Serielle Sanierung: Dekarbonisierung des deutschen Gebäudebestands
Die Rolle des Gebäudesektors für die Erreichung der EU-Klimaziele 2050
Die EU hat sich mit der Verordnung (EU) 2021/1119 ein klares Ziel gesetzt: Bis 2050 soll die Union klimaneutral sein1. Entsprechend ambitioniert sind die Zielvorgaben der EU für den Gebäudesektor. So sollen die Mitgliedsstaaten unter anderem die jährliche Quote der energetischen Renovierungen bis 2030 mindestens verdoppeln (ebd.). Nötig ist das, denn so heißt es bei der Kommission: “Beim derzeitigen Tempo würde die Dekarbonisierung des Gebäudesektors Jahrhunderte dauern” (ebd.).
ecoworks-Pilotprojekt für serielles Sanieren in Hameln (Niedersachsen). Foto: ecoworks
Serielle Sanierung als Lösungsansatz
Eine herkömmliche Vollsanierung ist in weiten Teilen der Branche immer noch Handarbeit und zieht sich daher oft über mehrere Monate hin. Das bedeutet nicht nur eine Steigerung der Lohn- und Baukosten, es wird auch schnell zur Belastungsprobe für Mietende.
Bei der seriellen Sanierung können viele Probleme einer herkömmlichen Sanierung umgangen werden. Große Teile der Arbeit werden von der Baustelle in die Fabrik verlagert. Das funktioniert durch ein Abscannen der bestehenden Baustruktur. So können in Fabriken mit Dämmmaterial versehene Fassadenelemente (Holzrahmenkonstruktion) passgenau gefertigt werden. Die Elemente werden montagefertig zur Baustelle geliefert und dort in kurzer Zeit und mit geringem Personalaufwand montiert.
Die Vorfertigung und montagefertige Anlieferung verkürzen die eigentliche Bauzeit drastisch und ermöglichen es, das Verfahren immer weiter zu standardisieren und zu automatisieren. Trotz der verkürzten Bauzeit ist die Sanierung jedoch so umfänglich, dass sie selbst sehr energetisch ineffiziente Gebäude in kürzester Zeit auf einen NetZero-Standard bringen kann.
ecoworks als Vorreiter serieller Sanierungen in Deutschland
Als Vorreiter hat das Berliner Startup ecoworks das Konzept des seriellen Sanierens 2019 nach Deutschland gebracht. Die praktische Umsetzung begann mit einem Pilotprojekt im niedersächsischen Hameln. Hier wurden in einer Wohnsiedlung aus den 1940er Jahren drei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 12 Wohneinheiten saniert. Es war die Feuerprobe eines bis dahin in Deutschland noch unbekannten Verfahrens. Messungen der letzten Jahre haben bewiesen, dass das Projekt ein voller Erfolg war. Die Gebäude wurden nicht nur energetisch und optisch aufgewertet, sie erreichen seit der Sanierung sogar den NetZero-Standard: Die Mietenden produzieren über das Jahr nachweislich mehr Strom als sie verbrauchen.
Eine geniale Gebäudehülle
Das von ecoworks verwendete Konzept beruht, vereinfacht ausgedrückt, auf dem Anbringen einer zweiten Gebäudehülle als Maßanzug. Dabei wird die alte Fassade nicht entfernt, sondern die Fassadenmodule werden in der Bestandswand verankert, wobei die Abtragung der Hauptlast über Konsolen am Haus erfolgt.
Montage der vorgefertigten Fassadenelemente. Foto: ecoworks
Für die Gebäudehülle werden ökologische Baustoffe verwendet. Das macht sie auch zum Ablauf ihrer Lebenszeit leichter wiederverwertbar.
Die Dachelemente mit Dämmkern sind leichter als herkömmliche Dachziegel, was Spielraum für die Installation von Photovoltaik-Modulen schafft. Die leichte Bauweise macht in den meisten Fällen zudem eine oft aufwändige statische Ertüchtigung bestehender Dachkonstruktionen überflüssig.
Neben der Erneuerung von Dach, Fassaden, Anschlüssen und Energieversorgung bietet ecoworks auch weitere Aufwertungen der Gebäude an. So können etwa weitere Wohneinheiten durch eine Aufstockung des Gebäudes generiert werden. Auch die Montage von Balkonen an der neuen Außenfassade ist möglich.
Modern, schnell, digital
Der gesamte Projektablauf wird unter Einsatz des Building Information Modeling (BIM) durchgeführt. Ein Laserscanner erstellt millimetergenaue dreidimensionale Aufmaße. Aus den gewonnenen Daten werden Punktwolken erstellt, mit deren Hilfe exakte Gebäudezwillinge entstehen. Diese bilden die Grundlage aller weiteren Planungsschritte. Das ermöglicht eine passgenaue Produktion der Fassaden- und Dachelemente in der Fabrik und später eine reibungslose Montage vor Ort.
