Zeitschrift EE

Aufstand der Jungen

Moderation und Text: Diethold Schaar. Fotos: Shao Hui He.

„Die Klimapolitik ist zu wichtig, als dass man sie der Politik allein überlassen darf“, sagt der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler und liegt damit auf einer Linie mit den KlimaaktivistInnenen von Fridays for Future. Mit ihm diskutieren Doris Hammermüller von der AEE Niederösterreich/Wien, Lisa de Pasqualin als Vertreterin des Klimavolksbegehrens und Katharina Schneider von Fridays for Future über die Energiewende und die Klimakrise im Spannungsfeld zwischen BürgerInnenbewegungen und Politik.

Doris Hammermüller: In der Zeit der Umweltbewegung der 80er-Jahre waren Wachstum und Technologien selbstverständlich und wurden nicht hinterfragt. Wir haben bei weitem nicht das Wissen und die Medien gehabt, die wir heute haben. Jetzt wissen wir ganz genau, was wir tun können, wie wir es tun müssen und was es bewirken soll. Was in der Klimapolitik jetzt fehlt, ist der große Wurf der Umsetzung.

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Katharina Schneider: Richtig ist, dass die Lösungen und Ansätze am Tisch liegen. Tatsache ist aber, dass wenig bis gar nichts davon umgesetzt wird. Unsere Rolle ist Druck und Aufmerksamkeit zu schaffen, damit Wirtschaft und Politik nicht aus können. Greta Thunberg sagt: „Wir beobachten Euch und jetzt muss etwas kommen.“ – Dieser Ansatz ist essenziell, und weil er von der Jugend kommt, sehen viele Menschen unsere Angst und die Dringlichkeit für Handlungen, und unterstützen uns auch.

Lisa de Pasqualin: Diese Aufmerksamkeit nützen auch wir vom Klimavolksbegehren, um die Bevölkerung und die Politiker ins Handeln zu bringen. Die einzelnen Menschen, indem sie auf das Gemeindeamt gehen und das Volksbegehren unterstützen und die Politiker, weil der Klimaschutz schon längst keine Frage des guten Willens mehr sein darf.

Franz Fischler: Volksbegehren hat es auch in den 80er-Jahren schon gegeben, und damals wie heute werden sie von der offiziellen Politik eher als Störfaktor empfunden. Meiner Meinung nach ist das große Thema, dass die junge Generation heute eine andere Einstellung zur Politik hat. In den 80er-Jahren, mit ihren großen wirtschaftlichen Wachstumsraten, war alles darauf ausgerichtet, wie ich als Einzelner aus diesem System für mich persönlich den größten Nutzen ziehen kann. Die jetzige Generation der 16-Jährigen ist anders; die sind – wenn man so will – politischer geworden. Die sind der 68er-Bewegung näher als den Jungen in den 80er-Jahren. Damals hat die Mehrheit auch der jungen Menschen die Meinung vertreten, dass man eh nichts machen könne. Heute ist das Bewusstsein vorhanden, dass man mit entsprechendem Einsatz sehr wohl etwas erreichen kann.

Franz Fischer

Moderator: Welche Auswirkungen hat das auf die Politik?

Franz Fischler: Politik ist per definitionem immer reaktiv. Sie reagiert. Und so wie heute Politik gemacht wird, wird das noch stärker spürbar. In der heute vorherrschenden postnationalen Politik wird zunächst abgetestet, was die Leute wollen. Danach richtet sich, was thematisiert werden soll, um Wahlerfolge zu haben. Politische Projekte und politische Ziele werden nicht mehr aus politischen Programmen abgeleitet, sondern ausschließlich aus dem, was der momentanen Stimmungslage entspricht, die aus Umfragen ermittelt wird. Die jungen Leute von Fridays for Future haben erkannt, dass sie das Stimmungsbild in der Wählerschaft beeinflussen können. Sobald dieser Einfluss in der Bevölkerung wahrgenommen wird, springt auch die Politik auf. Vorher nicht.

Moderator: Was bräuchte es, damit es schneller geht?

