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Energie 2.0: Was versäumt Österreich?

Stefan Schleicher

Die meisten Diskussionen um die österreichische Energie- und Klimastrategie ähneln einem Journalisten, der die Qualität eines Restaurants zu testen hat und sich dafür beim Lieferanteneingang aufstellt. Vermerkt und berichtet wird die Menge der angelieferten Inputs in Form von Lebensmitteln samt deren Bio-Anteil. Unbeachtet bleibt, was damit weiter geschieht.

Was bei diesem Restaurant-Tester wohl als Fehleinschätzung eingestuft wird, ist aber der Normalfall bei Diskussionen um die Zukunft des Energiesystems: Statt zu fragen, WOFÜR Energie letztlich gebraucht wird, dominiert immer noch das WIEVIEL samt der Forderung nach möglichst hohen Mengen an Erneuerbaren.

Was sich in Österreich noch immer nicht weit herumgesprochen hat: Dieses Mindset der Version 1.0 hat aber schon längst ein Ablaufdatum erreicht und wäre durch die Version 2.0 zu ersetzen. Dazu einige Orientierungen.

Das neue I-Mindset

Essentiell sind dafür die Vokabel Inversion, Integration und Innovation. Sie ersetzen die geläufigeren E-Vokabel, nämlich Erneuerbare, Effizienz und Energiewende. Nicht weil diese falsch sind, sondern weil sie weniger tauglich für die bevorstehenden radikalen Veränderungen sind.

Inversion bedeutet das Energiesystem gleichsam umgekehrt zu sehen: Nicht mehr der Input von Primärenergie ist der Startpunkt sondern die letztlich wohlstandrelevanten Dienstleistungen: die Temperierung der Gebäude, der Zugang zu Personen und Gütern, sowie die Beleuchtung von Räumen und der Betrieb der Elektronik.

Integration macht aufmerksam, dass durch Einbeziehung aller Komponenten des Energiesystems – vom Gebäude bis zur Transformation von Primärenergie samt den damit verbundenen Netzen und Speichern – viele Synergien und damit Steigerungen bei der energetischen Produktivität gewonnen werden können.

Innovation öffnet sich für die disruptiven Veränderungen, die sich für alle Ebenen und Bereiche des Energiesystems abzeichnen: Fahrzeuge werden nicht nur vollelektrische Antriebe bekommen, sondern sich auch autonom steuern; neue elektrische Speicher könnten genauso selbstverständlich in den Haushalten werden wie ein Kühlschrank; die Unterscheidung zwischen Versorgern und Verbrauchern von Energie beginnt sich aufzulösen.

Die drei Handlungsfelder

Die sich abzeichnenden radikalen Veränderungen im Umgang mit Energie finden in drei Bereichen statt, die damit gleichzeitig im Sinne des I-Mindsets die Handlungsfelder für alle mit Energie zusammenhängenden Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Haushalten festlegen.

Multifunktionale Gebäude werden zur neuen Infrastruktur für Energie, weil sie in der Lage sind, nicht nur mehr Energie einzusammeln als sie selbst brauchen, sondern weil sie auch eine Rolle als Ort für elektrische und thermische Speicher übernehmen können.

Verschränkte Mobilität wird als Zugang zu Personen, Gütern und Orten verstanden, wofür nicht immer mehr eine Verkehrsbewegung erforderlich ist, wenn man an die immer attraktiver werdenden Technologien für Kommunikation einbezieht. Die bestehenden Verkehrsträger – von den Wegen für Fußgeher und Radfahrer, bis zum Straßen- und Schienenverkehr – werden eng miteinander vernetzt und redundante Mobilität eliminiert.

Integrierte Netze verbinden von der Anwendung von Energie in Gebäuden, Mobilität und Produktion bis zur Bereitstellung und Speicherung von Energie alle Komponenten. Diese Vernetzungen finden auf immer kleineren Strukturen statt und sind auch für Elektrizität, Wärme und Gas bidirektional, d.h. nicht mehr streng nach Einspeisern und Abnehmern unterscheidbar.

