Zeitschrift EE

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Fassadengekoppelte Energieversorgungskonzepte für die Sanierung

Dagmar Jähnig, Christian Fink, Thomas Ramschak, Bettina Nocke, David Venus, Karl Höfler

Im Rahmen des Projektes „Vorgefertigte Fassadenelemente mit maximal integrierten HVAC-Komponenten und –systemen zur Bestandssanierung“ wurden neue Lösungsansätze für intelligente Bestandssanierungen entwickelt, wobei es unter anderem um Synergieeffekte für die Modernisierung der Gebäudehülle und der Gebäudetechnik bei konsequenter Nutzung erneuerbarer Energieträger ging. Erklärtes Ziel dabei war die Erreichung eines hohen Vorfertigungsgrades in Verbindung mit Holz-Vorhangfassaden und damit kurze Sanierungszeiten mit geringen Belastungen der Bewohner, reduzierte Abhängigkeiten von der Witterung im Sanierungsprozess sowie eine gesichert hohe Ausführungsqualität. Entsprechende Energieversorgungskonzepte stellen die auf die Fassade auftreffende Solarenergie dem Gebäude effizient zur Verfügung.

Abbildung: Eingeschoßige Modellfassade für bauphysikalische Eignungsprüfungen. Foto: Kulmer Bau GesmbH & CoKG

Entwicklung und Auswahl von Energieversorgungskonzepten

Für die Sanierung von großvolumigen Wohnbauten aus den Jahren 1960 – 1980 mit besonders großem Potenzial für die Sanierung mit vorgefertigten Fassadenelementen wurden über 20 unterschiedlichste Energieversorgungskonzepte für Raumheizung und Warmwasserbereitung analysiert und vorbewertet. Die vielversprechendsten Konzepte wurden einem ausführlichen Bewertungsprozess mit detaillierter energetischer Simulation und Lebenszykluskostenberechnung unterzogen. Nachfolgend sollen drei Konzepte kurz vorgestellt werden.

Das Konzept „PV + zentrale WP“ sieht die Wärmeversorgung durch eine zentrale Außenluft-Wärmepumpe mit fassadenintegrierten Versorgungsleitungen und PV-Modulen vor, die einen Pufferspeicher für die Raumheizung belädt und an zwei Zeitfenstern am Tag dezentrale Warmwasserspeicher in den Wohnungen mit Wärme beliefert (siehe Abbildung).

Abbildung: Beispielhafte Darstellung des Konzepts „Zentrale Wärmepumpe mit PV“

Eine Optimierung des PV-Beitrages wird beispielsweise zu Zeiten ausreichender Einstrahlung durch Aufheizung des Pufferspeichers und WW-Speichers über die Zapftemperatur hinaus oder durch Einbindung des Haushaltsstrombedarfs zur Erhöhung des Eigenverbrauchsanteils erreicht.

Beim Konzept „PV direkt“ wird die Wohnung über Infrarot-Heizflächen elektrisch beheizt: Die Warmwasserbereitung geschieht in jeder Wohnung über einen Elektroboiler. Vorhandener PV-Ertrag von fassaden- und dachintegrierten Modulen kann direkt genutzt werden und der PV-Beitrag kann durch eine gewisse Überhitzung der WW-Speicher noch erhöht werden.

Das Konzept „PV + dezentrale WP“ sieht eine fassadenintegrierte Wärmepumpe pro Wohnung vor, über die der Heizwärmebedarf gedeckt und gleichzeitig jeweils ein Trinkwarmwasserspeicher beheizt wird. Auch die Versorgungsleitungen und PV-Module können in die Fassade integriert werden.

Bei den beiden dezentralen Konzepten sind jeder Wohnung PV-Flächen zugeordnet, die einen Teil des Strombedarfs decken können. Für jedes Konzept wurden unterschiedliche PV-Flächen betrachtet, die sich an den tatsächlich am Gebäude vorhandenen Flächen orientieren. Die kleinste Fläche beinhaltet nur die Südfassade, dann werden sukzessive die Ost- und die Westfassade, sowie die Dachflächen hinzugenommen.

Simulationen

Für die Referenzsanierung eines Gebäudes mit 12 Wohnungen und 680 m² Wohnfläche wurden zwei verschiedene energetische Standards betrachtet: HWB 30 kWh/m²BGFa (sehr guter Niedrigenergiestandard) und HWB 15 kWh/m²BGFa (Passivhausstandard).

