Zeitschrift EE

 nt 01 | 2022 Flexibilisierung industrieller Energiesysteme

Dekarbonisierung der Prozesswärmeversorgung durch Integration kombinierter erneuerbarer Technologien

Status Quo des Endenergieverbrauchs der österreichischen Industrie

In den letzten Jahren hat das Thema Dekarbonisierung von industriellen Prozessen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Unter anderem wird dies durch die steigenden Preise für CO2-Zertifikate deutlich. Diese sind in Europa von rund 25 €/t CO2 Anfang des Jahres 2021, auf 80 €/t CO2 im Dezember 2021 angestiegen [1]. Die Einführung eines nationalen CO2-Beitrages in Österreich ab Juli 2022 (30 €/t CO[2]) erhöht den Druck auf die Industrie, den Einsatz von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, zusätzlich.

In der österreichischen Industrie wurden im Jahr 2020 rund 62 TWh an Endenergie zur Erzeugung der Nutzenergiekategorien Prozesswärme („Prozesswärme 200 °C“) und „Raumtemperatur und Warmwasser“ aufgewendet. Dies entspricht rund 72 Prozent des industriellen und rund 21 Prozent des österreichischen Gesamtendenergieverbrauchs [3].

Foto: AdobeStock/91563111

In der nachfolgenden Abbildung ist der Anteil des Endenergieverbrauchs zur Bereitstellung der Nutzenergiekategorien für verschiedene österreichische Industriesektoren dargestellt, wobei die Nutzenergiekategorien „Prozesswärme“ und „Raumklima und Warmwasser“ explizit dargestellt sind und die übrigen Nutzenergiekategorien wie Standmotoren, Elektrochemie, EDV und Beleuchtung in der Kategorie „Andere“ zusammengefasst wurden.

Anteile verschiedener Nutzenergiekategorien am Endenergieverbrauch je Industriesektor auf Basis von Daten der Statistik Austria [3]

Es ist erkennbar, dass in den meisten Sektoren die Anteile der Nutzenergiekategorie „Prozesswärme“ sehr hoch sind. Diese Nutzenergiekategorie spielt eine große Rolle bei der Dekarbonisierung von industriellen Prozessen, da über 50 Prozent des Endenergiebedarfs dieser Kategorie mit fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Zum Beispiel wird im Sektor Nahrungs- und Genussmittel rund 80 Prozent der Prozesswärme aus Erdgas erzeugt, wobei mehr als die Hälfte der Prozesswärme auf einem Temperaturniveau kleiner als 200 °C benötigt wird [3].

Das Projekt CORES als Lösungsansatz zur Dekarbonisierung der Industrie

Um die Dekarbonisierung der Industrie voranzutreiben, muss der Anteil an erneuerbaren Energiequellen und die Effizienz der Industrieprozesse gesteigert werden. Die vollständige Dekarbonisierung des Prozesswärmebedarfs eines industriellen Betriebs ist in den meisten Fällen durch die Anwendung von nur einer Technologie nicht realisierbar. Stattdessen besteht die Möglichkeit, mehrere erneuerbare bzw. effizienzsteigernde Technologien miteinander zu kombinieren. Im Forschungsprojekt CORES (Combined Renewable Energy Systems) werden solche Technologiekombinationen, bestehend aus Solarthermie, Photovoltaik, thermische Speicher und Wärmepumpen, sowie direkte Abwärmerückgewinnung zur Deckung des industriellen Wärmebedarfs auf niedrigem und mittlerem Temperaturbereich (bis 150 °C) genauer untersucht. Als Grundlage für die Untersuchungen dienen die Prozesse der Industriepartner des Projekts. Dabei handelt es sich um zwei Beispiele aus dem Sektor „Nahrungs- und Genussmittel“ und um ein Beispiel aus dem Sektor „Steine und Erden, Glas“. Damit wird die Praxisrelevanz der Ergebnisse sichergestellt. Das Ziel des Projektes ist es, optimale, an den Prozesswärmebedarf angepasste Technologiekombinationen zu ermitteln und allgemeine Informationen für die Umlegung der Erkenntnisse auf andere Industrieprozesse zu gewinnen.

CORES wird als D-A-CH-Projekt gemeinsam mit Partnern aus Deutschland und der Schweiz durchgeführt, um zusätzliche Synergien im Bereich optimierter Integration von erneuerbaren Energiequellen in Industriebetrieben sowie innovativer ökonomischer Bewertungsparameter zu nutzen.

Zuverlässige Ergebnisse durch Simulation der Technologiekombinationen

Ausgangspunkt für die Vorauswahl relevanter Technologiekombinationen für einen Industrieprozess sind Informationen zum Prozesswärmebedarf und zur verfügbaren Abwärme.

Sind Abwärmeströme vorhanden, können diese entweder direkt mittels Wärmeübertrager für Prozesse oder über eine Wärmepumpe, die zusätzlich eine Erhöhung des Temperaturniveaus bewirkt, nutzbar gemacht werden. Durch solche Maßnahmen wird die Effizienz des Industrieprozesses gesteigert und je nach zuvor verwendeter Energiequelle auch der CO2- Ausstoß reduziert. Die Einbindung von Solarthermie und Photovoltaikanlagen ermöglicht die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen zur Prozessversorgung, wobei die verfügbaren Dachflächen berücksichtigt werden. Fluktuationen in der Wärmeversorgung sowie im Prozesswärmebedarf können durch den Einsatz von thermischen Speichern ausgeglichen werden.

