Zeitschrift EE

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2009-03

Nachhaltige Gebäude

Abbildung 1:Nord-Ansicht (Quelle: Arch. DI Erwin Kaltenegger)

Das internationale Forschungsprojekt “NZEB – Towards Net Zero Energy Solar Buildings” wird im Rahmen eines „IEA-Joint Projects“ der beiden Programmlinien „SHC – Solar Heating and Cooling“ und „ECBCS – Energieeffizienz in Gebäuden und Kommunen“ abgewickelt. Mittlerweile diskutieren ExpertInnen aus 20 Nationen über „Null-Energie-Gebäude“ in Wärme- und Stromnetzen.

Über das „Null-Energie-Gebäude“ zum „Plus-Energie-Haus“?

Von Sonja Geier *

„Ab 2019 dürfen in Europa nur mehr Gebäude errichtet werden, die mindestens ebenso viel Energie vor Ort erzeugen, wie sie verbrauchen“ – so lautet ein Beschluss des Europäischen Parlamentes vom 23. April 2009. Durch nationale Pläne sollen alle EU-Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass nach dem 31.12.2018 alle Neubauten dem Null-Energie-Standard entsprechen. Die Definition für „Netto-Null-Energie-Gebäude“ in Artikel 2 beschreibt diese als Gebäude, „…..wo als Folge der sehr hohen Energieeffizienz des Gebäudes, der jährliche Primärenergieverbrauch gleich oder kleiner als die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen vor Ort ist.“ Bis Ende 2010 soll, laut Artikel 9, die Kommission eine detaillierte einheitliche Definition der „Netto-Null-Energie-Gebäude“ festlegen.[1]
In Österreich findet man das „Null-Energie-Konzept“ vor allem als Basis für „Plus-Energie-Gebäude“ – wie z.B. die Programmlinie „Haus der Zukunft Plus“ in seiner 1. Ausschreibung 2008 definiert: „Die langfristige Vision für das „Gebäude der Zukunft ist, die energetische Effizienz bezüglich Produktion und Betrieb derart zu erhöhen, dass über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden die treibhausgasrelevanten Emissionen in Summe auf Null reduziert werden.“ Dies soll über die „Weiterentwicklung der technologischen Basis des Niedrigst- bzw. Null-Energie-Hauses hin zum Plus-Energie-Haus……“ [2] geschehen.
Ein genauer Blick zeigt allerdings, dass hinter der unterschiedlichen Namensgebung eine gemeinsame Frage steht: wie eine europäische oder international harmonisierte Methodik zur primärenergetischen Bilanzierung aufgestellt werden kann, die auf eindeutigen und wissenschaftlichen Grundlagen basiert. Die vorherrschende Begriffsvielfalt kann nationales Engagement verstärken, aber Klimaschutz als globales Interesse braucht Vergleichbarkeit und gemeinsames Verständnis in der Bewertung.
Seit Oktober 2008 beschäftigt sich eine ExpertInnengruppe innerhalb des „IEA Joint Projects“ sowohl mit der Begriffsdefinition und internationalen Harmonisierung der Bewertungskriterien, als auch mit der Entwicklung neuer Systemkonzepte für „Net Zero Energy Solar Buildings“. Der Weg führt zu einer Integration von Gebäuden in Wärme- und Stromnetze. Trotz höchster Energieeffizienz des einzelnen Gebäudes verbleibt ein Restbedarf an saisonal unterschiedlichen Energieanforderungen, die durch die Nutzung von Netzen als „Speicher“ technisch einfach und ökonomisch abgedeckt werden können.
Bereits der Projektbeginn wird durch intensive Diskussionen über die Ausformulierung der Anforderungsprofile an Gebäude, Begriffsbestimmungen und Bewertungsgrundlagen charakterisiert. Gleichzeitig werden bereits realisierte, beispielhafte Siedlungen und Gebäude analysiert und deren Energieströme in unterschiedlichen Bilanzierungsmodellen gegenübergestellt, um die theoretischen Kennwerte und Bewertungsansätze auf ihre Praxistauglichkeit und Auswirkungen überprüfen zu können.

