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2004-03: Solare Nahwärme

Thema

Auf dem Weltklimagipfel im Juli 2001 in Bonn wurde der Vertrag über das Kyoto-Protokoll in Kraft gesetzt. Das Kyoto-Protokoll von 1997 sah vor, dass der weltweite CO2-Ausstoß bis 2012 um 5,2 Prozent unter den Stand von 1990 gesenkt wird. Durch das Anerkennen von Kohlendioxidsenken wird die tatsächliche Reduktion nach Berechnungen des World Wide Fund for Nature nur bei etwa 1,8% liegen. Nur durch das geschlossene Auftreten der europäischen Länder konnte überhaupt ein Durchbruch in den Verhandlungen erreicht werden. In allen europäischen Ländern ist eine Verringerung des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen und damit verbunden eine Reduzierung der CO2-Emissionen jedoch ein erklärtes Ziel.

Solare Nahwärmesysteme in Europa

Von Boris Mahler*

Ein Mittel dieses Ziel zu erreichen ist in einigen Ländern schon relativ weit verbreitet: Der Einsatz von thermischen Solaranlagen zur Warmwasserbereitung in Einfamilienhäusern. Europaweit sind derzeit etwa 11 Millionen m² Kollektorfläche installiert. Nur ca. 1% dieser Fläche ist in großen Solaranlagen mit jeweils über 500 m² Kollektorfläche errichtet worden (siehe Abbildung 1). Innerhalb des EU-THERMIE Projektes "Large Scale Solar Heating Systems for Housing Developments" wurden neun große Solarsysteme mit Kollektorflächen über 150 m² in fünf europäischen Ländern realisiert. Dadurch soll diese Technik weiter verbreitet werden und das CO2-Reduktionspotential für ganze Wohnsiedlungen erschlossen werden. Das Steinbeis-Transferzentrum EGS koordiniert die 12 beteiligten Partner.

Abbildung 1: Solare Großanlagen in Europa mit mehr als 500 m² Kollektorfläche
Quelle: European Large-Scale Solar Heating Network, http://main.hvac.chalmers.se/cshp//

Was versteht man unter einer solaren Nahwärmeversorgung?

Eine solare Nahwärmeversorgung besteht aus folgenden Komponenten (siehe Abbildung 2):

  • einer Heizzentrale, an die alle Gebäude im Gebiet angeschossen sind,
  • dem Wärmeverteilnetz, das die Gebäude mit der Heizzentrale verbindet,
  • Kollektorfelder, die häufig in die Dächer der Gebäude integriert sind,
  • einem Wärmespeicher für momentan nicht benötigte Solarwärme.

In Nahwärmesystemen werden Kleinsiedlungen von 30 bis ca. 1000 Wohneinheiten zentral mit Wärme versorgt. Im Gegensatz zu Einfamilienhaus-Solaranlagen befindet sich hier nicht auf jedem Gebäudedach eine kleine Kollektorfläche, sondern auf wenigen Dächern konzentriert großflächige Module.

 

Abbildung 2: Bei einer solaren Nahwärmeversorgung verbindet ein Wäremverteilnetz alle Gebäude mit der Heizzentrale

 
System mit
Kurzzeit-Wärmespeicher
System mit
Wochen-Wärmespeicher
System mit
Langzeit-Wärmespeicher
Solarenergie eingesetzt für
Warmwasser
Warmwasser und Raumheizung
Warmwasser und Raumheizung
Solarer Deckungsgrad am
gesamten Wärmebedarf
10 bis 20 %
30 bis 40 %
40 bis 70 %
Kollektorfläche je Wohneinheit
2 bis 4 m²
4 bis 10 m²
10 bis 40 m²
Speichervolumen je m²
Kollektorfläche
50 bis 70 l/m²
200 bis 400 l/m²
2000 bis 4000 l/m²
Investitionskosten für den
Solaranteil je m² beheizte Fläche
20 bis 25 €/m²
30 bis 50 €/m²
90 bis 150 €/m²

