Zeitschrift EE

nt 03 | 2021 Energiequelle Abwasser

Energieraumplanung in Kapfenberg – Die Kläranlage als lokaler Wärmelieferant

Die Ausgabe 01/2021 der ‚nachhaltige technologien‘ hatte ‚Neue Impulse für die Energieraumplanung‘ zum Thema. In diesem Zusammenhang nimmt die Stadtgemeinde Kapfenberg eine Vorreiterrolle ein, schließlich waren Kapfenberg und Semriach die ersten Gemeinden in der Steiermark, die im Rahmen der örtlichen Raumplanung ein Sachbereichskonzept Energie erstellt und im Gemeinderat beschlossen haben.

Übersicht Kläranlage Mürz IV (Kapfenberg) und Wärmeabnehmer “Riverside” Masterarbeit Bernd Hrdy (in Ausarbeitung) [1]. Bildquelle: basemap.at

Der Südwesten Kapfenbergs wurde darin als Vorranggebiet für eine Fernwärmeversorgung identifiziert, dort befindet sich auch die Kläranlage Kapfenberg mit einer Ausbaukapazität von 49.000 Einwohnerwerten (EW). Ergänzend wurde in einem Vorprojekt von AEE INTEC ein Stakeholder-Prozess in Gang gesetzt, um Potenziale zwischen den Stadtwerken und der Kläranlage Kapfenberg zu analysieren [2].

Darauf aufbauend wurde nun über den Ökofonds des Landes Steiermark eine Machbarkeitsstudie gefördert, in der die energetischen Potenzial der Kläranlage in Bezug auf die lokale Wärmeversorgung untersucht wurden. In der Kläranlage Kapfenberg wurde bis dato das vorhandene Biogas, das bei der anaeroben Faulung des Klärschlamms anfällt, zur Deckung des internen Energiebedarfs in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) in Strom (60 % Deckungsgrad) und Wärme (> 100 % Deckungsgrad) umgewandelt. Wärmeüberschüsse im Sommer und in der Übergangszeit blieben ungenutzt und mussten gegebenenfalls über Rückkühlungseinheiten „vernichtet“ werden. Gleichzeitig entsteht derzeit im unmittelbaren Nahbereich der Kläranlage ein neues Wohnquartier mit 220 Wohnungen (davon 64 als sanierter Altbestand) und einem entsprechenden Wärmebedarf. Die Stadtwerke Kapfenberg garantieren hierfür eine nachhaltige und CO2-freie Wärmelieferung.

Die Kläranlage als Wärmelieferant

Eine sinnvolle Verwertung der derzeit anfallenden Überschusswärme stellte eine wichtige Motivation für die jetzt durchgeführten Untersuchungen dar. Zudem soll mit der Erschließung der bisher nicht genutzten Niedertemperaturwärme aus dem gereinigten Abwasser im Kläranlagenablauf auch ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der strukturellen Energieeffizienz geleistet werden, indem auch die vorhandene Abwasserwärme einer Verwendung zugeführt wird. Das hier verfügbare Wärmepotenzial reicht jedenfalls dazu aus, den kläranlageninternen Niedertemperatur- Wärmebedarf, der primär von der Temperierung des Klärschlammes im Bereich von 38 °C in den Faultürmen dominiert wird, zu decken und damit das bisher dafür verwendete hochwertige Biogas sowie die bisher ungenutzte Überschusswärme für die Wärmeversorgung im Kläranlagenumfeld „freizuspielen“, wo ein höheres Temperaturniveau (75 °C) benötigt wird. Der zielgerichtete Einsatz von Nieder- und Hochtemperaturwärme auf Kläranlagen ist ein neuer Ansatz im Umgang mit der Ressource Wärme und stellt hier einen wichtigen Meilenstein im Sinne einer effizienten Energienutzung dar. Die Grafik auf der nächsten Seite zeigt das lokale Abwasser- und Wärmenutzungskonzept um das Wohnobjekt Riverside und die Kläranlage Kapfenberg.