Franz Fischler: Ich finde, dass sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine sehr grundsätzliche Frage stellt: ist die Menschheit fähig nur aus Fehlern zu lernen, oder können wir auch Konsequenzen ziehen, wenn die Wissenschaft klar aufzeigt, wohin es geht? Wenn wir wirklich nur in der Lage wären, aus Schaden klug zu werden, dann sind wir de facto verloren. Wir können es uns nicht leisten, ausschließlich aus Schaden klug zu werden.

Doris Hammermüller: Aus meiner Beobachtung haben wir mit der Umweltbewegung irgendwann um die Jahrtausendwende unsere Wirksamkeit verloren. Wir konnten nicht mehr so revolutionär sein, weil wir mit dem Aufbau unserer Strukturen beschäftigt waren und weil wir natürlich immer noch gehofft haben, in den bestehenden Systemen etwas bewegen zu können.

Lisa de Pasqualin: Ich war um die Jahrtausendwende gerade 18 Jahre alt und habe zu studieren begonnen – damals mit Studiengebühren, gegen die niemand ernsthaft etwas unternommen hat. Wir waren nicht die Generation der Demonstranten. Wir waren die politischen Mitläufer. Wir waren wählen, aber wir hatten nicht das Gefühl, wirksam sein zu können.

Lisa de Pasqualin

Franz Fischler: Die allgemeine Meinung war, man kann ja eh nichts erreichen. Jeder hat auf sich selbst geschaut und hat versucht, sich durchzusetzen - die „Ich-AG“ eben. Die Finanzkrise 2008 hat dann eine völlige Veränderung gebracht. Bis dorthin war ja vor allem in der westlichen Welt die Meinung vorherrschend, dass wir die Globalisierungsgewinner sind und daher Globalisierung eine gute Sache sei. Durch die Krise, die Europa stärker betroffen hat als die meisten anderen Länder der Welt, hat man festgestellt, dass dem nicht so ist. Die grundlegenden Annahmen der Elterngenerationen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird, gibt es nicht mehr. Die logische Konsequenz war, dass diese Kindergeneration heute die Frage stellt, wer ihnen das eingebrockt hat. Sind die Eltern mitschuldig geworden? Das sind ja genau die Vorwürfe, die Greta Thunberg erhebt, wenn sie sagt: „Ihr habt die Welt kaputt gemacht. Ihr seid schuld!“

Lisa de Pasqualin: Das große Thema, vor dem wir jetzt stehen, ist, dass wir einen Systemwandel brauchen. Die Ökobewegung war früher sehr wirkungsvoll und wirksam, aber ein Minderheitenprogramm. Heute ist vielen klar, dass wir an der Kippe stehen. Nur, die einen wollen etwas tun und sich aus ihren Komfortzonen herausbewegen, und gleichzeitig gibt es welche, die sagen einfach „Nein!“ und gruppieren sich als „Gegenbewegung“. Diese Ignoranz und Mobilisierung macht mich fassungslos. Genauso wie Fridays for Future immer wieder zu hören bekommt, dass es doch nicht geht, dass eine 16-Jährige die Politik beeinflussen will.

Franz Fischler: Darauf sollte man auch noch kurz eingehen, nämlich auf verschiedene Kräfte, die Greta Thunberg als Person massivst angreifen. Meine Schlussfolgerung ist: Die Agression wird größer, weil die Überlegenheit dieser Bewegung immer deutlicher wird und weil die Gegner eigentlich keine tauglichen demokratischen Mittel dagegen haben. Diese Sager, die durch die sozialen Medien geistern, sie soll doch zuerst einmal Matura machen oder sie soll dies und jenes tun – das ist in meinen Augen alles Ausdruck von Hilflosigkeit.

Doris Hammermüller: Greta Thunberg hinterfragt schon durch ihre Existenz in meinen Augen ja alles an bestehenden Machtsystemen. Sie ist eine junge Frau mit einer außergewöhnlichen Begabung, die sich den Mächtigen der Welt sehr kraftvoll entgegenstellt. Das hinterfragt schon viele gängige Kriterien, wie auch das klassische Wachstum – und das polarisiert.

