt, was sich in einem hohen Anteil an Berufspendler*innen widerspiegelt. Trotz eines Strukturwandels und wirtschaftlicher Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten in der Region verzeichnete Stanz einen vergleichsweise moderaten Bevölkerungsrückgang und schaffte 2017/2018 sogar wieder ein Bevölkerungswachstum. Dennoch gab es Herausforderungen für die Gemeinde in Bezug auf Leerstände, Nahversorgung, soziale Treffpunkte im Ortszentrum und die Schaffung attraktiven Wohnraums vor allem für junge und ältere Menschen sowie im Bereich Mobilität und Klimaschutz. Als Antwort auf diese zu lösenden Fragen und zur Stärkung der dörflichen Gemeinschaft, dem Gemeinwohl und der Eigeninitiative wurde der Lokale Agenda 21 Prozess „Stanz gemeinsam gestalten“ durchgeführt. Darauf konnten die vielfältigen Maßnahmen im Energiebereich aufbauen.

Hauptziele der energetischen Maßnahmen in Stanz

  • Erarbeitung und Umsetzung neuer Energie-Nutzungs- und Finanzierungskonzepte für bestehende und neue Gebäude sowie Infrastruktur im zentralen Bereich der Gemeinde Stanz, mit dem Langfristziel einer 100-prozentigen CO2-EmissionsReduktion im Gebäudebestand
  • Neubauflächen platzsparend in Sonnenhanglage zentral neben dem Dorfplatz bereitstellen, entgegen dem Trend gute landwirtschaftliche Böden in Tallagen zu versiegeln; gezielte Verdichtung und Sanierung im Zentrum der Gemeinde
  • Umsetzung neuer Geschäftsmodelle für Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung: Beteiligungs- und Finanzierungsmodelle für neue Dienstleistungen in der „Rural Pioneers Community“
  • Errichtung und Flexibilisierung eines neuen Biomasse-Wärme- und Stromnetzes im Ortskern von Stanz. Einbindung von Wasser- und Windkraft sowie deren Stromüberschüsse, gezielte Errichtung von Photovoltaik auf Dachflächen zur Erhöhung des Solaranteils

Was wurde bisher erreicht

Ein neues Biomasse-Nahwärmenetz, mit zwei Kesseln zu je 250 kW Nennwärmeleistung sowie zwei 11 000-Liter-Pufferspeichern wurde errichtet. Ein Stromkabel mit einer möglichen Übertragungsleistung für Strom von 150 kW wurde im Sinne der Errichtung eines hybriden Netzes mit dem Nahwärmenetz mitverlegt. Das bietet die Möglichkeit, PV im Sommer zur Wärmeversorgung zu nutzen. Im Ortskern konnten bereits sämtliche Öl- und bis auf zwei Ausnahmen auch Gasheizungen durch Nahwärme ersetzt werden. Bei zwei großen zentralen Häusern mit Gasversorgung gibt es vorbereitete Anschlüsse für die Nahwärme.

Wärmeversorgung zu Projektstart (oben) und aktuell (unten). Grafik: AEE INTEC

Die Errichtung einer PV-Anlage durch die Gemeinde auf dem Dach der Volksschule und Kulturhalle mit einer Leistung von 60 kWp samt Stromspeicher wird im Sommer 2024 umgesetzt. Zusätzlich gibt es bei den Mitgliedern der Energiegemeinschaft private PV-Anlagenpläne auf Dächern von in Summe ca. 300 kWp. Die EG Stanzertal wurde im Februar 2022 gegründet und hat 70 Mitglieder. Im nächsten Schritt sollte Strom aus Wasserenergie integriert werden, um eine konstante Versorgung zu ermöglichen.

Das theoretische PV-Potential sämtlicher Dachflächen im Ortskern wurde erhoben und beträgt ca. 219 000 kWh, dem gegenüber steht ein errechneter Gesamtstrombedarf von 522 000 kWh (siehe Abbildung). Mit der Erneuerung und dem Ausbau des bestehenden Wasserkraftwerks wurde Ende März 2024 begonnen. Damit wird die Leistung von 20 kW auf 80 kW Engpassleistung erhöht. Die Lieferung des Stromes an die Energiegemeinschaft Stanzertal wird angestrebt. Laut Einreichung liegt die Jahresarbeit bei 510 000 kWh. In Kombination mit der PV kann somit bilanziell der Eigenbedarf an Strom im Ortskern zu 100 Prozent erneuerbar gedeckt werden.

Derzeit wurde bereits eine CO2-Reduktion von etwa 40 Prozent im Ortskern von Stanz im Vergleich zu vor 4 Jahren erreicht.

