Zeitschrift EE

2019-03: Lebenszykluskosten von Gebäuden

Mehrwert und Prozessoptimierung von Niedrigstund Plusenergiegebäuden

Tobias Weiß, Regina Höfler, Armin Knotzer

Die Potenziale der Einflussnahme auf Energieoptimierung, Komfort und Kosteneffizienz als die wesentlichsten Merkmale der Planung von Niedrigst- und Plusenergiegebäuden liegen in den frühen Planungsphasen. Bereits in der Bedarfsplanung müssen Voraussetzungen geschaffen werden, um das Anforderungsprofil mit vollständigem Bauprogramm und eindeutigen Projektzielen zu definieren. Zu häufig scheitern erfolgversprechende Gebäudekonzepte daran, dass Projektbeteiligten die vielfältigen Wechselwirkungen ganzheitlicher Planungszusammenhänge nicht ausreichend bekannt und Zusatznutzen nachhaltiger Gebäude für BauherrInnen oft nicht monetär quantifizierbar sind.

Fotos: www.cravezero.eu

Prozessqualität

Um den Start in ein neues Planungsprojekt optimal gestalten zu können, müssen fachliche Qualifikationen und Rollenverständnisse geklärt sowie Aufgaben und Funktionen für den Planungsprozess vollständig erfasst und zugeordnet werden. Es ist die Aufgabe des Bauherrn als Projektmanager, ein Projektteam zusammenzustellen, welches den Anforderungen seiner Projektziele in jeder Leistungsphase (lebenszyklusorientiert) gerecht werden kann. Zur Aufstellung eines Projektteams gehört neben der Darstellung der fachlichen Kompetenzen auch die Definition der Schnittstellen und Kommunikationswege zur Klärung der Koordination und Kooperation im Projektablauf1,2. Das Ziel „Niedrigst- bis hin zu Nullenergie-Gebäudestandard“ muss bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts definiert werden. Für PlanerInnen bedeutet dies, dass sie die zukünftige Energiebilanz eines Gebäudes oder eines Gebäudeverbandes in jeder Planungsphase kennen müssen. Im Mittelpunkt steht die Substitution des Einsatzes fossiler Energie durch die Nutzung der vor Ort erzeugten, erneuerbaren Energie (z. B. Solarthermie, PV). Es wird so eine sogenannte Nullenergiebilanz angestrebt und als primärenergetische Bilanz im Idealfall über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes berechnet. Ob das jeweilige Nullenergie-Projekt tatsächlich auch in der Praxis erfolgreich ist, lässt sich jedoch erst nach mehreren Jahren Nutzungsdauer und nicht anhand detaillierter Berechnungen in der Planungsphase feststellen. Durch den stark reduzierten Heizwärme- und Kühlbedarf nimmt bei Nullenergiegebäuden der Haushaltsstrom sehr oft den größten Anteil am Gesamtenergiebedarf ein. Auf Grund des unterschiedlichen Nutzerverhaltens zeigen sich hier teilweise große Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Verbrauch und den berechneten Werten.

Nur eine simultane und umfassend interdisziplinäre Bearbeitung kann Abhängigkeiten zwischen Funktion, Form und Energie aufdecken und somit auch die vielfältigen Kostenauswirkungen von Maßnahmen identifizieren, bewerten und abwägen. Dies betrifft insbesondere die durch die Lebenszykluskostenberechnung nicht erfassbaren finanziellen Konsequenzen architektonischer Entscheidungen auf die Energiekosten. Aber auch die erweiterte Betrachtung der Umweltwirkungen bedarf entsprechender ExpertInnen und einer engen Zusammenarbeit, um zeitnah Varianten bewerten und vergleichen zu können. Die enge und iterative Zusammenarbeit reduziert zudem Informationsverluste sowie Planungskollisionen und verhindert dadurch zeit- und kostenintensive Planungsschleifen3. FachexpertInnen der Nachhaltigkeit sichern die Bearbeitung der geforderten Qualitäten bei Planung und Ausführung, insbesondere derjenigen, die vorab nicht quantitativ definierbar sind. Zusätzlich bedarf es der Absicherung von Planungsabläufen mithilfe von Vorgaben zu Terminen, Austauschmedien und operativen Hilfsmitteln. Mit Hilfe dieser kann eine zielführende Lösungsentwicklung gefestigt werden: Variantenentwicklung, vergleichende Lebenszyklusbewertung und ein stetiger Soll-Ist-Abgleich der Lösungsvorschläge mit den baulichen Zieldefinitionen dienen als Verfahren zur Qualitätssicherung die durch Angaben zu Prioriäten und Daten- bzw. Informationsgrundlagen für die Lebenszyklusberechnung zum wirkungsvollen Steuerungsinstrument der Bedarfsplanung wird.