Tabelle 1: Vergleich der Systemtypen

Kurzzeit- und Langzeit-Wärmespeicher

Es gibt zwei Arten von großen solarthermischen Anlagen: solche mit Kurzzeit- (KZWSp) und solche mit Langzeit-Wärmespeicher (LZWSp). Kurzzeit-Wärmespeicher Systeme dienen hauptsächlich zur Unterstützung der Warmwasserbereitung und können Solarwärme für ein bis zwei Tage zwischenspeichern. Dadurch ist der Anteil an Solarwärme auf ca. 10 bis 20% des Gesamtheizwärmebedarfs für Raumheizung und Warmwasser begrenzt. Den saisonalen Unterschied zwischen Strahlungsangebot im Sommer und Heizwärmebedarf im Winter gleicht der Langzeit-Wärmespeicher in LZWSp-Systemen aus. Dadurch sind solare Deckungsanteile von 40 bis 70% erreichbar. Innerhalb des EU-Projektes konnte in zwei österreichischen Projekten erstmals eine Zwischenstufe, mit sogenannten "Wochen-Wärmespeichern" (WZWSp), realisiert werden. Bei diesen Projekten wird durch relativ große Kollektorflächen im Verhältnis zum Speichervolumen ein solarer Deckungsanteil von 30 bis 40% bzw. von 50 bis 60% realisiert.

Vorteile solarer Nahwärmesysteme

Die Errichtung von solaren Nahwärmesystemen hat folgende Vorteile gegenüber einer Versorgung mit vielen kleinen dezentralen Solaranlagen:

  • große kompakte Kollektorflächen können Teile des Daches ersetzen,
  • wenige große, anstelle vieler kleiner Flächen, sind kostengünstiger zu installieren,
  • große Kollektormodule haben geringere Randverluste als kleine,
  • durch die große Anzahl von Nutzern vergleichmäßigt sich der Bedarf, es wird Solarenergie genutzt, auch wenn einzelne im Urlaub sind,
  • es wird nur eine Regelung benötigt anstelle vieler,
  • die Anlagen werden ingenieurmäßig geplant und in der Regel von erfahrenen Betrieben installiert,
  • große Anlagen werden meistens durch einen Betreiber überwacht, dadurch werden Fehler im Betrieb schneller erkannt,
  • die flächenbezogenen Erträge großer Anlagen sind durch die günstigeren Randbedingungen meistens höher als bei kleinen Anlagen,
  • durch die größere Abnahme sind die flächenbezogenen Preise niedriger.

Diese Vorteile spiegeln sich im Kosten-/Nutzenverhältnis (Investitionskosten/jährlichen Solarertrag) wider (Abbildung 3). Das Kosten-/Nutzenverhältnis von Solaranlagen über 100 m² Kollektorfläche und Kurzzeit-Wärmespeicher ist ca. um den Faktor 2 besser, als das dezentraler kleiner Anlagen. Selbst Systeme mit Langzeit-Wärmespeicher erreichen ein um mehr als 20% verbessertes Kosten/ Nutzenverhältnis und dies bei einer wesentlich höheren Gesamteinsparung an fossilen Energieträgern.

Abbildung 3: Kosten/Nutzenverhältnis von Solarsystemen

Allgemeine Projektbeschreibung

In der Zeit von 1998 bis 2001 wurden neun große Solarprojekte geplant, realisiert und überwacht. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht zu den wichtigsten Kenngrößen. Ein wichtiger Teil der Arbeit in dem EU-Projekt ist der Erfahrungsaustausch zwischen den beteiligten Partnern. Durch regelmäßige Projektmeetings wurden die Planungsschritte und die jeweiligen Besonderheiten in den einzelnen Gebieten erörtert. So konnten auch die bisher weniger erfahrenen Partner von anderen profitieren.

Projekt-Standort
Art der
Wärme-
speicherung
Kollektor-
fläche (m²)
Projektgröße
Speicher-
volumen (m³)
fsol (%),
Planung
Wohnungen
Deutschland
Neckarsulm-Amorbach II
Langzeit
+6.500
+65.000
50
+150
Müllheim-Vögisheimer Weg
Kurzzeit
446
20
12
70+10
Aalen-Weisse Steige
Kurzzeit
155
12
12
31+Büro
Esslingen-Scharnhauser Park
im Wärmenetz
195
keiner
<1
2.400
Niederlande
Amersfoort-Stadstuinen
Kurzzeit dezentral
648
36
10
440
Schweden
Anneberg-Danderyd
Langzeit
2.400
60.000
70
50
Österreich
Gleisdorf
Wochensp.
213
14
60
6+Büro
Gneis Moos
Wochensp.
410
100
34
61
Italien
Melegnano
Kurzzeit
200
10
72
Duschen
Schwimmbad
Summe
 
7.332
 
 
 

