Zeitschrift EE

Energiewende und Klimaschutz vs. fossile Wirtschaft

Text: Diethold Schaar

Der Konflikt zwischen den Vertretern klimaschädlicher fossiler Industrien und den Verfechtern erneuerbarer Energie nimmt in den aktuellen Nachrichten immer mehr Platz ein. Was mit den ersten Mahnungen der „Club of Rome“-Wissenschaftler in den Siebziger-Jahren begonnen hat, wird in der öffentlichen Wahrnehmung heute von den überwiegend jungen KlimaschützerInnen und der „Friday for Future“-Bewegung getragen. Sie setzen die Bremser im System zunehmend unter Druck. Auf der anderen Seite gibt es auch immer mehr Unternehmen, die in ihren Branchen als „Game Changer“ vorangehen.

Wie schnell es gehen kann, zeigen die österreichischen Großkonzerne Voest und Verbund: bis vor kurzem standen sie noch als Verhinderer am Pranger – jetzt sind sie gewichtige Befürworter der Energiewende und der erneuerbaren Energie – weil sie erkannt haben, dass sie ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen und weil sie für sich auch Chancen in einem frühzeitigen Ausstieg aus den fossilen Energien sehen.

Foto: Artem Podrez | Pexels

Während in Österreich die Auseinandersetzungen – zum Beispiel zwischen der Wirtschaftskammer und den Grünen – offen ausgetragen werden, zeigt sich in Deutschland ein vielschichtigeres Bild. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete in einer Ausgabe im Februar über eine Anti-Windkraft-Bewegung in unserem Nachbarland, die von einigen wenigen Personen orchestriert wird und der es gelungen ist, den Ausbau der Windenergie ins Stocken zu bringen. Als effizientestes Mittel haben sich Klagen gegen neue Anlagen herausgestellt; der Widerstand gegen viele Windräder wird laut dem Bericht von einer zentralen Bundesinitiative organisiert, die mit der Kohle- und Schwermetallindustrie in Verbindung gebracht werden kann.

Im Mai legte die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ in einem Artikel über die „Energiewendebremser“ nach und berichtete, „wie eine Gruppe von CDU-Politikern, Unternehmern, Beamten und Lobbyisten den Kampf gegen die Klimakrise immer wieder blockiert“. Detailliert werden in dem Artikel Netzwerke offengelegt, die aus einer Verquickung von geschäftlichen und politischen Interessen den fossilen Energien die Stange halten. Die erstaunlichste Erkenntnis dabei ist, dass die Verhinderer der Energiewende und der Klimaschutzmaßnahmen mitten in der Verwaltung sitzen. So berichtet die „Zeit“ über drei leitende Mitarbeiter des deutschen Wirtschaftsministeriums, die intern den Spitznamen „Bermudadreieck der Energiewende“ tragen, „weil sie einen schnellen ökologischen Umbau der Energieversorgung immer wieder verzögern, vertagen oder verhindern“.

Wie aufgeheizt die weltweite Diskussion ist, zeigt sich auch am Titel des kürzlich auf Deutsch erschienen Buchs von Michael E. Mann, einem der meistzitierten Klimaforscher der Welt, der 1998 mit der Veröffentlichung der inzwischen berühmten Hockeyschläger-Kurve auf die fatalen Folgen des Klimawandels hingewiesen hat. „Propagandaschlacht ums Klima“ ist der Titel seines neuesten Werks, mit dem hoffnungsvollen Untertitel „Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen“. In einem „Spiegel“-Interview zu dem Buch beschreibt er den Strategiewandel der bisherigen Klimaleugner wie folgt: „Das Ziel ist jetzt nicht mehr Leugnung der Tatsachen, sondern Verhinderung von Lösungen. Die Profiteure im Umfeld der Kohle-, Öl- und Gasunternehmen tun viel dafür, das Handeln zu verlangsamen und Klimaschutzgesetze abzuschwächen. Sie wollen, dass wir möglichst lange von fossilen Energieträgern abhängig bleiben, eine Art ,softe‘ Variante der Klimaleugnung.“ Und auf die Frage, warum er dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blicke, antwortete er: „Ich ziehe meine Zuversicht aus der jungen Klimabewegung. Die Jugendlichen haben die Diskussion endlich auf eine andere Ebene gehoben. Es geht nicht mehr nur um Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, sondern auch um Ethik. Wir haben die Verantwortung, den nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen“.