Wärmeenergieverbrauch und -versorgung durch die jeweiligen Energieträger derzeit im Ortskern von Stanz; dazu Strombedarf (in Gelb) und geplante Erzeugung mittels PV und Wasserkraft. Quelle: AEE INTEC

Was gibt es sonst noch in Stanz

Stanz verzeichnet wieder leichten Zuzug und errichtet demnächst einen neuen Kindergarten. Stanz ist seit 2021 erfolgreiche, mit vier “e“s ausgezeichnete e5 Gemeinde und hat ein eigenes E-Mobil Service als eine Art niederschwelligen, günstigen Gemeinschafts-„Taxidienst“ mit Freiwilligen. Stanz wird von zahlreichen anderen österreichischen Gemeindevertreter*innen als Vorzeigegemeinde besucht und ist „Smart Rural 21“- und „Smart-Rural 27“-Vorzeige-Gemeinde in den entsprechenden EU-Projekten. Stanz baut demnächst zusätzlich thermische und Strom-Speicher z. B. im ehemaligen Bankgebäude ein, um Energie zur Blackout-Vorsorge speichern und Spitzenlast glätten zu können. Stanz hat engagierte Bürgerinnen und Bürger gefunden, die in ihren Haushalten, Geschäften, Gast- und Gewerbebetrieben Messungen durchführen lassen, um die zeitlichen Verläufe der Energieverbräuche im Ortskern zu lernen.

Stanz hat eine Finanzierung zur Sanierung des ehemaligen Bankgebäudes im Ortszentrum aufgestellt (Abbildung unten). Das Gebäude soll mitsamt einem Zubau zum „Haus der Musik“ inklusive Sitz der Energiegemeinschaft und anderer Vereine umgebaut werden, die Umsetzung startet 2024.

Altes Bankgebäude im Ortszentrum – schon jetzt Sitz der Energiegemeinschaft Stanzertal. Foto: AEE INTEC / Martina Majcen

Die Errichtung einer zentralen Begegnungszone mit Umgestaltung des Bankgebäude-Vorplatzes zur weiteren Stärkung des Ortskernes wurde fertig geplant und wird demnächst starten. Eine E-Ladestation ist darin enthalten.

Darüber hinaus ist eine detaillierte Gebäudegeometrie- und Biomasseabschätzung der lokalen Wälder durch eine 3D Laserscanning Befliegung in Planung, da die derzeitigen GIS-Daten zum Teil veraltet sind. Auf Basis dieser „Inventur“ sollen Grundlagenfestlegungen zur Energieraumplanung getroffen und mittels Gemeinderatsbeschluss fixiert werden. Festlegungen sollen z. B. bezüglich Flächen für Dach- und Freiflächen-PV getroffen werden.

Fazit und Ausblick

Stanz bleibt weiter hoch aktiv wie kaum eine Gemeinde dieser Größe und Einwohner*innenzahl, daran hat auch der Anfang 2024 erfolgte Bürgermeisterwechsel nichts geändert – die nächsten Projekte und Aktivitäten stehen schon fest und wurden besprochen. Nächste Forschungs-Projekte zielen auf die Erweiterung, Vernetzung und überregionale Ausweitung der Energiegemeinschaft, Detailplanungen zur Nutzung von Sektorkopplung und Lastausgleich mit Integration der Windkraftanlagen auf Gemeindegebiet, gemeindeeigene Infrastrukturerweiterung, Einführung eines Token-Systems zur Entwicklung der Energiewährung „Stanzertaler“.

Stanz war eine der Kläger*innen gegen den Staat Österreich wegen mangelnder Umsetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel. Dazu muss man wissen, dass der Ortskern von Stanz großteils in der „Roten Zone = besonders gefährdeter Bereich“ bezüglich Hochwasserrisiko liegt. Die Klage liegt nun seit Dezember 2023 beim Europäischen Gerichtshof.

Weiterführende Informationen

Projekt Stanz

„Smart Rural 21”- Vorzeigegemeinde

Youtube

Autoren

Dipl.-Ing. Friedrich Pichler ist Bürgermeister a.D. und betreibt ein eigenes Consultingbüro. www.pichlerconsult.at

Arch. DI Werner Nussmüller ist Architekt im Unruhestand und ebenfalls seit vielen Jahren aktiv an der Entwicklung in Stanz beteiligt. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mag. Rainer Rosegger ist Sozialwissenschaftler und leitet die agentur scan GmbH, die Forschungsprojekte und Agenda 21 Prozesse begleitet. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Johann Ziegerhofer ist Geschäftsführer der UET Umwelt- und Energietechnik. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Karl Kaltenbrunner, BEd, ist Obmann der Nahwärme Stanz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. (FH) Dieter Schabereiter ist amtierender Bürgermeister von Stanz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Arno Russ ist Amtsleiter der Gemeinde Stanz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Armin Knotzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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