Tabelle 2: Übersicht zu den Projekten (fsol=solarer Deckungsgrad am Gesamtwämrmebedarf)

Ergebnis

In Abbildung 4 sind die Investitionskosten für die Kollektorfelder bzw. die gesamten Solarsysteme bezogen auf die jeweilige Kollektoraperturfläche dargestellt. Es ist erkennbar, dass die kleineren Systeme spezifisch höhere Kosten haben. Die relativ hohen Kosten des Projektes in Stadstuinen liegen am verwendeten Kollektortyp. Hier werden Vakuum-Röhrenkollektoren eingesetzt. Diese sind flächenspezifisch teuerer als Flachkollektoren, haben allerdings auch einen etwas höheren Solarertrag.
Alle Solarsysteme werden im Rahmen des EU-Projektes vermessen. Diese Messung ist noch nicht in allen Projekten angelaufen bzw. es sind teilweise noch keine realistischen Messdaten verfügbar, weil die Wohnungen noch nicht vollständig bezogen sind. Insofern sind die in Abbildung 5 dargestellten gemessenen Erträge noch nicht als endgültig zu verstehen. Nach den bisherigen Ergebnissen liegen die Erträge teilweise im Bereich der Planungswerte, teilweise bis zu 30% schlechter. Dafür sind folgende Ursachen zu nennen:

  • Gebiet noch nicht vollständig bezogen, dadurch z.T. ungeregelte Bauheizung,
  • Erste Messperiode, in der Fehler in der Anlagenhydraulik und Regelung erst gefunden und optimiert werden müssen,
  • Höhere Rücklauftemperaturen aus dem Nahwärmenetz als in der Planung angenommen.

Insbesondere hohe Rücklauftemperaturen sind ein häufig anzutreffendes Problem. Es ist - leider - gängige Praxis die Heizungs- und Warmwassersysteme in den Gebäuden nur sehr schlecht auszulegen und einzuregulieren. Dies lässt sich nachträglich nur unter erheblichem Aufwand bewerkstelligen. Darauf muss in Zukunft noch stärker darauf geachtet werden.

Abbildung 4: Spezifische Investitionskosten für Kollektorfeld und Solarsystem im Vergleich (Alle Kosten ohne Mehrwertsteuer, monitoring und Planung)

Fazit

Durch thermische Solarenergienutzung können bis zu 70% des fossilen Brennstoffbedarfs für Raumheizung und Warmwasserbereitung in Wohnsiedlungen eingespart werden. Innerhalb des Projektes wurde eine große Bandbreite von Systemen realisiert. Bei der Planung und dem Bau gab es dabei keine außergewöhnlich großen Schwierigkeiten. Die Bebauung von größeren Wohngebieten kann einige Zeit dauern (bis zu mehreren Jahren). In dieser Zeit können sich die Anforderungen an den Wohnungsbau ändern. Solare Nahwärmesysteme, insbesondere solche mit Langzeit-Wärmespeicher, müssen in der Lage sein, solche Veränderungen zu erlauben. Dies hat sich in manchen Projekten als schwierig herausgestellt.
Alle fertiggestellten Anlagen funktionieren inzwischen sehr gut. Dass kleinere Anfangsschwierigkeiten auftraten, ist normal für "neue" Systeme. Diese konnten aber immer in den ersten Monaten abgestellt werden und zeigen das wachsende Know-how und Verständnis für große Solaranlagen in den beteiligten europäischen Ländern.
Mit den ausgeführten Anlagen konnte gezeigt werden, dass das Ziel der Verbesserung des Kosten-Nutzen Verhältnisses klar erreicht wurde. Die Investitionskosten für große solare Nahwärmesysteme sind nicht vernachlässigbar. Im Vergleich zu den Gesamtbaukosten der Gebäude liegt der Anteil für die Solarsysteme im Bereich von 1 bis 5%. In Anbetracht der CO2-Reduktion um 15 bis 70% erscheint dies allerdings eine tragbare Belastung.
Das Projekt wird durch die Europäische Union im Rahmen des THERMIE Programmes mit Kennzeichen REB 61/97 gefördert.

Abbildung 5: Geplante und gemessene Erträge der Solarsysteme im Vergleich

 

*) Dipl.-Ing. Boris Mahler ist Abteilungsleiter im Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Gebäude- und Soalrtechnik und Koordinator des EU-Thermie Projektes "Large Scale Solar Heating Systems for Housing Developments", http://www.stz-egs.de, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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