„Plusenergiesiedlung“ in Weiz

Zu den ersten, im Rahmen dieses Projektes, analysierten Objekten in Österreich, zählt die „Plusenergiesiedlung“ im Südwesten von Weiz.
Die Grundstücke für die Wohnbebauung konnten von der Stadtgemeinde im Jahr 2003 unter der Voraussetzung erworben werben, dass es durch deren Betrieb zu keiner zusätzlichen Freisetzung von Schadstoffen kommt [3].
Konzeption und Planung der Anlage basieren auf der Weiterentwicklung des Prototyps „Tanno meets Gemini“ – welcher aus der Kooperation zwischen Arch. DI Erwin Kaltenegger und dem Holz- und Zimmereibetrieb Herbitschek entstanden ist. Die ELIN Siedlungsgenossenschaft konnte als BauträgerIn für die Umsetzung des ambitionierten Projektes gewonnen werden.
Acht Wohneinheiten zu je ca. 90 m² und eine Wohnung zu 105 m² Nutzfläche wurden im ersten Bauabschnitt in drei Gebäudezeilen realisiert. Abbildung 2 zeigt den Lageplan des ersten Bauabschnittes der Anlage.

Abbildung 2: Lageplan Bauabschnitt 1 (Quelle: Arch. DI Erwin Kaltenegger)

Die Ausführung der Objekte erfolgte mittels Holzfertigteilen. Passivhausqualität wurde durch die hochwertige Ausführung der Gebäudehülle und dem Einbau von Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung erzielt. Die Warmwasserbereitung und Raumheizung erfolgt über eine Luft-Luft-Wärmepumpe mit zusätzlichen Erdkollektoren. So wird im Winter die Zuluft über die Erdkollektoren vorgewärmt und im Sommer entsprechend vorgekühlt. Der Ausgleich des geringen Restenergiebedarfes in der Jahresbilanz wird, von den Wohnungen zugeordneten Photovoltaikanlagen im Ausmaß von je 40 m² bzw. 4,95 kWp geschaffen. Die Einheiten wurden so konzipiert, dass sie theoretisch jederzeit der entsprechenden Wohnung zugeordnet werden können, zurzeit erfolgt der Betrieb jedoch als Gesamtanlage. Die Speicherproblematik - zeitlich und saisonal bedingte Disbalancen zwischen Verbrauchsspitzen und Energieproduktion - wird mit der Integration der Siedlung in das Stromnetz gelöst.

Abbildung 3: Südwest-Ansicht über beide Bauabschnitte. Die Energieerzeugung vor Ort findet durch die auf den Dächern installierte Photovoltaikanlage statt. Die Module sind so verschaltet, dass eine Zuordnung je Wohneinheit möglich ist.
( Quelle: Arch. DI Erwin Kaltenegger)

Zum Zeitpunkt der Konzeptentwicklung und Umsetzung der „Plusenergiesiedlung“- in Weiz gab es weder national noch international eine Methodik zur Bewertung des „Plusenergie“- Ansatzes. Die Bilanzmodelle wurden durch das Planungsteam auf Basis des Endenergiebedarfes erstellt, jedoch bereits inklusive Beleuchtung und Haushaltsstrom. Eine positive Energiebilanz wurde durch die ersten Hochrechnungen während der Planung prognostiziert.
Nach drei Jahren Betrieb wurden nun die Daten im Rahmen des „IEA Joint Projects NZEB“ – anonymisiert - ausgewertet. Zur Auswertung wurden die Verbrauchs- und Ertragszahlen aus den Jahren 2006-2008 gemittelt [4]. Die Bilanzierung und Auswertung erfolgt im ersten Schritt auf Basis der Endenergie.

