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2004-04: Windenergie zwischen Euphorie und Widerstand

Windenergienutzung international

Die Windindustrie von heute erfüllt die Voraussetzungen, sich bis 2020 zu einem dynamischen und innovativen Geschäftsfeld mit einem Jahresumsatz von 80 Milliarden Euro zu entwickeln, das Energienachfragen weltweit befriedigen und eine neue Ära von Wirtschaftswachstum, technologischem Fortschritt und Umweltschutz einleiten kann.

Windkraft international

Von Oliver Schäfer*

Windenergie ist eine bedeutende Ressource mit großem Potenzial. Sie ist sicher, sauber und unbegrenzt vorhanden und gewährleistet eine zuverlässige und noch dazu unerschöpfliche Energieversorgung. Die Windindustrie ist der weltweit am schnellsten wachsende Energiesektor und bietet in Kombination mit anderen erneuerbaren Energietechnologien die besten Chancen, den Übergang zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft zu vollziehen.
Seit den Prototypen der noch vor 20 Jahren gebräuchlichen Windenergieanlagen hat sich viel getan. Nach zwei Dekaden technologischen Fortschritts sind Windturbinen heute auf dem neuesten Stand der modernen Technik - modular und rasch zu installieren.
Eine einzige Windturbine kann heute 200-mal mehr Energie erzeugen als ihre Vorgängerin vor zwei Jahrzehnten. Anders als andere "Lösungen" für saubere Energie und Klimaschutz braucht Windkraft weder erfunden zu werden noch besteht die Notwendigkeit, auf einen magischen "Durchbruch" zu warten; sie ist schon jetzt weltweit einsatzbereit. Moderne Windparks liefern Grundlastenergie ebenso wie konventionelle Kraftwerke. Die Zukunft wird zeigen, dass die Grenzen des technischen Fortschritts auf diesem Sektor noch lange nicht erreicht und seine Vorteile noch weit größer sind.

Weltweit installierte Leistung 2003

Im Jahr 2003 waren weltweit mehr als 40.000 MW Windkraft installiert. Alleine im Jahr 2003 betrug der Zuwachs mehr als 8.000 MW, die installierte Leistung wuchs jährlich um mehr als 30%.
Die heute installierte Leistung reicht aus, um den Energiebedarf von rund 19 Millionen durchschnittlichen europäischen Haushalten mit fast 47 Millionen Menschen zu decken. Obwohl mehr als 70% dieser Leistung aus Europa stammen, beginnen auch andere Regionen als wichtige Märkte hervorzutreten. Über 50 Länder in aller Welt nehmen zur Zeit am Markt für Windenergie teil. Die Zahl der Arbeitskräfte in der Windindustrie wird auf mehr als 100.000 geschätzt.

Abbildung 1: Top-10 Windenergiemärkte des Jahres 2003, kumulierte Leistung in MW (Quelle: EWEA, Windforce12)

 
Gesamtkapazität
Ende 2003 in WM
Deutschland
14.612
Spanien
6.420
USA
6.361
Dänemark
3.076
Indien
2.125
Niederlande
938
Italien
922
Japan
761
Großbritanien
759
China
571
Andere
3.756
Weltweit
40.301

Vor allem die europäische Windindustrie mit Wachstumsraten von jährlich mehr als 30% in den vergangenen Jahren nimmt eine herausragende Stellung ein. Bereits heute hat die Branche alleine in Europa einen Jahresumsatz von mehr als 6 Milliarden Euro zu verzeichnen.
Es zeichnet sich ab, dass sich das Wachstum in den Vorreiterländern Deutschland und Dänemark in den kommenden Jahren abschwächen wird und andere europäische Märkte aufschließen werden. Marktbeobachter erwarten in den kommenden Jahren ein Boom in Großbritannien. Aufgrund der euopäischen Gesetzgebung, die den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion bis 2010 von heute etwa 15% auf 22% erhöhen will, sind die Erwartungen auch in anderen Ländern groß. Ohne einen erheblichen Anteil der Windenergie wird dieses Ziel nämlich nicht zu erreichen sein.

