Zeitschrift EE

nt 03 | 2020: Innovative Demonstrationsgebäude

Erste Erfahrungen mit kooperativem Wohnprojekt in Eggersdorf bei Graz

Karl Höfler, Reinhard Pertschy, David Venus, Heinz Feldmann, Oskar Mair am Tinkhof

Foto: AEE INTEC

Das Wohnprojekt „KooWo“ (Kooperatives Wohnen Volkersdorf) stellt in vielerlei Hinsicht ein beson deres Projekt dar. Zum einen ist die kooperative Bau- und Wohnform eine Besonderheit in Österreich, die in letzter Zeit einen deutlichen Aufschwung erlebt. Zum anderen war das übergeordnete Ziel des Wohnprojektes eine deutliche Energie- und Emissionsreduktion, was durch eine nachhaltige Holzbau weise und eine auf erneuerbaren Energiequellen basierende Energieversorgung umgesetzt werden konnte. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte über das Stadt-der-Zukunft-Projekt „Kooperatives Wohnen Volkersdorf - Suffizienz, Flächen sparen und Energieeffizienz im Areal“.

Kooperatives Wohnen

Am Anfang stand ein 3,6 Hektar großes Grundstück gegenüber dem Ortskern von Volkersdorf in der Gemeinde Eggersdorf bei Graz. Darauf befand sich als Altbestand ein Dreikanthof und ein Bauernhaus. Die Freiflächen gliederten sich in ein Hektar Bauland, 1,8 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche sowie 0,8 Hektar Wiese.

Das Ziel war die Entwicklung einer gemeinsam getragenen Vision für eine kooperative Wohnsiedlung. Dazu wurde ein geeignetes Beteiligungsdesign für den Planungs- und Bauprozess entwickelt. Die Einbindung von Bauträger, zukünftigen MieterInnen, NachbarInnen, GemeindevertreterInnen, PlanerInnen und weiteren Stakeholdern sollte eine nachhaltige Einbettung in das räumliche und gesellschaftliche Umfeld der Siedlung gewährleisten.

Um eine möglichst autonome Verwaltung sicherzustellen, wurde der Verein „KooWo“ gegründet, wobei die Mitglieder des Vereins die BewohnerInnen der Siedlung sind. Eine Genossenschaft „Die WoGen“ errichtete im Auftrag des Vereins die Siedlung. Die Finanzierung erfolgte durch Eigenmittel der Bewohnerinnen und Bewohner, welche teilweise in Form von Genossenschaftsanteilen zur Verfügung gestellt werden. Ein weiterer Teil der Finanzmittel wurde durch investierende Genossenschaftsmitglieder aufgebracht, der Rest durch Fremdmittel. Das fertige Haus bleibt dabei im Eigentum der Genossenschaft. Der Verein KooWo tritt als Generalmieter bzw. -pächter des gesamten Objektes auf.

Zusammenspiel der involvierten Partner im Geschäftsmodell KooWo (kooperatives Wohnen) Quelle: WoGen

Während der Planungs- und Bauphase erfolgten sämtliche Entscheidungen der Bewohnerinnen und Bewohner auf Basis soziokratischer Prinzipien. Das heißt, dass Entscheidungen und Beschlüsse nur im Konsens aller Vereinsmitglieder möglich waren. Die inhaltliche Erarbeitung des Projektes erfolgte in fünf Arbeitskreisen.

Eckdaten

Die Siedlung besteht aus drei Neubauten in Holzbauweise mit 28 Wohneinheiten und einer Gesamtfläche von zirka 2100 m2. Der bestehende Bauernhof wurde zur gemeinschaftlichen Nutzung revitalisiert. Auf ökologisches Bauen wurde großer Wert gelegt.

Das Energieversorgungssystem besteht aus einem zentralen 150 kW Hackgutkessel mit einem 3000 Liter Pufferspeicher. Die einzelnen Gebäude und Wohnungen werden über ein 2-Leiter-Netz mit Wärme für Heizung und Warmwasserbereitung versorgt. Jede Wohnung besitzt einen 140 Liter Warmwasserspeicher. In den Sommermonaten erfolgt die Brauchwarmwasserbereitung über elektrische Heizstäbe in den Speichern. Zur Eigenstromversorgung sind in der Siedlung zwei PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund 40 kWp und ein Batteriespeicher mit 4 x 13 kWh installiert.

Energiemanagementsystem

AEE INTEC implementierte ein Energiemanagementsystem um sicherzustellen, dass die Energie der PV-Anlage so gut wie möglich für den direkten Verbrauch, das Laden des Batteriespeichers oder für die Warmwasserbereitung durch die elektrischen Heizelemente genutzt wird.

Die Steuerung des Energiemanagementsystems berücksichtigt die momentane Leistung der PV-Anlage und der elektrischen Batterie, den Energiebezug und die Einspeisung über die Grundstücksgrenze, die Speichertemperaturen aller Wohnungsspeicher sowie den Ladezustand der elektrischen Batterie. An einem typischen Tag mit hoher Sonneneinstrahlung wird der Überschuss der PV-Anlage zunächst in der Batterie gespeichert (siehe Abbildung - hellblaue Säulen). Sobald die Batterie voll geladen ist, wird der Stromüberschuss zur Warmwasserbereitung genutzt (pinke Säulen). Am Abend wird Energie aus dem Batteriespeicher entnommen (dunkelblaue Säulen). Die orangen Säulen stellen den Strom dar, der aus dem Netz entnommen (positive Werte) oder eingespeist wird (negative Werte).

