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Industrieproduktion und Ressourcenkreisläufe in Städten

Christoph Brunner und Ingo Leusbrock

Bevölkerungswachstum in Städten und Reurbanisierung machen es notwendig, alle Ressourcenströme – Elektrizität, Wärme, Wasser, Nahrung, Materialien – integriert zu betrachten und in der Stadtentwicklung zu berücksichtigen. Neue Bewegungen wie der Wandel der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft und verstärktes nachhaltiges Denken und Handeln in der Gesellschaft führen zu neuen Ansätzen im Umgang mit urbanen Ressourcen. Diese Ansätze haben zum Ziel, die Stadt vom Ressourcenempfänger, –verwerter und teilweise auch -vernichter zu einem zyklischen System, das Ressourcen lokal produziert, effizient nutzt und auf nachhaltige Weise einen möglichst hohen Grad an lokaler Autarkie erreicht, weiterzuentwickeln. Die Industrie spielt bei diesem Veränderungsprozess aufgrund der Ablöse der Massenproduktion durch eine innovationsgetriebene flexible Produktion und einem dadurch hohen Potenzial für innovative Lösungen eine entscheidende Rolle.

VW Gläserne Manufaktur, Dresden. Foto: Henn Architekten, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11535829

Industrie als urbane Energie- und Ressourcenquelle

Die Integration von Industriebetrieben in einer „SmartCity“ stellt eine große Herausforderung dar und erfordert eine ganzheitliche Betrachtung unter Einbeziehung der Möglichkeiten unterschiedlicher Produktionsbetriebe und Produktionsstandorte. Dabei müssen Anforderungen und die Frage der Standortwahl der Industrie mit jenen des „Wohnraums Stadt“ abgestimmt werden.

Wesentlich hierfür ist eine Identifikation von Synergien (energetisch und stofflich) zwischen mehreren Industriebetrieben zur möglichst effizienten Nutzung von Ressourcen in der Region und deren technische und wirtschaftliche Bewertung. Weiters muss es eine bestmögliche Einbindung bestehender  und neu anzusiedelnder Industriebetriebe in urbane Versorgungsnetze (Gas, Strom, Wärme, Kälte…) als PROSUMER (Industriebetriebe als Konsumenten und gleichzeitig Produzenten von Energie) sowie eine Identifikation des besten Standortes zur nachhaltigen Erzeugung und Verteilung von Energie und weiterer Ressourcen geben. Durch eine frühzeitige Abstimmung zwischen allen Parteien bereits in der Planungsphase des Ausbaus von Industrie und weiterer urbaner Funktionen ist eine nachhaltige Einbindung von produzierenden Betrieben im Umfeld Arbeit-Wohnen-Freizeit möglich.

Herausforderungen und Chancen für „Urban Production“

Diese so genannte „Urban Production“ (Industrieproduktion in Städten) bietet Potenzial für viele Vorteile: unter anderem eine synergetische Integration der Industrie in unseren Städten, kurze Transportwege von Produkten vom Produktionsstandort zum Verkaufsstandort und zu Konsumenten oder eine Reduktion der CO2-Emissionen aus dem Güterverkehr.

Auf Grund der höheren Kosten von Grundstücken im städtischen Bereich im Vergleich zu ausgewiesenen Industriezonen wird sich jedoch die Frage stellen, welche Produktionsschritte so wertschöpfend sind, dass eine urbane Produktion wirtschaftlich ist. Dabei ist eine effiziente Produktion in Bezug auf Ressourcen und Energie mitentscheidend, weil dadurch Betriebskosten signifikant reduziert werden können. Neben technologischer Optimierung der Produktionsprozesse durch Einsatz intensivierter Prozesstechnologien wird durch die Einbindung des Produktionsbetriebs in bestehende Versorgungsnetzwerke wie zum Beispiel Fernwärme oder Ferngas eine zusätzliche (nachhaltige) Wertschöpfung erzielt und so die Betriebskosten weiter optimiert.

Umsetzungsbeispiele

Ein Beispiel für die Integration von Industriebetrieben in das Fernwärmenetz ist die Stadt Graz, die das Ziel verfolgt, den Anteil der Abwärme aus Industriebetrieben in der Wärmeversorgung deutlich zu steigern. Im Rahmen der Umstrukturierung der Fernwärmeversorgung durch Integration der Abwärmenutzung (z. B. aus einer Papierfabrik und einem Stahlwerk), durch Solaranlagen im Stadtgebiet und Biomasseheizwerke wird der Anteil erneuerbarer Energiequellen in der Fernwärme mittelfristig auf 50 % steigen (siehe Artikel „Fernwärme als Schlüssel für die städtische Wärmewende“ in dieser Ausgabe).

Darüber hinaus werden innovative Projekte wie zum Beispiel „Arbeiten und Wohnen in Graz-Reininghaus“ unter der Mitwirkung von AEE INTEC einen wichtigen Beitrag liefern, Ressourcen aus Industriebetrieben, die bis dato als Abfall und Abwärme entsorgt worden sind, sinnvoll wiederzuverwenden. In Graz-Reininghaus wird ein vielfältiges Konzept zur Nutzung von Abwärme und Gewinnung von Biogas aus Abwässern einer Mälzerei entwickelt. Mittels Wärmepumpe soll diese Abwärme zur Warmwassererzeugung und für die Heizung der anliegenden Wohnquartiere verwendet werden. Das Abwasser der Mälzerei besitzt außerdem eine hohe Fracht an Kohlenstoff, der mittels spezieller Biogastechnologie in Methan umgewandelt werden kann. Das Konzept sieht vor, das so erzeugte Biogas mittels Kraft-Wärme-Kopplung in Strom und Wärme umzuwandeln und in der Folge sowohl innerbetrieblich als auch für die angrenzenden Wohnquartiere zu nutzen.

