Zeitschrift EE

Europas Sicht auf die Erneuerbaren Energien

Schon vor dem „Green Deal“ war die EU der weltweite Vorreiter für den Einsatz regenerativer Energiequellen. Wir fassen die aktuellen Positionen aus Brüssel zu dem Thema zusammen.

Text: Karl Kellner

Erneuerbare Energien spielen eine grundlegende Rolle, die Energie- und Klimaziele der Europäischen Union (EU) zu erreichen. Sie sind in den EU-Staaten nicht nur reichlich verfügbar, sondern preislich auch wettbewerbsfähig im Vergleich mit fossilen Brennstoffen. Sie können helfen, die Kosten unserer Energiesysteme zu senken und die Abhängigkeit der EU von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern. Und sie haben auch das Potenzial, neue Arbeitsplätze und Möglichkeiten in der Industrie und bei Klein- und Mittelbetrieben zu schaffen und zum wirtschaftlichen Wachstum beizutragen. Dies wird insbesondere im Kontext mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau in der EU nach der Corona-Krise von enormer Bedeutung sein. So wie es im Gesundheitsbereich notwendig sein wird, verstärkte Anstrengungen in Richtung Selbstversorgung bei Medikamenten und medizinischer Ausrüstung zu unternehmen, sind die enorm wertvollen Beiträge Erneuerbarer Energien in Kombination mit effizienter Energienutzung genauso wichtig. Zusammen führen sie zu einer strategischen Autonomie im Energiebereich, zur Erreichung einer klimaneutralen EU und zur Schaffung krisensicherer Arbeitsplätze.

ERZIELTE FORTSCHRITTE

Die Nutzung Erneuerbarer Energien ist schon lange fest in Europa verwurzelt. Europa ist dabei im globalen Vergleich Spitzenreiter, auch wenn der Rest der Welt zunehmend Erneuerbare Energien nutzt und produziert. Im Juli 2019 verzeichnete Portugal den Rekord für den kostengünstigsten Photovoltaik-Park der Welt – und hält diesen bis heute.

Der Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch der EU hat sich zwischen 2004 und 2018 von 9,6 Prozent auf 18,9 Prozent verdoppelt. Gemeinsam mit den skandinavischen Ländern findet sich Österreich in den EU-Ländern mit dem höchsten Anteil erneuerbarer Energiequellen. Darüber hinaus sind Erneuerbare Energien derzeit die meistgenutzte Energiequelle in der Stromerzeugung in der EU.

EU-RECHTSVORSCHRIFTEN ZU ERNEUERBAREN ENERGIEN

Die EU war Vorreiter für Erneuerbare Energien und hat, gesetzgeberisch entschlossen, auf die bessere Integration erneuerbarer Energiequellen in die europäischen Energiesysteme hingewirkt. Entscheidend waren dabei die Initiativen der Europäischen Kommission und die breite, Parteigrenzen überschreitende Unterstützung im Europäischen Parlament. Im Bestreben, eine weltweit führende Rolle bei Erneuerbaren Energien zu spielen, wurde die EU zum Wegbereiter für Andere.

Mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2009/28/EG) wurden erstmals verbindliche nationale Ziele für die EU-Länder gesetzt. Heute haben 173 Länder weltweit solche Ziele. Im Dezember 2018 wurde die Richtlinie aus dem Jahr 2009 überarbeitet und im Rahmen des Pakets „Saubere Energie für alle Europäer“ angenommen. Das Paket beinhaltet ein neues verbindliches Ziel für 2030, wobei der Anteil erneuerbarer Energieträger auf mindestens 32 Prozent festgelegt wurde, mit einer möglichen weiteren Anhebung im Jahr 2023.

Des Weiteren umfasst der europäische „Green Deal“ eine Reihe von Initiativen in allen Politikbereichen, mit dem Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Das bedeutet ein Update des EU-Klimaziels für 2030 auf 50 bis 55 Prozent Reduktion klimarelevanter Emissionen, verglichen mit dem aktuellen Ziel von 40 Prozent. Erneuerbare Energien und Energieeffizienz bilden gemeinsam die Grundlage für die Verwirklichung dieses Ziels. Vor diesem Hintergrund wird die Europäische Kommission neue Maßnahmen zur Förderung des technologischen Fortschritts in allen Bereichen des Energiesystems vorstellen.

Diese Initiative einer „intelligenten Sektorenintegration“, die die Sektoren Elektrizität, Gas und Wärme enger zusammenführt, wird maßgeblich zum Aufbau des europäischen Energiesystems der Zukunft beitragen. Ein Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft wird eine nachhaltige Politik für die Produktion, mit Betonung auf geringerem Materialeinsatz, auf Recycling und Wiederverwendung, definieren.

Das Berlaymont-Gebäude – Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: Mauro Bottaro

MARKTEINFÜHRUNG – ZUM NUTZEN DER BÜRGER/INNEN

Die EU ist heute Vorreiter im Bereich Erneuerbarer Energien und hat deren Markteinführung aktiv unterstützt. Ehrgeizige politische Maßnahmen, Forschungs- und Innovationsprojekte sowie erhebliche Investitionen haben eine stabile industrielle Basis geschaffen. Das hat wiederum einen einfacheren und erschwinglicheren Zugang zu einigen erneuerbaren Energietechnologien ermöglicht.