Angeregt von der weltweit immer hitziger geführten Diskussion um den Ausstieg aus den fossilen Energien haben wir für diese Ausgabe der „erneuerbaren energie“ bei ForscherInnen und AktivistInnen nachgefragt, wo Österreich in diesem globalen Szenario steht und welche Knackpunkte hier noch zu überwinden sind.

Wir leben auf Kosten anderer

Eine Arbeitsgruppe des österreichischen Klimaforschungsnetzwerks Climate Change Center Austria (CCCA) beschäftigt sich mit der Berechnung der Treibhausgasemissionen für Produkte, die in Österreich konsumiert, aber nicht erzeugt werden. Bei den bisherigen nationalen Betrachtungen fallen die schädlichen Emissionen ausschließlich in den Erzeugerländern an. Wenn also in Österreich T-Shirts aus Asien verkauft werden, erhöht das nur den Anteil am Ausstoß der Treibhausgase in der dortigen Region. Die Globalisierung von Märkten sowie zunehmende internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung von nationalen Ökonomien haben in den letzten 20 Jahren zu einer verstärkten räumlichen Differenzierung von Produktion und Konsum geführt.

Das hat dazu beigetragen, dass ein wachsender Anteil der Umweltbelastungen, die mit dem Konsum von Produkten und Dienstleistungen in einem Land bzw. länderspezifischen Lebensstilen in Verbindung stehen, in anderen Ländern und Weltregionen erfolgt.

Das derzeitige System des Monitorings von Treibhausgasemissionen auf nationaler Ebene ist jedoch territorial orientiert und berücksichtigt daher keine Auslagerungen von emissionsintensiven Industrien.

Erste Ergebnisse für die konsumbasierten Emissionen (oder den „Carbon Footprint“) Österreichs zeigen, dass diese 50 bis 60 Prozent über den produktionsbezogenen (territorialen) Emissionen liegen, so wie sie laut Umweltbundesamt publiziert werden. Statt 75 bis 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten würde Österreich für rund 110 bis 130 Millionen CO2-Äquivalente verantwortlich sein.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Eine umfassende Bewertung der Fortschritte in Richtung Dekarbonisierung der österreichischen Wirtschaft muss daher diese konsumbasierten Emissionen mit einbeziehen.

DR. PETER WEISH, Präsident des Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) DI (FH) RENÉ BOLZ, wissenschaftlicher Mitarbeiter des FWU

Schon in den 70er-Jahren wurde eine „Energiewende“ als notwendig erkannt und in groben Zügen ausgearbeitet.

Kernstück der Energiewende sind Maßnahmen zur Senkung des Energieumsatzes, Maßnahmen mit vielfältigem Nebennutzen:

Sie senken die Energiekosten der Verbraucher und entlasten die Umwelt. Die Auslandsabhängigkeit (von Öl, Erdgas und Kohle) wird verringert. Die Zahlungsbilanz wird erheblich entlastet. Die Versorgungssicherheit wird verbessert. Die Senkung des Energiebedarfs ist ein Beitrag zur Erhöhung der Krisensicherheit. Investitionen zur rationellen Energieverwendung bedeuten eine Belebung der Wirtschaft mit sinnvollen Aufgaben. Sie verbessern die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Sie bewirken eine dezentrale Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und leisten damit einen Beitrag zur Regionalentwicklung – das bringt weitere positive Effekte mit sich, wie z. B. die Verringerung der Zwangsmobilität. Sie sind eine unabdingbare Voraussetzung einer zukunftsfähigen Entwicklung. Sie verringern die internationalen Spannungen und Verteilungskonflikte um Ressourcen. Sie entsprechen der ethischen Forderung des Maßhaltens und dem Gebot der Solidarität mit der Nachwelt. Maßnahmen zur Senkung des Energiebedarfs sind gleichzeitig das Kernstück einer effektiven Klimastrategie. Bei einer solchen Fülle positiver Nebeneffekte ist zunächst unverständlich, warum diese Maßnahmen nicht längst vorrangig umgesetzt wurden.

Die Antwort ist gleichermaßen einfach wie ernüchternd: Es gibt keine Energiepolitik, die diese Bezeichnung verdient. Die großen „Energieverkäufer“ der Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätswirtschaft bestimmen maßgeblich über die energiepolitischen Rahmenbedingungen.

Da die oben genannten Maßnahmen zur Bedarfsenkung auch in Richtung Abbau „struktureller Macht“ wirken, indem sie infolge regionaler Energieautarkie die Abhängigkeit von den großen Energiekonzernen verringern, liegt es auf der Hand, dass dort die „Bremser“ zu verorten sind.

