Zeitschrift EE

Impfung gegen den Klimawandel? Fehlanzeige

In 30 Jahren der Aktivitäten auf dem Weg in eine erneuerbare Zukunft habe ich vieles erlebt– Hoffnung, aber auch tiefe Frustration. Bei der Gründung der AEE NÖ im Jahr 1991 war der mögliche Klimawandel noch „das größte Experiment der Menschheit“ (Kromp-Kolb 1994). Dennoch hat der Solaranlagenselbstbau damals den Nerv sehr vieler Menschen getroffen, und unter Anleitung der AEE entstanden österreichweit über 400.000 m² Solarwärmeanlagen.

Ein Kommentar von Doris Hammermüller (AEE NOW)

In den 90er-Jahren konnten die Klimaschutz-NGOs die Regierung herausfordern, Klimaschutz etablierte sich vor allem in den Landesregierungen, und viele stabile Arbeitsplätze für Klimaschutz auf allen Ebenen wurden geschaffen. Die Debatten waren hart, und wir dachten wohl, damit würde Klimaschutz irgendwann unweigerlich durchdringen. Doch weit gefehlt. In den 2000ern wandelte sich die Grundlage unserer Arbeit. Es gab zwar viel Forschung, Finanzierungen von Projekten und Programmen durch die Länder und den Bund, auch Unmengen Konferenzen, wir waren beschäftigt und eingebunden und fühlten uns wirksam, standen wir doch in dauerndem Austausch mit der Politik und Verwaltung. Doch an konkreten politischen Umsetzungen fehlte es. Zwei akzeptable und wirksame bundesweite Energie- und Klimaschutzstrategien sind (nach insgesamt sieben Jahren Arbeit) sang- und klanglos in den Schubladen der Ministerien verschwunden. Jede Regierung fing mit neuen Plänen an, und die wurden nicht besser. Die politische Strategie heißt bis heute: „Wir motivieren die Bevölkerung und die Betriebe … den Rest sitzen wir aus.“

Stellen Sie sich vor, die Regierung wäre bei Corona genauso vorgegangen. Unmengen Geld wäre in Motivationskampagnen geflossen, um uns zu erklären, dass wir daheimbleiben sollen. Als Zuckerl hätten wir vielleicht um eine 500-Euro-Förderung zur Komplettierung unseres Home-Office ansuchen können. Die Regierung hätte eine Kampagne „Corona:aktiv“ gestartet, bei der wir in vielen Konferenzen (natürlich online) Netzwerke geknüpft hätten, in denen wir weiter über die Möglichkeiten der Eindämmung diskutiert und viele freiwillige Angebote entwickelt hätten.

Doris Hammermüller, Obfrau und Geschäftsführerin AEE Niederösterreich/Wien

Ich glaube, alle verstehen, dass es bei einer akuten Bedrohung eine Regierung und Verwaltung braucht, die bereit ist, rasch auch einschneidende Maßnahmen umzusetzen – das alles, obwohl klar ist, dass es für Corona irgendwann eine Impfung geben wird. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie waren mutig und tatkräftig. Aber: Wo sind Mut und Tatkraft zur Eindämmung der Klimakrise?

Der Fall Ischgl zeigt ja klar und deutlich, was es bedeutet, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen – oder besser gesagt, die Sicherheit von Menschen dem Profit unterzuordnen. Auch in Europa haben wir drei Monate lang geglaubt, die Krise würde bei uns nicht ankommen. Und plötzlich war sie da, die ersten Tage vergingen ohne Maßnahmen und Ischgl wurde, weil zuerst nicht und dann falsch gemanagt, zu einem der Verbreitungszentren für ganz Europa.

