Zeitschrift EE

 nt 01 | 2022 Flexibilisierung industrieller Energiesysteme

Internationale Forschungszusammenarbeit zur Digitalisierung industrieller Energiesysteme

Die Digitalisierung ist zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens geworden. In der Industrie bietet sie Vorteile wie höhere Produktivität, niedrigere Kosten oder Flexibilität der industriellen Prozesse. Damit verbunden sind eine Verbesserung der Effizienz und Energieeinsparungen. Darüber hinaus kann die Digitalisierung die Integration erneuerbarer Energiequellen und die Umsetzung nachhaltiger Produktionsprozesse unterstützen, insbesondere in energieintensiven Industrien. Dadurch können die Treibhausgasemissionen in der Industrie weiter reduziert werden. Die Digitalisierung bringt jedoch auch einige Herausforderungen mit sich, darunter Fragen der Datenverwaltung und der Datensicherheit. Die Verfügbarkeit und Qualität von Big Data, die von den verfügbaren Sensoren abhängt, ist ein weiteres kritisches Element und essentiell für eine erfolgreiche Umsetzung.

Ein digitaler Zwilling bildet die gesamte industrielle Anlage unter Berücksichtigung der Randbedingungen wie Strompreis und Wärmebedarf digital ab und ermöglicht es durch optimale Steuerung den Gesamtenergieverbrauch zu reduzieren. Bild: © TU Wien – Forschungsmarketing

Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette in der Industrie

Im Rahmen eines Projekts der Internationalen Energieagentur (Technologieprogramm „Industrielle Energietechnologien und Systeme“ - IEA IETS Annex XVIII ) befasst sich ein internationales Konsortium mit Zielsetzungen im Zusammenhang von Digitalisierung entlang der Wertschöpfungs- und Entwicklungskette in der Industrie. Insbesondere widmet sich das Projekt der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz (KI) und damit verbundenen Technologien für mehr Energieeffizienz und die Reduzierung von Treibhausgasemissionen in der Industrie. Dabei werden Methoden und Anwendungen digitaler Zwillinge, Herausforderungen und Lösungen im Zusammenhang mit Digitalisierung sowie Roadmaps für die Implementierung von Digitalisierungsmaßnahmen in der Energie-intensiven Industrie untersucht.

Digitalisierung bietet ein enormes Potenzial, um die anstehenden Herausforderungen im Hinblick auf die Dekarbonisierung zukünftiger flexibler und volatiler industrieller Energiesysteme zu bewältigen. Weltweit arbeitet eine große Community in diesen Bereichen, doch die Entwicklung digitaler Zwillinge hat neben der Anwendung zur Produktionssteuerung noch keinen marktreifen Status erreicht. In den verschiedenen Communities lassen sich unterschiedliche Ansätze der Entwicklung und Umsetzung konkreter Lösungen erkennen, die zu einem unterschiedlichen Verständnis der Begriffe und des damit verbundenen Potenzials bzw. zu unterschiedlichen Herangehensweisen der sinnvollen Umsetzung der Digitalisierung führen. Das Projekt befasst sich speziell mit diesen Herausforderungen, indem es Expert*innen zusammenbringt und gemeinsame Forschung und Arbeiten initiiert. Das internationale Projekt wird von Mouloud Amazouz, CanmetENERGY, Natural Resources Canada, geleitet, der ein Konsortium mit 11 Ländern koordiniert, darunter Österreich, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Portugal, Niederlande, Italien, Schweden und die Schweiz. Das österreichische Konsortium wird vom Institut für Energiesysteme und Thermodynamik der TU Wien geleitet, mit AEE INTEC, dem Austrian Institute of Technology und der Montanuniversität Leoben als weiteren Projektpartnern.