Beispielhaftes Lastprofil an einem Tag mit hoher Sonneneinstrahlung, KooWo - kooperatives Wohnprojekt in Eggersdorf bei Graz

Evaluierung der Projektziele

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung erfolgte eine detaillierte Bewertung der Siedlung. In der Planungsphase wurden dynamische Gebäudesimulationen mittels IDA ICE und eine Ökobilanzierung mit Hilfe der Software eco2soft durchgeführt. Ziel war der energetische und ökologische Vergleich unterschiedlicher Varianten und eine Optimierung der Gebäude. Ein weiterer Schwerpunkt der Evaluierung liegt auf der Messdatenauswertung. So werden neben energetischen Parametern zur Bestimmung der Strom- und Wärmeverbräuche sowie des erzeugten PV-Stroms auch Behaglichkeitsmessungen durchgeführt. Dabei werden in den Wohnungen Parameter wie Raumtemperatur, Raumluftfeuchte und CO2-Konzentration gemessen und bewertet. Parallel dazu wurde eine Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner durchgeführt.

klimaaktiv-Standard für Siedlungen und Quartiere

Das Projektteam rund um das Bauvorhaben KooWo hat sich schon zu Beginn der Projektentwicklung Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit gemacht. Welche Qualitäten muss das Bauvorhaben aufweisen, damit es auch in 50 Jahren noch lebenswert ist? Welche Maßnahmen müssen gesetzt werden, damit der ökologische Fußabdruck von Planung, Umsetzung und Betrieb möglichst gering ist? Und wie kann man Nachhaltigkeit messen und über die Laufzeit sichern? Antworten auf all diese Fragen konnten unter anderem mit Hilfe des klimaaktiv-Standards für Siedlungen und Quartiere gefunden werden.

„klimaaktiv Siedlungen und Quartiere“ wird im Rahmen des klimaaktiv-Programms für Gemeinden umgesetzt. Der klimaaktiv-Standard für Siedlungen und Quartiere unterstützt Gemeinden, Projektentwickler und Bauträger bei Planung, Errichtung und Betrieb klimaverträglicher und lebenswerter Siedlungen und Quartiere. Berücksichtigt werden dabei die geplanten baulichen Konzepte in den Bereichen Städtebau, Gebäude, Versorgung und Mobilität als auch alle organisatorischen Maßnahmen, welche zur Umsetzung dieser Konzepte beitragen (z. B. aufgebaute Organisationsstruktur, Bürgerbeteiligungsformate etc.). Wer nach den klimaktiv-Qualitätskriterien plant und baut, leistet einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung des nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) für Österreich.

Fazit

Mit dem Projekt KooWo wurde ein Demonstrationsprojekt mit Vorbildcharakter für den ländlichen Raum geschaffen, das in der praktischen Umsetzung aufzeigt, dass hohe Ressourcen- und Energieeinsparun gen nicht nur im städtischen Kontext möglich sind. Das neuartige Geschäftsmodell und die umfassende Einbindung der NutzerInnen sind ebenso beispielge bend und sollen in Zukunft Nachahmung finden. So zum Beispiel im kürzlich gestarteten „Smart Cities Demo“-Projekt „Smart Mainstreaming“ des Klima- und Energiefonds.

Autoren

Dipl.-Ing. Dr. Karl Höfler ist Leiter und Dipl.-Ing. David Venus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Reinhard Pertschy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Technisches Labor und Daten“ bei AEE INTEC.

Heinz Feldmann ist Geschäftsführer von Die WoGen Wohnprojekte-Genossenschaft e.Gen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Oskar Mair am Tinkhof, MSc ist Projektleiter im Fachbereich Energie & Klimaschutz im SIR – Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

„klimaktiv Siedlungen und Quartiere“ https://www.klimaaktiv.at/gemeinden/Siedlungen.html

https://www.klimaaktiv.at/bauen-sanieren/gebaeudedeklaration/klimaaktiv-siedlungskatalog-2019.html

Statement

"In Gemeinschaftseigentum organisierte Wohnprojekte haben oft sehr hohe Ansprüche in Bezug auf Nachhaltigkeit im praktischen Lebensalltag. Soziale Nachhaltigkeit wird gelebt durch aktive Nachbarschaftsbeziehungen und solidarischen Austausch. Ökonomisch nachhaltig sind die Projekte, weil es bei der richtigen Konstruktion niemanden gibt, der eine Rendite für sich abziehen kann. Und – last but not least – wird in ökologische Nachhaltigkeit investiert, indem neben ökologischer Bauweise auch viel Wert auf innovative Lösungen bei erneuerbaren Energien gelegt wird. Im Praxisalltag lässt sich das von einer selbstbestimmten Gemeinschaft auch viel besser organisieren, wie das Projekt KooWo eindrücklich zeigt."
Heinz Feldmann, Vorstand Die WoGen Wohnprojekte-Genossenschaft e. Gen.

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