Zeitschrift EE

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2004-04: Windenergie zwischen Euphorie und Widerstand

Energiepolitik

Die Verantwortlichen im Energiesektor richten sich nach überholten Modellen aus dem vorigen Jahrhundert.

Wer nachhaltige Stromversorgung will, braucht Windkraft

Von Marcel Krämer*

Um aber eine verlässliche, nachhaltige und ökonomische Energieversorgung auch in Zukunft sicher zu stellen, muss völlig umgedacht werden, argumentiert der deutsche Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Marcel Krämer. Das von ihm entwickelte Modell zeigt, dass bis zu einem vollständigen Umstieg auf ein nachhaltiges Energiesystem gerade wegen der Windkraft die Kosten nicht steigen /1/.
Über die künftige Struktur der Stromversorgung in Deutschland wird "der Markt" allein nicht entscheiden können, um ein verlässliches, nachhaltiges aber auch ökonomisches System zu gewährleisten. Stattdessen sollte - auch aufgrund der absehbaren Entwicklung bezüglich der Erzeugungskapazitäten - schon jetzt die Diskussion über die Stromversorgung der Zukunft geführt werden. Denn: Es werden letztlich politische Entscheidungen sein, die die Richtung der Entwicklung vorgeben.

Die alte, unflexible Struktur

Die Struktur der Stromerzeugung mit der Unterscheidung in "Grund-, Mittel- und Spitzenlast" entstand aus der Erkenntnis, dass der Verlauf der Stromnachfrage vergleichsweise regelmäßig und gut prognostizierbar ist - insbesondere, wenn es sich um große Gebiete mit vielen Verbrauchern handelt. Dadurch konnte der Bedarf in die drei Bereiche eingeteilt werden. Für jeden dieser Bereiche wurden angepasste Erzeugungskapazitäten entwickelt. Der permanente Strombedarf, die so genannte Grundlast, wird so zum Beispiel durch die Atomkraftwerke und Braunkohlekraftwerke abgedeckt. Diese Kraftwerkstypen sind für hohe Volllaststundenzahlen, üblicherweise zwischen 7000 und 8000, ausgelegt. Damit sind auch zwei charakteristische Merkmale festgelegt: Zum einen ist aufgrund der hohen Investitionskosten der Anlagen der im Vergleich zu anderen Kraftwerkstypen wirtschaftlich konkurrenzfähige Betrieb erst bei hoher Auslastung gegeben und zum zweiten sind solche Anlagen praktisch nicht geeignet, kurzfristige Leistungssprünge zu vollziehen.
Für die so genannte Mittellast, das ist die Nachfrage, die sich alltäglich durch den am Morgen steigenden und am Abend wieder sinkenden Bedarf auszeichnet, sind typischerweise Steinkohlekraftwerke vorgesehen, die bauartbedingt kürzere Anfahr- und Reaktionszeiten haben. Zudem kann ein wirtschaftlich konkurrenzfähiger Betrieb schon mit 4000 Volllaststunden erreicht werden.
Die so genannte Spitzenlast, die Nachfragespitze, die an Werktagen üblicherweise zu den Mittagsstunden, im Winter auch in den Abendstunden auftritt, wird im Wesentlichen durch schnelle Gaskraftwerke abgedeckt. Diese Anlagen zeichnen sich neben der guten Steuerbarkeit durch vergleichsweise geringe Investitionskosten aus, wodurch auch weniger als 2000 Volllaststunden einen Betrieb wirtschaftlich konkurrenzfähig machen können.

Abbildung 1: Die Diskussion über die Stromversorgung der Zukunft muss jetzt geführt werden (Foto: IG Wind)

Grundlastkraftwerke

Eine solche Aufteilung mit fest zugeordneten Kraftwerkstypen für bestimmte Zwecke basiert auf der Annahme fester Strukturen, die sich (auch zukünftig) nicht ändern. Für den Bau der kapitalintensiven "Grundlastkraftwerke" waren energiepolitisch sichere Rahmenbedingungen notwendig, in denen klar sein würde, dass die erbauten Anlagen auch die projektierte Volllaststundenzahl erreichen. Dies war insofern gegeben, dass es durch die Gebietsmonopole keine anderen Stromerzeuger gab und so die Erzeugung auf die festen Abnehmerstrukturen angepasst werden konnte. Der umgekehrte Weg, die Anpassung der Verbrauchsstrukturen an die Erzeugung, fand zum Beispiel durch die durch die Energieversorgungsunternehmen forcierte Verbreitung der strombetriebenen Nachtspeicherheizöfen statt.
Darüber hinaus nahm die Politik durch die Genehmigung und Durchsetzung der Kraftwerksstandorte erheblichen Einfluss auf die heute existierende Struktur der Stromerzeugung. Das "historisch gewachsene System" basiert also auf Entscheidungen, die Politik und Energieunternehmen in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als angebracht und sinnvoll erachtet haben. Damals war von Liberalisierung oder Klimaschutz jedoch nicht einmal ansatzweise die Rede. Die heutigen Rahmenbedingungen haben sich nun grundlegend geändert.
Nach Ansicht der Netzbetreiber steigen die Kosten des Netzbetriebs insbesondere aufgrund der gestiegenen Einspeisung fluktuierender Windenergie, was einen erhöhten Anteil so genannter Regelenergie erfordere, die aufgrund ihrer kurzfristigen Verfügbarkeit ein Mehrfaches an Kosten verursacht.
An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie die Denkweise der im Energiesektor Verantwortlichen sich weiterhin an dem oben beschriebenen Modell des vergangenen Jahrhunderts orientiert: Aufgrund der unflexiblen Struktur der derzeitigen Erzeugung mit ihrem hohen Anteil an Braunkohle- und Atomstrom passt die fluktuierende Erzeugung aus Windenergie nicht ins System, denn durch deren weiter wachsenden Anteil müssten gegebenenfalls bald auch die "Grundlastkraftwerke" in ihrem Betrieb eingeschränkt werden, was diese im Endeffekt unwirtschaftlich werden ließe. Deshalb kann ein weiterer Ausbau der Windenergie nicht im Sinn der Betreiber konventioneller Kraftwerke sein.