Eine Fabrik in der Nähe von Wohnanlagen wird noch strengere Umweltauflagen erfüllen müssen als eine Produktionsstätte in einer Industriezone. So sind vor allem Lärm und Staubbelastungen durch An- und Abtransport von Gütern heikle Bereiche, die ein Konfliktpotential mit Anwohnern darstellen. Das höhere Güter-Verkehrsaufkommen durch LKW zur Belieferung der neuen Produktionsanlage in der Innenstadt von Dresden der 2002 errichteten „Gläsernen Manufaktur“ der Volkswagen AG wurde durch den Einsatz einer „CarGoTram“ gelöst. Dabei wird das Frachtgut anstatt mit Lastwagen mit einer eigenen Straßenbahn transportiert. Mit Ausnahme der Karosserien werden nun alle Bauteile mit der CarGoTram vom VW-Logistikzentrum am Bahnhof Dresden-Friedrichstadt zur Fabrik gebracht.

Zukünftige urbane Wasser-, Nährstoff- und Nahrungskreisläufe

Nicht nur in der Industrie sind Ressourcenströme vorhanden, die derzeit vielfach als Abfall entsorgt werden. Abwasserströme aus Haushalten sind ebenfalls als Beispiel zu nennen: Abwasser aus Wohnungen und Häusern enthält große Mengen an Nährstoffen (Natrium, Phosphor, Kalium) und chemisch gebundener Energie. Dezentrale Lösungen, um diese Komponenten effektiv und nachhaltig zu erhalten und das Abwasser zu reinigen und wieder direkt zur Verfügung zu stellen, können hier einen neuen Ansatz liefern. Im niederländischen Sneek werden mittels angepasster Infrastruktur Grau- (Dusch- und Spülwasser) und Braunwasser (Toiletten und Urinale) separat gesammelt. Hierbei wird möglichst wenig Wasser für den Transport verwendet, um die Verdünnung gering und damit die Konzentrationen an wertvollen Komponenten zur leichteren Aufbereitung hoch zu halten. Aus den gesammelten Abwasserströmen werden mittels geeigneter Technologien Biogas und Nährstoffe produziert, die energetisch genutzt bzw. in der Landwirtschaft oder in lokalen Gärten (Stichwort: Urban Farming) verwendet werden können.

Energie- und Ressourcenrückgewinnung aus Abwasser und Wiederverwendung als Chance für nachhaltige Städte.

Ressourcenaustausch im urbanen Umfeld – Ziel unserer zukünftigen Stadtplanung?

Die genannten Beispiele aus Industrie, urbaner Energieversorgung und städtischem Wohnbau zeigen deutlich, dass sowohl unsere Technologien als auch der Wille zum nachhaltigen Umgang mit kostbaren Ressourcen so fortgeschritten sind, dass Umsetzungen sich vom momentanen Prototyp- und Demonstrationsstatus weiter zu nachhaltigen und weltweit angewandten Standardlösungen entwickeln werden. Dabei werden technische und organisatorische Lösungen benötigt, die alle urbanen Funktionen verbinden und Ressourcenaustausch und –weiterverwertung zwischen Industrie und städtischen Strukturen ermöglichen. In einer nachhaltigen Stadtplanung tragen Partizipationsprozesse in einem frühen Planungsstadium zur Bewusstseinsbildung aller Parteien bei, um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden und bei der Bevölkerung das Bewusstsein zu schärfen, dass Städte nicht nur von Dienstleistungen leben können, sondern dass Industrieansiedlungen einen wichtigen Teil der Stadtentwicklung darstellen. Innovative Umsetzungen können dabei eine essentielle Vorreiterrolle spielen.

Statement

“Nachhaltige, integrierte Stadtentwicklung ist aus Sicht der Stadtbaudirektion Graz mehr als die Summe emissionsarmer, ressourcenschonenden und energieeffizienter Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen. Ein zentraler Aspekt für die Stadt Graz in ihrer Smart City Strategie ist ein fairer Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen.

Ziele in den aktuellen Grazer Smart City Stadtentwicklungsprojekten sind neben dem verantwortungsvollen Umgang mit sämtlichen urbanen Ressourcen kompakte Quartierstrukturen mit urbaner Mischnutzung, ein attraktiver öffentlicher Raum sowie höchste Lebensqualität für die BewohnerInnen.

Dabei ist AEE INTEC mit Innovationen und konkreten Umsetzungsideen ein wichtiger regionaler Partner, um Graz weiter als nachhaltigen, lebenswerten Standort zu positionieren.“

Mag. Christian Nußmüller, Stadtbaudirektion Graz

Weitere Informationen

www.stadtlaborgraz.at/index.php/168-arbeiten-und-wohnen-in-reininghaus
www.desah.nl

Personen

DI Christoph Brunner ist Leiter des Bereichs Industrielle Prozesse und Energiesysteme bei AEE  INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter der Gruppe Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen bei AEE  INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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