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Nullenergiegebäude: Energetisch-wirtschaftliche Optimierung im Gebäudelebenszyklus

Tobias Weiß, Tobias Hatt, Christoph Moser, David Venus, Martin Ploß, Thomas Roßkopf

Foto: pexels.com

Hintergrund

Forschungs- und Demonstrationsprojekte zeigen, dass schon heute Gebäude im Nahe-Null- und Plusenergiestandard errichtet oder saniert werden können, die auch in der Praxis äußerst niedrige Energiebedarfe und CO2 -Emissionen erreichen und wirtschaftlich zu betreiben sind [1]. Die breite Markteinführung derartiger Gebäude schreitet jedoch bislang sehr zögerlich voran, da planungsbegleitende Methoden und Prozesse zur kostenoptimalen Integration von Effizienzmaßnahmen und erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend beschrieben und damit noch nicht üblich sind. Als Folge wird - in vielen ungenügend geplanten Gebäuden durchaus zu Recht - kritisiert, dass der reale Energieverbrauch hocheffizienter Gebäude über dem vorausberechneten Bedarf liege und dass hohe Effizienzstandards teuer und unwirtschaftlich seien. Geeignete Methoden und die Bereitstellung von Kennwerten zu Energieeffizienz, Kosten und Wirtschaftlichkeit zur energetisch -wirtschaftlichen Optimierung hocheffizienter Gebäude werden in einem nationalen Forschungsprojekt (Kosten- und Prozessoptimierung im Lebenszyklus von Niedrigst- und Plusenergiegebäuden), welches im Rahmen des Programms Stadt der Zukunft im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie gefördert wird, erarbeitet. Unter anderem werden dafür sieben realisierte Nahe-Null- und Plusenergiegebäude untersucht und anhand einer Variantenstudie optimiert. Hierbei werden für jedes Gebäude viele Parameter wie Hüllqualität, Wärmeerzeuger oder PV-Anlage variiert und miteinander kombiniert. Aus den daraus entstehenden tausenden Varianten können dann die Ergebnisse abgeleitet werden. Bei dieser „Brute-force Optimierungsmethode“ werden alle Lösungen betrachtet. Sie bietet den Vorteil, dass statistische Auswertungen gemacht und zum Beispiel Verteilungen abgeleitet werden können. Nach Festlegen der Randbedingungen wie Nutzerverhalten, Zinssätze, zu beachtende Kostengruppen, Energiepreise, Wartungskosten oder Lebensdauer werden Energiebedarf, CO2 -Emissionen, Errichtungskosten und Lebenszykluskosten für jede Variante berechnet und gegenübergestellt.

Akteursbezogene Betrachtungsperspektive, –Zeiträume und betrachtete Kosten

Bei der Planung, dem Bau und der Nutzung einer Immobilie gibt es verschiedene Interessen der Akteure und daraus abgeleitet auch unterschiedliche Betrachtungsperspektiven, Betrachtungszeiträume und Zielgrößen. Es gibt den Mieter/Nutzer, den Immobilienmakler, den Bauunternehmer, Planer, Hausverwalter, Investor, Besitzer und auch die Gesellschaft welche mit dem Gebäude direkt oder indirekt zu tun haben. Diese Akteure betrachten ein Gebäude über einen bestimmten Zeitraum. Während den Mieter vor allem die Nutzungsphase interessiert, wird sich der Planer normalerweise nur bis zur Fertigstellung mit dem Gebäude befassen.

Unterschiedliche Betrachtungszeiträume je nach Betrachterperspektive Darstellung: AEE INTEC

Analog zum Betrachtungszeitraum variieren auch die verschiedenen Ziel- oder Optimierungskriterien je nach Blickwinkel des Betrachters. In der folgenden Abbildung sind die Kriterien Kosten und Energie je nach Interessen der Akteure dargestellt. Der Mieter/ 27die Mieterin ist neben niedrigen Mietkosten vor allem auch an niedrigen Betriebskosten interessiert und somit an einem energetisch guten Standard, damit er z. B. niedrige Heizkosten hat. Der Bauunternehmer/ die Bauunternehmerin ist meist bemüht, die Baukosten niedrig zu halten. Bei eigengenutzten Immobilien sind beide Kostenkomponenten von Bedeutung, die Anfangsinvestition wie auch die laufenden Kosten. Für die Gesellschaft sind die Gesamtkosten und auch die Umweltauswirkungen wie CO2 -Emissionen von Bedeutung.

