Zeitschrift EE

 erneuerbare energie: 2.2021

„Ohne Europa gibt es keine bedeutsame Klimapolitik“ *

* Zitat aus einem Beitrag vom amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz und dem britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in „DIE ZEIT“, Nr. 44, 28. Okt. 2021, S.2

Text: Karl Kellner

Die Europäische Kommission analysiert den österreichischen Aufbau- und Resilienzplan und zeigt auf, in welchen Bereichen wir noch säumig sind.

Klimawandel und Umweltzerstörung sind existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt. Mit dem europäischen Grünen Deal wollen wir daher den Übergang zu einer ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt,
  • ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt,
  • niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt.

Der europäische Grüne Deal führt uns auch aus der Corona-Krise: Ein Drittel der Investitionen aus dem Aufbaupaket „NextGenerationEU“ und dem Siebenjahres-Haushalt der EU bis 2027 mit einem Umfang von insgesamt 1.800 Milliarden Euro fließt in den Grünen Deal.

Im Sinne einer Senkung der NettoTreibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 hat die EU-Kommission heuer am 14. Juli konkrete Vorschläge für eine neue Klima-, Energie-, Verkehrs- und Steuerpolitik vorgelegt („Fit für 55“). Nur wenn wir diese Senkungen noch in diesem Jahrzehnt angehen, kann Europa bis 2050 erster klimaneutraler Kontinent werden und den europäischen Grünen Deal umsetzen.

Mehr als 670 Milliarden Euro stehen den 27 EU-Mitgliedsländern wegen der Corona-Pandemie im Rahmen des „NextGenerationEU“-Plans zur Verfügung. Wie die aliquoten Mittel verwendet werden sollen, hat Österreich in seinem nationalen Aufbau- und Resilienzplan festgelegt. Foto: EU/Aurore Martignoni

Die Europäische Kommission schlägt vor, die verbindliche Zielvorgabe für erneuerbare Energien im Energiemix der EU auf 40 Prozent anzuheben. Die Vorschläge beinhalten neue Ziele zur Förderung der Einführung erneuerbarer Kraftstoffe, zum Beispiel von Wasserstoff für Industrie und Verkehr. Auch die Senkung des Energieverbrauchs ist von prioritärer Bedeutung, um sowohl die Emissionen als auch die Energiekosten für Verbraucher und Industrie zu verringern. Die Kommission schlägt höhere verbindliche Energieeinsparziele auf EU-Ebene vor, um bis 2030 eine Gesamtreduktion von 36 bis 39 Prozent für den Endenergie- und Primärenergieverbrauch zu erreichen.

EU-AUFBAU- UND RESILIENZFAZILITÄT

Die EU Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) – das Herzstück von „NextGenerationEU“ – stellt insgesamt bis zu 672,5 Milliarden Euro bereit (312,5 Mrd. € Finanzhilfen sowie weitere 360 Mrd. € an Darlehen). Um diese Mittel abzurufen, mussten alle EU-Staaten nationale Pläne einreichen und deklarieren, wie sie die Gelder verwenden wollen, um die vorgegebenen Ziele – vom Klimaschutz bis zur Stärkung des Gesundheitswesens – zu erreichen.

ÖSTERREICH

Im Juni 2021 hat die Europäische Kommission den Aufbau- und Resilienzplan Österreichs positiv bewertet und die Auszahlung von 3,5 Milliarden Euro an Zuschüssen aus der EU-ARF freigegeben. Diese nicht rückzahlbaren Finanzmittel sollen helfen, die wichtigen Investitions- und Reformvorhaben bis 2026 umzusetzen, die Österreich in seinem Aufbau- und Resilienzplan vom April des heurigen Jahres skizziert hat. Der Anteil Österreichs – nur an den Finanzhilfen, keine Darlehen – liegt also bei 1,12 Prozent. Da die Verteilung der Mittel nicht ausschließlich auf Basis der Bevölkerungszahl, sondern auch aufgrund von Wirtschafts- und Beschäftigungsdaten erfolgt, erhält Österreich diesen niedrigeren Anteil.