Erneuerung der Erzeugungskapazität

Nun müssen aber bis 2020 mehr als 50 GW Erzeugungskapazität in Deutschland altersbedingt oder wegen dem beschlossenen Atomausstieg ersetzt werden. Diese Notwendigkeit zur Erneuerung könnte nun dazu genutzt werden, den begonnenen Weg, die Stromerzeugung in Deutschland zu einem nachhaltigen System zu entwickeln, fortzusetzen. Dies hieße auch, die CO2-Minderungsziele ernst zu nehmen und somit bis 2020 die Emissionen (auch) im Energiesektor um 40% gegenüber 1990 zu reduzieren. Dies kann nur mit der intensiven Nutzung der regenerativen Energien gelingen, dabei spielt die Windenergie und besonders die Offshore-Windenergie eine herausragende Rolle.

Abbildung 2: Bis 2020 müssen mehr als 50 GW Erzeugungskapazität in Deutschland altersbedingt oder wegen dem beschlossenen Atomausstieg ersetzt werden. (Foto: IG Wind)

Der optimale Energiemix

Die vom Autor vorgelegte "Modellanalyse zur Optimierung der Stromerzeugung bei hoher Einspeisung von Windenergie" untersuchte die gesamtwirtschaftlichen Kosten der zukünftigen Stromerzeugung unter Berücksichtigung der zurückliegenden und zu erwartenden Entwicklung des Ausbaus der Windenergienutzung. Im Unterschied zu bisherigen Ansätzen zur Beurteilung der deutschen energiewirtschaftlichen Entwicklung erfolgte keine Fortschreibung des Status Quo, sondern die charakteristischen Eigenschaften der Windenergie (fluktuierende und eingeschränkt vorhersagbare Stromerzeugung) wurden explizit berücksichtigt. Das im Rahmen der Untersuchung entwickelte Modell "WEsER" (Wind Energy substitutes conventional Electricity Resources) errechnet unter Vorgabe der Rahmenbedingungen (u.a. CO2-Minderungsziele, Restbestände vorhandener Erzeugungskapazitäten und typischem Einspeiseverlauf der Windkraftanlagen sowie der repräsentativen Lastkurve) den unter Kostengesichtspunkten optimal zusammengesetzten Kraftwerkspark.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Kosten der Stromerzeugung im Jahre 2020 nicht trotz, sondern gerade wegen der Windenergienutzung auf etwa dem gleichen Niveau wie 2000 verharren. Im direkten Vergleich zur Erreichung der Klimaschutzziele zeigt sich die Nutzung der Windkraftanlagen als der kostengünstigste Ansatz. Dabei steigt die Leistung der installierten Windkraftanlagen, von denen mehr als die Hälfte als Offshore-Anlagen erwartet werden, auf über 40 GW.

Randbedingung Klimaschutz

Große Bedeutung kommt auch der im EEG festgeschriebenen vorrangigen Abnahme des regenerativ erzeugten Stroms zu. Führt diese "planwirtschaftliche" Maßnahme nicht zu erheblichen Mehrkosten? Die Untersuchungsergebnisse widerlegen diese Befürchtungen. Im Gegenteil: Werden die Klimaschutzziele als harte Randbedingung vorgegeben, zeigt sich, dass die Gesamtkosten der Stromerzeugung auch unter marktwirtschaftlichen Voraussetzungen das gleiche Niveau erreichen. Es spricht also unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten nur wenig für einen liberalisierten Energiemarkt - falls die zu erreichenden Ziele klar und vorgegeben sind.

Abbildung 3: Mittels Windkraftanlagen kann Strom praktisch emissionslos erzeugt werden. (Foto: IG Wind)

Der optimale Kraftwerkspark

Eindeutig sind die Ergebnisse auch hinsichtlich der optimalen Kraftwerksparkstruktur: Statt den Braunkohle- und Atomkraftwerken, deren Anteil zur Stromerzeugung in 2020 gering bliebe, wäre ein großer Anteil schnell reagierender Gaskraftwerke zur Kompensation der fluktuierenden Erzeugung aus Windenergie notwendig. Interessanterweise weist das Untersuchungsergebnis aber trotz der Klimaschutzziele auch noch einen erheblichen Anteil an Stromerzeugung aus Steinkohle auf. Das CO2-Minderungsziel von 40% kann aber trotzdem wegen der praktisch emissionslosen Erzeugung aus Windenergie erreicht werden.

Literatur
/1/ Der Artikel erschien in der Zeitschrift WINDENERGIE, der IG Windkraft Österreich www.igwindkraft.at, Ausgabe 31, Dezember 2003 und ist ein gekürzter Artikel aus der Frankfurter Rundschau online www.fr-aktuell.de.

*) Dr. Marcel Krämer ist Physiker und Wirtschaftswissenschaftler aus Bremen. Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Windenergieforschung For-Wind in Oldenburg, www.forwind.de, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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