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Die Rolle der Solarthermie in klimaneutralen städtischen Energiesystemen am Beispiel Frankfurt am Main

Von Gerhard Stryi-Hipp

Im Dezember 2015 hat die UN-Klimakonferenz in Paris vereinbart, die Klimaerwärmung möglichst auf 1,5°C zu begrenzen. Nicht nur Staaten, sondern auch immer mehr Städte und Kommunen wollen dazu ihren Beitrag leisten und streben eine nachhaltige Energieversorgung an. Dabei stellt sich die Frage, wie das Energiesystem einer Stadt beschaffen sein muss, um Klimaneutralität zu erreichen.

Porträt

Dass die Energieeffizienz deutlich gesteigert und erneuerbare statt nuklear-fossile Energiequellen genutzt werden müssen, versteht sich von selbst, doch welches Verhältnis Einsparung und nachhaltige Bereitstellung und welcher Mix an erneuerbaren Energien mit welcher Infrastruktur für eine konkrete Stadt optimal sind, lässt sich nicht einfach beantworten. Denn nachhaltige kommunale Energiesysteme zeichnen sich aus durch die Dezentralität der Erzeugung, eine hohe zeitliche Dynamik aufgrund der Dominanz von Solar- und Windenergie, eine zunehmende Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität sowie ein intelligentes Energiemanagement, das durch Digitalisierung, Strom- und Wärmespeicher sowie Lastmanagement eine effiziente und sichere Versorgung ermöglicht.

Für klimaneutrale kommunale Energiesysteme wird ein intelligenter Mix an Energiequellen und Technologien gesucht, die eine sichere Versorgung am effizientesten und kostengünstigsten ermöglichen. Solarthermie weist hier einerseits das größte Potenzial unter den wärmeerzeugenden erneuerbaren Energien auf und weitet ihren Einsatz von der Trinkwassererwärmung kommend zunehmend in Richtung Raumheizung, Prozesswärme und Nahwärme aus, andererseits nimmt jedoch der Wärmebedarf durch Effizienzsteigerungen künftig deutlich ab und andere erneuerbare Energien stehen zunehmend in Konkurrenz, wie z. B. Biomasse-BHKWs, Photovoltaik mit Wärmepumpen sowie Heizstäbe zur Nutzung von Überschussstrom aus Sonnen- und Windenergie. Tatsächlich sind aufgrund starker Kostensenkung die Wärmegestehungskosten von solarstrombetriebenen Wärmepumpen heute mit denen von solarthermischen Anlagen vergleichbar. Dass der Wärmebereich künftig stärker elektrifiziert wird zeichnet sich klar ab, doch bis zu welchem Umfang ist noch völlig offen. Dass der gesamte Wärmebedarf durch erneuerbaren Strom gedeckt wird, ist dabei sehr unwahrscheinlich, denn dann müssten große erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten bereitgehalten werden, um auch an den wenigen sehr kalten Wintertagen eine sichere Wärmeversorgung vorzuhalten. Windenergie steht im Winterhalbjahr in Europa prinzipiell ausreichend zur Verfügung, allerdings kann es in dieser Jahreszeit auch mal drei Wochen Windflaute geben, was schon für die Versorgung des Stromsektors eine Herausforderung darstellt, die durch die Elektrifizierung des Wärmebereichs noch deutlich verschärft würde.

All diese Überlegungen machen deutlich, dass zur Ermittlung von klimaneutralen Zielenergiesystemen sowohl die Sektorenkopplung als auch die zeitliche Dynamik berücksichtigt werden müssen. Durch den Vergleich von Jahres- oder Monatswerten für Erzeugung und Verbrauch von Strom und Wärme ist es unmöglich, ein kostenoptimales Zielenergiesystem zu ermitteln, das eine sichere Energieversorgung zu jeder Stunde im Jahr ermöglicht.

Bioenergiedörfer in Deutschland und Vorzeigekommunen wie Güssing in Österreich zeigen, dass Energieautonomie heute schon möglich ist, aufgrund der hohen Energiebedarfsdichte sowie mangelnder Biomasse- und Windenergiepotenziale kann die Energieautonomie von mittleren und größeren Städten üblicherweise jedoch nicht erreicht werden. Deshalb werden künftig Energiepartnerschaften zwischen diesen Kommunen und den umliegenden Regionen notwendig, in denen insbesondere Biomasse und Windenergie in der Region erzeugt und den Zentren zur Verfügung gestellt werden. Auch der Umfang dieser Energiekooperationen mit der Region muss bei der Energiesystemoptimierung berücksichtigt werden.