Hochgesteckte Ziele

So sind auch die Zielsetzungen der European Wind Energy Association (EWEA) hochgesteckt. Das politische Sprachrohr der europäischen Windindustrie zeigt auf, dass bis zum Jahre 2010 75.000 MW Windenergieleistung in Europa installiert sein können, davon 10.000 MW offshore. Dies würde bedeuten, dass die Windenergie mit einer jährlichen Stromproduktion von fast 170 TWh etwa 5,5% des europäischen Strombedarfs deckt.
Die weltweite Entwicklung zeigt aber auch ganz deutlich, dass der Erfolg der Industrie bisher auf den Anstrengungen einiger wenigerLänder beruht, massgeblich Deutschland, Spanien, USA und Dänemark.
Beim Vergleich der Windenergie-Potenziale dieser Länder wird deutlich, dass die Marktentwicklung nicht im Zusammenhang mit den tatsächlich vorhandenen Resourcen steht. So gibt es beispielsweise in Großbritannien ein wesentlich größeres ökonomisch und ökologisch sinnvoll nutzbares Potenzial als etwa in Deutschland, und dennoch hat bis vor kurzem am dortigen Markt quasi Stillstand geherrscht. Erst mit neuen politischen Rahmenbedingungen gibt es auch dort erhebliche Marktentwicklungen zu verzeichnen.

Abbildung 2: Weltweite Windressourcen (gesamt 53.000 TWh) (Quelle: "Renewable Energy sources for Fuels and Electricity", Chapter 4, Wind Energy: Recources, Systems and Reagional Strategies, Michael Grubb and Neils Meyer, Island Press, Wanshington DC, 1994)

Wassertiefe
Bis 10 km
vor der Küste
Bis 20 km
vor der Küste
Bis 30 km
vor der Küste
10 m
551
577
596
20 m
1.121
1.402
1.523
30 m
1.597
2.192
2.463
40 m
1.852
2.615
3.028

Offshore-Wind

Die Länder mit den momentan größten Zuwachsraten werden auch in der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen, sowohl bei der Onshore als auch bei der Offshore-Nutzung von Windenergie. So ist etwa in Deutschland und Dänemark das Potenzial von Offshore-Windanlagen bisher noch quasi ungenutzt, obwohl es in beiden Ländern enorm ist.
Prinzipiell sind Offshore-Standorte Neuland für die gesamte Windindustrie. Allein in Nordeuropa sind in einem Dutzend Länder viele tausend Megawatt Leistung vor den Küsten geplant. Eines Tages wird das neue Offshore-Geschäft den Öl- und Gasproduzenten auf ihrem angestammten Territorium Konkurrenz machen.
Das Hauptmotiv für die Küstenstandorte sind die beträchtlich höheren und besser vorhersagbaren Windgeschwindigkeiten auf See. Bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von deutlich mehr als acht Meter pro Sekunde in nur 60 Metern Höhe erwartet man sich von den meisten in Betracht kommenden Meeresstandorten Europas eine um 20-40% höhere Energieausbeute als an Land. Ein zweiter Vorteil ist, dass die Auswirkungen auf die Landschaft deutlich geringer sein werden, da die Mehrzahl der geplanten Offshore-Windparks von der Küste aus kaum nicht sichtbar sein werden.

Abbildung 3: Offshore-Windpotenzial in Europa, TWh/Jahr (Quelle: "Study of Offshore Wind Energy in the EC", Garrad Hassan &Germanischer Lloyd, 1995)

Momentan ist die Stromproduktion auf See aufgrund der Bedingungen an den Standorten deutlich teurer als an herkömmlichen Standorten an Land. Die Industrie wird aber bei steigender Nachfrage bei Standortkomponenten- und Anlagen für billigeren Einsatz sorgen, wie dies bei Anlagen an Land bereits geschieht.
Als Teillösung des Kostenproblems tendiert die Industrie zu Projekten von zunehmender Größe, aufgrund derer sie von Einsparungen profitieren kann und die Gesamtgestehungskosten sinken. Für einige der vor den Küsten Deutschlands und Großbritanniens geplanten Projekte sind Gesamtkapazitäten von mehr als 1.000 MW angestrebt.
Zugleich werden jetzt schon Turbinen mit einer Leistung von mehr als 5 MW sowie speziellen Eigenschaften für den Einsatz auf See hergestellt, um die Offshore-Nachfrage zu decken.
Auch bei der Offshore Technologie sind es wieder nur eine Handvoll Länder, die sich an die Spitze der Entwicklung gesetzt haben.
Dass es weitreichende Auswirkungen hätte, wenn sich andere Länder in ähnlichem Ausmass diesen Bemühungen anschliessen würden, liegt auf der Hand.

Perspektiven

Die Erwartungen an die künftige Entwicklung der Windindustrie sind hoch gesteckt. Wenngleich auch klar ist, dass Wachstumsraten von mehr als 30% wie in der Vergangenheit nicht auf Dauer zu erzielen sind, so geht die Windindustrie doch zumindest davon aus, dass bis 2020 Wachstumsraten von 20-30% erzielt werden können. Erst danach wird es zu einem deutlichen Rückgang der Wachstumsraten kommen. Tabelle 1 zeigt ein weltweites Szenario für die Entwicklung erneuerbarer Energien unter der Voraussetzung positiver politischer Unterstützung.
Eine eigene Studie von EWEA -"Windforce12"- kommt zu dem Schluss, dass es möglich sein wird bis zum Jahr 2020 etwa 12% des weltweiten Strombedarfs durch Windenergie zu decken.