Seit 1990 konnten die THG-Emissionen in Österreich in Summe nicht reduziert werden.

THG-Emissionen im Bereich Verkehr sind angestiegen. THG-Emissionen im Bereich „Energie & Industrie mit Emissionshandel“ konnten minimal reduziert werden. Ehrgeizig müssen die verbleibenden Jahre zur Erreichung der Klimaneutralität 2040 werden. Quelle: www.umweltbundesamt.at/news210119 (21.04.2021)

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN

Die Kosten für die Bereitstellung elektrischer Energie durch Wind- und Photovoltaikanlagen sind seit 1990 massiv gesunken. Strom aus Photovoltaikanlagen ist für viele Einfamilienhausbesitzer günstiger als der Kauf aus dem Netz. Passivhäuser sind Stand der Technik. Qualitativ hochwertige Sanierungen sind erprobt. Bei PKW gibt es die Entwicklung hin zum E-Motor. Technologien für die Industrie sind absehbar.

VORAUSSETZUNGEN FÜR KLIMASCHUTZ UND ENERGIEWENDE

Rechtliche und finanzielle Hemmnissen sind zu beseitigen. Das Thema ist in Aus- und Weiterbildung bzw. täglicher Information zu integrieren. Elemente davon sind die Einführung der aufkommensneutralen ökosozialen Steuerreform, die Senkung des Energieverbrauchs sowie die Erschließung der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung „strenger ökologischer Kriterien“. Technik allein reicht nicht aus, um die Klimaneutralität zu erreichen. Das zeigt sich am Sektor Verkehr, wo mangelhafte Raumplanung, Zersiedlung und „autogerechte“ Städte langfristig negativ wirken, oder am Beispiel Bestandsgebäude, wo das Sanierungsziel 3%/a nicht erreicht wird.

AKTEURE DER ENERGIEWENDE

Will man sich intensiver mit möglichen „Bremsern“ der Energiewende beschäftigen, so ist auch ein Blick auf die Akteure notwendig. Dies wären z.B. Judikative/ Exekutive, NGOs, Interessensverbände, Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten, Bürgerinnen und Bürger.

Hochrangige Straßeninfrastruktur sollte nicht mehr finanziert und gebaut werden. In Städten sieht man in neuen Stadtentwicklungsgebieten z. T. eine Stadtplanung der „autogerechten“ Stadt, die nirgends auf der Welt funktioniert hat. Der Wille zur menschengerechten Stadt und jahrelanges Bemühen engagierter Bürger scheitern meist an unzeitgemäßen Vorgaben der Stadtplanung und den zuständigen Behörden.

Im Bereich Gebäude gibt es in Wien im Neubau lobenswerterweise Klimaschutzzonen mit der Verbannung fossiler Energieträger. Die Nutzung von Photovoltaik im Neubau ist dort und in einigen anderen Bundesländern verpflichtend vorgeschrieben. Vorrangig sollte diese Technologie auf Dächern installiert werden.

Im Neubau werden in Österreich immer noch Gebäude mit höherem Wärmebedarf errichtet, als es heute nach dem Stand der Technik möglich wäre. Auch hier ist die Politik gefragt.

Agrarflächen sollten in erster Linie der Versorgung mit Lebensmitteln dienen und nicht dem Anbau von Energiepflanzen. Auch großflächige Solaranlagen im Grünland sind abzulehnen.

Es gibt bereits viele Konsumentinnen und Konsumenten, Bürgerinnen und Bürger, die Klimaschutz und Energiewende vorleben. Die Zeit ist überreif für eine konsequente Energiewende und Klimastrategie.

www.fwu.at

JOHANNES WAHLMÜLLER, Global 2000

Die österreichische Klimapolitik ist nach wie vor von Stillstand geprägt. Zwar ist es gelungen, bei den Corona-Konjunkturmaßnahmen etwa mit einer Klimaschutzmilliarde starke Klimaschutzimpulse zu setzen, die meisten Vorhaben im türkis-grünen Regierungsprogramm harren aber nach wie vor der Umsetzung.