Um Kommunen fundiert beraten zu können, mit welchem Energiesystem unter Berücksichtigung der lokalen Bedarfscharakteristik und der lokalen und regionalen erneuerbaren Energienpotenziale die Klimaneutralität erreicht werden kann, wurde am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg das Kommunale Energiesystemmodell „KomMod“ entwickelt, das solche Zielenergiesysteme kostenoptimiert berechnet. Das Computermodell bildet alle Energiesektoren und deren Kopplungen ab und optimiert sowohl die Struktur als auch den Betrieb in einem Optimierungslauf. Die Berechnungen erfolgen zeitlich hochaufgelöst, typischerweise in Stundenschritten, um sowohl die täglichen, als auch die saisonalen Schwankungen zu berücksichtigen. Mit dem Modell wurden und werden derzeit Zielenergiesysteme für Städte und größere Liegenschaften berechnet, u.a. für Frankfurt, Freiburg, Kaiserslautern, Luxemburg, einem Stadtteil von Amsterdam, als auch von Städten bzw. Provinzen in Thailand, China, Südkorea und der Mongolei. Außerdem wurde es für die Optimierung der Energiesysteme von mehreren Industriebetrieben und einem Flughafen eingesetzt.
In den Berechnungen wird berücksichtigt, dass sich bis zum frei wählbaren Zieljahr, z. B. dem Jahr 2050, die Energiebedarfe von Gebäuden, Industrie und Fahrzeugen und auch die Kosten und die Effizienz der Energietechnologien deutlich ändern werden. Denn das Zielenergiesystem soll nicht für den heutigen Bedarf, sondern für den künftig erwarteten Bedarf optimiert werden.

Abbildung: Zielenergiesystem für die Stadt Frankfurt am Main, das eine 90 %ige Selbstversorgung mit Strom und 100 %ige Selbstversorgung mit Wärme aus erneuerbaren Energien aus der Stadt, der Region und dem Bundesland Hessen ermöglicht. Das Energiesystem bietet eine Versorgungssicherheit zu jeder Stunde im Jahr.

Die Abbildung zeigt das Zielenergiesystem für die Stadt Frankfurt am Main, mit dem sie bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität erreichen kann. Die Stadt kann sich dabei zu 90 % mit Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Stadtgebiet, der Region und dem Bundesland Hessen versorgen. Der verbleibende Anteil wird aus anderen Bundesländern, z. B. aus Offshore-Windanlagen gedeckt. Die Wärmeerzeugung erfolgt zu 100 % in der Stadt, wobei hierzu teilweise Biomasse und Abfall aus der Region und dem Bundesland bezogen werden. Die Solarwärmeanlagen tragen zu 22 % zur Wärmeversorgung bei. Hierzu müssen Solarkollektoren mit einer Leistung von 1 470 MW (2,1 Mio. m2) installiert werden. Im Vergleich dazu ist die Installation von 2 000 MWp PV-Anlagen erforderlich, um 32 % des Strombedarfs zu decken. Die Solaranlagen werden vor allem in der Stadt installiert, Windstrom und Biomasse werden vornehmlich aus der Region und dem Bundesland Hessen bezogen. Dabei ist vorgesehen, dass die Stadt Frankfurt 11,6 % des Wind- und Biomassepotenzials von Hessen in Anspruch nehmen kann, was dem Bevölkerungsanteil der Stadt entspricht. Hinzu kommt die Energieerzeugung durch ein Müll-Heizkraftwerk, das den Abfall aus der Stadt und der Region nutzt. Wärmepumpen nutzen 5 % des Stroms und decken etwa 20 % des Wärmebedarfs. Werden 2 GWh Stromspeicher installiert, bleibt noch ein Importstrombedarf von 10 % im Jahr.

Das Beispiel zeigt, dass auch die Solarthermie in klimaneutralen kommunalen Energiesystemen eine sehr wichtige Rolle spielen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Solarthermie im Beispiel Frankfurt etwa gleiche Kosten aufweist wie Photovoltaik und Wärmepumpen und sie auf dieser Basis bewusst gewählt wurde, um durch die Diversifizierung der Technologien eine hohe Versorgungssicherheit zu erreichen.

Autorenbeschreibung

Dipl.-Phys. Gerhard Stryi-Hipp ist Leiter der Gruppe „Smart Cities“ am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, Deutschland.





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