Die Klimakrise schleicht sich wesentlich langsamer an, dafür wird es rund 100 Jahre ohne zusätzlichen Treibhausgasausstoß dauern, um den Klimawandel endgültig zu stoppen. Wetteranomalien, wie Trockenheit, Hochwasser, Tropensommer, milde Winter, könnten für sich betrachtet Einzelerscheinungen sein, so wie ein Coronafall in Ischgl. Die Klimakrise schleicht sich langsamer an, dafür wird es aber etwa 100 Jahre ohne zusätzlichen Treibhausgasausstoß dauern, um den Klimawandel endgültig zu stoppen. Für die Gehirne von Menschen ist das eine schwierige Aufgabe, die hier zu lösen ist. Jetzt Einschränkungen zu beschließen, deren Wirksamkeit nicht innerhalb von Wochen, vielleicht nicht einmal innerhalb der ersten Jahre für alle Menschen sichtbar wird, ist eine sehr große Herausforderung. Und die „Lockerungsmaßnahmen“ können nur darin bestehen, dass wir rasch und kontinuierlich unsere klimaschädliche Infrastruktur in eine klimafreundliche umbauen. Das ist eigentlich das einzige, das viele von uns noch erleben könnten. Denn ähnlich wie bei Corona wird die berühmte Kurve nicht sofort sinken. Und ähnlich wie bei Corona steigt sowohl die Kurve der Coronainfizierten als auch die Kurve der Treibhausgasemissionen und damit die Auswirkungen der Klimakrise.

Die AEE now fordert deshalb, dass die rund 40 Milliarden Euro, die in Österreich für den „Wiederaufbau“ nach Corona budgetiert wurden, gleichzeitig auch der Startschuss und die erste Weichenstellung in eine CO₂-freie Zukunft sind. Garantien und Kredite können wirksam, auch im Nachhinein, an ökosoziale, regio nale Maßnahmen gekoppelt werden. Kein Mensch kann nach diesem Shutdown je wieder sagen, dass das nicht geht. Wo ein Wille ist, war schon immer ein Weg – und jetzt erst recht. Die Menschen in Österreich und weit darüber hinaus sind schon längst so weit, dass sie sich wünschen, dass wirksame Maßnahmen gegen die bereits deutlich spürbare Klimakrise getroffen werden. Politische Entscheidungen hinken da stark hinterher.

Auch bei der Entscheidung über den Shutdown wurden sicherlich die Kosten – und damit meine ich nicht nur die materiellen– gegeneinander abgewogen, so gut es in der kurzen Zeit eben ging. Wenn wir das beim Klimawandel einmal ansatzweise versuchen – wo wir ja eigentlich schon sehr lange Zeit dafür haben –, zeigt sich ganz rasch: es ist besser, jetzt weitere Zerstörunng zu vermeiden, anstatt vorerst durch Katastrophenfonds zum Beispiel für Hochwasser oder Trockenheit die Schäden aufzufangen, und am Schluss bleibt dann von „systemrelevanten“ Bereichen wie der Landwirtschaft nur wenig über. Die ist immerhin für unsere Ernährung verantwortlich.

Irgendwann wird dann auch in einem Land wie Österreich in einigen Regionen das Wasser knapp, weil es durch Dauerbewässerung für die industrielle Landwirtschaft verbraucht wird. Vor zehn Jahren war das noch undenkbar. Die Toten, die die enorm heißen Sommer mit Tropentemperaturen schon in den letzten Jahren gefordert haben und in Zukunft noch fordern werden, kann ich nicht vorhersagen. Wie viele Millionen oder vielleicht sogar Milliarden Flüchtlinge die Klimakatastrophe verursachen wird, und was das für alle Menschen, für politische Systeme, den Frieden, die Gerechtigkeit und Menschlichkeit bedeuten wird, traut sich wohl kaum jemand zu denken.

Bedenken Sie, es wird gegen den Klimawandel nie eine Impfung geben.

Aus unserer Sicht gibt es nur einen Weg und der führt in eine Zukunft, die jetzt beginnt und sich selbst mit neuen Zielen – regional, ökologisch und sozial nachhaltig – in den nächsten Jahren fast täglich auch neu erfindet. Wir haben vielleicht alle das gleiche Ziel, aber die Wege dahin werden sehr unterschiedlich sein; und hoffentlich für uns alle erfolgreich.

Klima-Corona-Deal

Gruppen und Organisationen aus der Österreichischen Klimavernetzung (klimaprotest.at), darunter Fridays for Future, System Change, not Climate Change!, GLOBAL 2000, der WWF Österreich und viele andere mehr, haben gemeinsam Ansatzpunkte für einen Klima-CoronaDeal für Österreich entwickelt. Die vier Forderungen beziehen sich auf das geplante Konjunkturpaket der österreichischen Bundesregierung, die jetzt vor der historischen Gelegenheit steht, die staatlichen Rettungsgelder intelligent und klimagerecht zu investieren.