Als Referenzanlage für die Raumheizung wurde eine zentrale Gas-Brennwerttherme vorgesehen. Die Warmwasserbereitung erfolgt über elektrisch beheizte Speicher (150 l pro Wohnung).

Abbildung: Exemplarischer Vergleich der Primärenergieeinsparungen und der Lebenszykluskosten zweier Sanierungskonzepte. Beim Sanierungsstandard HWB 15 liegen die Lebenszykluskosten der Konzepte „PV + zentrale WP“ und „PV direkt“ für die meisten der untersuchten Varianten unterhalb der Lebenszykluskosten der Referenzsanierung. Die Primärenergieeinsparung gegenüber der Referenzsanierung liegt für HWB 15 je nach Variante zwischen 50 % und 70 %.

Für beide thermischen Sanierungsstandards wurden die Primärenergieeinsparungen für die verschiedenen Konzepte mit unterschiedlichen PV-Flächen (für die WP auch ohne PV) im Vergleich zur jeweiligen Referenzsanierung ermittelt.

Um die Konzepte auch im Hinblick auf wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gegenüber konventionellen Sanierungen zu bewerten, wurden die Lebenszykluskosten ermittelt. Der Betrachtungszeitraum wurde mit 40 Jahren so gewählt, dass er der Lebensdauer von Fassadenelementen entspricht.

Vorteile von Fassadenintegration und Vorfertigung

Durch die minimalinvasive Sanierung können die Bewohner während der Sanierungszeit in ihren Wohnungen bleiben. Ein weiterer zentraler Vorteil ist die Integration der Versorgungsstränge in das vorgefertigte Fassadenelement. Dadurch müssen die Rohrleitungen nicht aufwändig im Gebäude neu verlegt werden. Weiters führt die bewusste Doppelnutzung von einzelnen Bauteilen zu Synergien und somit zu Kostenreduktionspotenzialen (z. B. sind Energieumwandlungselemente wie Solarthermie und Photovoltaik gleichzeitig auch Witterungsschutz).In den angestellten ökonomischen Gesamtbetrachtungen wurden diese Vorteile mit berücksichtigt.

Beim Sanierungsstandard HWB 15 liegen die Lebenszykluskosten der Konzepte „PV + zentrale WP“ und „PV direkt“ für die meisten der untersuchten Varianten unterhalb der Lebenszykluskosten der Referenzsanierung, beim Konzept „PV + zentrale WP“ liegt das Optimum bei rund 100 m² PV-Fläche, während beim Konzept „PV direkt“ die Kosten mit der installierten PV-Fläche kontinuierlich ansteigen (siehe Abbildung). Neben den Kosten für eine Sanierungsvariante ist aber gleichzeitig die eingesparte Primärenergie zu berücksichtigen und diese liegt bei HWB 15 ca. zwischen 50 % und 70 %, bei HWB 30 ca. zwischen 40 % und 63 %.

Bau und Test von Fassadenelementen

Für vielversprechende Konzepte wurden funktionelle Bauteilentwürfe zur Zusammenführung von Gebäudetechnikelementen und hochwärmegedämmten Holztragsystemen erstellt und hinsichtlich architektonischer, bauphysikalischer und funktioneller Anforderung untersucht. Ein erstes Funktionsmuster einer eingeschoßigen Modellfassade mit einem Fensterelement, einem Gebäudetechnik-Versorgungsschacht und einem PV-Modul (siehe Titelbild) wurde gefertigt und auf unterschiedlichen Prüfständen hinsichtlich Eignung untersucht. Dabei beinhaltet der Gebäudetechnik- Versorgungsschacht neben den Verteilleitungen für Raumheizung sowie Kaltwasser und Abwassersträngen eine hinsichtlich der Geometrie speziell entwickelte Solewärmepumpe und die zugehörigen Soleleitungen.

Die Modellfassade wurde verschiedenen Tests unterzogen, z. B. wurden die Luftschalldämmung des gesamten Moduls, die Schallintensität bei eingeschalteter Wärmepumpe, die Luftdurchlässigkeit und die Schlagregendichtheit geprüft.