Das neue lokale Abwasser- und Wärmenutzungskonzept um das Wohnobjekt Riverside und die Kläranlage Kapfenberg. Quelle: Masterarbeit Bernd Hrdy (in Ausarbeitung)

Die Umsetzung in zwei Phasen

Die Integration der Kläranlage Kapfenberg in die örtliche Wärmeversorgung erfolgt in zwei Phasen: In der ersten Phase erfolgte bereits der Anschluss der Kläranlage an das zur Versorgung der Wohnsiedlung dienende Nahwärmenetz. Damit wird es möglich, die bei der Verwertung des Klär-/Biogases im Blockheizkraftwerk der Kläranlage anfallende Wärme auszuspeisen, wobei in dieser Phase nur der Verkauf der in den Sommermonaten Mai bis September anfallenden Überschusswärme vereinbart wurde. Die Investitionskosten (Fernwärmeverteiler mit Wärmetauscher, Einbindung in die Regelungstechnik) belaufen sich hier auf rund 46.000 EUR. Ausgehend von dem geschätzten Wärmebedarf bei Fertigstellung der Wohnanlage im Jahr 2022 wird damit gerechnet, dass im Betrachtungszeitraum schlussendlich rund 5.100 EUR an jährlichen Einnahmen für die Kläranlage lukriert werden können. Phase 1 wurde im Sommer 2020 umgesetzt, und die Kläranlage Kapfenberg damit erfolgreich in die örtliche Wärmeversorgung integriert. In der zweiten Phase wird die im Ablauf der Kläranlage verfügbare Abwasserwärme erschlossen, um den kläranlageninternen Bedarf zu decken und zusätzliches Klär-/Biogas für die externe Versorgung „freizuspielen“. Der Betrachtungszeitraum dieser Phase bezieht sich dabei auf die Wintermonate Oktober bis April. Die Investitionskosten (Anschaffung und Installation eines Abwasserwärmetäuschers und einer Wärmepumpe, Anpassung des Faulturmwärmetauschers, Errichtung von benötigten Leitungen) betragen rund 143.000 EUR. Je nach angesetztem Wärmepreis können durch den Wärmeverkauf jährlich zusätzliche Einnahmen von etwa 19.600 EUR sowie unabhängig davon Erdgaseinsparungen in der Höhe von rund 17.000 EUR für die Kläranlage lukriert werden. Dem stehen allerdings zusätzliche Stromkosten für den Betrieb der Wärmepumpe in der Höhe von kalkulierten 26.000 EUR pro Jahr gegenüber. Für die Umsetzung der Phase 2 wurde vom Vorstand des Mürzverbandes bereits ein Grundsatzbeschluss gefasst, sie soll in den Jahren 2021 bis 2022 realisiert werden.

Ergebnisse

Die durchgeführten Untersuchungen bestätigten die technische Machbarkeit des gewählten Umsetzungsszenarios (Phasen 1 und 2). Die rot gepunktete Linie in der Grafik unten zeigt den thermischen Abdeckungsgrad, den BHKW und WP für den Wärmebedarf von Kläranlage und Riverside erreichen. Im Sommer kann dabei der gesamte aktuelle Wärmebedarf der Wohnsiedlung mit Wärme aus der Kläranlage gedeckt werden, im Winter noch immer zumindest 50 % davon. Beide Umsetzungsphasen sorgen für eine zusätzliche Wärmebereitstellung und -nutzung von 896 MWh/a, wobei die Wärmepumpe 212 MWh/a Strom benötigt. Insgesamt können so rund 239 t CO2/a eingespart werden.

Energiebereitstellung aus Biogas (BHKW) und Abwasserwärme (WP) im Vergleich mit dem internen und externen Wärmebedarf. Quelle: Masterarbeit Bernd Hrdy (in Ausarbeitung)

An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass das Wärmepotenzial im Kläranlagenablauf derzeit noch bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Durch die Erschließung bisher ungenutzter Wärmepotenziale trägt die energetische Nutzung des Abwassers zu einer Energieeffizienzsteigerung bei. Der Zusammenschluss mit den Wärmenetzen der Städte eröffnet die Möglichkeit, dass die vorhandenen Energieträger exergetisch sinnvoll eingesetzt werden.

Schlussendlich ist es mit der gewählten Zusammensetzung des Projektkonsortiums gelungen, einen Planungsprozess zur Energiewende mit den relevanten Stakeholdern vor Ort unter Mitwirkung der beteiligten Forschungseinrichtungen so zu gestalten, dass eine Verständigung auf konkrete Umsetzungsmaßnahmen erfolgt ist. Darüber hinaus wurde mit ausgewählten Maßnahmen des Akteursmanagement eine Initiative gesetzt, mit der Verständnis und Bewusstsein für das Vorhaben zur Abwasserenergienutzung als Baustein einer erneuerbaren lokalen Energieversorgung geschaffen werden kann.

