Zeitschrift EE

 nt 01 | 2022 Flexibilisierung industrieller Energiesysteme

Flexibilisierung von Lieferketten

Steigender Konkurrenz- und Kostendruck, die rasche Veränderung und Erneuerung verfügbarer Technologien, starke Variabilität der Kundenanforderungen und die Notwendigkeit zur Ressourcen- und Energieeinsparung erfordern grundlegend neue Wege, wie zukünftig die Entwicklung und Fertigung von Produkten und Bauteilen betrieben wird. Wie in vielen anderen Branchen auch, findet derzeit eine massive Veränderung in Richtung virtueller Technologien statt. Manufacturing Clouds werden dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Manufacturing Cloud zur Vernetzung von global verteilten Lieferanten und Kunden im Bereich Fertigungstechnik. Quelle: Digital Factory Vorarlberg

Virtualisierung der Fertigungstechnik

Manufacturing-as-a-Service (MaaS, auch als Cloud Manufacturing bezeichnet) ist ein Service-orientiertes Modell für die digitale Vernetzung von Lieferketten und die Steuerung und Vernetzung von global verteilten Fertigungsanlagen, sowie die Auftragsplanung und Abwicklung mit ebenfalls global verteilten Kunden. Ähnlich wie bei E-Commerce-Plattformen (Webshops) werden in der Manufacturing Cloud Anbieter (Lieferanten) und Nutzer von Fertigungsdienstleistungen (Auftraggeber/Kunden) miteinander vernetzt.

Ein Manufacturing-Cloud-Betreiber stellt dafür Plattform-basierte Services mit zentralem Management zur Vernetzung und Optimierung von Lieferketten zur Herstellung von Bauteilen bereit. Anbieter, welche über Maschinen und Produktionsanlagen verfügen, stellen freie Kapazitäten in der Cloudplattform zur Verfügung. Die Spezifikationen der bereitgestellten Fertigungsprozesse werden in einer Wissensdatenbank des Plattformbetreibers abgelegt und stehen für Auftragszuordnung und Optimierungen zur Verfügung. Kunden schicken nun ebenfalls ihre Bauteilund Produktspezifikationen an die Cloudplattform. Dort erfolgt die Suche nach geeigneten Anbietern, das heißt es kommt zu einem Matching der Spezifikationen der Produkte mit den Spezifikationen der verfügbaren Fertigungsressourcen, die Optimierung nach unterschiedlichen Kriterien wie zum Beispiel Kosten, Lieferzeit, Qualität, Ressourcenverbrauch, Liefer- und Transportwege, etc. und die Zusammenstellung des notwendigen Fertigungsablaufs und der Lieferkette. Sämtliche Verträge, die für die Abwicklung von Aufträgen notwendig sind, werden zwischen Lieferanten und Plattform, sowie zwischen Kunden und Plattform geschlossen. Ein individuelles Vertragsmanagement mit allen Zulieferern eines Kunden, bzw. vice versa, ist nicht mehr notwendig.

Prinzip des Cloudmanufacturings. Quelle: Li Bohu, Zhang Lin, Chai Xudong, Introduction to Cloud Manufacturing (modifiziert)

Nachhaltige Ressourcennutzung durch MaaS-Plattformen

Die Vorteile, die sich für viele Gewerbe- und Industriebetriebe durch Verwendung des Cloud Manufacturings ergeben, betreffen nicht nur die Flexibilisierung der Lieferketten, sondern ermöglichen einen optimierten Einsatz von Ressourcen und Energie. Durch die standortunabhängige Anbindung von Maschinen, Anlagen oder ganzen Fabriken (Distributed Point of Use), sowie die ortsunabhängige Einbindung von Engineeringdienstleistern entsteht ein global verteiltes Fertigungs- und Engineeringnetzwerk. Die Verteilung und Steuerung der Fertigungsaufträge durch die Plattform kann somit neben der Optimierung von Kosten, Lieferzeit oder Qualität auch die Minimierung der Lieferwege zwischen Subauftragnehmern und die Nähe zum Kunden oder Rohstofflieferanten berücksichtigen. Neben der damit erreichten Reduktion des Ressourcenverbrauchs ergibt sich für Anbieter von Fertigungsanlagen die Möglichkeit zur verbesserten Maschinenauslastung und Umsatzsteigerung. Werden Maschinen, die zum Beispiel auch zur eigenen Produktion verwendet werden, zeitweise nicht benö- tigt, können die freien Kapazitäten in der Cloudplattform angeboten werden. Bei Überauslastung oder für Unternehmen, welche Maschinenkapazitäten nur geringfügig nutzen, ergibt sich die Möglichkeit, unkompliziert und ohne lange Lieferantensuche oder Kapazitätsabfragen auf Drittleister zuzugreifen und jeweils die neueste und bestmögliche Technologie für Fertigungsaufträge zu nutzen. Global gesehen ergeben sich durch die verdichtete Maschinenauslastung weitere Ressourceneinsparungen durch verringertes Anlageninventar. Für die einzelnen Unternehmen folgen daraus geringere Investmentkosten. Ein weiterer wesentlicher Vorteil des Cloudmanufacturings liegt in der On-demand-Fertigung. So müssen zum Beispiel Ersatzteile nicht mehr auf Lager gelegt werden und können bei Bedarf direkt am Einsatzort gefertigt werden. Die Bevorratung kann damit von realen, oft zentralen Lagern in den virtuellen Bereich, zur digitalen Speicherung von Bauplänen und Fertigungsabläufen verlegt werden (Digital Inventory). Ebenso ermöglicht das Cloudnetzwerk eine hochdynamische Reaktion und maximale Skalierbarkeit bei rasch auftretenden Änderungen von Stückzahlen durch Einbindung von weiteren Auftragnehmern oder der Nutzung frei gewordener Maschinenkapazitäten durch andere Auftraggeber.

