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2010-03: Plus-Energiegebäude

Nachhaltige Gebäude

Abbildung 1: Hauptschule Schwanenstadt - Eingangsbereich nach Sanierung Quelle: AEE INTEC

Die Idee des Null- oder Plus-Energiekonzeptes übergibt dem einzelnen Gebäude nunmehr die Verantwortung seinen Verbrauch soweit energieeffizient zu gestalten, dass der Rest durch Eigenproduktion vor Ort kompensiert werden kann. Eine Chance für eine internationale Definition – aber auch eine Herausforderung für den bisherigen Zugang zur Bewertung der Gebäudequalität!

Null- und Plus-Energiegebäude.
Die Herausforderung eine Bilanzierungsmethodik zu finden.

Von Sonja Geier *

Die Neufassung der Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden bedingt, dass bis 31. Dezember 2020 alle neuen Gebäude „nearly zero-energy buildings“ sind. Die Übersetzung „Niedrigenergiegebäude“ für die deutsche Fassung [1] gibt diese Zielsetzung leider nicht mehr so deutlich wieder.

Anforderungen an die thermische Qualität des Gebäudes

Der Ansatz der Null- und Plus-Energiekonzepte hat immense Vorteile. Die Einfachheit der Definition „gleich viel oder mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen“ orientiert sich nicht an Kennwerten, die national unterschiedlich definiert und fixiert sein können. Damit kann einerseits eine Marke geschaffen werden, die länderübergreifend Gültigkeit hat – wie z.B. das “Passivhaus“. Anderseits birgt sie auch das Risiko, dass die Systemgrenzen und Methodik zur Bilanzierung unterschiedlich interpretiert werden können und sich Gebäude mit niedriger energetischer Qualität durch vermehrte Produktion vor Ort zu „Null- oder Plus-Energiegebäuden“ verwandeln.

Primärenergetische Bilanzierung

Der rechnerische Nachweis der energetischen Qualität von Wohn- und Nichtwohngebäuden hat in Österreich gemäß OIB-Richtlinie 6 (OIB-RL 6) [2] zu erfolgen. Erfasst wird der Bedarf an Endenergie – die Felder für den „PEB“- Primärenergiebedarf und „CO2“ als Indikator für die CO2-Emissionen sind noch immer blinde Felder im Energieausweis. Dass hier noch keine Erfassung erfolgt, begründet sich zum Teil auch in der Komplexität der Ermittlung von Primärenergiefaktoren. Eine Reihe von unterschiedlichen Standards und Datenquellen findet aktuell Verwendung, nicht immer sind die Methodik zur Ermittlung und die berücksichtigten vorgelagerten Prozessketten transparent nachvollziehbar [3].

Ressourcenorientierung oder Gutschriften für eingesparte “Netz“energie?

Eine primärenergetische Bilanzierung kann auf zwei unterschiedliche Arten erfolgen:

  • Ressourcenorientiert – und somit mit dem PEF des jeweiligen Energieträgers
  • Gutschriftenorientiert – und somit mit dem PEF für den „ersetzten/ eingesparten“ Strom aus dem Netz

Anhand eines einfachen Beispieles, einem „all-electric“ Gebäude, sieht man die Unterschiede: Eine ressourcenorientierte Bilanzierung bewertet die vor Ort produzierte elektrische Energie aus PV mit dem Faktor 1,0 (PEF gesamt), den Verbrauch aus dem Netz mit Faktoren wie 2,074 (Stromaufbringung Österreich 2004-2007, Pölz 2010 [3]). Eine Bilanzierung mit unterschiedlichen Faktoren für Produktion und Verbrauch bildet zwar den tatsächlichen Verbrauch an Ressourcen ab, bedeutet aber (bei oben genannten Faktoren) mindest doppelt so viel vor Ort produzieren zu müssen um ausgewogen bilanzieren zu können.
Sinnvoller erscheint eine Bilanzierung, die Gutschriften für den vor Ort produzierten Strom in der Höhe der damit eingesparten Primärenergie aus dem Netz, vergibt (Abbildung 2). Somit wird der Strom immer mit demselben Faktor bewertet und bilanziert. Eine Methodik, die nun auch zur Bilanzierung für alle anderen Energieträger (Solarthermie, Biomasse, KWK und deren Einspeisung in Wärmenetze) angewandt werden sollte. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Wärmenetze weitaus unterschiedlicher gestaltet sein können (Fernwärme- oder Nahwärmenetze, Mikronetze,...) und sich die Bestimmung des Primärenergiefaktors des Netzes weitaus komplexer gestaltet.

Abbildung 2: Ressourcenorientierte Bilanzierung versus Gutschriften für eingespeiste dezentral produzierte Energie am Beispiel eines „all-electric“ Gebäudes

Systemgrenzen der Bilanzierung - Berücksichtigung der Nutzer/-innen

Zurzeit wird der Energiebedarf eines Gebäudes durch die Berechnung des Energieausweises auf Basis der Endenergie nachgewiesen. Für Wohngebäude werden dabei Heizwärme-, Warmwasser- und Heiztechnikenergiebedarf abgebildet. Kühlenergie, ist genauso wie der Bedarf für Beleuchtung und Lüftung nur bei Nicht-Wohngebäuden relevant. Beiden ist aber gemeinsam, dass der Verbrauch an Haushaltsstrom bzw. Energie für die/ den Nutzer/-innen nicht in die Berechnung mit einfließt. Während sich in Expert/-innenkreisen die Meinung etabliert, dass auch der tägliche Betrieb in der Bilanzierung abzubilden ist (Bednar T., 2010 [5]) – ist die Skepsis in der praktischen Umsetzung noch groß. Auch die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie 2010 [1] lässt in der nunmehr veröffentlichten Endfassung in diesem Punkt Interpretationsspielraum zu (Art. 2, Pkt. 4 oder Anhang I, Pkt. 3.i). Laut IPCC [6] wird in Wohngebäuden der 11 größeren OECD-Staaten mehr als 40% der gesamten Primärenergie dieses Sektors für den Haushaltsstrom aufgewendet. 70% davon benötigt das Equipment für Unterhaltung und Kommunikation. Dass hier dringend Handlungsbedarf besteht, liegt nahe.