Johannes Wahlmüller, Global 2000 Energiesprecher. Foto: Stephan Wyckoff

Ein Gesetz zum Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen fehlt nach wie vor, obwohl es schon heuer gelten sollte. Ein Energieeffizienzgesetz, das den Energieverbrauch senken soll, ist noch nicht umgesetzt, obwohl die Frist der EU längst abgelaufen ist. Und das Erneuerbaren-Ausbaugesetz wurde schon mehrfach präsentiert, aber immer noch nicht beschlossen. Bei wichtigen Vorhaben geht es nur millimeterweise vorwärts, wenn überhaupt.

Mittlerweile warnt der Rechnungshof, dass Strafzahlungen in Höhe von neun Milliarden Euro drohen. Dabei ist die jüngste Anhebung der EU-Klimaziele noch gar nicht einkalkuliert. Auch die Klimaforschung warnt vor katastrophalen Folgen, wenn nicht endlich gehandelt wird. Doch als ein Leak des Klimaschutzgesetzes mit Sofortmechanismen bekannt wurde, kam der Blockadereflex von ÖAMTC, Wirtschaftskammer und Konsorten sofort zum Vorschein. Destruktive Abwehrreflexe helfen uns aber nicht weiter. Was es stattdessen braucht, ist eine ehrliche und offene Diskussion. Die angekündigten BürgerInnenräte sind eine echte Chance dafür, wenn sie gut vorbereitet sind. Und schon langsam wird sich auch die Klimaschutzministerin überlegen müssen, wie sie auf die Blockaden reagieren will. „Wir haben es versucht, wurden aber leider ausgebremst“, wird als Rechtfertigung am Ende des Tages zu wenig sein.

JUDITH BROCKMANN für das Klimavolksbegehren Österreich

Zahlreiche Unternehmen und Organisationen stehen beim Klimaschutz auf der Bremse. Ein offener Brief der fossilen Automobilbranche an den Bundeskanzler vom 24. März dieses Jahres sowie ein entsprechendes Schreiben der fossilen Wärmebranche vom 30. April dokumentieren sehr genau, um welche Akteure es sich dabei handelt. Darin torpedieren Autobauer, Zulieferer, Gas-Anlagenbauer, ausgewählte Energieversorger, bestimmte Mitglieder der WKÖ und nicht zuletzt Johannes Schmuckenschlager, Umweltsprecher der ÖVP, ein mögliches Ausstiegsdatum für Pkw mit Verbrennungsmotor oder konservieren überholte, weil klimaschädliche Wärmetechnologien.

Bei diesen Unternehmen und Interessensverbänden handelt es sich um Organisationen, deren Geschäftsmodelle auf der Produktion oder Nutzung fossiler Energien basieren und die von einem Aufschub klimafreundlicher Maßnahmen in der Fahrzeug- und Wärmebranche kurzfristig massiv profitieren würden – zum Schaden unserer Gesellschaft, die für effektiven Klimaschutz und einen grünen Strukturwandel langfristig denken muss.

VertreterInnen des Klimavolksbegehrens bei einer Demonstration vor der Hofburg. Foto: Foto Jolly Schwarz

Erst Ende März stimmte eine Mehrheit im Nationalrat, angeführt von ÖVP und Grünen, für einen Entschließungsantrag auf Basis des Klimavolksbegehrens und forderte die Regierung auf, ambitionierten Klimaschutz umzusetzen, und bereits im Jänner betonte ÖVP-Umweltsprecher Schmuckenschlager: „Der „Österreichische Weg“ ist der konsequente Ausstieg aus fossiler Energie und der ebenso konsequente Ausbau erneuerbarer Energieträger.“ Doch der „Österreichische Weg“, der sich derzeit abzeichnet, ist ein Weg der Verschleppung, des kurzfristigen Denkens und der Klientelpolitik – vor allem auf Seiten der ÖVP. Hoffentlich wird dieser Bremsweg nicht zu lang, sonst kommen wir alle ins Schleudern.

Die Klimaschmutzlobby

Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen

„Dieses Buch widmet sich ausschließlich jenen Wirtschaftsnetzwerken, Thinktanks und Zirkeln, die seit Jahrzehnten dazu beitragen, Europas Klimaschutz zu bremsen. Dabei zeigen wir, wie neoliberales Denken, rechtspopulistische Parteien, Klimawandel-Leugner, passive Entscheidungsträger und eingefahrene Strukturen den Stillstand organisieren. Die Schlüsselfiguren der Klimaschmutzlobby müssen endlich benannt, ihre Netzwerke offengelegt und ihre Motivationen kritisch hinterfragt werden“.