Unterschiedliche Optimierungskriterien je nach Betrachterperspektive. Darstellung: AEE INTEC in Anlehnung an [2]

Vorgehensweise bei der Optimierung

Beim klassischen Planungsablauf entwickeln BauherrIn, ArchitektIn, FachplanerIn ein Gebäude mit der zugehörigen Ausstattung und Haustechnik. Oftmals optimiert jeder in „seinem“ Bereich und so wird manchmal das Bauvorhaben als Ganzes aus den Augen verloren. Statt einer durch den Fachplaner/die Fachplanerin isoliert geplanten mechanischen Kühlung zur Gewährleistung des Sommerkomforts und dadurch induziertem Energieverbrauch könnte zum Beispiel auch gemeinsam über geeignete Fenstergrößen, Verschattungsmöglichkeiten oder natürliche Lüftungskonzepte nachgedacht werden. Im klassischen Planungsablauf werden meist nur wenige Varianten betrachtet und oftmals nicht parallel geplant und analysiert, sondern bereits in einer frühen Phase verworfen. Somit kann es passieren, dass am Schluss ein Gebäude gebaut wird und bei der Nutzung stellt sich heraus, dass z. B. die Betriebskosten hoch sind. Werden hingegen in der Planungsphase bereits mehrere Varianten realistisch miteinander verglichen, auch über die Lebenszykluskosten, so kann hier schon im Vorfeld eine fundierte Entscheidung getroffen werden.

Die Frage nach dem „was“ optimiere ich oder welches sind meine Zielgrößen wurde bereits dargestellt. Die nächste Frage, die sich stellt ist, „wie“ optimiert werden soll. Mittels herkömmlicher Optimierung können durch manuelle „Suche“ einige Varianten betrachtet werden (linke Grafik). Eine weitere (nicht dargestellte) Optimierungsmethode verwendet Algorithmen zur Extremwertsuche. Mit der Brute-force-Methode werden alle möglichen Lösungen untersucht (rechte Grafik).

Optimierungsstrategien in der Gegenüberstellung (eigene Darstellung)

Errichtungskosten (lt. ÖNORM B 1801-1, KG 1-9) über den CO2 -Emissionen der Varianten für alle sieben Beispielgebäude (bezogen auf Energiebezugsfläche PHPP/ Berechnungen PHPP/ CO2 -Faktoren OIB RL-6 2015/ keine CO2 -Gutschrift für eingespeisten Strom).

In der Abbildung werden für tausende errechnete mögliche Ausführungsvarianten die Errichtungskosten der untersuchten Projekte über den CO2 -Emissionen als Punktwolken dargestellt. In der Punktwolke sind die Streuungen der unterschiedlichen Varianten mit abgebildet. Man erkennt, dass die CO2 -Emissionen je nach Projekt von Faktor 3 bis Faktor 8 differieren, während die Errichtungskosten nur um den Faktor 1,1-1,2 schwanken. Das bedeutet, dass man mit ähnlichen oder sogar gleichbleibenden Errichtungskosten um ein vielfaches weniger CO2 -Emissionen verursachen kann. Die Errichtungskosten steigen zwar mit abnehmenden CO2 -Emissionen tendenziell leicht an, aber die untere Umschließungskurve oder “Pareto Front” (Ein Pareto-Optimum (auch Pareto-effizienter Zustand) ist ein Zustand, in dem es nicht möglich ist, eine (Ziel-)Eigenschaft zu verbessern, ohne zugleich eine andere verschlechtern zu müssen. Die Menge aller Pareto-Optima heißt Pareto-Front. Benannt ist das Pareto-Optimum nach dem Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto (1848–1923).) bleibt bis etwa 10 kg/m2a konstant. Man kann also mit denselben Errichtungskosten ein Gebäude mit 40 kg/m2a CO2 -Emissionen bauen, aber auch genauso gut eines mit nur 10 kg/m2a.

