Zeitschrift EE

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2003-03: Bioenergie

Biomasse-Nahwärme

Das Projekt "Das Bioenergiedorf" will einen Beitrag für die Umsetzung nachhaltiger Lebensweisen am Beispiel der Strom- und Wärmeversorgung eines ganzen Dorfes leisten, indem dieses unter aktiver Beteiligung der Dorfbevölkerung auf die Basis von Biomasse umgestellt werden soll. Hierzu wird in dem Dorf eine Biogasanlage errichtet, ein Heizwerk gebaut und ein Nahwärmenetz verlegt. Das Projekt wird von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) für das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) gefördert und ist unter Beteiligung verschiedener Fachdisziplinen der Universitäten Göttingen und Kassel/Witzenhausen am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung der Universität Göttingen angesiedelt.

Das Bioenergiedorf

Von Lars Degenhardt*


Das Projekt ist insgesamt auf sechs Jahre angelegt. In den ersten zwei Jahren (Start: Oktober 2000) ging es zunächst darum, ein geeignetes Dorf im Landkreis Göttingen zu finden. Das Dorf Jühnde aus der Samtgemeinde Dransfeld wurde als Modelldorf zur energetischen Nutzung von Biomasse ausgewählt. Im zweiten Projektjahr wurden zusammen mit der Dorfbevölkerung und einem Ingenieurbüro Planungsleistungen zur Projektrealisierung erbracht sowie rechtsverbindliche Vorverträge mit den zukünftigen Wärmekunden abgeschlossen. Im dritten Projektjahr soll die Entwurfs-, Ausführungs- und Genehmigungsplanung erstellt werden, um baldmöglichst mit dem Bau der Anlagen und dem Verlegen des Nahwärmenetzes beginnen zu können.

Der partizipative Projektansatz

In herkömmlichen Bauvorhaben von Infrastrukturanlagen vollzieht sich die Planung und Ausführung im Zusammenspiel von Akteuren aus fünf Funktions- und Interessenskreisen: Erstens die Nachfrager nach Bauleistungen, zweitens die Anbieter von Bauleistungen, drittens das freiberufliche Beratungsgewerbe, viertens der Staat als Hoheitsträger und als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie fünftens die das Baugeschehen begleitende Öffentlichkeit.

Im Gegensatz dazu ist in Jühnde ein partizipatives Modell des Infrastrukturanlagenbaus vorzufinden. Der Unterschied in diesem Projekt zum herkömmlichen Infrastrukturanlagenbau besteht darin, dass sich das Feld des Bauherrn in drei unterschiedliche Funktionsbereiche unterteilt: Die Jühnder Bürgerinnen und Bürger als Nachfrager nach Bauleistungen, die Universität als Initiator des Projektes und Begleiter der Planung und das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe als fachliche und finanzielle Unterstützer des Projektes. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass der Bauherr, in unserem Fall die "Initiative Bioenergiedorf Jühnde", auch als organisierte Öffentlichkeit aufzufassen ist, da die dort tätigen Akteure zugleich Dorfbewohner und in diesem Sinne von den Baumaßnahmen Betroffene sind. Da die Jühnder Bürger auch fachlich in den Planungsprozess involviert sind, liegt die Koordinierungsfunktion im Sinne eines Projektmanagements in erster Linie in ihren Händen.

Der Grund hierfür liegt in dem Sachverhalt begründet, dass die Realisierung des angestrebten Infrastrukturanlagenbaus mit den Komponenten Biogasanlage, Holzhackschnitzelheizwerk und Nahwärmenetz nicht über Richtlinien oder Gesetze, sondern nur über eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen ist und somit nur das Ergebnis eines sozialen Prozesses sein kann.
Die Universität will Anstöße zur Beteiligung an der Planung geben und gleichzeitig eine Planungsstruktur für eine überschaubare Anzahl an aktiven Bürgerinnen und Bürgern etablieren. Das heißt, das Projekt wird von den Mitarbeitern der Universität angestoßen, soll aber letztlich ein Projekt des Dorfes werden. Es wurde in Jühnde erfolgreich eine Organisationsform der Planung implementiert, welche Elemente des kooperativen Planungsmodells mit jenen des Initiationsmodells verbindet. Die Merkmale der Organisationsstruktur in Jühnde sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Dimension