So beginnt das aktuelle Buch der beiden deutschen Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres, in dem sie vor allem den europäischen und amerikanischen Netzwerken der Klimaschutzgegner nachgespürt haben. Es sind erschreckend viele Ebenen, auf denen diese Akteure dafür sorgen, dass im Klimaschutz möglichst wenig weitergeht. Detailliert werden die einzelnen Organisationen und die führenden Köpfe der Szene diesseits und jenseits des Atlantiks vorgestellt. Und es wird auch beschrieben, wie sie in den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump direkt Einfluss auf die Politik nehmen konnten.

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Um die europäische Politik vor der Klimaschmutzlobby zu bewahren, müssen ihre Ziele als das erkannt werden, was sie sind: ideologische und finanzielle Interessen einzelner Branchen. Doch diese Transparenz fehlt. Die Autorinnen sind mit ihren Recherchen immer wieder an Grenzen gestoßen. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern sind Lobby-Transparenzregister vorhanden oder ausreichend Informationen verfügbar. Es bleibt im Dunkeln, wie finanzstark viele Verbände, Vereine oder Stiftungen sind, ob und wann sie in den Parlamenten ein und aus gehen, mit wem sie sprechen und wie viel Geld sie Politikern für ihren neuen Job am Ende einer Legislaturperiode zahlen. Aufgrund dieser Intransparenz ist es der Klimaschmutzlobby gelungen, ihre Interessen als die Interessen aller zu verkaufen.

Das Buch widmet sich erwartungsgemäß sehr stark den Geschehnissen in Deutschland und zeigt auf, an wie vielen Stellen Opposition gegen die Energiewende und den Klimaschutz betrieben wird. Immer wieder läuft es darauf hinaus, dass einige wenige Organisationen im Auftrag jener Branchen, die weiterhin auf die Nutzung fossiler Energien setzen, die öffentliche Meinung manipulieren und Entscheidungsträger „kaufen“, indem sie nach Ablauf ihrer jeweiligen Karrieren lukrative Versorgungsposten erhalten.

Manchmal sind die Methoden noch viel dreister. Ein medizinischer Berater der französischen Regierung verharmloste die Schädlichkeit von Diesel- und Benzinemissionen und lieferte über Jahre Argumente gegen strengere Grenzwerte für Autos. Bis sich herausstellte, dass er während der gesamten Zeit vom Ölkonzern Total bezahlt worden ist.

Neben Deutschland wird die Situation in Frankreich, Großbritannien und den osteuropäischen Hochburgen der Kohleindustrie ausführlich analysiert. Die ernüchternde Conclusio der Autorinnen ist, dass noch viel zu viele Regierende in Europa in Systemen verhaftet sind, die bremsen und blockieren. Das Zaudern und Zögern wird weitergehen und es wird wohl vor allem darauf ankommen, die Vorteile und das bessere Leben in einer klimafreundlichen Welt als Gegenmodell zu entwerfen und immer mehr Menschen dafür zu gewinnen.

„Noch sind die Erzählungen der Klimaschmutzlobby stärker“, resümieren die beiden Journalistinnen am Ende ihres Buchs. „Aber: alle Lobbys sind immer nur so mächtig wie die unreflektierte Zeit und Aufmerksamkeit, die Regierungen und Medien ihnen widmen. Ihren großen Einfluss können wir, anders als das heraufziehende Klimachaos, wieder zurückdrängen.“

Das Buch ist im Piper Verlag erschienen und zum Preis von 20,60 Euro (Hardcover) im guten Fachhandel überall erhältlich.

VOLKMAR LAUBER Emeritierter Professor für Politikwissenschaft/ Energie- und Klimapolitik an der Universität Salzburg

WER BREMST KLIMASCHUTZ UND ERNEUERBARE ENERGIEN IN EUROPA?

Genau genommen gibt es treibende Kräfte für verschiedene Vorstellungen von dem, was Klimapolitik sein sollte – also für verschiedene Lösungen. Noch vor ein paar Jahren waren „fossile“ Autofahrer größtenteils Gegner einer Umstellung auf Elektroautos, und die Hersteller haben das aus eigenem Interesse unterstützt. In den letzten Jahren hat sich aber viel geändert, v. a. das Umweltbewusstsein der Bevölkerung (Luftreinhaltung, Dieselskandale …) und die Kosten und Ausbreitung von neuen Elektroautos. Die „klassischen“ Autoproduzenten sprachen früher von Verbrennungsmotoren als „alternativlos“ – inzwischen haben die meisten die Seiten gewechselt. Insgesamt scheint es, als ob das Elektroauto nicht aufzuhalten wäre. Es kommt noch ein Faktor dazu: Elektroautos sind volkswirtschaftlich gesehen zunehmend billiger als Verbrenner (keine Explorations- und geringere Förderkosten des „Brennstoffs“, keine Tanker, Raffinerien, Pipelines, weniger Material und Technik am Fahrzeug selbst), und die meisten Autofirmen haben inzwischen auch den Kampf gegen Elektroautos aufgegeben, um wenigstens mitzuhalten. Der Automobilsektor ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich rascher Wandel vollzieht – nämlich exponentiell.