Die Kommission hat den österreichischen Plan insbesondere hinsichtlich folgender Aspekte analysiert:

  • ob die von Österreich geplanten Investitionen und Reformen den ökologischen und digitalen Wandel vorantreiben,
  • die beim Europäischen Semester ermittelten Herausforderungen wirksam bewältigen helfen und
  • das Wachstumspotenzial, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die wirtschaftliche und soziale Resilienz stärken

Zur Sicherung des ökologischen und digitalen Wandels in Österreich stellt die Kommission bei ihrer Bewertung fest, dass 59 Prozent der Gesamtmittel des österreichischen Plans für Maßnahmen vorgesehen sind, die den Klimaschutzzielen zugutekommen. Dazu gehören Reformen am österreichischen Steuersystem, die die CO2-Emissionen reduzieren werden, indem Anreize für klimafreundliche Technologien gesetzt und die Steuersätze für emissionsarme und emissionsfreie Produkte ermäßigt werden, sowie die Bepreisung von CO2-Emissionen. Flankiert wird dies durch gezielte Steuerentlastungen für Unternehmen und einkommensschwache Haushalte. Geplant sind außerdem Investitionen in Energieeffizienz, erneuerbare Energien, die Dekarbonisierung der Industrie, die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft. Diese Investitionen gehen mit Reformen einher: so sollen unter anderem die Förderregelungen für Erneuerbare modernisiert und Ölheizungen nach und nach ersetzt werden.

Gemäß der Bewertung der Kommission sind 53 Prozent der Gesamtmittel des österreichischen Plans für Maßnahmen vorgesehen, die den digitalen Wandel unterstützen.

Was die Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Resilienz Österreichs betrifft, enthält nach Auffassung der Kommission der österreichische Plan ein umfassendes Paket sich gegenseitig verstärkender Reformen und Investitionen, die dazu beitragen, einen Großteil der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen aus den länderspezifischen Empfehlungen an Österreich wirksam zu bewältigen.

Hinsichtlich Investitionen und Reformen im Rahmen der Leitinitiativen plant Österreich Projekte im Rahmen von sieben europäischen Leitinitiativen. Dabei handelt es sich um gezielte Investitionsvorhaben in beschäftigungs- und wachstumswirksamen Bereichen, die alle EU-Mitgliedstaaten betreffen und für den ökologischen und digitalen Wandel unentbehrlich sind.

Die Kommission stellt fest: „Die Durchschnittstemperatur ist in Österreich seit Beginn der Industrialisierung um etwa 2°C gestiegen, was die Anpassung an den Klimawandel noch dringlicher macht.“

Wir liegen also bereits jetzt über dem Zielwert des Pariser Abkommens aus 2015! Beispielhaft wird nachfolgend insbesondere auf nachhaltige Mobilität und umweltfreundlichere Gebäude fokussiert, die beide mit zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen gehören. Die Kommission stellt in Abschnitt 2.3. klar:

„Die Treibhausgasemissionen Österreichs liegen noch immer deutlich über dem EU-Durchschnitt und es muss mehr getan werden, um Klimaneutralität zu erreichen. Die gesamten Treibhausgasemissionen übersteigen den Wert von 1990, während sie im Rest der EU im selben Zeitraum um ein Viertel zurückgegangen sind. Auch pro Kopf liegen die Treibhausgasemissionen weiterhin über dem EU-Durchschnitt von 2019. In den letzten Jahren wurden die Emissionsreduktionen in der Industrie durch einen höheren Endenergieverbrauch im Gebäude- und Verkehrssektor aufgezehrt.

Die Emissionsreduktionen in der Industrie wurden in den vergangenen Jahren in Österreich durch einen höheren Endenergieverbrauch im Gebäude- und Verkehrssektor aufgezehrt. Fotos: PxHer

Vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie lief Österreich Gefahr, sein verbindliches Emissionsreduktionsziel für 2020 zu verfehlen, und lag auch nicht auf Kurs, um das Ziel für 2030 zu erreichen. Im österreichischen Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) werden die größten Herausforderungen bei der Erreichung des Ziels für 2030 mit Blick auf die nicht unter das Emissions-Handelssystem (EHS) der EU fallenden Treibhausgas(THG)-Emissionen genannt. Der Übergang Österreichs zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird über längere Zeit beachtliche private und öffentliche Investitionen erfordern. Ohne weitere Maßnahmen dürfte das ehrgeizige Ziel Österreichs, bis 2040 klimaneutral zu werden, kaum zu erreichen sein.“