Wachstumsprognose
erneuerbare Energien
2001 - 2010
2010 - 2020
2020 - 2030
2030 - 2040
28%
20%
7%
2%

Tabelle 1: Prognose für die weltweite Entwicklung erneuerbarer Energien bis 2040 (Quelle: EREC, "RES Scenario up to 2040")

Abbildung 4 zeigt auch die regionalen Erwartungen. Die bedeutendsten Anteile werden demnach weiterhin die heutigen Vorreiter in Europa und Nordamerika haben, gefolgt von China.

Abbildung 4: Anteil der Windenergienutzung weltweit, Prognose für 2020

Region Anteil von 1.200 GW
Windenergie 2020 [GW]
10 m 551
20 m 1.121
30 m 1.597
40 m 1.852

Rahmenbedingungen

Allerdings sind diese Prognosen an gewisse Bedingungen geknüpft. So sind sowohl auf der internationalen als auch auf der nationalen Ebene politische Massnahmen notwendig.
Die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls und dessen Umsetzung ist eine der Hauptvoraussetzungen, die geschaffen werden müssen. Ebenso müssen die internationalen Finanzinstitutionen ihr Finanzierungsportfolio zugunsten von erneuerbaren Energien umstellen, die Subventionierung konventioneller und nuklearer Energieprojekte muss auslaufen.
Auf der nationalen Ebene müssen gesetzlich verbindliche Ziele für erneuerbare Energien und stabile, langfristige Rahmenbedingungen für Investoren geschaffen werden. Der Abbau von Hemmnissen für erneuerbare Energien auf dem Strommarkt, sowie der Abbau von sonstigen Marktverzerrungen sind unabdingbar.
Wenn dann auch noch eine Internalisierung externer Kosten der fossilen und nuklearen Stromerzeugung erfolgt, wird die Windindustrie weiterhin ein boomender Wirtschaftszweig bleiben.
Derzeit ist es so, das nicht dort, wo das größte Potenzial liegt, sondern dort, wo die stabilsten politischen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, der Markt am schnellsten wächst. Um konstante Wachstumsraten und einen stetig steigenden Anteil von Windenergie am Stromverbrauch zu erreichen, ist es daher unabdingbar, einige Voraussetzungen zur Stimulierung der Industrie zu schaffen. Ein fairer Wettbewerb und vergleichbare Marktzugangsbedingungen auf dem Strommarkt müssen für alle Wettbewerber garantiert werden, ebenso wie eine Kompensation der vermiedenen externen Kosten durch die Nutzung der Windenergie.
Derzeit gibt es weltweit keinen fairen Wettbewerb im Energiebereich. Konventionelle Energieträger wurden und werden global subventioniert. UNEP verweist auf Studien, wonach sich die Subventionen in der konventionellen und nuklearen Energiewirtschaft jährlich zwischen mindestens 60 und 250 Milliarden US Dollar bewegen. Dabei sind die externen Kosten der konventionellen und nuklearen Stromerzeugung noch gar nicht eingerechnet.
Um diese Nachteile auszugleichen und um den relativ neu auf dem Markt konkurrierenden erneuerbaren Energien eine faire Chance zu geben, haben die genannten Länder stabile und langfristige Fördermechanismen geschaffen. Diese sind auch die Voraussetzung für eine Einschätzung der künftigen Wachstumsmärkte.
Man kann davon ausgehen, dass die Europäische Union weiterhin eine der aussichtsreichsten Märkte für die Windenergie bleiben wird. Schon heute werden etwa 90% der weltweiten Produktion von neuen Anlagen in Europa hergestellt. Dies ist zwar nicht gleichbedeutend mit der neuinstallierten Leistung, aber es bedeutet, dass die Windenergie zu einem europäischen Exportschlager geworden ist.
Aber auch andere Märkte außerhalb Europas werden künftig eine bedeutende Rolle spielen. Bereits heute gibt es beispielsweise in Indien einen prosperierenden Markt und die Erwartungen sind weiterhin hoch. Ebenso hat sich China ein ambitioniertes Ziel gesteckt: Bis 2020 sollen dort 10% des Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Der Anteil der Windenergie daran wird bedeutend sein.

EREC ist der Dachverband der Europäischen erneuerbaren Energienverbände und repräsentiert Industrie, Handel und Forschung in den Bereichen Wind, Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie, kleine Wasserkraft und Biomasse.
EWEA ist Gründungsmitglied von EREC.

*) Oliver Schäfer ist ist Policy Advisor bei EREC, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.erec-renewables.org [^]

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