Im Projekt CORES werden einfache physikalische Modelle der einzelnen Technologien für die Untersuchungen zu einem Systemmodell verknüpft. Durch einen modularen Aufbau können die einzelnen Technologiemodelle beliebig miteinander verknüpft werden, da auch die Verschaltung der einzelnen Technologien eine große Rolle spielt. Ein Beispiel für eine Technologiekombination ist in der folgenden Abbildung dargestellt. In dieser Konfiguration werden drei Verbraucher über parallel zueinander verschaltete Wärmepumpen versorgt.

Für die Prozesswärmeversorgung sind sowohl Sonnenkollektoren als auch Abwärmerückgewinnung vorgesehen, wobei diese in einen thermischen Speicher einspeisen, um Fluktuationen zu glätten. Der thermische Speicher versorgt wiederum drei Wärmepumpen (eine Wärmepumpe pro Verbraucher), die das Temperaturniveau der Wärmeträgermedien anheben. Auf Grund von prozessseitigen Schwankungen des Wärmebedarfs ist beim untersten Verbraucher ein zusätzlicher thermischer Speicher auf der Hochtemperaturseite der Wärmepumpe vorgesehen. Darüber hinaus inkludiert diese Konfiguration eine Photovoltaikanlage. Da bei den Untersuchungen die industrielle Prozesswärmeversorgung im Fokus steht, wird diese zur elektrischen Versorgung der Wärmepumpen eingesetzt. Außerdem wird zusätzlich von der Wärmepumpe benötigte elektrische Energie ebenfalls über eine Sekundärversorgung bereitgestellt. Ist es nicht möglich, die vom Prozess benötigte thermische Energiemenge bzw. das Temperaturniveau mit der Technologiekombination bereitzustellen, wird dies ebenfalls über eine Sekundärversorgung (= bestehende Energieversorgung) berücksichtigt.

Beispielkonfiguration zur Bereitstellung von Prozesswärme. Quelle: Dominik Seliger, TU Wien

Bewertung und Optimierung der Technologiekombination

Die Simulationsergebnisse der Technologiekombination werden nach nachvollziehbaren und aussagekräftigen technischen und ökonomischen Kriterien bewertet. Im Projekt CORES wurde hier unter anderem mit einem Stakeholder-Expertenpool zusammengearbeitet, der sich aus Technologiebereitstellern, Ingenieurbüros sowie Endanwendern zusammensetzt. Basierend auf gemeinsamen Workshops wurden relevante Key-Performance-Indikatoren (KPI), wie zum Beispiel Investitionskosten, Amortisationszeit und CO2-Ausstoß festgelegt. Diese KPIs dienen als Bewertungsgrundlage für die Technologiekombination bzw. zur Dimensionierung der einzelnen Komponenten. Nachdem die Auswahl der geeignetsten Technologiekombination und die Dimensionierung der einzelnen Technologien erfolgt ist, wird auch die Regelung im Betrieb genauer untersucht. Ziel ist es, eine optimal an den Prozesswärmebedarf angepasste, wirtschaftlich realisierbare Technologiekombination mit einem möglichst hohen Dekarbonisierungsgrad zu erhalten.

Danksagung

Ein großer Dank gilt allen Projektpartnern: AEE - Institut für Nachhaltige Technologien, AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Technische Universität Wien - Institut für Energietechnik und Thermodynamik, AutomationX GmbH, AGRANA Fruit Austria GmbH, Lasselsberger GmbH, Gebrüder Woerle Gesellschaft m.b.H. und StadtLABOR Innovationen für urbane Lebensqualität GmbH. Das Projekt CORES (FFG Projektnummer 871669), im Zuge dessen dieser Beitrag entstanden ist, wird vom österreichischen Klima- und Energiefonds gefördert.

Weiterführende Informationen

https://energieforschung.at/projekt/integration-kombinierter-erneuerbarer-energiesysteme-in-die-industrie/

https://www.aee-intec.at/cores-integration-kombinierter-erneuerbarer-energiesysteme-in-die-industrie-p242

Quellen

  1. European Energy Exchange AG, Spotmarkt, https://www.eex.com/de/marktdaten/umweltprodukte/spotmarkt, Zugriff am 20.12.2021
  2. Wien Energy GmbH, Gastbeitrag: Ein CO2-Preis in Österreich https://positionen.wienenergie.at/blog/gastbeitrag-ein-co2-preis-in-osterreich/, Zugriff am 20.12.2021
  3. Statistik Austria, Nutzenergieanalyse Österreich 1993 – 2020, https://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_umwelt_innovation_mobilitaet/energie_und_umwelt/energie/nutzenergieanalyse/index.html, Zugriff am 20.12.2021

Autor*innen

Dipl.-Ing.in Dr.in techn. Sabrina Dusek ist als Research Engineer am AIT Austrian Institute of Technology GmbH tätig.  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dominik Seliger ist Projektassistent am Institut für Energietechnik und Thermodynamik and der Technischen Universität Wien. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing.in Sarah Meitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Technologieentwicklung“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing.in Dr.in techn. Veronika Wilk ist als Thematic Coordinator am AIT Austrian Institute of Technology GmbH tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Karl Ponweiser ist Professor am Institut für Energietechnik und Thermodynamik der Technischen Universität Wien. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Top of page