Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Nutzer*innen- und Stakeholderintegration bei der Entwicklung von Wärmenetzen

Was sich nach einem sperrigen und trockenen Begriff anhört, hat in den letzten Jahrzehnten eine spannende Entwicklung hingelegt und gewinnt – branchenunabhängig – immer mehr an Bedeutung: Stakeholder(management).

Hintergrund

Geprägt wurde der Begriff in den 1980er Jahren in einem Buch von Edward Freemann über neue Strategien der Unternehmensführung.1

In seinem Werk kritisierte er starre Unternehmensformen, welche sich hauptsächlich auf interne Produktionsabläufe konzentrieren, ohne auf politische, soziale und gesellschaftliche Einflussfaktoren einzugehen. Dabei befand sich die Welt im Wandel. Lieferketten und Ressourcenbeschaffung wurden komplexer, durch die Globalisierung entwickelten sich die Wirtschaftsmärkte dynamischer und die Umweltschutzbewegungen gewannen an Bedeutung.

Laut Freemann sind Stakeholder Personen und/oder Interessensgruppen, die Interesse am Verlauf eines Projektes, der Entwicklung eines Produktes bzw. Unternehmens haben oder direkt von den Projekten und Entwicklungen betroffen sind. Verschiedenste Kund*innen und Konsument*innen, Zuliefer*innen, soziale Einrichtungen, Verbände, Verwaltungsapparate, etc. zählen dazu.

Ambler und Wilson führten in einem Paper von 2006 auch Nachteile der Stakeholdereinbindung auf. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die unterschiedlichen Ziele einzelner Akteur*innen oft schwer vereinbar sind und für Unternehmen auch wettbewerbsstörend, somit auch schädlich sein können.2

Das Demonstrationsprojekt in Leibnitz konnte durch Einbindung aller Stakeholder erfolgreich umgesetzt werden. Foto: Stadtgemeinde Leibnitz / Andrea Kölbl

Stakeholderansatz im Projekt Thermaflex

Die Vielfalt an Stakeholdern führt zu einer ständigen Weiterentwicklung des Stakeholderansatzes. Selbst in einem klassischen Projektverlauf können sich Stakeholder verändern, dazukommen oder wegfallen. Zudem verfolgt jedes Projekt, jede Branche und jedes Unternehmen individuelle Ziele, sodass das Stakeholdermanagement kontinuierlich angepasst bzw. adaptiert werden sollte.

Auch im Wärmesektor sowie bei der Entwicklung und dem Ausbau von Wärmenetzen spielen verschiedene Stakeholder eine wesentliche Rolle. Im Projekt ThermaFLEX wird die Nutzer*innen- und Stakeholderintegration neben den technischen Komponenten und systemischen Ansätzen als dritter Projektpfeiler betrachtet. Im Zuge des Projektes wurden Analysen durchgeführt und darauf aufbauend weitere Schritte zur Einbindung der Stakeholder geplant.

Identifikation – Rollenklärung – Interpretation

Für die erste Analyse der Stakeholder (2019) wurde mit Projektpartner*innen und Demonstratorverantwortlichen ein „Quickscan“, eine Sammlung relevanter Stakeholder, erstellt. Diese Vorgehensweise ist laut Krips (2017) der erste Schritt der Stakeholderanalyse, welche sich aus drei Teilen zusammensetzt. Im nächsten Schritt wurden diese Akteur*innen anhand des Grads der Betroffenheit und der Einflussnahme auf das Projekt bewertet.3

Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden für jeden der Demonstratoren eine sogenannte Stakeholdermatrix angefertigt, um eine Übersicht über die wichtigsten Stakeholder zu erzielen (siehe Abbildung) und Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Für den weiteren Projektverlauf wurden die Stakeholder „Energieversorger 1-3“, „Abteilung Bauamt“, „Abteilung Stadtentwicklung“, „Wärmekund*innen“ und „Consultingbüro“ als besonders relevant identifiziert. Für diese Gruppen wurde ein Kommunikationsplan erarbeitet. Wärmekund*innen und Nutzer*innen wurden in der Stakeholdermatrix integriert, da die Energiewende nur unter Mitwirkung der breiten Bevölkerung erreicht werden kann. In der Praxis wurden die Wärmekund*innen und Nutzer*innen hauptsächlich durch Informationsarbeit und passive Teilhabe eingebunden, während die übrigen Stakeholder aktiv an der Projektentwicklung teilgenommen haben. Anhand des ThermaFLEXDemonstrators Leibnitz wird nachfolgend beispielhaft erläutert, welche Maßnahmen gesetzt wurden, um die relevanten Personengruppen einzubinden und die Umsetzung des Projekts möglichst gut zu gestalten.

Halbjahrestreffen mit Fernwärmepartnern Leibnitz

Zweimal im Jahr findet in Leibnitz ein Treffen mit den Fernwärmepartnern der Stadt Leibnitz statt. Gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtgemeinde aus Politik und Verwaltung, Fernwärmeversorgern, Planungs- und Consultingbüros werden Strategien, Wege und Pläne diskutiert. So besteht für alle Seiten die Möglichkeit, auf Planungen und Bedürfnisse schneller zu reagieren. Zum Halbjahrestreffen wurde ein Energieraumplaner neu ins Projektteam geholt, der parallel ein örtliches Energie- und Raumplanungskonzept für die Stadt erarbeitete. Durch die Einbindung der Fernwärmepartner konnten die Ziele und Herausforderungen zum Fernwärmeausbau der Stadt gut kommuniziert und diskutiert werden.