Alle Testergebnisse sind soweit zufriedenstellend, kleinere Verbesserungspotenziale in Bezug auf die Aufhängung der Wärmepumpe zeigten sich bei der Schallintensitätsmessung bei eingeschalteter Wärmepumpe, da es hier zu Körperschallübertragung auf das Fensterelement kam. Optimierungsvorschläge hierzu liegen aber bereits vor

Abbildung: Schallintensitätsmessung im Terzfrequenzband 200 Hz, roter Bereich: Fensterelement, Mitte Versorgungsschacht mit Wärmepumpe. Schallintensität in dB mit der Referenzgröße 1e-12 W/m^2. Quelle: TU Graz

Ausblick

Sowohl die Ergebnisse aus den theoretischen Untersuchungen als auch die Erkenntnisse aus den Arbeiten an den Funktionsmustern haben im gegenständlichen Forschungsprojekt gezeigt, dass die Kopplung von Bautechnik und Gebäudetechnik in vorgefertigten Fassadenelementen ein hohes Potenzial besitzt, herkömmliche Sanierungsabläufe entscheidend zu vereinfachen, Kosten zu reduzieren und den Primärenergiebedarf deutlich zu senken. Neben dem Geschoßwohnbau sind aber auch andere großvolumige Gebäudetypen (Hotels, Heime, Bürogebäude, etc.) durchaus prädestiniert für den Einsatz hochintegrierter und vorgefertigter Fassadenelemente. Essentiell dabei sind der interdisziplinäre Zugang und die konsequente Betrachtung der Kosten über den gesamten Lebenszyklus. Unterstützt durch weiterführende Forschungs- und Demonstrationsprojekte kann dieser Ansatz einen zentralen Beitrag zur Steigerung der Sanierungsrate und somit zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten.

Statements

„Abgestimmte Gesamtkonzepte für den Geschoßwohnbau, die eine schnelle, effiziente und kostengünstige Porträt Frank SalgSanierung ermöglichen, sind für Kunden von hoher Relevanz. Aus diesem Grund beschäftigt sich die Vaillant GmbH unter anderem mit speziellen Entwicklungen und neuen Ansätzen zur Integration von hocheffizienter und erneuerbarer Heizungstechnik in die Gebäude. Aufgrund des dafür notwendigen integralen Systemansatzes sind für uns Forschungspartner wie z. B. AEE INTEC, die über spezifische Kompetenzen im Bereich der Gebäudetechnik als auch im Bereich der Bauphysik verfügen, von großer Wichtigkeit.“

--Frank Salg, Head of Technology Development, Vaillant GmbH

 

„Die Firma Kulmer Holz-Leimbau GesmbH ist ein produzierendes Holzbauunternehmen aus dem Raum Gleisdorf. Porträt Christian LiebmingerNeben den Leistungsfeldern in der Realisierung von Hoch- und Ingenieursbauwerken von der Planung über die Produktion bis hin zur Montage, liegt ein Schwerpunkt unserer Arbeit in der Sanierung von Wohngebäuden mit Holzfertigteilen. Hier konnten in den letzten Jahren zahlreiche innovative Projekte umgesetzt werden. Durch die Zusammenarbeit mit AEE INTEC wurde insbesondere die Integration von Haustechnikkomponenten in die Fassade an mehreren Objekten verwirklicht. Durch die gemeinsame stetige Weiterentwicklung möchten wir unsere Vorreiterrolle in diesem Sektor ausbauen.“

--Christian Liebminger, Projektleiter bei Kulmer Holz-Leimbau GesmbH

 

Danksagung

Das Projekt „Vorgefertigte Fassadenelemente mit maximal integrierten HVAC-Komponenten und –systemen zur Bestandssanierung“ wurde im Rahmen des Forschungs- und Technologieprogrammes e!MISSION.at – Energy Mission Austria des österreichischen Klima- und Energiefonds gefördert.

Forschungsteam:

  • AEE INTEC (Koordinator)
  • TU Graz – Labor für konstruktiven Ingenieurbau
  • TBH Ingenieur GmbH
  • Nussmüller Architekten ZT GmbH
  • Kulmer Holz-Leimbau GesmbH
  • Vaillant GmbH

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Autorenbeschreibung

Dipl.-Ing. Dagmar Jähnig, M.Sc. und Dipl.-Ing. Thomas Ramschak sind wissenschaftliche Mitarbeiter, Prok. Ing. Christian Fink ist Leiter des Bereichs Thermische Energietechnologien und hybride Systeme bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Bettina Nocke war bis März 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs Thermische Energietechnologien und hybride Systeme bei AEE INTEC.

Dipl.-Ing. David Venus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dipl.-Ing. Dr. Karl Höfler ist Leiter des Bereichs Bauen und Sanieren bei AEE INTEC.

 

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