Potenzial zur Replikation

Studien der Universität für Bodenkultur Wien [3] zeigen, dass im Ablauf der rund 630 österreichischen Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mindestens 2.000 Einwohnerwerten ein Wärmepotenzial von rund 3.200 GWh pro Jahr vorhanden ist. Zudem verfügen etwa 160 dieser Kläranlagen über Faultürme [4] und damit eine entsprechende Produktion von Klär-/Biogas mit einem resultierenden Wärmepotenzial von weiteren rund 231 GWh pro Jahr. Etwa 420 der erwähnten 630 Anlagen befinden sich in unmittelbarem Nahbereich beziehungsweise sogar innerhalb von Siedlungsgebieten. Die Nutzung der vorhandenen Wärme muss dabei nicht auf klassische Funktionen wie das Beheizen von Wohnungen oder Gewerbeeinrichtungen und die Warmwasserbereitstellung beschränkt sein. Auch in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft können mögliche Wärmeabnehmer gefunden werden (wie Beheizung von Gewächshäusern, Ställen, Aquakulturen, Trocknung von Heu, Kräutern und Hackschnitzeln). Derartige Nutzungen würden ebenfalls dazu beitragen, die lokale Wertschöpfung zu erhöhen, Importe zu reduzieren und auch Arbeitsplätze zu schaffen. Abwasser fällt überall dort an, wo menschliche Aktivitäten stattfinden. Energie- beziehungsweise Wärmekonsument*innen sind dabei in der Regel gleichzeitig immer auch Abwasserproduzent*innen. Es stellt somit nicht nur eine erneuerbare, sondern vor allem auch eine konstante, zuverlässige und zentral verfügbare Energie- beziehungsweise Wärmequelle dar. Die Kläranlage als lokale Energiezelle kann somit auch in einem globalen Kontext einen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten.

Hinweis: Dieser Beitrag stellt eine verkürzte, aber weitestgehend wortwörtliche Wiedergabe des Fact Sheets „Abwasser als erneuerbare Energiequelle – Die Kläranlage Kapfenberg als lokale Energiezelle“ dar, der im Rahmen des Projektes „Energieraumplanung Kapfenberg Südwest“ erstellt wurde. Die Autoren danken dem Land Steiermark für die finanzielle Unterstützung der Projektarbeit.

Literatur

[1] Hrdy (in Ausarbeitung): Lokale Wärme aus der Kläranlage - Energetische Bilanzierung und integrale Bewertung anhand des Fallbeispiels Kapfenberg. Masterarbeit an der Universität für Bodenkultur Wien.

[2] Abwasserreinigung zur hybriden Energiespeicherung, Energiebereitstellung und Wertstoffgewinnung (AR-HES-B) www.ar-hes-b.aee-intec.at/ - gefördert über das Förderprogramm Stadt der Zukunft

[3] Neugebauer, G., Kretschmer, F., Kollmann, R., Narodoslawsky, M., Ertl, T., & Stoeglehner, G. (24. 9 2015). Mapping Thermal Energy Resource Potentials from Wastewater Treatment Plants. Sustainability, 7(10), 12988-13010.

[4] Assmann, M., Haberfellner-Veit, E., Laber, J., Lindtner, S., & Tschiesche, U. (2019). Branch overview of the Austrian wastewater industry (Original title: Branchenbild der österreichischen Abwasserwirtschaft) 2020. Vienna: ÖWAV

Statement

"Mit Energie aus dem Abwasser als Wärmequelle ließen sich 5 % des gesamten Wärmebedarfes von Städten generieren. Durch Einbau von Sole-Wärmetauschern ist diese Wärmequelle auch bei bestehenden Kanälen nachrüstbar. Durch die geringfügige Abkühlung des Abwassers, welches auch im Winter naturgemäß relativ hohe Temperaturen hat, ist der Faulprozess in der Kläranlage nicht negativ beeinflusst. Dafür stehen heute Wärmepumpen zur Verfügung, die bei Bedarf bis zu 95 °C erzeugen können."

Karl Ochsner, Ochsner Energietechnik (Foto: Ochsner Wärmepumpen GmbH)

Weiterführende Informationen

http://www.muerzverband.at/wasserverband/news/

www.ar-hes-b.aee-intec.at

https://www.interreg-central.eu/Content.Node/REEF-2W.html

Autor*innen

Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Georg Neugebauer ist Senior Scientist bei der BOKU Wien (Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mag. Bernd Hrdy, B.Sc. ist wissenschaftlicher Projektmitarbeiter bei der BOKU Wien (Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Franz Zach ist Senior Expert des Bereichs Energy Economics bei der Österreichischen Energieagentur. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Andreas Zöscher ist Geschäftsführer des Wasserverband Mürzverband. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Florian Kretschmer ist Senior Scientist bei der BOKU Wien (Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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