Zeitschrift EE

nt 03 | 2021 Energiequelle Abwasser

Energiewende und Marktentwicklung Erneuerbarer – ein Widerspruch?

Die Marktentwicklung der Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energie war im Jahr 2020 im österreichischen Inlandsmarkt – wie schon in den Vorjahren – sehr heterogen. Die längerfristigen technologiespezifischen Trends bestätigten sich weitestgehend. Wie die aktuelle Marktstudie [1] zeigt, ist ein längerfristiges dynamisches Wachstum alleine im Bereich der Heizungswärmepumpen (seit 2000) und neuerdings auch im Bereich der Photovoltaik (seit 2017) zu beobachten. Die Verkaufszahlen von Biomassekessel wachsen seit zwei Jahren wieder. Wenig hoffnungsvoll stimmen jedoch die seit 2010 stark rückläufigen Verkaufszahlen von thermischen Solaranlagen und der im Jahr 2020 zum Erliegen gekommene Ausbau der Windkraft. Die beiden zuletzt genannten Entwicklungen führten 2020 sogar zu einer Reduktion des jeweiligen in Betrieb befindlichen Anlagenbestandes. Die in der oben zitierten Studie nicht untersuchten Bereiche Wasserkraft, flüssige Biomasse, gasförmige Biomasse und tiefe Geothermie zeigten in den letzten Jahren – abgesehen von der punktuellen Realisierung neuer Pumpspeicherkapazitäten – keinen nennenswerten Zubau.

Foto: SOLID

Österreichische Energieversorgung

Konkrete Fahrpläne für eine Dekarbonisierung der österreichischen Energieversorgung in den Bereichen Strom und Wärme werden beispielsweise in den Studien “Stromzukunft 2030“ [2] und “Wärmezukunft 2050“ [3] dargestellt. Die zur Erreichung der nationalen Klima- und Energieziele erforderlichen Diffusionsraten von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energie liegen dabei jeweils deutlich über den aktuell messbaren Entwicklungen. Die Grafik veranschaulicht die zögerliche Annäherung an das 34 % Erneuerbare-Ziel von 2020 und mögliche weitere Entwicklungspfade, die durch logistische Funktionen (LF) skizziert sind. Es wird dabei deutlich, dass die Ziele 2030/2040 nur durch einen umfassenden und tiefgreifenden Paradigmenwechsel erreichbar sind.

Herausforderungen und Handlungsbedarf

So müsste die jährliche Stromproduktion aus Photovoltaik von 2,0 TWh im Jahr 2020 auf 11,3 TWh im Jahr 2030 gesteigert werden, was einem gleichmäßigen jährlichen Zubau von 930 MWpeak im Zeitraum von 2021 bis 2030 entspricht. Der Ersatz von Altanlagen spielt bei der Photovoltaik in diesem Zeitraum noch keine große Rolle. Der Zubau an Photovoltaik im Jahr 2020 in der Höhe von 341 MWpeak müsste folglich für die Zielerreichung bereits im Jahr 2021 um den Faktor 2,7 gesteigert werden. Wird diese Steigerung 2021 nicht erreicht, müssen diese Versäumnisse im weiteren Diffusionsverlauf bis 2030 kompensiert werden, was zu immer größeren Herausforderungen führt.

Im Bereich der Windkraft müsste eine Steigerung der Stromproduktion von 7,1 TWh im Jahr 2020 auf 17,5 TWh im Jahr 2030 erfolgen. Dies entspricht einer jährlichen Netto-Neuinstallation von Windkraftanlagen im Umfang von circa 456 MW für den Zeitraum von 2020 bis 2030, was auch das historische Diffusionsmaximum aus dem Jahr 2014 mit 408 MW übertrifft. Darüber hinaus steht im Zeitraum 2020 bis 2030 rund 1 GW Windkraftleistung zur Dekommissionierung an, was die tatsächlich erforderliche jährliche Neuinstallation auf mehr als 550 MW erhöht.

Die genannten Relationen gelten jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der in der Studie angenommene Ausbau weiterer Strombereitstellungstechnologien auf Basis Erneuerbarer wie Wasserkraft, Biomasse KWK, und Biogas tatsächlich stattfindet und sich die Steigerung der Nachfrage trotz Elektrifizierung des Mobilitätssektors in den angenommenen Grenzen bewegt. Ähnliche Herausforderungen sind im Wärmebereich zu bewältigen. In diesem Bereich geht es einerseits darum, die Neuinstallation von Wärmebereitstellungssystemen auf Basis fossiler Energie prompt zu beenden. Andererseits muss der große Anlagenbestand zur Nutzung fossiler Energie zügig durch Erneuerbare ersetzt werden. Die vermeintlich lange, hierfür zur Verfügung stehende Zeitspanne bis 2040, ist aufgrund der langen Anlagenlebensdauern selbst unter den Rahmenbedingungen ambitionierter Szenarien knapp bemessen und erfordert wegen drohender Lock-in Effekte unverzügliches Handeln.

