Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Innovative Abwärmenutzung für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Wien

In Anlehnung an eine Dekarbonisierungsstudie von Wien Energie [1] soll Fernwärme 2040 circa 56 Prozent der in Wien benötigten Wärme (Nutzenergie) für Raumwärme und Warmwasser bereitstellen. Geothermie und Großwärmepumpen sind dabei die wesentlichen Technologien auf der Erzeugungsseite. Diese beiden Technologien sollen 2040 circa 4 TWh Fernwärme produzieren und damit fast 55 Prozent der Gesamtproduktion liefern. Dieser Aufbringungsmix wird mit saisonalen Wärmespeichern, Kraft-Wärmekopplungsanlagen (betrieben mit Grüngas) sowie Müllverbrennungsanlagen (erweitert um Carbon-Capture-Technologien) komplementiert bzw. ergänzt. Im Gleichklang mit dem Ausbau von Geothermie und Wärmepumpen sowie der Stilllegung von Heizkraftwerken (KWK), die das Ende der Lebensdauer erreichen, reduziert sich der Anteil der KWK-Wärme an der Fernwärmeaufbringung. Dabei wird in den Wiener KWKs und Heizwerken ab 2040 Grüngas als Primärenergie eingesetzt. Für den erforderlichen Ausbau wurden die bis 2040 notwendigen Investitionen in die Fernwärmeinfrastruktur in Bezug auf Produktion und Netz auf ca. 2,5 Mrd. EUR abgeschätzt.

Abwärmenutzung am Standort der Therme Wien zur Versorgung der Fernwärme in Wien Oberlaa. Foto: Michael Horak / Wien Energie GmbH

Beitrag der Abwärmenutzung und mögliche Wärmequellen

Das Geschäftsmodell der Fernwärme basiert grundsätzlich auf der Nutzung von Abwärmequellen. Im Zuge der Dekarbonisierung müssen alternative Abwärmequellen in das System integriert werden. Damit erfolgt auch die Dezentralisierung der Erzeugungsstruktur. Die Dekarbonisierung der Fernwärmeerzeugung in Wien erfolgt auf Grundlage der Nutzbarmachung von diversen Abwärmequellen mit bzw. ohne Einsatz von Großwärmepumpen und tiefer Geothermie. Die Kategorisierung der Abwärmequellen kann wie folgt erfolgen (siehe Abbildung):

  • Eigene Standorte: Effizienzsteigerungen an den bestehenden Produktionsstandorten wie z. B. durch die Nutzbarmachung von Kondensationswärme aus dem Rauchgasreinigungssystem der existierenden Müllverbrennungsanlagen
  • Abwasser: Nutzbarmachung der Abwärme aus Abwasser in den städtischen Gebieten (mit Bypass-Lösungen oder Wärmetauscher im Kanal) oder beim Auslaufkanal der Hauptkläranlage
  • Industrie/ Gewerbe: Integration der Abwärme aus industriellen und gewerblichen Prozessen wie Abwärme aus Kältezentralen, Rechenzentren, Kühlhäusern etc.
  • Tiefe Geothermie

Kategorisierung der alternativen Abwärmequellen zur Dekarbonisierung der Fernwärmeaufbringung in Wien. Quelle: Wien Energie GmbH

Im Sinne der Projektrealisierbarkeit und sinnvollen Integration der erwähnten Wärmequellen ins Fernwärmenetz müssen als Voraussetzung die Jahresverfügbarkeit in den Übergangs- und Winterzeiten sowie eine langfristige Verfügbarkeit (>10 Jahre) gegeben sein. Das Temperaturniveau als wichtiger Einflussparameter ist entscheidend für die Integrationsart der Wärmequelle. Die beiden nachfolgenden Konzepte mit Großwärmepumpen zur Nutzung von Abwärmen der Kategorien "Gewerbe" und "Eigene Standorte" wurden in Zusammenarbeit mit dem Projekt ThermaFLEX entwickelt und für die Umsetzung vorbereitet.

Abwärmenutzung aus Thermalwasser am Beispiel der Therme Wien

Das Gesamtsystem nutzt die Abwärme des Thermal(ab) wassers der „Therme Wien“ im Bezirk Oberlaa. Das System basiert auf zwei Großwärmepumpen mit einer thermischen Einspeiseleistung von ca. 2,2 MWth. Die genannte Einspeiseleistung ist abhängig von der Temperatur und dem Massenstrom der Quelle. Im Rahmen der Konzeptentwicklung wurde das gesamte Energiesystem der Therme Wien hinsichtlich der Eigenschaften der Wärmequelle wie Verfügbarkeit, Temperaturniveaus, chemische Eigenschaften, etc. analysiert. Aufgrund der Schwankungen in Temperatur und Massenstrom der Wärmequelle wurden im Konzept hydraulische Weichen auf der kalten Seite der Großwärmepumpen integriert. Der Einsatz von Plattenwärmetauschern aus Titan erfolgte aufgrund der korrosiven Eigenschaften des Thermalwassers.

Die Wärmepumpen wurden für eine maximale Ausgangstemperatur von 82 °C ausgelegt. Eine zusätzliche Power-2-Heat Anlage mit 375 kWth thermischer Leistung erhöht die Temperatur auf bis zu 90 °C, wenn die Außentemperatur unter -5 °C liegen sollte (Referenz ist die Heizkurve des nahe gelegenen sekundären Fernwärmesystems).