Einflussparameter zur Erreichung von Null- und Plusenergiegebäuden in Anlehnung an4

AkteurInnenbezogene Abhängigkeiten und Korrelationen

Integrale Planung ist die Voraussetzung, um die Zielsetzungen für lebenszyklusorientierte Null- und Plusenergiegebäude erfüllen zu können. Dazu arbeiten ArchitektInnen und IngenieurInnen simultan und teamorientiert an der jeweils besten innovativen Lösung und kontrollieren deren qualitätsgerechte bauliche Umsetzung.

In der nachfolgenden Matrix werden die Korrelationen zwischen den unterschiedlichen Parametern dargestellt. Folgende Punkte werden dabei betrachtet:

  1. Parameter/ Technologie: Nutzung, Gebäudehülle, Wärmeversorgung, etc.
  2. AkteurIn: Hauptverantwortliche(r) AkteurIn für die jeweilige Technologie / den jeweiligen Parameter
  3. Spezifikation: Beschreibung des Parameters
  4. Relevante Korrelationen z. B. zwischen Gebäudehülle – Energiebedarf, Nutzung – Tageslichtversorgung, Lüftung – Kühlung, etc.

Die Matrix zeigt die Wechselwirkung einzelner Technologien untereinander und bildet die Grundlage zur Verbesserung des transdisziplinären Verständnisses energie- und kostenorientierter Zusammenhänge auf Seiten aller am Projekt beteiligten AkteurInnen: BauherrInnen, ArchitektInnen, FachplanerInnen, NutzerInnen, Facility ManagerInnen und anderen.

Korrelationsmatrix in Anlehnung an 5 – Abhängigkeiten zwischen Gebäudeparametern und AkteurInnen

Werden die Wechselwirkungen einzelner Parameter frühzeitig erkannt, können die jeweiligen AkteurInnen auf die Zusammenhänge reagieren und durch Absprachen eine Kostenreduktion bewirken. Diese positiven Auswirkungen ergeben sich beispielsweise, wenn die Hüllenqualität mit der Wärmeabgabe abgestimmt wird, da oftmals eine Überdimensionierung der Heizungsanlage erfolgt und somit nicht wirtschaftlich betrieben werden kann.

Zusatznutzen/ Co-Benefits

Außer den Optimierungskriterien und damit dem monetär direkt beurteilbaren Nutzen, gibt es noch für die einzelnen AkteurInnen unterschiedliche Nutzen und Zusatznutzen, welche oft nicht direkt monetär beurteilt werden können und somit in der Lebenszykluskostenanalyse auch nicht aufscheinen. Ein Teil dieser Nutzen und Zusatznutzen sind in der nachfolgenden Aufstellung dargestellt. Es geht hierbei um Aspekte wie Vermarktbarkeit, Vermietbarkeit, Wertentwicklung, Komfort aber auch um Image, Klimaschutz oder regionale Ziele wie die Energieautonomie. Weitere Co-Benefits von Null- und Plusenergiegebäuden wären geringe Betriebs- und Wartungskosten sowie gesteigerte Produktivität und verringerte Krankenstände der NutzerInnen7. Diese Nutzen und Zusatznutzen sind nach Möglichkeit bei der Entscheidungsfindung mit heranzuziehen.

Unterschiedliche Nutzen je nach Betrachtungsperspektive 6

Die Zusatznutzen (Co-Benefits) lassen sich in Anlehnung an Beyl8 hinsichtlich wirtschaftlicher Relevanz und monetärer Quantifizierbarkeit in vier Quadranten unterteilen (siehe Abbildung).

Wirtschaftliche Relevanz aus Investorensicht und Quantifizierbarkeit der Vorteile/Zusatznutzen von Niedrigstenergiegebäuden in Anlehnung an 8.

Energieeffiziente Gebäudekonzepte bieten oft einen höheren Wohn- oder NutzerInnenkomfort und eine höhere thermische Behaglichkeit. Auch die Lebensdauer der Gebäudehülle oder die Restnutzungsdauer des Gebäudes kann sich durch diese Maßnahmen verlängern, das Risiko für Tauwasser- oder Schimmelbildung wird reduziert. Dies stellt für NutzerInnen und EigentümerInnen einen nicht unerheblichen Zusatznutzen dar, jedoch ist dieser nicht ohne weiteres zu quantifizieren oder in Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu monetarisieren. Dieser Zusatznutzen kann sich jedoch indirekt in der Werthaltigkeit der Immobilie ausdrücken. Für private oder institutionelle EigentümerInnen können gerade die Aspekte des Zusatznutzens, beispielsweise thermischer Komfort oder Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit von MitarbeiterInnen, entscheidend für eine Investitionsentscheidung sein. Im EU-Forschungsprojekt „CRAVEzero“ wird ein Tool entwickelt, mit dem diese Effekte monetär mitberücksichtigt werden können.