UND WIE IST DAS BEI DER PHOTOVOLTAIK?

Es ist nicht so lange her, dass Politiker bei dieser Technik gern von „Almhüttentechnologie“ sprachen. Soll heißen: hoffnungslos teuer und stagnierend – daher nicht förderwürdig. Die wahren Bremser waren meist große Unternehmen der konventionellen Stromerzeugung, also vor allem mit Kohle, Heizöl und Erdgas betriebene kalorische Kraftwerke (in Österreich auch mit großer Wasserkraft, die seit langer Zeit mit der Politik eng verbunden ist). In der frühen Zeit der Photovoltaik musste gelegentlich auch die behördliche Begründung herhalten, eine von einem Pionier beantragte PV-Anlage „passe nicht in das Landschaftsbild“. Im Hintergrund sicherte die International Energy Agency (IEA) das Bild von der teuren Technik, die zu keinen größeren Wachstumsraten fähig war, zunehmend wahrheitswidrig ab – wichtige Munition für die Bremser, auch in Österreich.

Dann kam plötzlich der Umschwung bei der Photovoltaik – und zwar ausgerechnet aus dem Land, von dem man gerne behauptet hatte, es würde noch lange keine Photovoltaik installieren, weil es sich das nicht leisten könne – nämlich China. Was war passiert? China profitierte von der steilen Lernkurve der PV, die ihre Stromgestehungskosten plötzlich unter das Niveau der chinesischen Kohlekraftwerke brachte (China hatte inzwischen eine eigene PV-Industrie errichtet, anfangs mit großzügiger Förderung). Inzwischen haben die meisten asiatischen Länder um die Pole China und Indien – und vor allem diese selbst – ihre gigantischen Kohlekraftwerkspläne zugunsten von PV und Windstrom zusammengestrichen, und die Elektrizitätsgesellschaften in den USA haben – trotz Trump – viele bestehende Kohlekraftwerke schneller durch PV ersetzt als je zuvor: weil PV billiger ist (siehe IEEFA-Hefte der jüngsten Zeit; Institute for Energy Economics and Financial Analysis, ein Bloomberg Ableger, frei zugänglich im Internet). Währenddessen kämpfen Regierungen in Deutschland und Polen, Tschechien, Bulgarien und ein paar anderen Ländern mit den Gewerkschaften von Kohlebergarbeitern um die Schließung von oft defizitären Kohlegruben und um Arbeitsplätze für die frei gesetzten Kumpel – und um die Finanzierung solcher Übergänge durch eindrucksvolle EU-Gelder. Auf diese Kräfte passt die Bezeichnung „Bremser“ ganz gut. Aber man beachte: sie wollen nicht (mehr) die Entwicklung hin zu erneuerbaren Energien stoppen, sondern nur die Kosten einer Umstellung verschieben, im Fall der Politiker auch ihre Macht erhalten, im Fall der Eigentümer der Kohlengruben extra Einkommen erzielen.

WAS TUN MIT ERDGAS?

Der Klimaübereinkommen von Paris sieht vor, dass für die Nachhaltigkeit förderliche Investitionen privilegiert werden können und sollen. Klimaschädliche Stoffe und Techniken sollen belastet werden. Es gibt da einige Prinzipien, so etwa „keine Fördergelder für fossile Brennstoffe“ oder „do no significant harm“ („keinen signifikanten Schaden bewirken“). Auf diese Weise sollen „grüne“ Investitionen von Privaten angeregt werden; man war sich einig, dass öffentliche Investitionen dafür nicht ausreichen würden. Eine Liste solcher Investitionen – eine „Taxonomie“ – sollte erstellt werden; dabei sollte die Europäische Investitionsbank (EIB) eine wichtige Rolle spielen. Dieser Katalog sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, nicht auf politischem Druck.