Der Bausektor ist in Österreich ein wichtiger Verursacher und weist noch erhebliches Potenzial für eine Emissionsminderung auf. Österreich hat auch für weitere Emissionsverringerungen im Gebäudesektor ein quantitatives Ziel aufgestellt (3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente im Zeitraum 2016 bis 2030). Eine effizientere Nutzung von Baumaterialien bei Bau und Renovierung (Stichwort: Kreislaufwirtschaft) würde zu einer weiteren Verringerung der THG-Emissionen beitragen und den Umweltzielen zugutekommen.

Die thermische Sanierung öffentlicher und privater Gebäude, die Heizungserneuerung und Umstellung auf erneuerbare Energieträger und die Steigerung der Energieeffizienz werden gleich von mehreren Komponenten des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans abgedeckt.

ERNEUERBARE ENERGIE

Österreich liegt auf Kurs, um sein EU-Ziel für erneuerbare Energien zu erfüllen, doch sind noch erhebliche Investitionen erforderlich, damit Österreich das Ziel erreicht, seinen Stromverbrauch bis 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu bestreiten. Um die Stromversorgung zu dekarbonisieren, muss Österreich die notwendigen zusätzlichen Kapazitäten installieren und die Stromerzeugung aus Erneuerbaren um 27 Terawattstunden (THW) jährlich steigern (11 THW Fotovoltaik, 10 THW Wind, 5 THW Wasserkraft und 1 THW Biomasse)

Hierzu sieht der Entwurf des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes die Überarbeitung der nationalen Förderregelungen für erneuerbare Energien vor (Anm: mittlerweile beschlossen, BGBl.I Nr. 150/2021).

Laut NKEP will Österreich zum EU-Ziel für erneuerbare Energien bis 2030 beitragen, indem es den Anteil erneuerbarer Energie am Brutto-Endenergieverbrauch bis 2030 auf 46 bis 50 Prozent erhöht.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird auch ein substanzieller Ausbau der erneuerbaren Energien in den Sektoren Wärme und Kälte sowie Verkehr nötig sein. Deshalb ist es wichtig, die Strategie für erneuerbare Wärme fertigzustellen und umzusetzen sowie E-Mobilität und die Nutzung erneuerbarer und CO2-armer Kraftstoffe zu fördern. Mein persönliches „ceterum censeo“ ist dabei wiederum, dass im Zuge der Erarbeitung der Strategie für erneuerbare Wärme die Solarthermie nicht aus dem Fokus gerät und ihr der gebührende Stellenwert in Großanlagen, im Unternehmensbereich und im Ein-/Mehrfamilienhausbereich mit entsprechend hohem Warmwasserbedarf eingeräumt wird.

ENERGIE- UND RESSOURCENEFFIZIENZ

Österreich liegt nicht auf Kurs, um sein Ziel für die Energieeffizienz zu erreichen, doch sind weitere Anstrengungen geplant. Laut endgültiger Fassung des NEKP soll der österreichische Beitrag zum Energieeffizienz-Ziel mittels einer Spanne von 28,7 bis 30,8 Millionen Tonnen Rohöleinheiten (Mio. t RÖE) für den Primärenergieverbrauch und von 24 bis 25,6 Mio. t RÖE für den Endenergieverbrauch erbracht werden. Diese Ziele sind laut Kommission nicht sehr ambitioniert. Der NEKP erkennt das „Energy Efficiency First“-Prinzip an und enthält Elemente zur Energieeffizienz von Gebäuden. Die Langfristige Renovierungsstrategie Österreichs 2020 enthält klare Meilensteine, die bis 2050 bezogen auf die THG-Emissionen erreicht werden sollen, und geht von der Einschätzung aus, dass die Maß- nahmen ausreichen werden, um die geplante Dekarbonisierung des Gebäudebestands um 80 Prozent zu erreichen. Bei dieser Strategie wird der Ersetzung von Kohle- und Ölheizungen großes Gewicht beigemessen und die Gebäuderenovierung mit einem umfassenden Mix aus Regulierungsanforderungen, fiskalischen und wirtschaftlichen Anreizen sowie Informationsmaßnahmen adressiert. Die Mikroelektronik ist eine Schlüsseltechnologie für den digitalen Wandel sämtlicher Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft und für die Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals.