Die erreichbaren Ziele

Die meisten Diskussionen über das künftige Energiesystem sind vergleichbar mit einer Person, die versucht ihr Auto durch den Blick in den Rückspiegel statt durch den Blick nach vorne zu steuern. Die falsche Orientierung bei der Gestaltung unserer Energiesysteme führt aber genauso zu einem Crash wie der nach rückwärts gerichtete Blick beim Autofahren.

Ein mit dem I-Mindset in den drei wichtigsten Handlungsfeldern neu gestaltetes Energiesystem hat die Chance, den radikalen Anforderungen der Klimaziele zu genügen. Die Latte bei den Treibhausgasemissionen liegt bei einer Reduktion von mindestens 80 Prozent bis 2050. Das erscheint derzeit unvorstellbar, wenn man mit dem Blick auf der Vergangenheit versucht in die Zukunft zu sehen.

Wie für Österreich ein diesen Ansprüchen genügendes Energiesystem aussehen könnte, zeigt das Bild über Österreichs Energiepfade bis 2050, die über die Website EnergyFutures (http://energyfutures.net/) nachvollziehbar sind. Im Ausgangsjahr 2015 beanspruchen Niedertemperatur, Mobilität und Verluste fast zwei Drittel des gesamten Energieverbrauchs. Mit den heute schon verfügbaren und absehbaren Technologien könnte bis 2050 das Energievolumen bei noch deutlich gesteigerten energetischen Dienstleistungen fast um die Hälfte reduziert werden.

Abbildung: Österreichs Energiepfade bis 2050. Quelle: Eigene Darstellung basierend auf EnergyFutures.net

Statt dieser Variante 2050A könnte sich allerdings auch die Variante 2050B durchsetzen, die den Energieverbrauch auf jetzigem Niveau stabilisiert. Damit wären allerdings unerwünschte Folgen für die CO2-Emissionen verbunden. Während die Variante A mit einer Expansion der Erneuerbaren von rund einem Viertel gegenüber dem jetzigen Niveau auskommt, um eine Emissionsreduktion von 80 Prozent zu erreichen, schafft das die Variante B nicht einmal bei mehr als einer Verdoppelung.

Die zu bewältigenden Konflikte

Dieses neue Mindset und die damit verbundenen Handlungsfelder für ein zukunftsfähiges Energiesystem lösen allerdings vielfältige Konflikte aus.

An erster Stelle sind die gravierenden Mängel beim Bereich Gebäude zu nennen. Neue Gebäude sollten so gebaut werden, dass sie den energetischen Qualitätstest auch noch 2050 bestehen. Der Bestand wäre danach zu prüfen, ob er zu ersetzen oder zu erneuern ist. Die Finanzierung für diese Aktivitäten wäre einerseits durch eine treffsichere Wohnbauförderung und andererseits durch neue Finanzierungsmodelle mit den Geschäftsbanken möglich.

An zweiter Stelle ist auf die schweren Entscheidungsdefizite im Bereich Mobilität aufmerksam zu machen. Diese reichen von durch mangelnde Raumplanung ausgelösten Zwangsverkehr bis zu durch kontraproduktive Förderungen forcierten Individualverkehr.

An dritte Stelle ist an die weitgehend obsoleten Geschäftsmodelle der bisherigen Anbieter von Energie zu erinnern. Nicht nur wegen behindernder Regulierungen wird deren neue geforderte Rolle als Organisatoren von integrierten Netzen noch kaum wahrgenommen.

Somit bleiben die für Energie entscheidenden Akteure wie der fehlpositionierte Restaurant-Tester bis auf weiteres beim Lieferanteneigang stehen.

Abbildung: Die Fronius-Vision zu einem vollsolares Energiesystem. Quelle: Adaptierte Darstellung von Fronius (www.fronius.com)

Autorenbeschreibung

Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität in Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Aktuell koordiniert er zur Unterstützung der Integrierten Österreichischen Energie- und Klimastrategie das Projekt „Welche Zukunft für Energie und Klima? - Folgenabschätzungen für Energie- und Klimastrategien“.

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