Der Präsident der EIB – Werner Hoyer – kam Ende 2019/Anfang 2020 zu der an sich wenig überraschenden Auffassung, Erdgas sei fossile Energie und es sei daher die Investitionsförderung von Gaskraftwerken zu verwerfen (Euractiv 20.1.2020). Klimakommissar Timmermanns vertrat eine ähnliche Ansicht – Erdgas würde nur als Brücke zu einem System mit 100 % Wasserstoff dienen – für etwa ein Jahrzehnt, also bis 2030 (Euractiv 25. 3. 2021). Die Europäische Kommission würde keinem neuen Erdgaskraftwerk ein grünes Label zugestehen.

Diese Auffassung wurde sehr schnell durch das Europäische Parlament und zahlreiche Mitgliedstaaten (und natürlich die Erdgaswirtschaft) in Frage gestellt. Der Umweltausschuss des Parlaments wollte Erdgas für Härtefälle beim Übergang von Kohleregionen auf Gas förderbar machen, wenn anderes nicht ausreichend zur Verfügung steht. Außerdem gab es einen radikaleren Angriff auf die Position der Kommission von zehn – vor allem osteuropäischen – Mitgliedstaaten. Diese griffen das Recht der Kommission an, Einschränkungen für neue Erdgasinvestitionen (Kraftwerke, Pipelines usw.) zu erlassen, genauer gesagt: ihre Förderung in Frage zu stellen. Es sei doch ganz offenkundig eine wichtige Ressource, die keinen Schaden bringe (?), sondern großen Nutzen (Euractiv 23-3-2021).

Die Gaswirtschaft spielte ein Doppelspiel. In der Auseinandersetzung mit der Kommission argumentierte sie, dass Erdgas nur eine bescheidene Rolle der Ergänzung beim Übergang von Erdgas auf Wasserstoff spielen würde; im Kreis der betroffenen Industriellen betonte sie, dass Wasserstoff aus Erdgas eine große Chance für einen neuen, vielversprechenden Industriezweig biete. Allerdings müssten Schäden für das Klima vermieden werden. Bis heute (Mitte Mai 2021) hat die Kommission keinen zufriedenstellenden Weg gefunden. Einerseits ist nicht zu leugnen, dass es sich bei Erdgas um eine Form fossiler Energie handelt, die an sich einer Förderung entgegensteht. Es ist auch keineswegs harmlos und im Fall von Fracking emittiert Erdgas ebensoviel Klimaschadstoffe wie Kohle. Als Übergangsstoff zu grünem Wasserstoff (erzeugt mit Hilfe von erneuerbaren Energien) kann es andererseits tatsächlich Positives leisten, wenn es bei kleinen Mengen bleibt. Es kann aber auch den Zweck erfüllen, eine graue Wasserstoff-Ökonomie (d. h. auf Erdgasbasis und daher begleitet von CO2-Emissionen) möglichst lange andauern zu lassen – zum Nutzen der bestehenden Erdgaswirtschaft und zum Schaden für das Klima.

Die Frage ist, ob es den EU-Institutionen gelingen wird, erdgasbasierten Wasserstoff zuerst zu fördern und dann durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Die graue Wasserstoffwirtschaft wird sich wahrscheinlich zu wehren wissen. Sie kann dabei auf die Vorzüge neuer Investitionen in Erdgas verweisen. Die Kommission hat jedenfalls die Entscheidung über den Einsatz von Erdgas als Maßnahme sozialer Gerechtigkeit vorläufig verschoben, zusammen mit der Entscheidung über die prinzipielle Förderbarkeit von Atomenergie. Die Anwendbarkeit von „Do no significant harm“ sollte wissenschaftlich begründet werden, wurde aber dem politischen Druck der Mitgliedstaaten und des Parlaments preisgegeben, von wo er so leicht nicht zurückzuholen ist. Polen, Tschechien, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Malta und Zypern wollen eine Ausnahme vom Verbot der Förderung fossiler Energieinvestitionen zugunsten von Erdgas und drohen mit heftigem Widerstand (Euractiv, 26. März 2021). Anders gesagt: sie wollten die Technologie von vorgestern (kohlebasiert) durch die von gestern ersetzen (Erdgas). Was können dagegen 200 Wissenschaftler tun (so viele haben gegen diese Vorgangsweise protestiert)?

ATOMENERGIE GEGEN ERNEUERBARE ENERGIEN: WER BREMST WEN UND WAS?

