Zeitschrift EE

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Modulare Planung urbaner Energieversorgungskonzepte

Thomas Mach, Christian Fink, Richard Heimrath, Ingo Leusbrock, Jürgen Fluch

Vorbereitung der Modellierung der energietechnischen Strukturen einer Kleinstadt. Bildquelle: P. Nageler (IWT)

Anforderungen an die Energiesystemplanung im Wandel

Unsere Städte sind im Wandel. Stetig steigende Bevölkerungszahlen, sowie steigende Anforderungen an Klimaschutz und Ressourceneinsparung setzen Stadtverwaltungen sowie Energieversorger zunehmend unter Druck unsere Energieversorgung nachhaltig zu gestalten.

Der weitgehend in der Wissenschaft und der Politik anerkannte Lösungsansatz liegt hier in einer Kombination aus der Steigerung der Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energieträger

Auch nach Jahrzehnte dauernder Forschung und Entwicklung konnte, trotz eindrucksvoller technologischer Entwicklungen, weder ein einzelner Energieträger, noch eine einzelne Technologie als alleinige Lösung einer nachhaltigen Energieversorgung identifiziert werden.

Vielmehr hat sich gezeigt, dass meist eine durchdachte Kombination mehrerer, aufeinander abgestimmter, Technologien und Energieträger zu den vielversprechendsten Lösungen führt.

Zudem sind die jeweils vorzufindenden klimatischen Bedingungen, die lokale Nutzungsstruktur, sowie die verfügbaren energietechnischen Ressourcen, von derart großer Bedeutung für das Systemdesign, dass in der Regel für jeden Anwendungsfall maßgeschneiderte Lösungen entwickelt werden müssen.

Dies stellt jedoch Planer und Investoren energietechnischer Infrastruktur vor enorme Herausforderungen, insbesondere da zukunftsfähige Energiesysteme oftmals deutlich komplexer als ihre aktuellen Gegenstücke aufgebaut sein werden.

Der steigende Anteil an dezentralen Energieerzeugern und –speichern (Stichwort: Prosumer), die zeitlich schwankende Energiebereitstellung (Stichwort: Volatilität), die Organisation der Energieverteilung (Stichwörter: Lastmanagement, Virtuelles Kraftwerk, Smart Grid), sowie die geforderte Stabilität (Stichwörter: Resilienz, Autarkie), sind neue Faktoren in der Planung zukünftiger Energieversorgungskonzepte. Ein deutliches Ansteigen der Anforderungen an die Energiesystemplanung ist die Folge.

Das Austrian Research Studio „EnergySimCity“

Seit September 2014 arbeitet ein Team bestehend aus Wissenschaftlern des Institutes für Wärmetechnik der TU Graz und AEE INTEC gezielt an der Weiterentwicklung der Energiesystemplanung. Das im Rahmen des Austrian Research Studios - EnergySimCity durchgeführte Vorhaben hat die Aufgabe eine Toolbox mit Methoden und Werkzeugen zur Modellierung komplexer urbaner Energiesysteme zu entwickeln. Die modulare Toolbox EnergySimCity ermöglicht die Erstellung komplexer numerischer Modelle urbaner Energiesysteme mit den folgenden Eigenschaften:

