Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Social Urban Mining: Kreislaufwirtschaft und Beschäftigung im Gebäuderückbau

Wenn wir Produkte länger nutzen, können wir unseren Primärrohstoffbedarf reduzieren. Im ressourcenintensiven Baubereich kann mit Urban Mining eine große Hebelwirkung erzielt werden. BauKarussell schafft mit Social Urban Mining zusätzlich sozialen Mehrwert. Über die pulswerk GmbH ist BauKarussell dabei zentral an nationale Umsetzungsprogramme und -organisationen angebunden, die schnelle Marktumsetzung suchen und möglich machen sollen.

Im ehemaligen Wiener Sophienspital bearbeitete BauKarussell mit seinem Partner Die KÜMMEREI im Auftrag von SOZIALBAU AG und WBVGPA 54.500 kg Material. Foto: © Job-TransFair

Bauwerke stellen in Industrieländern den größten Lagerbestand an materiellen Ressourcen dar – Tendenz steigend. Die Bauwirtschaft beansprucht 50 Prozent aller Rohstoffe im globalen Stoffstrom und ist für 70 Prozent unseres Abfallaufkommens verantwortlich (BMK; BMLRT (2021): Ressourcennutzung in Österreich 2020. S.34f Wien, zuletzt geprüft am 15.01.2022. Bundesabfallwirtschaftsplan 2017. Teil 1. S.29. Hg. v. Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Wien.). Dieser Problemstellung begegnet „Urban Mining“: Gebäude werden als „Minen“ betrachtet, Bauteile und Co. werden am Ende ihrer Nutzungsdauer – etwa bei Sanierung oder Abbruch – wiederverwendet oder recycelt, anstatt entsorgt oder deponiert. Entsprechend der Europäischen Abfallhierarchie ist Wiederverwendung dabei prioritär vor der stofflichen Verwertung (also dem Recycling) einzustufen, da sie den Produkt- und Nutzwert erhält und damit eine höhere Ressourceneffizienz aufweist.

Social Urban Mining verknüpft Kreislaufwirtschaft mit Qualifikation

Der Grundstein für die Verknüpfung von Beschäftigung und Qualifikation für am Arbeitsmarkt Benachteiligte mit der zukunftsweisenden Umsetzung von Kreislaufwirtschaft im Gebäuderückbau wurde 2015 gesetzt, als sich BauKarussell als Projektkonsortium der Partner pulswerk GmbH (dem Beratungsunternehmen des Österreichischen Ökologie-Instituts), Romm ZT und RepaNet zusammenfand. Das von BauKarussell entwickelte Konzept Social Urban Mining erlaubt Projektentwickler*innen und Bauherren die Umsetzung mehrfach nachhaltiger Aspekte in ihren Rückbauprojekten und unterstützt sie in der Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen (vorgegeben durch die Recycling-Baustoffverordnung und ÖNORM B 3151).

Wirkung von Social Urban Mining ist messbar

BauKarussell ist der erste österreichische Anbieter für den verwertungsorientierten Rückbau mit besonderem Fokus auf Re-Use für großvolumige Objekte und ist seit 2017 in Rückbauprojekten tätig. Als Dienstleistung werden definierte Schad- und Störstoffe, z. B. diverse Bodenbeläge, entfernt und für die sortenreine Entsorgung vorbereitet. Wertstoffe, etwa Buntmetalle, werden gesichert und Re-Use-Bauteile über einen Bauteilkatalog an gewerbliche und private Abnehmer*innen vermittelt. Die Planung erfolgt derart, dass Erlöse aus Re-Use und Wertstoffsicherung dabei die sozialwirtschaftliche Arbeit refinanzieren.

Beim OPEN MINE DAY im ehemaligen Wiener Sophienspital im März 2022 beleuchtete BauKarussell mittels einer „Rückwärts-Bemusterung“ Wertschöpfungspotentiale im Gebäuderückbau. Foto: © BauKarussell / Philipp Schuster

Insgesamt wurden in BauKarussell-Projekten bisher über 1 330 Tonnen Material aus Rückbaugebäuden geholt, wovon 580 Tonnen als gebrauchte Produkte der Wiederverwendung zugeführt wurden. Dieses Ergebnis wurde mittels 28 700 sozialwirtschaftlichen Arbeitsstunden erzielt. Bisher waren über 160 Personen in den Rückbauteams im Einsatz: Über 160 Personen, die sich mit Hilfe von BauKarussell an ihrer Reaktivierung für den Arbeitsmarkt aktiv einbrachten und dabei gleichzeitig einen wertvollen Beitrag für eine nachhaltige Bauwirtschaft leisteten.

