Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Intelligente Regelungen zum optimierten Betrieb von Wärmenetzen

Die Energiewende hin zu erneuerbaren Energieträgern erfordert in Österreich auch eine Wärmewende. Baulich verdichtete Gebiete und kommunale Infrastrukturen haben hierfür große Potenziale. Statt individueller Heizungen sind Wärme- und zukünftig auch Kältenetze in der Lage, Wärme aus z. B. Solar- oder Geothermie, Abwärme industrieller Prozesse aber auch aus dem Abwasser und der Kanalisation zu nützen und effizient zu implementieren. Durch Integration von Energiespeichern wird der zeitliche Abgleich von Erzeugung und Verbrauch von Wärme und Kälte möglich.

Heizzentrale am Standort Gabersdorf zur Abwärmenutzung aus Industrie und entsprechender thermischer Speicher. Foto: Klimafonds / Krobath

Die zunehmende Integration mehrerer, teilweise volatiler Wärmequellen und die Einbindung von Speichern in Kombination mit laufenden Erweiterungen und Nachverdichtungen der Netze ist aber auch mit technischen Herausforderungen verbunden. Im Vergleich zum Betrieb einfacher Wärmenetze, z. B. mit einem Erzeuger an einem Standort, müssen zukünftig mehrere Energiequellen und Speicher an mehreren Standorten bestmöglich miteinander abgestimmt und verbunden werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, benötigt es übergeordnete und intelligente Regelungsstrategien. Zwei mögliche Ansätze solcher Regelungsstrategien wurden im Projekt ThermaFLEX entwickelt und in zwei Wärmenetzen bei zwei Demonstratoren realisiert und demonstriert.

Energiemanagementsystem im Wärmenetz Leibnitz

Im Süden der Steiermark sind nicht nur die Gemeinden rund um Leibnitz, Tillmitsch und Wagna zusammengewachsen, sondern auch deren Fernwärmenetze. Durch die Verbindung mittels einer bidirektionalen, also in beide Richtungen betreibbaren, Wärmeübergabestation kann nun überschüssige, im Süden ausgekoppelte Abwärme aus der Tierkörperverwertung im Sommer auch den Norden versorgen. Andererseits kann in kälteren Jahreszeiten und an Wochenenden das südliche Netz im Leibnitzerfeld von den Biomassekesseln der anderen Netze profitieren, wenn die Abwärme alleine den Bedarf nicht abdeckt. Ein mit fossilem Gas betriebener Spitzenlastkessel muss so wesentlich seltener eingesetzt werden, was die Kosten und vor allem die CO2-Emissionen stark reduziert.

Da die Übertragungsleistung der Übergabestation begrenzt ist und die Richtung des Wärmetransports nicht nach Belieben umgekehrt werden kann, stellt sich die Frage, wann wieviel Wärme von einem Netz in das andere transportiert werden soll. Um diese Frage beantworten zu können, müssen die Füllstände der in den jeweiligen Netzen verbauten Wärmespeicher, die aktuelle Wärmeproduktion und Verfügbarkeit der Kessel, aber vor allem der erwartete Wärmebedarf der Kunden sowie die erwartete Abwärme aus der Tierkörperverwertung berücksichtigt und daraus eine intelligente Betriebsstrategie abgeleitet werden.

Genau das ist die Aufgabe des von BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH entwickelten Energiemanagementsystems (EMS), welches mit Unterstützung des Projektpartners Schneid GmbH implementiert wurde. Aus historischen Daten und Wetterprognosen wird der zukünftige Wärmebedarf und der Ertrag aus Abwärme abgeschätzt. Mittels mathematischer Modelle wird dann berechnet, wie sich welche Betriebsstrategie auf die Speicherfüllstände und Temperaturen im Netzwerk auswirken und welche Kosten resultieren würden. Die Lösung dieser Fragestellung stellt dann eine optimale Betriebsstrategie dar, die von den einzelnen Wärmeerzeugern sowie der Übergabestation umgesetzt werden kann.

Die übergeordnete Regelung koordiniert den Einsatz der Erzeuger und Speicher unter Berücksichtigung von Prognosen, um den Betrieb möglichst kosteneffizient zu gestalten. Der modulare Aufbau als Optimierungsproblem erlaubt dabei, mehrere Sektoren miteinander zu koppeln und gesamtheitliche Lösungen zu finden. Quelle: BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH

Seit der Inbetriebnahme der bidirektionalen Übergabestation im April 2021 ist das Energiemanagementsystem als Regelungsstrategie aktiv und gibt die zu übertragende Leistung vor. Die ersten Betriebserfahrungen und das begleitende Monitoring zeigten eindrucksvoll deren Sinnhaftigkeit: Von April bis Dezember 2021 wurden so rund 3 300 MWh fossiles Gas durch Biomasse ersetzt und 825 Tonnen CO2 eingespart. Während der Sommermonate können zudem Wartungen und Revisionen an den Biomassekesseln besser geplant und realisiert werden, da die Versorgung aus dem Süden gewährleistet ist. Ein weiterer positiver Effekt ist die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Um das gesamte Potenzial des Energiemanagementsystems abzurufen, wird aktuell daran gearbeitet, auch sämtliche Erzeugungsanlagen durch die Regelung zu steuern. Erste Ergebnisse zeigen beträchtliches weiteres Potenzial zur Minderung der CO2-Emissionen, da die Speicher dynamischer betrieben werden können und der Gaskesseleinsatz dadurch noch einmal reduziert werden kann.

