Zeitschrift EE

 nt 01 | 2022 Flexibilisierung industrieller Energiesysteme

Tinder für die Wärmekaskade: Wie könnte eine „Abwärme-Kontakt-Plattform“ aussehen?

Aus unzähligen Audits und Studien ist mittlerweile bekannt, dass bei vielen industriellen und gewerblichen Prozessen nennenswerte Mengen an Wärme ohne weitere zielgerichtete Nutzung an die Umgebung abgegeben werden. Diese sogenannte Abwärme könnte weiter genutzt werden, einerseits direkt in den Industrie- und Gewerbeanlagen, in denen sie anfällt, oder indem sie zu anderen Abnehmern transportiert wird. Durch begrenzte innerbetriebliche Nachfrage nach Wärme in niedrigeren Temperaturbereichen kann in der Regel nur ein begrenzter Teil der Abwärme in den Betrieben selbst genutzt werden. Gleichzeitig könnte aber die Abwärme des einen gut zum Nachfrageprofil des anderen passen. Und noch viel wichtiger: in Wohn- und Dienstleistungsgebäuden gibt es eine erhebliche Nachfrage nach Niedertemperaturwärme. Zur Deckung dieses Wärmebedarfs ist Abwärme aus industriellen und gewerblichen Prozessen in der Regel gut geeignet.

Entwurf einer funktionalen Benutzeroberfläche für eine Abwärme-Kontakt-Plattform. Quelle: AEE INTEC

In diesem Kontext hat das Land Steiermark 2021 den Abwärmekataster des Landes aktualisieren lassen. Ziel war es, die veralteten Daten aus der Erhebung von 2012 zu aktualisieren, die Datenbasis auszubauen und gleichzeitig zu digitalisieren und den Zielgruppen zur Verfügung zu stellen1. Die Digitalisierung ist dabei verknüpft mit einer Georeferenzierung. Denn eines ist klar, ein Transport der Wärme wird umso wirtschaftlicher, je geringer die Distanzen zwischen Angebot und Nachfrage sind. Das Wissen um die Lage und auch den Charakter (Temperatur, zeitliches Profil, Menge, Medium) möglicher Abwärmemengen erhöht maßgeblich die Wahrscheinlichkeit, dass man diese Mengen auch tatsächlich nutzbar macht. Daher wurden im Rahmen der Aktualisierung des steirischen Abwärmekatasters folgende Aktivitäten im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Daten durchgeführt: (1) die Definition einer Datenbank-Struktur und Einpflegung der Daten in das Landes-GIS2, sowie (2) die Konzeption einer Plattform zur Erleichterung der Kontaktaufnahme zwischen Anbietern von Abwärmequellen und potenziellen Nutzern.

Abwärmedaten im Digitalen Atlas Steiermark

Ziel der Integration potenziell vorhandener Abwärmemengen in das Landes-GIS (Digitaler Atlas Steiermark) ist die Schaffung von Grundlagen für die regionale Energieplanung. Dabei sollen die identifizierten Abwärmemengen verortet werden, deren zentrale Eigenschaften mit aufgenommen werden und für die Planung zur Verfügung stehen. Mittelfristig sollten diese Daten auch dafür einsetzbar sein, um Gebiete zu identifizieren, in denen eine Nutzung von Abwärme Vorrang gegenüber anderen Optionen zur Wärmebereitstellung hat.

Zunächst wurde eine einheitliche Datenstruktur festgelegt. Diese besteht aus Daten zum Unternehmen und zum Betriebsstandort wie Name, Adresse oder Anzahl der Mitarbeiter, aus Kontaktdaten zu einer Kontaktperson inklusive Kontaktdetails, sowie aus Daten zu den identifizierten Abwärmequellen. Diese beinhalten die potenziell verfügbare Energiemenge, das Abwärme-Medium, das zeitliches Profil innerhalb einer regulären Betriebswoche sowie saisonale Schwankungen und den Temperaturbereich (kleiner 50 °C, 50-100 °C, über 100 °C). Um den Schutz dieser Daten zu gewährleisten, wird der Zugriff auf die unterschiedlichen Datentypen in Abhängigkeit der zugreifenden Person definiert. Autorisierte Gemeindebedienstete und Raumplaner sollten Zugang auf alle Daten haben, Energieberater sowie die breite Öffentlichkeit nur auf einen Teil der Daten.