Die Verringerung der THG-Emissionen aus dem Verkehrs- und Gebäudesektor ist entscheidend dafür, dass Österreich seine Klimaziele für 2030 erreicht.

Im Teilbereich „Sanierungsoffensive“ aus dem Kapitel „Nachhaltiger Aufbau“, sind eine Reformmaßnahme – das „Erneuerbare Wärmegesetz“ – sowie zwei Investitionsmaßnahmen aufgeführt: „Förderung des Austauschs von Öl- und Gasheizungen“, deren Fokus auf der Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe für die Wärmeversorgung liegt, und „Bekämpfung von Energiearmut“, mit der die sozialen Kosten umweltpolitischer Maßnahmen so gering wie möglich gehalten werden sollen. Die genannten Maßnahmen fördern den Umstieg auf nachhaltigere Heizanlagen und bieten einkommensschwachen Haushalten im Sinne des sozialen Zusammenhalts Unterstützung bei dieser Umstellung.

Investitionen in den Bereichen Gebäuderenovierung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien werden einen weiteren signifikanten Beitrag zum Klimaziel leisten. Sie fördern den Austausch von 31.800 Öl- und Gasheizkesseln durch erneuerbare Technologie wie Biomasse, Wärmepumpen und effiziente Fernwärmeheizanlagen – wobei sich die EU-Kommission und die österreichische Regierung über den Gegenwert dieser Maßnahme nicht ganz einig sein dürften. Die EU beziffert den Wert mit 159 Millionen Euro, die österreichische Regierung nennt 1,9 Milliarden Euro.

Durch die Förderung komplexer thermischer Sanierungen bei 2.250 Einfamilienhäusern sollen Emissionen gesenkt und Energiearmut bekämpft werden (50 Mio. EUR). Darüber hinaus werden die thermische Gebäuderenovierung, die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen und Energiesparmaßnahmen auch durch die allgemeinen Investitionsprämien für Unternehmen gefördert.

Im Plan werden zwei vorgesehene wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) aufgeführt, eines im Bereich Mikroelektronik und Konnektivität und eines im Bereich Wasserstoff; hierbei handelt es sich um relevante Mehrländer-Projekte. Das Projekt zum Aufbau eines europäischen Wasserstoffökosystems wird die Erzeugung, Speicherung und Anwendung von Wasserstoff, insbesondere in energieintensiven, schwer zu dekarbonisierenden Industrie- und Mobilitätssektoren, fördern und zu den Klimazielen der EU beitragen. Verstärkte Unterstützung ist für ein geplantes wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse für erneuerbaren Wasserstoff (125 Mio. EUR) vorgesehen; dabei sollen die Erzeugung, Speicherung und Anwendung von erneuerbarem Wasserstoff gefördert werden, um den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen zu senken und einen integrierten Markt für grü- nen Wasserstoff zu schaffen, welcher als wesentliche Voraussetzung für die Energiewende in Österreich gilt. Diese Investitionsbemühungen werden mit dem Erneuerbaren-Ausbaugesetz durch eine umfassende Reform des nationalen Fördersystems für erneuerbare Energien unterstützt.

Zum Nachlesen

Umfassende Analyse des österreichischen Plans Die Europäische Kommission hat eine umfassende Arbeitsunterlage vorgelegt „Analyse des Aufbau- und Resilienzplans Österreichs“. Die Analyse enthält – abseits politisch-diplomatischer Floskeln – detaillierte faktenbasierte Darstellungen der einzelnen Bereiche des österreichischen Plans und ist über diesen Link abrufbar: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/com-2021-338_swd_de.pdf .

Autor

KARL KELLNER war als Berater bzw. Referatsleiter in der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Energie, für den Bereich der erneuerbaren Energie und Energieeffizienz, insbesondere deren Finanzierung, bis 2013 zuständig. Er ist langjähriges förderndes Mitglied der AEE und berichtet für die „erneuerbare energie“ regelmäßig über gesamteuropäische Aspekte in Energiefragen

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