Das „Virtuelle Heizwerk“ im Wärmenetz Gleisdorf

Im Rahmen der entwickelten Flexibilitätskonzepte und Maßnahmen wurden auch zukünftige Wärmebedarfsszenarien und strategische Entwicklungspläne unter Einbeziehung aller relevanten und verfügbaren Wärmequellen für das Wärmenetz der Stadt Gleisdorf durchgeführt. Ein zentrales Element des Maßnahmenbündels war die Implementierung eines intelligenten Regelungssystems, welches von der Pink GmbH entwickelt wurde. Der als „Virtuelles Heizwerk“ bezeichnete Ansatz vereint technische Maßnahmen und fortschrittliches Monitoring sowie die Steuerung der zentralen und dezentralen Wärmeerzeuger unter einem Dach.

Die bestehenden Steuerungssysteme einzelner Einheiten (Kesselsysteme, Solaranlagen, Wärmenetzsteuerung, Regler usw.), die vorhandene Sensorik sowie die Daten-Infrastruktur werden genutzt und übergeordnet mit der Intelligenz des „Virtuellen Heizwerks“ ausgestattet. Dabei handelt es sich um einen White-Box-Ansatz, bei dem ein mathematisches Modell des gesamten Wärmesystems, Echtzeit-Betriebsdaten und darauf aufbauend Netzsimulationen und Vorhersagen der zukünftigen Betriebs-, Speicher- und Wärmebedarfsbedingungen verwendet werden, um optimierte Regelungsparameter zu generieren und dadurch die Effizienz des gesamten Wärmenetzes zu verbessern.

Nach erstmaliger Implementierung des „Virtuellen Heizwerks“ wurde der neue Regelungsansatz validiert und in mehreren Stufen weiterentwickelt. Zudem wurde das Konzept mit einer intelligenten Speicherbewirtschaftung ergänzt. Anstelle eines zentralen Großspeichers können bestehende und auch zukünftige, zentrale und dezentrale Speicherkapazitäten innerhalb des Wärmenetzes zu einem „Virtuellen Großspeicher“ zusammengefasst werden. Dies ermöglicht eine besser abgestimmte Speicherbewirtschaftung und führt damit zu einer weiteren Effizienzsteigerung des Wärmenetzes und zur bestmöglichen Nutzung und Integration weiterer erneuerbarer Energiequellen. Die Umsetzung des Regelungskonzepts führte zu einer deutlichen Verbesserung der Leistung des Gesamtsystems und zu einer Erhöhung der Flexibilität im Wärmenetz, insbesondere im Hinblick auf das Lastmanagement und die Einsatzreihenfolge der erneuerbaren Erzeugungsanlagen (Biomasse, Solar), sowie auch zu einer stabileren und teillastfähigeren Regelung der Biomassekessel.

Funktionsprinzip des Virtuellen Heizwerks. Quelle: Pink GmbH

Während die jährlich produzierte Wärmemenge aufgrund von Netzerweiterungen von 2017 bis 2021 um 36 Prozent von 7,7 auf 10,4 GWh gestiegen ist, reduzierte sich im gleichen Zeitraum der fossile Anteil (Erdgas) um 3 Prozent (von 20 auf 17 Prozent). Das ist vor allem im effizienteren Betrieb der Biomassekessel in den Übergangs- und Sommerperioden sowie in der optimierten Speicherbewirtschaftung begründet. Die Solarerträge konnten in diesem Zeitraum ebenfalls um 27 Prozent gesteigert werden. Weiters führte die Umsetzung des Regelungskonzepts in Verbindung mit kontinuierlichen Optimierungsaktivitäten zu reduzierten Systemtemperaturen von aktuell rund 82/50 °C.

Das intelligente Regelungskonzept „Virtuelles Heizwerk“ ermöglichte somit einen kosteneffizienten und flexiblen Betrieb unter Nutzung der vorhandenen Regelungs-, Mess- und Datenerfassungsinfrastruktur. Daraus kann abgeleitet werden, dass das Konzept eine neuartige und praxistaugliche Lösung für Wärmenetze darstellt und die Implementierung neuer Elemente wie z. B. neue Erzeugungsanlagen und Wärmespeicher wesentlich unterstützt. In weiterer Folge kann dieser Regelungsansatz auch eine zentrale Rolle bei der aktuell in Bau befindlichen Sektorkopplung mit der Kläranlage zur Nutzung der Abwärme aus dem gereinigten Abwasser haben.

Stellungnahme

"Für den Ausbau von erneuerbarer Fernwärme braucht es partnerschaftliche Kooperation und innovative Regelungskonzepte, um die Vielzahl unterschiedlicher Wärmequellen bestmöglich auszunutzen. Beides wurde mit unseren Partnern aus dem Forschungsprojekt ThermaFLEX in Leibnitz erfolgreich in die Tat umgesetzt und demonstriert. Dies ermöglicht uns, unsere Kunden zuverlässig und sicher mit kostengünstiger, erneuerbarer und lokaler Wärme zu versorgen. Die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse aus ThermaFLEX sind deshalb für bestehende und zukünftige Wärmenetze der Bioenergie Gruppe von höchster Bedeutung."

Jakob Edler, Geschäftsführer Bioenergie Wärmeservice GmbH. Foto: Bioenergie Wärmeservice GmbH

Autor*innen

Dipl.-Ing. Dr. Markus Gölles, Dipl.-Ing. Dr. Daniel Muschick und Dipl.-Ing. Valentin Kaisermayer sind im Bereich der Regelungs- und Automatisierungstechnik bei BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH tätig. Unter anderem beschäftigen sie sich mit der Optimierung von sektorübergreifenden Energiesystemen und Wärmenetzen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Christian Halmdienst ist Entwicklungsingenieur im Bereich Fernwärme, Speichertechnik, Absorptionskälte bei der Pink GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. (FH) Joachim Kelz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Jakob Binder, B.Sc. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

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