Zur Identifikation von Gebieten, in denen potenziell Vorrang für die Nutzung von Abwärme zu überlegen ist, werden zunächst technisch-wirtschaftlich sinnvolle maximale Distanzen für den Transport der Abwärmepotenziale ermittelt. Dafür werden Berechnungs-Ansätze und Daten aus dem Leitfaden der schweizerischen Fernwärme angewandt3. Technische bzw. wirtschaftliche Sinnhaftigkeit wird dabei entweder über die Vorgabe maximaler Wärmeverteilverluste oder maximaler Wärmeverteilkosten definiert. Die damit definierten Distanzkreise um die identifizierten Abwärmequellen werden in einem nächsten Schritt mit Karten zu den Gebäuden bzw. deren geschätzten Wärmebedarfen überlagert. Gebiete mit starker Überschneidung zwischen Angebots- und Nachfrage-Potenzial könnten in Zukunft zu Abwärme-Vorrang-Gebieten erklärt werden und somit eine Nutzbarmachung der vorhandenen Abwärmepotenziale erleichtern (siehe nachfolgende Abbildung).

Darstellung von ausgewiesenen Wärmenetz-Potenzialgebieten der Stadtgemeinde Kapfenberg, überlagert mit identifizierten Abwärme-Zonen im Hochtemperaturbereich (über 100 °C) aus umliegenden Industriebetrieben. Quelle: AEE INTEC

Abwärme-Kontakt-Plattform

Aber nicht nur die Raumplanung durch die öffentliche Hand soll eine Nutzung der vorhandenen Abwärmemengen erhöhen, sondern auch die Erleichterung der Identifikation und Anbahnung potenzieller Projekte durch Unternehmen, Planer und Projektentwickler. Eine Maßnahme in diesem Bereich ist die Erstellung einer Abwärme-Kontakt-Plattform, auf der sich potenzielle Abwärme-Anbieter, Abwärme-Abnehmer sowie Planer*innen und Projektentwickler*innen finden und Kontakt aufnehmen können. Im Rahmen der Aktualisierung des steirischen Abwärmekatasters wurde nun ein Konzept für eine derartige Plattform erarbeitet. Grundlegende Nutzer*innenanforderungen an die Plattform wurden zum einen über eine strukturierte Diskussion innerhalb des Projektteams identifiziert, zum anderen über eine Umfrage in den verschiedenen Zielgruppen: Industrie- und Gewerbe-Unternehmen in der Steiermark, Fern- und Nahwärmenetzbetreiber*innen, Planer*innen und Projektentwickler*innen aus der Branche der Ingenieurbüros sowie Forschung und Politik (siehe Abbildung).

Aufteilung der retournierten Umfrage-Bögen in Bezug auf die Zielgruppen der Plattform. Quelle: Umfrage im Rahmen der Arbeiten zum Abwärmekataster Steiermark 2021 (e-think)

Parallel wurden mögliche Konzepte für eine derartige Plattform erarbeitet, indem bestehende Konzepte und Plattformen analysiert, bisherige Stakeholder-Prozesse in der Steiermark aufgearbeitet und Konzepte und Datenanforderungen mit dem Land Steiermark diskutiert wurden.

Als zentrale Produktfunktionen für eine AbwärmeKontakt-Plattform wurde das Speichern, Darstellen und Bereitstellen von Daten zu Abwärme, Anbieter*innen und potenziellen Nutzer*innen identifiziert. Dabei geht es in erster Linie um die Darstellung und den Austausch von Basisdaten, so wie sie auch im Landes-GIS integriert sind, und nicht um detaillierte Daten wie etwa gemessene Last- oder Temperaturprofile. Von zentraler Wichtigkeit für die Sinnhaftigkeit der Plattform sind die Kontaktdaten, diese sind grundlegend für den Aufbau einer Geschäftsbeziehung. Einfache räumliche Analysen sollen auch möglich sein, eine weitere Planung würde aber dann nicht direkt über die Kontakt-Plattform, sondern über andere Planungswerkzeuge stattfinden.