Das Projekt startete 2018 mit „Assessment Studies“ (Task 1), in denen die brennendsten Themen für die weiteren Arbeiten identifiziert wurden. Nach einem einjährigen Konsultations- und Diskussionsprozess standen dann die Themen für die zweite Phase des Projekts fest:

  • Methoden und Anwendungen digitaler Zwillinge (Task 2)
  • Lehren aus der Digitalisierung (Task 3)
  • Roadmap für die Implementierung von Digitalisierungsmaßnahmen in der Energie-intensiven Industrie (Task 4)

Der Schwerpunkt „Methoden und Anwendungen digitaler Zwillinge“ (Task2) wird von Prof. René Hofmann (TU Wien) geleitet und wird hauptsächlich vom österreichischen Konsortium vorangetrieben. Das Ziel ist es, einen Überblick über Methoden und Anwendungen von digitalen Zwillingen für industrielle Energiesysteme zu geben und die Vorteile und Nachteile dieser Technologie zu analysieren. Des Weiteren soll ein internationales, interdisziplinäres Netzwerk von Expert*innen aus Industrie und Forschung in diesem Bereich aufgebaut werden, in dem Wissen zu digitalen Zwillingen für die Industrie ausgetauscht und neue Partnerschaften geknüpft werden, sowie innovative Ideen entstehen können.

White-Paper Digitalisierung in der Industrie

Im Wesentlichen sind die erzielten Ergebnisse der Eingangsstudien in einem White Paper zusammengefasst. Darin wird festgestellt, dass es - obwohl Digitalisierungsmaßnahmen große Potenziale bieten - noch viele Herausforderungen zu meistern gibt. Dazu zählen zum Beispiel heterogene Technologielandschaften, die durch natürliches Wachstum in vielen Betrieben entstanden sind. Dadurch ist die Datenverarbeitung und die Implementierung von Digitalisierungsmaß- nahmen ein komplexes Unterfangen. Zusätzlich wird Digitalisierung zwar mit Produktionslogistik verbunden, jedoch kaum mit einer effizienten und nachhaltigen Energieversorgung von Industriebetrieben. Außerdem behindern unterschiedliche Schnittstellen diverser Systeme die Verfügbarkeit und Nutzung großer Datenmengen.

In einem ersten Schritt wurde der Status quo von bereits gesetzten Digitalisierungsmaßnahmen erhoben und deren Nutzung bewertet. Im White Paper werden wichtige Begriffe definiert und eine Klassifizierungsmethodik vorgestellt, konkrete Digitalisierungsmaßnahmen in der energieintensiven aber auch -extensiven Industrie erhoben sowie ein Überblick über Digitalisierungsprojekte in der österreichischen Industrie gegeben. Außerdem werden relevante Techniken, Technologien und Anwendungen der Digitalisierung identifiziert und in Hinblick auf Anforderungen, Barrieren und Potenzial analysiert.

Im Whitepaper „Digitalization in Industry – an Austrian Perspective” wird der Stand der Digitalisierung in der Industrie analysiert und zukunftsweisende digitale Technologien aufgezeig.t Quelle: IEA TCP IETS Annex XVIII

Das White Paper unterstreicht die Bedeutung von Digitalisierungsmaßnahmen für die Entwicklung, den Betrieb und die Wartung industrieller Anlagen. Österreich zählt durch die große Anzahl umgesetzter und laufender Projekte im Bereich der Digitalisierung zu den führenden Ländern in diesem Bereich. Das zeigen auch aktuell laufende Projekte bei AEE INTEC und den anderen österreichischen Partnern. Die Erkenntnisse beispielsweise aus dem Projekt „Digital Energy Twin“ (vom Klima- und Energiefonds gefördertes Leitprojekt unter der Leitung von AEE INTEC) werden direkt in Task 2 eingebracht. Damit sollen auch standardisierte Schnittstellen zwischen bestehenden industriellen Anlagen und dem aufzubauenden digitalen Zwilling inklusive Optimierung des Systems erreicht werden. Die Wertschätzung und Akzeptanz aller Beteiligten sowie der Gesellschaft spielen eine entscheidende Rolle, um eine weitreichende digitale Transformation der Industrie zu erreichen.