Berichterstattung Stadtmagazin und Regionale Medien

Um die Bürger*innen laufend über die Entwicklungen des Fernwärmeausbaus zu informieren, wurden regelmäßig Informationen und wichtige Projektmeilensteine im Stadtmagazin Leibnitz und über regionale Medien gestreut.

Pressekonferenzen

Die Projektmeilensteine und Fortschritte aus ThermaFLEX, wie z. B. die Inbetriebnahme der bidirektionalen Wärmeübergabestation, wurden gezielt an die Öffentlichkeit getragen und die relevanten Projektpartner*innen miteinbezogen.

Erstellung einer Infobroschüre

Um das Thema „Fernwärme“ generell ins Bewusstsein der Bürger*innen zu rücken, wurde eine Infobroschüre erarbeitet, welche die wichtigsten Daten und Fakten rund um die Fernwärme in Leibnitz darstellt. So wurde zusätzlich eine Plattform für die Energieversorger geschaffen, um die Sichtbarkeit zu erhöhen und mehr Reichweite zu gewinnen.

Symbolhafte Darstellung einer Stakeholdermatrix, Stand 2019, Quelle: StadtLABOR GmbH

Infoveranstaltung

In einer öffentlichen Infoveranstaltung konnten Bürger*innen und weitere Interessierte konkrete Fragen und Anliegen deponieren. Anhand von Vorträgen, einer Podiumsdiskussion und dem persönlichen Austausch mit den Energieversorgern wurden die Bürger*innen über den Fernwärmeausbau informiert.

Konzeption einer App

Um Bürger*innen und Nutzer*innen über die Informationsarbeit hinaus aktiv einzubinden, wurde auch an einem mobilen Ansatz gearbeitet, der niederschwellig und flächendeckend den Kontakt mit Bürger*innen herstellt und den Anschluss an die Fernwärme bewirbt. In Kooperation mit dem GREEN ENERGY LABProjekt „Spatial Energy Planning for Heat Transition“ wurde zu diesem Zweck eine App-Lösung konzipiert. Die App wurde als Empfehlungssystem konzipiert, welches Wärmenetze immer als anzustrebende Option ausweist, wenn ein Anschluss für das betreffende Objekt möglich ist. Personen, die an einem Heizungswechsel interessiert sind, werden auf diese Weise auf die Fernwärme als potenzielle Lösung hingewiesen und erhalten über eine intuitive Oberfläche sämtliche Informationen (Kontakt zum Wärmenetzbetreiber und verfügbare Förderungen), um ihren Wärmeanschluss zu planen. Die App bietet außerdem die Option, aktuelle Verbräuche einzugeben und diese für Planungsaufgaben verfügbar zu machen. Zusätzlich schafft sie eine Plattform für Informations- und Kommunikationskampagnen und dient allgemein der Forcierung der Fernwärme im Zuge des Phase-Out aus fossilen Energieträgern.

Screenshot EnergieApp. Quelle: Land Salzburg

Fazit

Der Wärmesektor wird nicht nur von Energieversorgern und Technologieanbietern getragen. Um die Energiewende in den kommenden Jahren voranzutreiben, benötigt es ein Zusammenspiel aller Stakeholder auf Planungs- und Verwaltungsebene, Politik, der Energieversorger und Bürger*innen sowie bestehender Kund*innen. Vor allem Bürger*innen müssen neue Entwicklungen mittragen, um so den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Energiewende zu beschleunigen.

Dass Stakeholdermanagement nicht immer einfach ist, ergibt sich aus den verschiedenen Zielsetzungen und Bedürfnissen der einzelnen Akteur*innen. Das kann auch zu Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Projektabwicklung führen. Hier stellt sich die Frage, ob die Einbindung von Stakeholdern wirklich immer zielführend und fördernd ist. Die große Bandbreite der realisierten Elemente und Lösungen bei den unterschiedlichen Demonstratoren wurde durch die Einbeziehung relevanter Stakeholder und transparente Kommunikation an Nutzer*innen und Öffentlichkeit wesentlich unterstützt. Dies war besonders wichtig, um langfristig tragfähige Kooperationen und Verständnis zu etablieren, die für eine rasche Wärmewende notwendig sind. Ein wesentlicher Aspekt war somit die Entwicklung von Kommunikationsbausteinen und Analysemethoden zur Integration und Identifizierung dieser Stakeholder, sowie die aktive Einbindung von Nutzer*innen und Bürger*innen. In Bezug auf den Wärmesektor zeigte sich, dass Planer*innen und politische Akteur*innen sowie Verwaltungsapparate unterschiedliche Ziele und Handlungsdynamiken aufweisen, die schwer unter einen Hut zu bringen sind. Hier braucht es die Bereitschaft aller und ein konkretes, gut ausgearbeitetes Stakeholdermanagement, um gezielt an einer Vision arbeiten zu können.

Autor*innen

Isabella Weichselbraun, BA ist Projektmanagerin in der StadtLABOR – Innovation für urbane Lebensqualität GmbH und in den Bereichen Beteiligung, nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mag. Alexander Rehbogen, MBA ist Experte für Räumliche Energieplanung am Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen (SIR). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

DI (FH) Joachim Kelz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

Projekt ThermaFLEX: https://thermaflex.greenenergylab.at/

1 E. Freeman (1984): Strategic Management: A Stakeholder Approach. – Cambridge University Press

2 T. Ambler, A. Wilson (2006): Problems of Stakeholder Theory. In: Business Ethics: A European Review 4(1). S. 30-35, Online unter: https://www.researchgate.net/publication/229445951_Problems_of_Stakeholder_Theory, zuletzt aufgerufen am 19.4.2022

3 D. Krips (2017): Stakeholdermanagement. Springer Verlag. - Berlin

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