In der Plattform sollten verschiedene Nutzermodi vorgesehen werden. Zum einen sollte es einen öffentlichen Bereich geben, in dem keine Anmeldung notwendig ist, in dem aber auch nicht alle Daten eingesehen werden können. Zum anderen soll es einen Modus für angemeldete Nutzer*innen geben, in dem Daten zum eigenen Standort bearbeitet und freigeschalten werden können, und auch zusätzliche Daten sichtbar sind, wie beispielsweise Kontaktdaten. Auch sollte es eine definierte Schnittstelle mit dem Landes-GIS geben, um in der Kontakt-Plattform bzw. dem Landes-GIS eine regelmäßige Aktualisierung der Daten zu erleichtern. Die Ergebnisse der Arbeiten zur Abwärme-Kontakt-Plattform wurden in Form eines Basis-Lastenhefts für eine derartige Plattform zusammengestellt. Diese kann als Basis für eine Ausschreibung zur Erstellung der Plattform dienen. Das Titelbild zeigt einen beispielhaften Entwurf für eine Benutzeroberfläche mit Kartendarstellung und diversen Such- und Filterfunktionen einer Abwärme-Kontakt-Plattform.

Ausblick

Die EU hat in Ihrem „Fit for - 55 %“ – Paket das Prinzip „energy efficiency first“ klar kommuniziert. Die Umsetzung des dort verankerten Energieeffizienzziels bedeutet für alle Mitgliedsstaaten eine große Herausforderung. Die Erreichung dieses Ziels stellt aber die Basis zum Erreichen der anderen beiden Ziele dar: die Anhebung des Anteils Erneuerbarer Energien und letztendlich auch die Senkung der Treibhausgasemissionen. Gerade im Industrieland Steiermark gibt es noch nennenswerte ungenutzte Abwärmepotenziale, die es zukünftig zu nutzen gilt. Keine derzeit noch ungenutzte Kilowattstunde sollte verschwendet werden. Dazu sind auch neue und bereits am Markt befindliche Technologien zu integrieren und zu etablieren. Aus diesem Grund wird sich die Abwärmenutzung auch im neuen Aktionsplan 2022-2025 der Klima- und Energiestrategie Steiermark in diversen Maßnahmen wiederfinden. Die Umsetzung des erarbeiteten Konzepts für eine Abwärme-Kontakt-Plattform kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Stellungnahme

"Zur Dekarbonisierung des Energiesystem ist es notwendig, alle zur Verfügung stehenden Quellen
optimal zu nutzen. Bei der industriellen Niedertemperaturabwärme gibt es noch ein sehr hohes
Potenzial. Mit dem Abwärmekataster wollen wir dieses aufzeigen. Die Abwärme-Kontakt-Plattform
soll Planer*innen und Investor*innen mit Wärmebedarf konkret helfen, mit Betrieben mit Abwärmepotential in Kontakt zu kommen. Das nutzt der Umwelt und dem Klima."

Dieter Thyr, Referatsleiter Energietechnik und Klimaschutz, Amt der Steiermärkischen Landesregierung
/ A15- Fachabteilung Energie und Wohnbau

Foto: Baldur

Literatur

1 Zentrale Ergebnisse des Abwärmekataster Steiermark 2021 wurden in der letzten Ausgabe der Nachhaltige Technologien im Detail vorgestellt.

2 https://gis.stmk.gv.at/

3 Die Parameterstudie basiert auf dem Berechnungstool „Fernwärme – Einfluss des Rohrdurchmessers auf die Wirtschaftlichkeit“, auf Grundlage von: Nussbaumer, T.; Thalmann, S.: Einfluss von Auslegung und Betrieb auf die Wirtschaftlichkeit von Fernwärmenetzen, 13. Holzenergie-Symposium, TH Zürich 12.9.2014, Verenum Zürich 2014, ISBN 3-908705-25-8

Weiterführende Informationen

Abwärmekataster Steiermark https://www.aee-intec.at/awkst-abwaermekataster-steiermark-p278

Im EU Horizon 2020 Projekt „EMB3Rs“ wird eine Open Source-Plattform zur quantitativen Analyse der Nutzungsoptionen von Abwärme- und Abkältepotenzialen in der EU entwickelt. https://www.emb3rs.eu/

Klima- und Energiestrategie Steiermark 2030 (KESS 2030). https://www.technik.steiermark.at/cms/ziel/142705670/DE/

Autor*innen

Dipl.-Ing. Marcus Hummel ist Senior Researcher und Managing Director von e-think energy research. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Franz Mauthner, MSc ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“. bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dieter Preiß ist Mitarbeiter des Referats für Energietechnik und Klimaschutz, Abteilung 15 Energie, Wohnbau, Technik, Amt der Steiermärkischen Landesregierung. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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