Solar- und Windkraftanlagen sind nun vor allem dank der zunehmenden Marktaktivität ein alltäglicher Anblick in der EU geworden. Die Erzeugungskosten beispielsweise von Solarstrom sind zwischen 2009 und 2018 um 75 Prozent gesunken, und 2014 wurde Onshore-Windenergie günstiger als Kohle, Gas und Kernkraft.

Bei der EU-weiten Stromerzeugung überstieg der Anteil von Wind- und Solarenergie 2019 erstmals den Anteil von Kohle, was zeigt, dass diese Energien fast überall mindestens ebenso kostengünstig wie fossile Brennstoffe sind. Je zugänglicher die Technologien wurden, desto mehr konnten auch die Bürger mitwirken. Das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ und die Neufassung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie erleichtern es den Bürgern,  Energiegemeinschaften zu bilden und Erneuerbare Energie selbst zu erzeugen, zu speichern und zu verkaufen.

Für das kommende Jahrzehnt wird ein anhaltendes Wachstum bei der Nutzung Erneuerbarer Energien erwartet. Der Anstieg bei der Erzeugung von Solarenergie wird zum Beispiel hauptsächlich von wachsendem Eigenverbrauch und der Installation weiterer Dachanlagen angetrieben werden. Dies verschafft der EU einen Wettbewerbsvorteil, der mit Wachstums- und Beschäftigungsimpulsen verbunden ist: Im Jahr 2016 betrug die Zahl der Vollzeit-Arbeitsplätze in der Fotovoltaikindustrie 81.000; sie dürfte bis 2021 auf fast 175.000 ansteigen, und 2030 sollen Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 300.000  Arbeitsplätze erreicht werden.

Die zehn wichtigsten Punkte des „Green Deal“

  1. Ein „klimaneutrales“ Europa ist das übergeordnete Ziel: Die EU will sich bemühen, bis 2050 Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu erreichen. Das Ziel soll in einem Klimagesetz verankert werden.
  2. Kreislaufwirtschaft: 2020 wird ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Teil einer umfassenderen Industriestrategie der EU vorgelegt. Im kommenden Jahr soll es auch noch neue Gesetze zur Wiederverwendung und zum Recycling von Batterien geben.
  3. Gebäude und Renovierung: Dieses Thema soll eines der Vorzeigeprogramme des „Green Deal“ werden. Zentrales Ziel ist es, die Sanierungsrate von Gebäuden „mindestens zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen“. Tatsächlich liegt die Rate EU-weit aktuell bei lediglich einem Prozent.
  4. Keine Umweltverschmutzung: Egal, ob Luft, Böden oder Wasser – Ziel ist es, bis 2050 eine „schadstofffreie Umwelt“ zu erreichen. Zu den neuen Initiativen gehört beispielsweise eine Chemie-Strategie für eine „giftfreie Umwelt“.
  5. Ökosysteme & Biodiversität: Die EU will bei dem Thema „mit gutem Beispiel vorangehen“ und neue Maßnahmen gegen die Hauptursachen des Verlusts der biologischen Vielfalt ergreifen.
  6. „Vom Hof auf den Tisch“: Eine neue Landwirtschaftsstrategie zielt auf ein „grünes und gesünderes“ Agrarsystem ab. Dazu gehören Pläne, „den Einsatz von chemischen Pestiziden, Düngemitteln und Antibiotika deutlich zu reduzieren.
  7. Mobilität und Verkehr: Ein Jahr, nachdem die EU neue CO₂-Emissionsnormen für Autos verabschiedet hat, steht der Automobilsektor erneut im Fadenkreuz der Kommission. Das aktuelle Ziel ist es, bis 2021 Ausstöße von 95 Gramm CO₂ pro Kilometer zu erreichen. Das Null-Gramm-Ziel wird „in den 2030er Jahren“ angepeilt. Elektrofahrzeuge werden daher weiter gefördert. Ein Ziel ist es, bis 2025 eine Million öffentliche Ladestationen in ganz Europa bereitzustellen. „Nachhaltige alternative Kraftstoffe“ – damit sind Biokraftstoffe und Wasserstoff gemeint – werden verstärkt in der Luft- und Schifffahrt sowie im Schwerlastverkehr gefördert, wo eine Elektrifizierung derzeit nicht möglich ist.
  8. Finanzen: Damit „niemand im Stich gelassen“ wird, will die Kommission einen Mechanismus für eine gerechte Energiewende einrichten. Damit würden Regionen unterstützt, die aktuell am meisten von fossilen Brennstoffen und der Kohleförderung abhängig sind.
  9. Wissenschaft und Innovation: Mit einem vorgeschlagenen Budget von 100 Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre (2021–2027) soll das Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon Europe“ ebenfalls massiv zum „Green Deal“ beitragen. 35 Prozent der EU-Forschungsförderung werden künftig für  klimafreundliche Technologien bereitgestellt.
  10. Außenbeziehungen: Schließlich soll auch die EU-Diplomatie den „Green Deal“ unterstützen. Eine Maßnahme, die in der Zukunft Aufmerksamkeit auf sich und Kontroversen nach sich ziehen dürfte, ist der Vorschlag für eine sogenannte CO₂-Grenzsteuer. Da Europa seine Klimaambitionen erhöht, erwartet sich die EU-Kommission, dass auch der Rest der Welt seine Aufgaben erfüllt.

Weiterführende Links

https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/european-green-deal-communication_de.pdf

https://ec.europa.eu/energy/topics/energy-strategy/clean-energy-alleuropeans_en#renewable-energy

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