Dabei werden in Zusammenarbeit mit europäischen Baufirmen und Planungsbüros wie Skanska, Bouygues, Moretti, Köhler & Meinzer und ATP Beispiele gezeigt, wie CO2 -Benefits und optimale Prozessgestaltung monetär quantifiziert werden können. Es zeigt sich, dass es aus Investorensicht sehr profitabel sein kann, Null- und Plusenergiegebäude zu bauen, wenn die Zusatznutzen berücksichtigt und optimale Prozesse im Gebäudelebenszyklus implementiert werden. Alle Ergebnisse aus dem Projekt fließen in eine interaktive Web-Plattform (Pinboard) ein, die es ermöglicht, Prozesse von Nahe-Null- und Plusenergiegebäuden selbst zu gestalten und optimal an das jeweilige Bauprojekt anzupassen.

Investorenkalkulation eines Plusenergiebürogebäudes in Österreich unter Berücksichtigung von Co-Benefits aus dem EU-Projekt CRAVEzero (www.cravezero.eu).

 

Statement

"Zukünftige Gebäude mit keinen bzw. fast keinen Umweltauswirkungen – ist das möglich? Ja! Skanska fördert grüne Lösungen und sucht „grüne Wege“ für betriebliche Tätigkeiten. Dafür gehen wir jetzt schon über regelkonforme Lösungen hinaus und streben zukunftstaugliche Projekte an. Skanska zielt darauf ab, nur „grüne“ Projekte zu entwickeln und eine Veränderung der Märkte durch die Entwicklung von CO2-armen und energieeffizienten Gebäuden mit Betrachtung des Lebenszyklus der Gebäude herbeizuführen, ein Ziel, das auch mit dem Projekt CRAVEzero verfolgt wird."

Anna Åkesson, Senior Environmental Manager, Skanska AB, Schweden.

AutorInnen

Dipl.-Ing. Tobias Weiß, Regina Höfler, B.Sc. und Dipl.-Ing. Armin Knotzer sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen / Links im E-Paper

Projektwebsite www.cravezero.eu
Interaktives nZEB-Pinboard - online verfügbar ab Oktober 2019 www.pinboard.cravezero.eu
SHC Task 40 (2015) ‘Net Zero Energy Solar Buildings’, IEA, 40 (June). Verfügbar unter: http://task40.iea-shc.org/

  1. Sommer, H. (2016) Projektmanagement im Hochbau, Projektmanagement im Hochbau. doi: 10.1007/978-3-662-48924-6.
  2. IG lebenzsyklus, Originalgrafik verfügbar unter: http://www.ig-lebenszyklus.at/
  3. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2017), Leitfaden Nachhaltiges Bauen Zukunftsfähiges Planen, Bauen und Betreiben von Gebäude, Verfügbar unter: https://www.bnb-nachhaltigesbauen.de/
  4. Achammer, C. M. (2015) ‘Forschungsbereich Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung / research centre of industrial building and interdisciplinary planning’, in Die Fakultät für Bauingenieurwesen/The Faculty of Civil Engineering. doi: 10.7767/9783205202264-029.
  5. Löhnert, G. (2015) ‘PLENAR - Planungshilfe aus der Praxis’, Xia - intelligente architektur 04-06 2015, S. 18–22.
  6. Lützkendorf T. und Enseling A. (2017) „Wirtschaftlichkeit energieoptimierter Gebäude; Berechnungsmethoden und Benchmarks für Wohnbau und Immobilienwirtschaft“. BINE Informationsdienst; FIZ Karlsruhe - Leibnitz-Institut für Informationsinfrastruktur GmbH. Bonn. Verfügbar unter: http://www.bine.info/publikationen/publikation/wirtschaftlichkeit-energieoptimierter-gebaeude/
  7. Berggren, B., Wall, M. und Togerö, Å. (2017) ‘Profitable Net ZEBs – How to break the traditional LCC analysis’, in International Conference on Energy, Environment and Economics (ICEEE).
  8. Bleyl, J. W. et al. (2017) ‘Building deep energy retrofit: Using dynamic cash flow analysis and multiple benefits to convince investors’, ECEEE Summer Study Proceeding

 

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