Systemgrenzen der Bilanzierung - Prioritäten und Bilanzierungsumfang

Die Betrachtung der Systemgrenze bringt einen weiteren Aspekt zu Tage: die Bewertung der energetischen Qualität des Gebäudes erfolgt laut OIB-RL 6 für alle Energieströme im Gebäude. Die Kerninformation für die Bilanzierung zum Null- oder Plus-Energiegebäude ist aber die Gegenüberstellung von Bezug versus Einspeisung. Dabei ist aber zu beachten, dass sich hier durch unterschiedlichen Einspeisebedingungen und –tarife unterschiedliche Prioritäten ergeben. Entweder wird die Eigenversorgung forciert und nur die aktuell nicht benötigte Energie eingespeist oder die gesamte Produktion eingespeist und der Bedarf kontinuierlich aus dem Netz bezogen. Nicht nur unterschiedliche Energiemengen werden hier über die Schnittstelle Gebäude-Netz geführt, sondern auch der Bilanzumfang kann sich dabei ändern. Werden alle Energieströme für die Bilanzierung erfasst – eine Weiterführung der Berechnungsmethode der OIB-RL 6 - ist es unerheblich ob Einspeisung oder Eigenverbrauch bevorzugt behandelt wird (siehe Bild 2 links). Eine Methodik, die auch gut geeignet ist, im Planungsstadium eingesetzt zu werden – aber sehr aufwändiges Monitoring erfordert. Einfacher ist es, die energetische Qualität des Gebäudes nach OIB – RL 6 oder PHPP zwar zu ermitteln, für die anschließende Bilanzierung aber nur die Energieströme zu bewerten, die tatsächlich über die Schnittstelle Gebäude-Netz transferiert werden (Abbildung 3). Sämtliche Energieeffizienzmaßnahmen (Wärmerückgewinnung, Wärmepumpen,…) innerhalb des Systems tragen zu einem reduzierten Bedarf bei, müssen aber nicht in der Bilanzierung erfasst werden. Die Einfachheit der Bilanzierung (vor allem für den Monitoring - Prozess) bedingt aber eine genaue Bewertung der energetischen Gebäudequalität zuvor.

Abbildung 3: Priorität Einspeisung der dezentralen Produktion (links) versus Priorität Abdeckung des Eigenverbrauches (rechts).

Resümee

Es gibt eine Reihe an Herausforderungen, die uns auf dem Weg zum Null- oder Plusenergiegebäude noch begegnen werden: Unter anderem die Fragegestellung, inwieweit eingespeiste thermische Energie in Wärmenetze den Bezug von elektrischer Energie aus Stromnetzen kompensieren kann. Oder die Berücksichtigung des primärenergetischen Verbrauchs an Biomasse, die auf das Grundstück (also in das System) transportiert wird. Auch die Methode der Gutschriften für Anteile an Windkraftanlagen ist noch zu diskutieren. Fragen, die auch im laufenden IEA Joint Project SHC Task 40/ ECBCS Annex 52 „Towards Net Zero Energy Solar Buildings“ diskutiert werden.
Wesentlich bleibt aus Sicht des Gebäudes jedenfalls die konsequente Erhöhung der Energieeffizienz und des Einsatzes erneuerbarer Energieträger. In Zukunft wird aber auch ein stärkeres Bewusstsein um die Bedeutung der Nutzer/-innen auf den Energie- und Ressourcenverbrauch notwendig sein!

Weitere Informationen:
www.iea-shc.org/task40

Literatur:

  • [1] “Richtlinie 2010/31/EU vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung)“, Amtsblatt der Europäischen Union vom 18. Juni 2010
    Die Neufassung der EU- Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (engl.: „EPBD“ Energy Performance of Buildings Directive) wurde am 18. Juni 2010 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist mit 8. Juli 2010 in Kraft getreten.
  • [2] Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB): “OIB- Richtlinie 6. Energieeinsparung und Wärmeschutz“, Ausgabe April 2007. www.oib.or.at
  • [3] Pölz W. (2010): „Chancen und Grenzen eines Bewertungssystems auf Basis der Primärenergie“, Strategieforum 20. Mai 2010, Graz Franziskanerkloster
  • [4] Passivhausinstitut Darmstadt: „PHPP 2007. Passivhaus Projektierungspaket 2007“, www.passiv.de
  • [5] Bednar T. (2010): “ Plus-Energie-Gebäude. Wenn Gebäude mehr Energie liefern als verbrauchen.“ Perspektiven 1/2 2010. Seite 78-81.
  • [6] Intergovernmental Panel on Climate Change, Fourth Assessment Report, 2007. Seite 403

*) DI Sonja Geier ist Mitarbeiterin der AEE – Institut für Nachhaltige Technologien in der Abteilung Nachhaltige Gebäude E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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