  • intersektoral
    EnergySimCity schließt unterschiedliche Erscheinungsformen von Energie in die Modellbildung mit ein. Sowohl thermische Energiesysteme als auch elektrische Energiesysteme können modelliert werden. Die interaktive Verknüpfung der Modelle der Energieträger Wärme, Strom und Gas ermöglicht eine integrale Betrachtung gesamter Energiesysteme.
  • interaktiv
    EnergySimCity ist in der Lage, die gesamte Energie-Bereitstellungskette abzubilden und interaktiv miteinander zu verknüpfen. Somit kann der Energiefluss von der Energieumwandlung im Kraftwerk, über Transport, Zwischenspeicherung bis zum Verbraucher in den Gebäuden, sowie die dynamische Wechselwirkung zwischen den einzelnen Komponenten der Bereitstellungskette, modelliert werden.
  • instationär
    EnergySimCity basiert auf einer Betrachtungsweise in der Energieflüsse zeitlich hochaufgelöst modelliert werden können. Die Abbildung des realitätsnahen Betriebsverhaltens eröffnet die Möglichkeit, unterschiedliche Betriebsweisen vorab zu testen und regelungstechnische Szenarien zu entwickeln.
  • intermodular
    EnergySimCity ermöglicht die Kombination von Teilmodellen unterschiedlicher Detaillierungsgrade. Somit können einfache Teilmodelle mit komplexen Teilmodellen verknüpft werden. Die Austauschbarkeit der einzelnen Teilmodelle ermöglicht eine Anpassung der Modellierung an den jeweiligen Planungsstand. Die Modellierung kann somit mit der Planung „mitwachsen“ und daher Projekte von der ersten Entwurfsphase bis zur detaillierten technischen Ausführungsplanung, mit den notwendigen Informationen für den jeweiligen Schritt versorgen.

Die Funktionalität der Toolbox EnergySimCity basiert auf einer Reihe unterschiedlicher Simulationsumgebungen (IDA ICE, TRNSYS, DYMOLA, MATLAB, FLUENT, QGIS, etc.) die, mit Eigenentwicklungen ergänzt, je nach Anwendungsfall, zu leistungsfähigen interaktiven Co-Simulationsmodellen gekoppelt werden können.

Entwicklung in drei Modellierungsbereichen

Das interdisziplinäre Team des Austrian Research Studios - EnergySimCity gliedert die laufende Entwicklung der urbanen Modellierung in die drei Entwicklungsdomänen Gebäude, Infrastruktur und Atmosphäre.

Gebäude

Der Bereich „Gebäude“ arbeitet an der Modellierung des energietechnischen Verhaltens urbaner Bauwerke. Die numerischen Modelle bilden dabei nicht nur das Bauwerk ab (Wände, Decken, Böden, Fenster, etc.), sondern auch die gesamten darin enthaltenen gebäudetechnischen Systeme (Wärmetauscher, Speicher, Leitungen, Heizkörper, Lüftungssysteme, etc.). Ebenso wird der Einfluss der Nutzer und Nutzerinnen, als auch die gesamte Regelung der Betriebsführung berücksichtigt.

Die in den ersten beiden Projektjahren entwickelten Schnittstellen zu Geoinformationssystemen und einschlägigen Datenbanken ermöglichen die teilautomatisierte Modellierung von urbanen Bebauungen.
Als Ergebnis können detaillierte Jahresverläufe aller relevanten Energieströme (Heizenergiebedarf, Kühlenergiebedarf, Strombedarf, etc.) je Einzelgebäude ausgegeben werden, sowie kumulierte Darstellungen (beispielsweise Heatmaps) generiert werden.

Infrastruktur

Der Bereich „Infrastruktur“ arbeitet an der Modellierung der urbanen, also dem Einzelgebäude übergeordneten, energietechnischen Einrichtungen, wobei die energietechnischen Versorgungsnetze im Fokus stehen.
Die laufende Entwicklung neuartiger Netzmodelle ermöglicht die dynamische Berechnung von Druck, Massenstrom sowie Energieströmen in hoher zeitlicher Auflösung für detaillierte Netzgeometrien bzw. verschiedene Netztopologien (Ringe, Maschen)

Die Modellierung von Nahwärmenetzen der vierten Generation (bidirektionale Niedertemperaturnetze mit dezentral positionierten Prosumern) stellt dabei das Entwicklungsteam vor besondere Herausforderungen.

Urbane Freiräume Luftkörper über der Stadt

Der Bereich „Atmosphäre“ entwickelt thermische und strömungstechnische CFD-Modelle (Computational Fluid Dynamics) der urbanen Freiräume (Straßen, Plätze, Höfe) und des Luftkörpers über der Stadt (mit bis zu 100 Mio. Gitterzellen). Die Modelle ermöglichen die Untersuchung der aerodynamischen Durchströmung der Stadträume, die Analyse der Belüftung von Gebäudeinnenräumen, ebenso wie Aussagen über die Verteilung und den Abtransport lokaler Emissionen. Als treibende Kräfte können sowohl der Wind (erzwungene Konvektion) als auch der thermische Auftrieb aufgrund solarer Strahlung (freie Konvektion) abgebildet werden, wodurch urbane mikroklimatische Analysen, beispielsweise zum Wärmeinseleffekt, durchgeführt werden können.