Abbildung 4: Gegenüberstellung der Gesamtstromerträge der einzelnen Photovoltaikanlagen zum Stromverbrauch einzelner Wohneinheiten (Zahlen repräsentieren den Durchschnitt aus drei Jahren)

In Abbildung 4 ist der Gesamtstromertrag der zugeordneten PV-Anlage dem Stromverbrauch je Wohneinheit gegenübergestellt. Der Gesamtstromverbrauch setzt sich aus dem Energieaufwand für Heizung, Lüftung, Warmwasser und dem Haushaltsstrom (Beleuchtung, Kochen, Endverbrauchsgeräte,..) zusammen. Die Differenz aus dem Ertrag der jeweils zugeordneten Photovoltaikanlagen zum Gesamtstromverbrauch ergibt in der Mehrzahl der Wohnungen einen Überschuss. Das dargestellte Modell auf Basis der Endenergie bestätigt somit die Plus-Energiebilanz bis auf wenige Ausnahmen. Die Schwankungen und Differenzen im Gesamtstromverbrauch können aber nur bedingt aus der unterschiedlichen Personenzahl je Wohneinheit oder aus eventuell energetisch ungünstiger Situierung der Wohnung erklärt werden (Randwohnung). Auch der Vergleich des durchschnittlichen Haushaltsstromverbrauches in der „Plusenergiesiedlung“ mit dem des durchschnittlichen österreichischen Haushalts im Jahr 2008 zeigt eher ein energiesparendes Verhalten der BewohnerInnen. Reduktionspotenzial ist hier sicher noch vorhanden. Erklärungen der Schwankungsbreiten liegen daher wahrscheinlich in einer Fortsetzung von Erkenntnissen aus dem Niedrigenergiehausbereich: Durch den geringer werdenden prozentuellen Anteil des Energieaufwandes für den Gebäudebetrieb (Heizung und Warmwasser) werden Schwankungen des Haushaltsstroms in der Energiebilanzierung immer wesentlicher. Umso wichtiger wird es zukünftig sein, nicht nur den Gebäudebetrieb, sondern auch die Nutzung energieeffizienter zu gestalten.
In weiterer Folge wurden die unterschiedlichen Erträge der zugeordneten Photovoltaikanlagen analysiert: Da alle Module gleich konzipiert und gebaut sind, wird eine Kongruenz auf Grund der Ausrichtung der einzelnen Anlagen vermutet. Leichte Abweichungen aus dem Azimutwinkel – bedingt durch die Anpassung der Gebäudezeilen an die Grundstückstopographie - ergeben auch (unwesentlich) geringere Ertragszahlen der Anlage.

Primärenergetische Bilanzierungsmodelle

Modelle auf Basis der Endenergie lassen allerdings keine Rückschlüsse über die umweltbezogene Bilanzierung der Energieströme oder die Bewertung unterschiedlicher Energieträger (aus fossilen oder erneuerbaren Energiequellen) zu.
Betrachtungen auf Basis der Primärenergie beziehen auch den Energieaufwand für die Bereitstellung eines Energieträgers inklusive dem Energieeinsatz aus den „vorgelagerten Prozeßketten“ mit ein. Die Problematik dieses Ansatzes ist aber, dass Systemgrenzen und Rechenmodelle für die Ermittlung von Primärenergiefaktoren zurzeit noch nicht harmonisiert sind. Nicht nur international, selbst im nationalen Kontext – wie in Österreich findet die Bewertung nach unterschiedlichen Quellen statt. Während in einigen Bereichen die Faktoren aus der ÖNorm EN 15603 herangezogen werden, findet man durch die Verwendung des Passivhaus-Projektierungspaketes (PHPP) auch Faktoren aus der DIN V 4701-10 (Ausnahme: Strom). Zusätzlich werden auch Kennwerte aus verschiedenen Versionen der Software „GEMIS“ (Globales Emissionsmodell Integrierter Systeme) für weiterführende Berechnungen als Basis herangezogen.

Null – Emission?