Im Zusammenhang mit der Intensivierung der Klimakontroverse ist eine Technologie wieder aufgetaucht, die viele schon für überholt hielten, weil zu gefährlich, zu teuer, technisch überholt und insgesamt nicht mehr konkurrenzfähig: nämlich Atomkraftwerke. AKW produzierten einige Unfälle mit gewaltigen Schäden (Tschernobyl, Fukushima). Sie tragen zunehmend Kosten, die ein Mehrfaches der Kosten ihrer erneuerbaren Konkurrenten betragen und noch dazu steigende Tendenz aufweisen, während die Kosten von Sonnen- und Windkraft in steilen Lernkurven immer weiter fallen. Ihr Bau wirft große Probleme auf, für deren Bewältigung in Europa unter anderem schon entsprechend qualifizierte Techniker fehlen. Das Ergebnis sind überlange Bauzeiten (beim französischen EPR – Evolutionary Power Reactor, dem vermeintlichen Glanzstück europäischer Reaktortechnologie – bis zum Fünffachen, ja Siebenfachen der geplanten Bauzeit) und ähnlich gestiegene Kosten. Der wichtigste Bauherr dieser Reaktoren, die Electricité de France, muss Jahr für Jahr vom Staat mit Steuergeldern vor dem Bankrott gerettet werden. Einige EP-Reaktoren kamen auf Kosten von 20 Mrd. Euro und mehr, statt auf 3,4 Mrd., wie ursprünglich geplant. Als Electricité de France mit dem Bau des AKW Hinkley Point C begann, sicherte sie sich vom französischen Staat etwa 100 Mrd. britischer Pfund an Zuschüssen, die die Gewinne des Betreibers absichern sollten; der Betrag erhöhte sich noch ganz erheblich. Der britische Rechnungshof vermerkte, dass es billiger gewesen wäre, den Strom mit erneuerbaren Energien bereitzustellen – und die Kosten der erneuerbaren Energien sind seither noch deutlich gefallen, während die Kosten von Hinkley Point C regelmäßig steigen und seine Fertigstellung immer weiter verschoben wird. Derartige Erfahrungen gab es schon bei den anderen EPRs in Europa – in Olkiluoto (Finnland) und Flamanville (Frankreich).

Jedenfalls lieferten die EP-Reaktoren kein plausibles Vorbild für den Ausbau der Atomenergie.

Beim Konflikt über die Taxonomie („ist Atomenergie eine grüne Investition, die die Förderung ihrer Investitionen verdient?“) kam es nun im Jahr 2021 zu einer überraschenden Konstellation. Der französische Präsident Macron und mehrere führende Politiker aus ost- und südosteuropäischen (ehemals kommunistischen) Staaten traten für die Einstufung der Atomenergie als grüner, daher förderungswürdiger Technologie in ihren eigenen Ländern ein – über das Instrument der Taxonomie. Ein solcher Schritt würde vermutlich eindrucksvolle Zahlungsströme an Subventionen bewirken und die EPR zur teuersten zivilen Investition im Bereich der Energie machen.

Im Bereich der Energietechnologie und insbesondere der Stromerzeugung rückständige Staaten fordern vorgestrige Lösungen wie Erdgas und Atomenergie, zum Teil dargestellt als Übergangslösungen (als ob noch Zeit wäre für jahrzehntelange Übergänge). Sie argumentieren dabei mit niedrigeren Kosten für derartige Lösungen, die es in Wirklichkeit nicht (mehr) gibt, und versuchen, die derzeit laufende Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien zu bremsen – mit abnehmendem Erfolg.

Allerdings gibt es seit ein paar Jahren eine Gruppe von 9 bzw. 10 Staaten, die das Ziel verfolgen, einen kleinen (300 MW) „modularen“ (standardisierten) Reaktor zu entwickeln, der billiger werden soll als die teuren „Einzelstücke“, wie sie jetzt üblich sind (USA, Kanada, China, Russland, Japan, Argentinien, Indien, Brasilien, Rumänien und seit jüngster Zeit auch Estland unterstützen dieses Projekt). In einigen Ländern werden auch schon erste Modelle errichtet. Die Zukunft wird zeigen, was davon zu halten ist – beginnend wahrscheinlich in den 2030er-Jahren. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass der Kostenvorsprung etwa von Photovoltaik mit Gestehungskosten unter 1 Eurocent pro kWh im Sonnengürtel der Erde (z. B. in Indien oder im Nahen Osten im Jahr 2021) so schnell eingeholt werden kann, ganz abgesehen von den anderen Problemen.

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