Digitale Zwillinge in industriellen Energiesystemen

In allen teilnehmenden Ländern gibt es ähnliche Hindernisse bei der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen in der Industrie. Es besteht mangelndes Verständnis darüber, wie Digitalisierungsmaßnahmen zu einer erhöhten Energieeinsparung und der Reduzierung von Treibhausgasemissionen in der Industrie führen können bzw. welchen potenziellen Nutzen und welche Auswirkungen digitale Zwillinge auf die globalen Klimaziele haben. Außerdem besteht Inkonsistenz bei relevanten Begriffen und Definitionen.

Derzeit führt das österreichische Konsortium eine Umfrage zu den Herausforderungen rund um digitale Zwillinge durch, um die Expertise zwischen den Teilnehmern auszutauschen.

Die Grundidee des vorbereiteten Fragebogens ist es, den Stand der Technik von digitalen Zwillingen in industriellen Energiesystemen angemessen zu bewerten und zu beurteilen. Darüber hinaus sollen nach Zusammenstellung der Umfrageergebnisse detaillierte Einblicke in die in den Industrien eingesetzten Techniken und Methoden gewonnen werden.

Ergebnisse des Fragebogens zur Einschätzung des Stellenwerts von digitalen Zwillingen in Industriebetrieben. 20 Fragebögen konnten für die Auswertung herangezogen werden.

Der Schwerpunkt der Umfrage liegt auf technischen Details zu Modellierungsansätzen und Implementierungen von digitalen Zwillingen in Industrieunternehmen, doch die Ergebnisse zeigen auch eindrucksvoll den Stellenwert, den diese neue Technologie in den teilnehmenden Unternehmen hat: 70 Prozent stimmten zu oder stimmten vollkommen zu, dass digitale Zwillinge wichtig für die Erreichung der CO2-Einsparungsziele seien. Unglaubliche 95 Prozent gaben an, dass digitale Zwillinge wichtig bzw. sehr wichtig für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit seien und 65 Prozent erwarten sich, dass digitale Zwillinge neue Geschäftsmodelle ermöglichen werden.

Ausblick

Digitalisierung ist eine geeignete Methode, um die anstehenden Herausforderungen der Dekarbonisierung industrieller Systeme, die in Zukunft flexibler und volatiler werden, zu meistern. Das Projekt der Internationalen Energieagentur (IEA IETS Annex XVIII) wird über die internationale Zusammenarbeit einen Beitrag zu einer weiteren Standardisierung der Methoden und Prozesse leisten. Gewonnene Erkenntnisse werden direkt in konkrete Umsetzungen und weitere Forschungen einfließen.

Weiterführende Informationen

Link zum White Paper https://iea-industry.org/news/new-white-paper-digitalization-in-industry-an-austrian-perspective/

Link zum Projekt IEA IETS Annes XVIII https://iea-industry.org/tasks/digitalization-artificial-intelligence-and-related-technologies-for-energy-efficiency-and-ghg-emissions-reduction-in-industry/

Stellungnahme

"Die Digitalisierung von Fertigungsprozessen stellt Unternehmen vor immense Herausforderungen. OT Security, prozessübergreifende Vernetzung oder der Einsatz von Cloud-Technologien sind einige davon. Oft lassen sich Auswirkungen getroffener Maßnahmen ohne den Einsatz digitaler Zwillinge nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Die Ergebnisse des gemeinsamen Projektes „Digital Energy Twin“ werden uns zukünftig helfen, bessere Lösungen im Bereich der Digitalisierung für den Markt bereit zu stellen."

Reinhard Mayr, Head of Information Security & Research Operations, COPA-DATA GmbH

Foto: COPA-DATA GmbH

Autor*innen

Dipl.-Ing. Jürgen Fluch leitet den Bereich „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. techn. Felix Birkelbach ist Universitätsassistent am Institut für Energietechnik und Thermodynamik der Technischen Universität Wien. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ekanki Sharma, M.Sc. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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