Ergebnisse

Energieeffizienzmaßnahmen haben nur einen geringen prozentualen Einfluss auf die Errichtungskosten, können aber ein Vielfaches an CO2 -Emissionen einsparen. Über die Nutzungsphase gesehen sind diese Effizienzmaßnahmen dann meist kostenneutral oder sogar wirtschaftlich. Im Einzelnen kann folgendes zusammengefasst werden:

  • Das Energieniveau hat einen geringen Einfluss auf die Bauwerks- und Errichtungskosten. Die Energieeffizienz ist somit kein wesentlicher Kostentreiber am Bau.
  • Die baulichen Mehrkosten energieeffizienter Varianten werden im Lebenszyklus auch ohne Förderung bei den meisten Technologien kompensiert.
  • Die Kostenoptima des Primärenergiebedarfs bzw. der CO2 -Emissionen liegen im Bereich von Passivhäusern. Passivhaushülle und hocheffiziente Fenster sind auch ohne Förderung meist wirtschaftlich. Dies ergibt sich auch aus den langen Lebensdauern dieser Komponenten im Vergleich zur Haustechnik.
  • Die Kostenoptima der CO2 -Emissionen sind sehr flach ausgeprägt. Niedrige Emissionen und Energiebedarfe können deshalb, solange die Hülle sehr effizient ist, mit unterschiedlichen Energiekonzepten er-reicht werden. Dies bedeutet einen gestalterischen und konzeptionellen Freiraum.

Es wird gezeigt, dass Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit keine entgegengesetzten Strategien sind, sondern sich sehr gut ergänzen können. Die Variantenauswahl nach Lebenszykluskosten ist daher sinnvoll und sollte verstärkt als Entscheidungs- oder Förderkriterium herangezogen werden.

Interaktive Webauswertung

Alle Ergebnisse aus dem Projekt fließen in einen interaktiven Web-basierten Leitfaden für Null- und Plusenergiegebäude, der es ermöglicht, sämtliche im Projekt untersuchten Varianten realisierter Nahe-Null- und Plusenergiegebäude individuell im Detail auszuwerten. Dadurch können bereits in einer frühen Projektphase Abschätzungen zu Kosten- und Energiereduktionspotentialen analysiert werden.

http://www.aee-intec.at/kostenreduktion-plusenergiegebaeude-n-koprolzk-p218 (Interaktive Webauswertung online verfügbar ab März 2019).

Autoren

  • Dipl.-Ing. Tobias Weiß und Dipl.-Ing. David Venus sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
  • Dipl.-Ing. (FH) Dr. Tobias Hatt, M.Eng. ist Projektleiter am Energieinstitut Vorarlberg.
  • Dipl.-Ing. Christoph Moser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Thermische Energietechnologien und hybride Systeme“ bei AEE INTEC.
  • Dipl.-Ing. Arch. Martin Ploß leitet den Bereich „Energieeffizientes Bauen“ am Energieinstitut Vorarlberg.
  • Thomas Roßkopf M.Sc ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Energieinstitut Vorarlberg.

Weiterführende Informationen

  1. R. Lechner, B. Lipp, B. Lubitz-Prohaska, und T. Steiner, „monitorPLUS: Monitoring der Leitprojekte aus Haus der Zukunft PLUS“, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Wien, 33/2015, 2015 [Online]. Verfügbar unter: https://nachhaltigwirtschaften.at/resources/hdz_pdf/berichte/endbericht_1533_monitorplus.pdf?m=1469660130
  2. Thomas Lützkendorf und Andreas Enseling, „Wirtschaftlichkeit energieoptimierter Gebäude; Berechnungsmethoden und Benchmarks für Wohnbau und Immobilienwirtschaft“, BINE Informationsdienst; FIZ Karlsruhe - Leibnitz-Institut für Informationsinfrastruktur GmbH, Bonn, III/2017, 2017 [Online]. Verfügbar unter: http://www.bine.info/publikationen/publikation/wirtschaftlichkeit-energieoptimierter-gebaeude/

Link zur Projektwebsite: http://www.aee-intec.at/kostenreduktion-plusenergiegebaeude-n-koprolzk-p218

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