Vermessung des Bestands mittels Laserscanner und Erstellung eines digitalen Zwillings ermöglichen eine passgenaue Produktion der Fassaden- und Dachelemente für die Sanierung: Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4. Quelle: ecoworks
Um mit den gesammelten Daten verantwortungsvoll und zielorientiert umgehen zu können, hat ecoworks eine eigene Software entwickelt. In einem eigens entwickelten Programm laufen Projektdaten ein und können direkt optimiert und bearbeitet werden. Das Programm unterstützt zudem bei der Objektanalyse und kann mit Hilfe bereitgestellter Daten Projektkosten berechnen und Portfolios analysieren.
Software-Tool zur Objekt- und Portfolioanalyse: Abbildung 1, Abbildung 2 . Quelle: ecoworks
Die Dachfläche wurde nahezu vollflächig mit Photovoltaikmodulen belegt. Foto: ecoworks
Die Wichernstraße in Bochum
Im Oktober 2023 wurde die durch ecoworks durchgeführte Sanierung der Bochumer Wichernstraße abgeschlossen. Unter dem Slogan “Hier entsteht Zukunft” wollte die VbW Bochum den Ansatz der seriellen Sanierung am eigenen Bestand erproben. Die 1965 erbauten dreistöckigen Mehrfamilienhäuser umfassen insgesamt 18 Wohneinheiten mit Balkonen und wurden mit einer Gasheizung beheizt. Für die Sanierung des Objektes hat ecoworks sowohl Fassaden- als auch Dachelemente montiert. Alte Fenster wurden minimalinvasiv entfernt und die Fensterlaibungen mit hochwertigen Blendrahmen verkleidet. Die Dacheindeckung wurde entfernt und mit neuen Dachmodulen bedeckt, die nahezu vollflächig mit Photovoltaikmodulen belegt wurden. Die zuvor verwendete Gasheizung wurde rückgebaut und durch eine moderne Wärmepumpe ersetzt. Ihren Strom bezieht sie aus einem Mix aus selbstgeneriertem Strom der Photovoltaik-Anlage und eingekauftem Grünstrom aus dem bestehenden Netz.
Die Emissionsreduzierung und PV-Gutschrift senken die CO2-Bilanz von 131,4 t auf -2,1 t. Damit wird das neue Zuhause der bestehenden Mietenden schon bald klimaneutral sein.
Tabelle: Vorher Nacher Projekt Wichernstraße
Ausblick
Noch ist die serielle Sanierung kein fest etablierter Ansatz in Europa. Die bisher erfolgreich umgesetzten Projekte zeigen jedoch das enorme Potenzial. Auch in Deutschland setzt eine richtige Aufbruchsstimmung ein, zum Beispiel in Mönchengladbach. Hier hat Deutschlands zweitgrößter Wohnungskonzern LEG 19 baugleiche Mehrfamilienhäuser aus den 1950er Jahren bereitgestellt, die von unterschiedlichen Anbietern seriell saniert werden. Insgesamt fünf Mehrfamilienhäuser des Reallabors werden von der Firma ecoworks saniert. Selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck besuchte jüngst das Projekt und zeigte sich tief beeindruckt von den vorgestellten Ansätzen: "Ich nehme aus dem Besuch [...] mit: [...] dass das serielle Sanieren eine Schlüsseltechnologie ist, die enormes Tempo in die Bestandssanierung bringt"2.
ecoworks ist überzeugt, dass das Verfahren der richtige Weg zur Erreichung der Klimaziele ist und hat weitere ambitionierte Projekte für das kommende Jahr geplant. Gemeinsam mit dem städtischen Wohnungsbauunternehmen GEWOBAU Erlangen soll die erste serielle Sanierung eines kompletten Quartiers erfolgen und in Berlin ist die erste energetische Sanierung eines ehemaligen DDR-Plattenbaus geplant. Bei beiden Projekten wird ecoworks die Weiterentwicklung des eigenen Verfahrens vorantreiben, um den Ansatz der seriellen Sanierung am heimischen Markt noch attraktiver zu machen. Das Verfahren wird dadurch ständig weiter standardisiert und immer kostengünstiger.
Kommentar
"Mit unseren seriellen Sanierungen sparen wir bis zu 90 Prozent Primärenergie und bis zu 70 Prozent der Nebenkosten in einem Gebäude. Gleichzeitig steigern wir den Cashflow sowie den Wert der Immobilie um 30 bis 100 Prozent. Unsere Lösung lohnt sich also für geeignete Gebäude."
Emanuel Heisenberg, CEO ecoworks GmbH
Weitere Informationen
- Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union. (2021). Verordnung (EU) 2021/1119 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 („Europäisches Klimagesetz“). Amtsblatt der Europäischen Union, L 243, Art. 1.
- Haufe. (2023, September 25). Gebäude: Innovative Lösungen für die serielle Sanierung.
Autorin
Anna Koch, Content Marketing Specialist bei ecoworks, Berlin. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!