Herausforderungen für großflächige Umsetzung von Manufacturing-Cloud-Plattformen

Weithin in Verwendung finden sich solche Konzepte bereits seit vielen Jahren in der Halbleiterindustrie, wo Aufträge zur Herstellung von individuellen Halbleiterchips auch kleinerer Chargen an Fabcenter übermittelt werden können und dort gebündelt mit Aufträgen anderer Kunden hergestellt werden. In neuerer Zeit sind auch Plattformen für 3D-Druck entstanden. Bei diesen beiden Anwendungsfällen ergibt sich durch die Einschränkung der benötigten (verfügbaren) Fertigungstechnologie bzw. der auf 2-dimensionale Geometrien zerlegten Bauteile eine stark verringerte Komplexität der Zuordnung zwischen Bauteilen oder Produkten und der benötigten Fertigungsanlagen. Im Bereich der traditionellen Fertigungstechnik existieren derzeit einige Plattformen, die sich nur auf einzelne Fertigungstechnologien, zum Beispiel Fräsen oder Drehen, spezialisiert haben, oder bei welchen die Zusammenstellung komplexer Fertigungsabläufe, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Technologieschritte bestehen, von den Plattformbetreibern manuell durchgeführt wird.

Die Umsetzung einer automatisierten Erstellung und Verteilung komplexer Fertigungsabläufe wird in naher Zukunft möglich sein. Dazu werden derzeit umfangreiche Forschungsarbeiten zur semantischen Abbildung der Fähigkeiten von Fertigungsanlagen, sowie der semantischen Abbildung der Produkt- und Bauteilspezifikationen durchgeführt. Erst wenn beide Abbildungen im Cloudsystem vorhanden sind, können automatisierte Zuordnungen zwischen Aufträgen und Lieferanten, sowie die angesprochenen Optimierungsschritte erfolgen. Dazu wird es auch notwendig sein, vorhandene Standards, wie zum Beispiel STEP (STandard for the Exchange of Product model data, ISO 10303), um geeignete Komponenten zur Spezifikationsbeschreibung zu erweitern. Darüber hinaus wird an Methoden zur Absicherung der Intellectual Property Rights und zur sicheren und geheimen Verarbeitung von wichtigen Kenndaten der Auftragnehmer, wie zum Beispiel der Maschinenauslastung, gearbeitet.

CIDOP – Manufacturingas-a-Service-Cloudplattform der Digital Factory Vorarlberg GmbH (CAM – Computer Aided Manufacturing). Quelle: Digital Factory Vorarlberg

Neben einer Reihe von weiteren Forschungsinstitutionen arbeitet die Digital Factory Vorarlberg GmbH in Dornbirn, Österreich, an für das Cloud Manufacturing geeigneten Beschreibungsmethoden, Algorithmen zur Optimierung und Brokersystemen zur Auftragsverteilung. In einer Reihe von Projekten wurde von der Digital Factory Vorarlberg die Forschungsplattform CIDOP (Cloud Based Information Systems for Distributed and Optimized Production) entwickelt.

Die CIDOP-Forschungsplattform verfügt über Interfaces zur Einbindung von Maschinen und Fertigungsanlagen in die Manufacturing Cloud. Kunden speisen Ihre Aufträge über ein zweites Interface in das Verteilungs- und Brokersystem ein. Ein weiteres Interface der CIDOP-Plattform ermöglicht die Einbindung von Engineering-Dienstleistungen für komplexe, manuell durchgeführte oder automatisierte Engineeringservices, wie zum Beispiel CAD-CAM-Übersetzer, Überprüfung von Designregeln oder diverse Analysen. 2022 geht die CIDOP-Manufacturing-Cloud in einen Testbetrieb mit anderen Forschungseinrichtungen.

Danksagung

Die Forschungsarbeiten zum Cloud-ManufacturingSystem CIDOP der Digital Factory Vorarlberg werden von der FFG im Rahmen des Programms COIN, FFGProjektnr. 866833, gefördert.

Autor*innen

Prof. (FH) DI Dr. Robert Merz ist Research Director der Digital Factory Vorarlberg GmbH

DI Dr. Ralph Hoch ist Area Manager für Digital Manufacturing der Digital Factory Vorarlberg GmbH

Damian Drexel, BSc., MSc. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungszentrum Digital Factory Vorarlberg

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