Die Covid-19-Pandemie hat der Welt gezeigt, wie schnell und entschlossen Gesellschaften handeln können, um eine Katastrophe abzuwenden. Daraus müssen jetzt die richtigen Lehren gezogen werden, um die weltweite Klima- und Naturzerstörung einzudämmen. In diesem Moment hängt alles davon ab, wohin die Gelder fließen. Um aus der derzeitigen Krise das Bestmögliche zu machen, müssen die Mittel in den naturverträglichen Ausbau sauberer, erneuerbarer Energien, in effiziente Energieverwendung bei Gebäuden und Industrie, in öffentliche Verkehrsmittel und in nachhaltige Landwirtschaft investiert werden. Berufsfelder, die sich durch einen geringen CO₂-Ausstoß auszeichnen, wie Pflege, Bildung, Gesundheit und Kinderbetreuung, sollten deutlich ausgebaut werden, die Entwicklung in Richtung einer regionalen und kohlenstoffarmen Wirtschaft soll gefördert werden. Jetzt ist die Zeit, um die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft voranzutreiben.

DIE VIER PUNKTE DES KLIMA-CORONA-DEALS SIND:

  1. Die Zukunft der Menschen sichern: Die österreichische Regierung soll alle Menschen existenziell absichern, deren Arbeitsplätze durch die Corona-Krise bedroht oder verloren gegangen sind. Sie soll Mittel für Begleitmaßnahmen zur Umqualifizierung, Re-Qualifizierung, Weiterbildungsmaßnahmen sowie Beschäftigungsinitiativen für Arbeitnehmer*innen bereitstellen. Durch die kluge Verteilung der Rettungsgelder kann die Regierung jetzt tausende neue und langfristig sichere klimafreundliche Arbeitsplätze schaffen. Dadurch werden alle Menschen dabei unterstützt, Schritte zu einem guten Leben für alle zu setzen und den existenzbedrohenden Klimakollaps abzuwenden.
  2. Umbau statt Wiederaufbau – Staatshilfen an Erreichung des 1,5 Grad Ziels knüpfen: Gelder aus den jetzigen Hilfs- und Konjunkturpaketen des österreichischen Staates sollen den Strukturwandel zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens vorantreiben. Auch weitere mögliche Konjunkturpakete nach der Krise müssen diesen Vorgaben folgen. Wir fordern Bedingungen für die staatliche Unterstützung, die so ausgestaltet sind, dass sie sich am Pariser Abkommen, den Biodiversitätszielen und den „Sustainable Development Goals“ orientieren. Subventionen für fossile Energieträger sollen gestrichen und stattdessen klimagerecht investiert werden. Unternehmen sollen verpflichtet werden, gemeinsam mit den Belegschaften Dekarbonisierungs-Roadmaps zu erstellen. Kein Geld für Öl, Kohle, Gas und Unternehmen, die die sozial-ökologische Transformation blockieren.
  3. Die Krise demokratisch bewältigen: Die Zivilgesellschaft und alle Sozialpartner müssen an den Verhandlungen um die Verteilung der staatlichen Finanzhilfen beteiligt werden. Vergabekriterien müssen transparent gestaltet werden und dem 1,5-Grad-Ziel entsprechen. Die Bevölkerung muss durch Bürger*innenversammlungen und ähnliche partizipative Formate permanent in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Eine lebenswerte und klimagerechte Zukunft braucht eine umfassende Demokratisierung, nur so kann die Krise auch im weiteren Verlauf gerecht bewältigt werden.
  4. Globale Klimagerechtigkeit: Menschen im globalen Süden sind schon heute viel stärker von der Klimakrise betroffen. Die Regierung muss sich auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass die Schulden der ärmsten Staaten gestrichen werden, dass statt Krediten Transferzahlungen geleistet werden und Österreich einen fairen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung leistet. Auch in der Gestaltung der Handels- und Investitionspolitik muss sich die Regierung für die Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechten sowie für Umweltstandards stark machen.

Mehr Information: fridaysforfuture.at/klima-corona-deal

 

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