Primärenergetische Betrachtungen stoßen aber auch auf Grenzen, sobald man weiterführende Lebenszyklusbetrachtungen von Gebäuden anstellt. Die eingangs erwähnte Vision der Programmlinie „Haus der Zukunft Plus“ „….über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden die treibhausgasrelevanten Emissionen in Summe auf Null reduzieren zu können“ bedeutet nicht nur die Ausweitung des Betrachtungszeitraumes bis zum Abbruch des Gebäudes, sondern auch Überlegungen hinsichtlich des kumulierten Energieaufwandes.
Die Problemfelder sind in den Betrachtungen der CO2-Emission oder des kumulierten Energieaufwandes (KEA) jedoch ähnlich wie im Primärenergieansatz – unterschiedliche Faktoren, Berechnungen und Standpunkte zu möglichen Gutschriften.

Offene Fragen

Nicht nur die unterschiedliche Umrechnungsfaktoren stellen hier die Barrieren in der Vergleichbarkeit im europäischen oder internationalen Kontext dar, sondern auch die Fragestellung der Bewertung von Gutschriften für das Einspeisen der dezentral produzierten Energie aus erneuerbaren Energieträgern ins Netz.
Komplexere Bilanzierungsmodelle, die nicht nur einen Energieträger (wie „Strom“ am Beispiel der „Plusenergiesiedlung“) sondern auch dezentral produzierte erneuerbare Energieträger berücksichtigen müssen, werfen noch eine Reihe von Fragen auf.

Ist „Null- oder Plus-Energie“ schon möglich?

Alle Ansätze und Bilanzierungsmodelle beschäftigen sich damit, die vorhandenen Energieströme zu analysieren und zu bewerten. Unterschiede sind dabei bisher auch politisch motiviert. Das Beispiel der „Plusenergiesiedlung“ in Weiz zeigt aber, dass wir bereits heute ein Gebäude durch eine Vielzahl an baulichen und technischen Maßnahmen energetisch hocheffizient gestalten und betreiben können – „Null“- und sogar „Plus-Energie-Gebäude“ sind nicht nur möglich, sondern schon gebaut. Etwas können wir aber noch immer schwer beeinflussen: der Faktor „NutzerIn und EndverbraucherIn“ wird in der Gesamtenergiebilanz immer mehr zum Zünglein an der Waage.

Weitere Informationen:
www. iea-shc.org/task40

Literatur

  • [1] Europäisches Parlament: „Standpunkt des Europäischen Parlaments, festgelegt in erster Lesung am 23.April 2009 EP-PE_TC1-COD(2008)0223“. http://www.europarl.europa.eu; Download 28.08.09
  • [2] bmvit – Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (2008): ”Haus der Zukunft Plus. 1. Ausschreibung 2008 – Leitfaden für die Projekteinreichung”. Oktober 2008
  • [3] Büchl, N. (2005): „Sparsamer Wohnkomfort. Das PlusEnergie-Wohnprojekt in Weiz“. Wien 2005, Seite 55ff
  • [4] Auswertung Verbrauchszahlen aus Aufzeichnungen, die von der Hausverwaltung SG Elin unter Wahrung der Anonymität zur Verfügung gestellt wurden. Ertragszahlen der PV-Anlage nach Auskunft des Betreibers aus dem gleichen Zeitraum. Die Zuordnung der Erträge erfolgt laut theoretischer Zuordnung zwischen Wohneinheit und dem am Dach installierten Anlagenteil.
  • [5] Statistik Austria (2009): „Energiestatistik: Strom- und Gastagebuch 2008“. http://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_und_umwelt/energie/energieeinsatz_der_haushalte/035454
    .html; Download 18.08.2009
  • [6] Faninger G. (2009): „Bewertung der Wärmeversorgung von Gebäuden“. Klagenfurt, 2009; S.24

*) DI Sonja Geier ist Mitarbeiterin der AEE INTEC, Abteilung für Nachhaltige Gebäude. E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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