Bild: Stationen der energietechnischen Modellierung einer urbanen Struktur Gebäude: Übernahme der Gebäudegeometrien aus GIS-Systemen bzw. Planmaterial (1), Erstellung numerischer Gebäudesimulationsmodelle (2), Mapping ausgesuchter Ergebnisse auf Karten (3), Infrastruktur: Übernahme der Netzgeometrien aus GIS-Systemen bzw. Planmaterial (4), Erstellung numerischer Simulationsmodelle der Energienetze (5), Analyse und Darstellung der Simulationsergebnisse (6), Atmosphäre: Netzgittererstellung der Gebäudevolumina (7), Strömungssimulation des städtischen Luftraums (8), Analyse der CFD-Simulationsergebnisse (9)

Die Entwicklung der Toolbox EnergySimCity stützt sich auf die breite Basis der energietechnischen Expertise der Konsortialpartner Institut für Wärmetechnik und AEE INTEC. Die urbanen Modelle können bei Bedarf bis auf den Detaillierungsgrad technologischer Einzelentwicklungen verfeinert werden. Ausgesuchte Module der Toolbox EnergySimCity sind zurzeit in Gleisdorf, Salzburg-Schallmoos und einzelnen Quartieren des Stadtentwicklungsgebietes Graz West im Entwicklungseinsatz.

Weiterführende Informationen:

www.aee-intec.at/index.php?seitenName=projekteDetail&projekteId=1745

Statements

„Die Energieversorgung von kommunalen und urbanen Gebieten wird zukünftig verstärkt sektorenübergreifend (hybrid) erfolgen. Gepaart mit der zu erwartenden Dezentralisierung der Energieumwandlung und  dem gesteigerten Bedarf an Flexibilisierungspotenzial durch Speicher werden  Energieversorgungssysteme in der Zukunft weiter an Komplexität zunehmen. Diese Entwicklung generiert für Energieversorgungsunternehmen gleichzeitig einen erweiterten Bedarf an numerischer Modellbildung und Simulation, der mit der im gegenständlichen Research Studio entwickelten Toolbox „EnergySimCity“ sehr gut abgedeckt werden kann.  Für Wien Energie wird es bei der Entwicklung von Projekten immer wichtiger mit solchen Simulationstools zu arbeiten, um genaue Planungsergebnisse erzielen zu können.“
DI Martin Höller, Leitung Forschung und Innovation, Wien Energie

„Wir forcieren den sukzessiven Ausbau von überwiegend erneuerbar versorgter Wärmenetzinfrastruktur im grundsätzlich gasversorgten Stadtgebiet Gleisdorfs. Sowohl im Hinblick auf die Erweiterung der Netzarchitektur, die Optimierung der Einsatzreihenfolge von aktuell mehr als zehn zentralen und dezentralen Erzeugungsanlagen als auch im Hinblick auf längerfristige Versorgungsszenarien ergeben sich für uns als Energieversorgungsunternehmen zahlreiche komplexe Fragestellungen. Hierzu ist es wichtig auf Partner wie AEE INTEC und TU Graz IWT zurückgreifen zu können, welche über speziell zugeschnittene numerische Lösungsansätze verfügen.“
Mag. Erich Rybar, Geschäftsführung der Feistritzwerke-STEWEAG GmbH

Autoren

Dr. Thomas Mach ist Project Senior Scientist am Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Christian Fink ist Prokurist und Bereichsleiter für Thermische Energietechnologien und hybride Systeme bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Richard Heimrath ist Project Senior Scientist am Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Ingo Leusbrock ist Gruppenleiter für Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

DI Jürgen Fluch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs Industrielle Prozesse und Energiesysteme bei AEE  INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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