Zeitschrift EE

Niedrigstenergiehäuser: Vergleichen hilft

Im EU-Projekt „CRAVEZero“ wurden Vorzeigeprojekte aus mehreren EU-Staaten detailliert untersucht. Das Ergebnis sind Referenzwerte, die Projektplanern, -entwicklern und -umsetzern konkrete Leitlinien geben.

Die EU schreibt ab 2021 bei Neubauten die Errichtung von nahezu Nullenergiegebäu den verbindlich vor. Planungsbüros und Entwickler mit langjähriger Erfahrung in diesem Bereich haben sich im Projekt „CRAVEZero“ zusammengetan, um ihr Know-How mit der Baubranche zu teilen. In Italien, Schweden, Österreich und Frankreich wurden zwölf Projekte aus dem mehrgeschoßigen Wohnbau in allen Details unter die Lupe genommen und Referenzpreise für Investition, Wartung und Betrieb verschiedenster Komponenten erhoben.

„Auf der Basis der Realdaten der Vorzeigeprojekte haben wir eine halbe Million Varianten berechnet, die jetzt online durchsucht werden können,“ erklärt Tobias Weiss, Projektkoordinator bei AEE INTEC. „Der große Vorteil ist, dass der Nutzer sein eigenes Bauvorhaben mit den Online-Varianten vergleichen kann und sieht, wo seine Planung in Bezug auf Lebenszykluskosten, Wärme- oder Primärenergiebedarf steht.“

Die größten Potenziale in Bezug auf Energieoptimierung, Komfort und Kosteneffizienz liegen in den frühen Planungsphasen. Zu häufig scheitern erfolgversprechende Gebäudekonzepte daran, dass Projektbeteiligten die vielfältigen Wechselwirkungen ganzheitlicher Planungszusammenhänge nicht ausreichend bekannt sind und den BauherrInnen nicht bewusst ist, welchen finanziellen Zusatznutzen nachhaltige Gebäude erreichen können.

Das Ziel „Niedrigst- bis Nullenergie-Gebäudestandard“ muss bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts definiert werden. Für PlanerInnen bedeutet das, dass sie die zukünftige Energiebilanz eines Gebäudes oder eines Gebäudeverbandes in jeder Planungsphase kennen müssen.

Nullenergiegebäude aus mehreren europäischen Ländern wurden für das Projekt detailliert unter die Lupe genommen. Foto: Projekt CRAVEzero (www.cravezero.eu)

Im Mittelpunkt steht die Substitution des Einsatzes fossiler Energie durch die Nutzung der vor Ort erzeugten, Erneuerbaren Energie (z. B. Solarthermie, PV). Es wird so eine sogenannte Nullenergiebilanz angestrebt und als primärenergetische Bilanz im Idealfall über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes berechnet.

Ob das jeweilige Nullenergie-Projekt tatsächlich auch in der Praxis erfolgreich ist, lässt sich jedoch erst nach mehreren Jahren Nutzungsdauer und nicht anhand detaillierter Berechnungen in der Planungsphase feststellen. Durch den stark reduzierten Heizwärme- und Kühlbedarf nimmt bei Nullenergiegebäuden der Haushaltsstrom sehr oft den größten Anteil am Gesamtenergiebedarf ein. Aufgrund des unterschiedlichen Nutzerverhaltens zeigen sich hier teilweise große Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Verbrauch und den berechneten Werten.

Nur eine simultane und umfassend interdisziplinäre Bearbeitung kann Abhängigkeiten zwischen Funktion, Form und Energie aufdecken und somit auch die vielfältigen Kostenauswirkungen von Maßnahmen identifizieren, bewerten und abwägen. Das betrifft insbesondere die durch die Lebenszykluskostenberechnung nicht erfassbaren finanziellen Konsequenzen architektonischer Entscheidungen auf die Energiekosten.

Integrale Planung ist die Voraussetzung, um die Zielsetzungen für lebenszyklusorientierte Null- und Plusenergiegebäude erfüllen zu können. Dazu arbeiten ArchitektInnen und IngenieurInnen simultan und teamorientiert an der jeweils besten innovativen Lösung und kontrollieren deren qualitätsgerechte bauliche Umsetzung.

Werden die Wechselwirkungen einzelner Parameter frühzeitig erkannt, können die jeweiligen AkteurInnen auf die Zusammenhänge reagieren und durch Absprachen eine Kostenreduktion bewirken. Diese positiven Auswirkungen ergeben sich beispielsweise, wenn die Hüllenqualität mit der Wärmeabgabe abgestimmt wird, da oftmals eine Überdimensionierung der Heizungsanlage erfolgt und somit nicht wirtschaftlich betrieben werden kann.

Energieeffiziente Gebäudekonzepte bieten oft einen höheren Wohn- oder NutzerInnenkomfort und eine höhere thermische Behaglichkeit. Auch die Lebensdauer der Gebäudehülle oder die Restnutzungsdauer des Gebäudes kann sich durch diese Maßnahmen verlängern, das Risiko für Tauwasser- oder Schimmelbildung wird reduziert. Das stellt für NutzerInnen und EigentümerInnen einen nicht unerheblichen Zusatznutzen dar, jedoch ist dieser nicht ohne Weiteres zu quantifizieren oder in Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu monetarisieren. Dieser Zusatznutzen kann sich jedoch indirekt in der Werthaltigkeit der Immobilie ausdrücken. Für private oder institutionelle EigentümerInnen können gerade die Aspekte des Zusatznutzens, beispielsweise thermischer Komfort oder Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit von MitarbeiterInnen, entscheidend für eine Investitionsentscheidung sein.

Die Berechnungen im Projekt „CRAVEZero“ zeigen, das Null- und Plusenergiegebäude für Investoren besonders profitabel sein können, wenn die Zusatznutzen berücksichtigt werden und optimale Prozesse im Gebäudelebenszyklus eingerichtet werden. Neben den geringeren Betriebs- und Wartungskosten fallen vor allem noch Aspekte wie Vermarktbarkeit, Vermietbarkeit, Wertentwicklung und Komfort ins Gewicht. Auch Image, Klimaschutz und regionale Ziele, wie zum Beispiel Energieautonomie, können mit den Daten der Plattform bewertet und zur Entscheidungsfindung in der Planung herangezogen werden.

Alle Ergebnisse aus dem Projekt fließen in eine interaktive Web-Plattform (Pinboard) ein, die es ermöglicht, Prozesse von Nahe-Null- und Plusenergiegebäuden selbst zu gestalten und optimal an das jeweilige Bauprojekt anzupassen.

Weitere Informationen:

Dipl.-Ing. Tobias Weiß (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!), B.Sc. Regina Höfler und Dipl.-Ing. Armin Knotzer, wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE INTEC. Projektwebsite www.cravezero.eu

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