Merkmale

Organsiationsstruktur flache Hierachiersierung durch Festlegung von Verantwortlichkeiten
Sinnbezug Umweltschutz, technische Umsetzung, soziale Umsetzung
Akteursbezug,
Partizipationsstrategie
Möglichkeit der Teilnahme für alle gegeben, teiloffen
Kommunikationsstil,
Diskussionsstruktur
gleichberechtigte Kommunikation, gemeinsame Erörterung
Beziehung tauschförmig, dialogisch orientiert
Arbeitsformen Methoden der klassischen Moderation, Kleingruppenarbeit, Metaplantechnik, Workshops, etc.
Ortsbezug vom Ort ausgehend
Ergebnisorientierung projektorientiert
Zielbezug, Denkstil Erreichen eines klar definierten Zieles
Aufgabenverständnis pragmatisch-integrativ, Projektbezug
Entscheidung konsensorientiert, aber mit der Möglichkeit zur Mehrheitsentscheidung
Planungs-,
Handlungsverlauf
parallel, gleichzeitig
Zeit dynamisch, instabil

Tabelle 1: Merkmale der Organisationsstruktur in Jühnde (in Anlehnung an Selle 1999)

Beteiligung der Bevölkerung

Durch Dorfversammlungen, Einwohnerbefragungen, Besichtigungsfahrten, Arbeitsgruppen, einer Zentralen Planungsgruppe sowie der Durchführung von Workshops zu technischen und rechtlichen Themen wurden in Jühnde Strukturen aufgebaut, die es der Dorfbevölkerung ermöglichten, sich am Planungsprozess zu beteiligen. In den Arbeitsgruppen Betreibergesellschaft, Biogasanlage, Biomasse Holz, Biomasse Pflanzen, Nahwärmenetz, Holzhackschnitzelanlage, Haustechnik und Öffentlichkeitsarbeit wird die Basisarbeit für die Projektumsetzung geleistet.

Jede Arbeitsgruppe hat eine/n Sprecher/in, der/die die Gruppe nach außen vertritt. In den Arbeitsgruppen werden die für die Umsetzung notwendigen Themen bearbeitet sowie ein Standpunkt gefunden, der die Basis für die weitere Diskussion in der Zentralen Planungsgruppe darstellt. Die Zentrale Planungsgruppe hat die Funktion, die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen zu beleuchten und Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen werden notwendige Entscheidungen für die Projektumsetzung getroffen.

Abbildung 1: Das "Bioenergiedorf" will einen Beitrag für die Umsetzung nachhaltiger Lebensweisen am Beispiel der Strom- und Wärmeversorgung eines ganzen Dorfes leisten

Am 21.05.02 hat sich die "Bioenergiedorf Jühnde Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)" als Vorgesellschaft für die Umsetzung des Projektes gegründet. In einer späteren Phase des Projektes soll die Vorgesellschaft in eine Betreibergesellschaft überführt werden, wahrscheinlich in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Die Vorgesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die aktuell notwendigen Schritte für die Umstellung der Wärme- und Stromversorgung auf die Basis von Biomasse in die Wege zu leiten. Im differenziert ausgearbeiteten Gesellschaftsvertrag wurden folgende Aufgaben der GbR festgeschrieben: sie tritt nach außen als juristische Person auf, bringt die weiteren Planungsphasen voran, schließt Vorverträge mit den Wärmekunden und Lieferanten, stellt Anträge für die weitere Förderung des Projektes und bereitet den Gesellschaftsvertrag und die Gründungssitzung der Betreibergesellschaft vor.

Fazit

Der Ansatz der partizipativen Planung hat sich in Jühnde bewährt. Durch die Initiierung unterschiedlicher Arbeitsformen konnten demokratisch legitimierte Arbeits- und Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden, die es dem interessierten Teil der Dorfbevölkerung ermöglichte, sich am Planungsprozess zu beteiligen, eigene Kompetenzen einzubringen und mit einem hohen Grad an Verbindlichkeit alle wesentlichen Fragen des Projektes zu bearbeiten.
Die Jühnder haben die Projektidee der Universität aufgegriffen und das Projekt zu ihrem eigenen gemacht. Dies drückt sich auch in der bisher erreichten hohen Anschlussdichte aus: Gegenwärtig haben 63% der Haushalte (dies entspricht 71% des Wärmebedarfs) einen rechtverbindlichen Vorvertrag zum Anschluss an das Nahwärmenetz unterschrieben.

Literatur:
Selle, K. (1999): Kommunikation, Beteiligung und Kooperation im Rahmen der Lokalen Agenda 21, In: Rösler, Cornelia (Hg.): Lokale Agenda 21 auf Erfolgskurs, Berlin.
Selle, K. (o. J.): Was ist bloß mit der Planung los? Erkundungen auf dem Weg zum kooperativen Handeln. Ein Werkbuch. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 69, Institut für Raumplanung (IRPUD), Universität Dortmund, Dortmund.

 

*) Dipl.-Sozialwirt Lars Degenhardt, Universität Göttingen, Deutschland, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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