Lokale sozialwirtschaftliche Partnerbetriebe für operative Arbeit

BauKarussell arbeitet mit lokalen sozialwirtschaftlichen Partnerbetrieben zusammen, die Transitarbeitsplätze für am Arbeitsmarkt Benachteiligte, etwa Langzeitarbeitslose, zur Verfügung stellen und diese beim Wiedereinstieg in den regulären Arbeitsmarkt unterstützen. In Wien sind die BauKarussell-Partner das Demontage- und Recycling-Zentrum (DRZ), die Caritas SÖB und „Die KÜMMEREI“. Zu den Auftraggeber*innen und Unterstützer*innen von BauKarussell zählen österreichweit unter anderem die Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H. (BIG), die Stadt Wien, gemeinnützige Bauträger wie SOZIALBAU AG und die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte WBV-GPA, sowie das Klimaschutzministerium.

Ausbau von Tribünenstühlen im Ferry-Dusika-Stadion der Stadt Wien. Foto: © BauKarussellT

BauKarussell entwickelt das Konzept Social Urban Mining mit jedem Projekt weiter und arbeitet mittels Bewusstseinsarbeit und interdisziplinärem Austausch daran, dass es zu einer gängigen Praxis im Baubereich wird. Neben der Umsetzung in Rückbauvorhaben, die einen Abbruch nach sich ziehen, kann Social Urban Mining als Best Case auch Teil einer umfassenden Sanierungsstrategie sein. BauKarussell steht für Projektentwickler*innen zur Verfügung, damit in deren Projekten Social Urban Mining realisiert wird.

Urban Mining für Gebäude kurzer Nutzungsdauer

Im Projekt BuildReUse (gefördert von der FFG) agiert BauKarussell als umsetzungsorientierte Bauinitiative, welche unter Leitung des Österreichischen ÖkologieInstituts gemeinsam mit dem Projektteam (AEE INTEC (Projektleitung), FH Salzburg, IBO, Spar, KAGES und ATP sustain) das Thema Re-Use für Gebäude mit kurzen Nutzungsdauern (Supermärkte, Bürogebäude und Interimsgebäude im Sanitätsbereich) beleuchtet. Für Drei Use-Cases werden sogenannte Social Urban Mining-Potenzialanalysen ausgearbeitet. In kompakter Form werden Möglichkeiten für Re-Use und optimierten verwertungsorientierten Rückbau zusammengefasst. Ein Blick auf Good Practice-Beispiele anderer innovativer Bauherren bereichert die Analyse, um Barrieren, Defizite und Optionen zu deren Überwindung zu identifizieren. Neben der technischen Eignung beeinflussen Verkaufsmöglichkeiten sowie prozessuale und rechtliche Rahmenbedingungen das Umsetzungspotential für „echtes“ Re-Use ebenso. Den Verantwortlichen für die drei Use-Cases werden Möglichkeiten zum kreislauffähigeren Umgang mit ihren nur kurz genutzten Gebäuden aufgezeigt.

Das Österreichische Ökologieinstitut ist darüber hinaus mit seiner Beratungstochter pulswerk GmbH in mehreren österreichweit agierenden Organisationen und Initiativen leitend involviert, die aus Entwicklungsarbeiten wie jene aus BuildReUse Erkenntnisgewinn und praktischen Nutzen generieren. Mit den in Österreich führenden Gebäudebewertungssystemen klimaaktiv und ÖGNB wird gegenwärtig an der Weiterentwicklung von Qualitäts- und Bewertungskriterien für Kreislaufwirtschaft im Bauwesen gearbeitet: Erkenntnisse aus BuildReUse fließen dabei bereits im Jahr 2022 in die Neufassung der österreichweit angewendeten Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme ein, denen auch mit Blick auf die EU-Taxonomie künftig noch größere Bedeutung zukommt. Unabhängig davon wurde zuletzt mit zentralen Partner*innen in ganz Österreich (unter anderen IBO, AEE INTEC, FH Technikum Wien, FH Salzburg, IIBW, ARCH+MORE, Energieinstitut Vorarlberg, IBR&I, Schöberl&Pöll GmbH, wohnbund, Universität Innsbruck, TU Wien) mit RENOWAVE.AT eine Genossenschaft gegründet, die sich die umfassend hochwertige Sanierung von Bestandsbauten zum Ziel setzt. In einem von der FFG geförderten Innovationslabor geht es dabei um die Marktstimulierung und den Abbau von Barrieren. Die zahlreichen Genossenschafter*innen selbst wollen vor allem eines: Die nachhaltige Sanierung des österreichischen Gebäudebestands so schnell wie möglich vorantreiben, damit Österreich bis 2040 seine Klimaschutzziele erreichen kann. Und dazu gehört natürlich auch die Forcierung der Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor.

Autor*innen

MMag.a Irene Schanda, RepaNet, ist für die Öffentlichkeitsarbeit von BauKarussell zuständig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Robert Lechner ist Geschäftsführer der pulswerk GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Markus Meissner ist Ressourcenmanager und Leiter von BauKarussell. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

Projekt Thermaflex: https://thermaflex.greenenergylab.at/

BauKarussell: www.baukarussell.at

FAQs zum Re-Use von Gebäudekomponenten: https://www.baukarussell.at/faqs-zu-re-use-von-gebaeudekomponenten/

Renowave.at www.renowave.at

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