Aktivitäten und Maßnahmen

Die im Jahr 2019 auf Bundes- und Länderebene gestartete Kampagne “Raus aus dem Öl“ brachte bereits einen ersten Impuls und führte zu messbaren Wachstumseffekten bei Pelletkesseln und Heizungswärmepumpen. Dennoch wurden im Jahr 2020 laut VÖK [4] noch circa 46.000 Erdgasgeräte und circa 3.000 Ölkessel verkauft, was insgesamt 47 % des InlandsHeizungsmarktes entspricht. Wie eine aktuelle Studie [5] zeigt, sind die zukünftigen Möglichkeiten bei der Substitution von Erdgas durch erneuerbares Gas stark limitiert. Eine entsprechende Substitution ist demnach in technologisch kritischen Bereichen wie zum Beispiel bei bestimmten industriellen Prozessen oder im Transportsektor denkbar, nicht jedoch im Raumwärmebereich.

Grundvoraussetzung für eine ausschließlich erneuerbare Wärmeversorgung ist weiters die Halbierung des Energieverbrauchs im Wärmesektor. Effektive Maßnahmen wie die thermische Gebäudesanierung sollten dabei synchron mit der Umstellung auf Erneuerbare erfolgen. Wenig ambitioniert sanierte Gebäude und deren Wärmebedarf verbleiben ebenfalls weit über den Zielhorizont 2040 im Bestand und behindern damit die Erreichung der Ziele im Wärmebereich.

Klima- und Energieziele

Ein ambitionierter Ausbau Erneuerbarer wird aktuell von zahlreichen Faktoren gehemmt. Die längerfristig niedrigen Preise fossiler Energie, die inhärente Trägheit von Energiesystemen, die Attribute der Anwender*innen aus der frühen Mehrheit, fortgeschrittene Potenzial-Kostenkurven und der aufkommende Wettbewerb unter den Erneuerbaren selbst – um nur einige zu nennen – bewirken ein zunehmend anspruchsvolles Diffusionsumfeld. Erneuerbare kommen unter diesen Bedingungen nicht von selbst. Zur Erreichung der gesteckten Klima- und Energieziele ist deshalb der unverzügliche Einsatz von gesamtheitlich abgestimmten, effektiven und effizienten energie- und umweltpolitischen Instrumenten in einem völlig neuartigen Umfang unumgänglich.

Erneuerbare-Ziele, tatsächliche Entwicklung und mögliche Entwicklungspfade. Quellen: Statistik Austria, ENFOS

Literatur

[1] Biermayr Peter, Christa Dißauer, Manuela Eberl, Monika Enigl, Hubert Fechner, Bernhard Fürnsinn, Martin Jaksch-Fliegenschnee, Kurt Leonhartsberger, Stefan Moidl, Evelyne Prem, Christoph Schmidl, Christoph Strasser, Werner Weiss, Maximilian Wittmann, Patrik Wonisch, Elisabeth Wopienka (2021) “Innovative Energietechnologien in Österreich – Marktentwicklung 2020“, Endbericht zur Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Berichte aus Energie- und Umweltforschung Nr. 18/2021, Wien, Juni 2021.

[2] Resch Gustav, Burgholzer Bettina, Totschnig Gerhard, Geipel Jasper (2016) “Stromzukunft 2030“. Technische Universität Wien, Energy Economics Group, Wien 2016

[3] Kranzl L., Müller A., Maia I., Büchele R., Hartner M. (2018) “Wärmezukunft 2050“, Erfordernisse und Konsequenzen der Dekarbonisierung von Raumwärme und Warmwasserbereitstellung in Österreich – Kurzfassung, Wien 2018.

[4] VÖK (2021) “Absatz von Heizkesseln über Vorjahr“, Presseaussendung der Vereinigung Österreichischer Kessellieferanten vom 21.01.2021.

[5] Baumann Martin, Karin Fazeni-Fraisl, Thomas Kienberger, Peter Nagovnak, Günter Pauritsch, Daniel Rosenfeld, Christoph Sejkora, Robert Tichler (2021) “Erneuerbares Gas in Österreich 2040“, Endbericht zur Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Wien, Juni 2021

Autor*innen

Dipl.-Ing. Dr. Peter Biermayr ist Inhaber des Ingenieurbüro ENFOS, Energie und Forst – Forschung und Service. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Top of page