Technische Hauptparameter der Wärmepumpen-Anlagen am Standort der Therme Wien. Quelle: Wien Energie GmbH

Die Anlage wurde in der Tiefgarage der Therme installiert und mit dem 20-kV-Stromnetz der Stadt verbunden. Die Inbetriebnahme und die Probebetriebsphase erfolgt in Q2 2022. Danach wird die Anlage Wärme für rund 1 900 Haushalte liefern und 2 600 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme wird das System weiter wissenschaftlich begleitet, um einerseits Betriebsoptima zu finden und andererseits die so generierten Betriebserfahrungen weiteren Technologiemultiplikatoren zukommen zu lassen.

Nutzung der Rauchgaskondensation der Müllverbrennungsanlage Spittelau

Die derzeit ungenutzte Abwärme aus dem Rauchgasreinigungsprozess der Müllverbrennungsanlage Spittelau soll in Zukunft mittels Großwärmepumpen in das Fernwärmenetz eingespeist werden. Dazu wurde basierend auf einer Charakterisierung des Rauchgases und unter Betrachtung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein Konzept zur Abwärmenutzung mittels Hochtemperaturwärmepumpen und Füllkörperkolonnen (Rauchgaskondensatoren) entwickelt.

Zwei Füllkörperkolonnen zur Rauchgaskondensation werden in diesem Konzept direkt auf die beiden SO2-Wäscher des nassen Rauchgasreinigungssystems aufgesetzt. Über einen Wärmetauscher wird die Wärme des Kondensatkreislaufs der Füllkörperkolonnen auf einen Zwischenkreislauf übertragen, der zwei Hochtemperaturwärmepumpen mit einer Temperatur von ca. 52 °C versorgt. Durch die Hochtemperaturwärmepumpen wird diese Temperatur mit einem COP von etwa 4,7 (ohne Strombedarf für die Nebenaggregate) auf 90 °C angehoben. In einem nachfolgenden Schritt wird diese Temperatur durch den in der Müllverbrennungsanlage entstehenden Dampf noch auf die im primären Fernwärmenetz benötigten Temperaturen (zwischen 110 °C und 150 °C) erhöht. Das anfallende Kondensat wird aufbereitet und in verschiedene Prozessschritte der Müllverbrennung rückgeführt.

Mit der Wärmerückgewinnungsanlage wird eine Heizleistung von rund 16 MWth erreicht. Dadurch wird die thermische Leistung der Verbrennungsanlage von rund 60 MWth auf 76 MWth erhöht. Der mehrstufige Bauprozess soll 2022 gestartet und Ende 2024 abgeschlossen werden.

Die Umsetzung des Abwärmenutzungskonzeptes führt

  • zur Steigerung der Gesamteffizienz der Verbrennungsanlage,
  • zur Einbindung der Abwärme in das Fernwärmenetz,
  • zur Reduzierung der CO2-Emissionen der Wärmeerzeugung,
  • zur Reduzierung der Wärmezufuhr ins Kühlwassersystem der Müllverbrennungsanlage und damit zu reduziertem Wärmeeintrag in Fließgewässer,
  • durch die Aufbereitung des Kondensatkreislaufs zu einer Reduzierung des Abwassereintrags in die Kläranlage.

Multiplikationspotential

Die beiden dargestellten Projekte werden aus Mitteln der Umweltförderung des Bundesministeriums für Klima, Umweltschutz, Mobilität, Innovation und Technologie gefördert und können als Musterbeispiele für gleiche bzw. ähnliche Konstellationen zur Nutzbarmachung von Abwärme dienen. Insbesondere im Projekt der Abwärmenutzung der Therme Wien können im Zuge der Restlaufzeit von ThermaFLEX wichtige Erkenntnisse aus dem Anlagenmonitoring generiert werden.

Stellungnahme

"Verbundprojekte wie ThermaFLEX, die nahe an der Umsetzung die Entwicklung integrierter Energiesysteme umfassend vorantreiben, sind ein entscheidender Beitrag aus dem Bereich Innovation, um der Energiewende Beschleunigung und Richtungssicherheit zu geben. Dadurch gewinnen wir nicht nur die notwendigen Technologien und Systemlösungen, sondern auch wichtige Erkenntnisse darüber, wie die Energie-Transition technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich möglich wird. Gerade der Fokus auf Wärme- und Kältesysteme ist wichtig, um gezielt Energieträger-Abhängigkeiten zu reduzieren."

Michael Hübner, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie / Sektion III – Innovation und Technologie / Abteilung I3 – Energie und Umwelttechnologien. Foto: BMK

Autor*innen

Dr. Rusbeh Rezania ist Abteilungsleiter für „Entwicklung und Realisierung Neue und Erneuerbare Assets Thermisch“ bei Wien Energie GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing.in Anna Gantner ist Projektleiterin in der Abteilung „Entwicklung und Realisierung Neue und Erneuerbare Assets Thermisch“ bei Wien Energie GmbH Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing.in Olatz Terreros ist Projektentwicklerin in der Abteilung „Entwicklung und Realisierung Neue und Erneuerbare Assets Thermisch“ bei Wien Energie GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. (FH) Joachim Kelz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

[1] Aue, R.; Burge, A. (2021): DECARB21: Wärme & Kälte, Mobilität, Strom: Szenarien für die Dekarbonisierung des Wiener Energiesystems bis 2040, Öffentlicher Bereich im Auftrag von Wien Energie GmbH

Projekt Thermaflex: https://thermaflex.greenenergylab.at/

Vorzeigeregion Energie: https://www.vorzeigeregion-energie.at/

Green Energy Lab: https://greenenergylab.at/

Klima- und Energiefonds: https://www.klimafonds.gv.at/

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