Franz Fischler: Wir wissen schon längst, dass das Messen von Wachstum in Kennzahlen wie dem BIP veraltet ist. Da hat es schon eine Reihe politische Initiativen gegeben, das zu ändern. Als Politiker muss man sich fragen, warum hat das nicht funktioniert und warum haben im Gegensatz dazu die Proteste der jungen Leute heute Wirkung?

Katharina Schneider: Ein wichtiger Punkt ist das Storytelling. Wir haben halt über die sozialen Medien die Möglichkeit, unsere Geschichten schnell zu erzählen. Die vergangenen zehn, zwanzig Jahre waren die Jugendlichen politisch eher ruhig. Es wurde uns auch vorgeworfen, dass wir uns nicht engagieren, und das wurde auch politisch ausgenutzt. Und jetzt auf einmal gehen 14-Jährige oder sogar noch jüngere auf die Straße und nutzen ihre Stimme. Die Jugendlichen sind nicht auf der Straße, weil es cool ist, sondern weil es um etwas geht.

Katharina Schneider

Franz Fischler: Ungeheuer wichtig ist auch, dass die Fakten des Klimawandels eine breite wissenschaftliche Abstützung haben. Vielen Wissenschaftlern, die in ihrem Tun auch einen gesellschaftlichen Auftrag sehen, ist es nur recht, wenn junge Leute die entsprechende Begleitmusik produzieren. Dieses neue Mobilisieren aller gesellschaftlichen Kräfte, dieses Zusammenwirken zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – das hat neue Möglichkeiten geboten, wie man an Probleme anders herangehen kann. Die Zeiten sind vorbei, wo es möglich ist, zu sagen, das ist eine politische Aufgabe und die Politiker sollen sich darum kümmern. Heutzutage herrscht da eher die Meinung, das ist so wichtig, dass man es nicht der Politik allein überlassen darf.

Lisa de Pasqualin: Durch den wahrnehmbaren Klimawandel und die Fridays for Future spüren wir jetzt diesen Drive, dieses Momentum in der Gesellschaft. Wir leben heute in einer Zeit, in der viele Menschen für sich selbst erkennen, dass sie wirksam sein können, auch das Kollektiv erkennt, dass es wirksam sein muss.

Franz Fischler: Wir Österreicher sind da schon ein besonderes Volk. Wir glauben ja immer, dass es für uns irgendwelche Extrawürste geben wird oder irgendwelche Abkürzungen, oder man handelt nach dem Prinzip: es wird ja nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das sieht man dann auch in der Praxis, wo am Beginn einer Gesetzgebungsperiode wunderbare Ziele festgeschrieben werden, die dann am Ende umformuliert werden, weil es mit der Umsetzung doch nicht so einfach ist. Diese Vorgangsweise führt dazu, dass wir europaweit zu den schlechtesten Performern gehören. Bei der Umsetzung der Kyoto-Ziele war Österreich das zweitschlechteste Land der EU, und jetzt bei der Umsetzung der EU-2030-Ziele sind wir momentan die Viertschlechtesten. Und wir alle wissen, wenn wir das nicht schnell ändern, werden wir Milliarden für CO 2 -Zertifikate zahlen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das wahnsinnig viele Leute aufregt. Warum investieren wir das Geld nicht besser jetzt, um einigermaßen unsere Ziele zu erreichen?

Moderator: Das Bewusstsein ist da, der Druck ist weltweit da und dennoch stimmen die Ergebnisse nach wie vor nicht. Keines der G20-Länder erreicht seine selbstgesteckten Klimaziele. Woran liegt das?

Lisa de Pasqualin: Weil noch immer an Einzelmaßnahmen herumgedoktert und nicht der notwendige Systemwandel eingeleitet wird.

Franz Fischler: Genau – die System-Transformation fehlt.

Doris Hammermüller: Veränderung ist immer Angst machend. Für jede einzelne Person. Da würde ich uns gar nicht ausnehmen. Das heißt für uns ja auch eine große Veränderung. Was wir allerdings auch schon ganz lange wissen: je früher wir den Veränderungsprozess starten, umso flacher kann man den Ball halten, und je länger wir warten, umso steiler müssen später die Kurven sein.

Doris Hammermüller

Katharina Schneider: Was der ganzen Klima­bewegung noch fehlt, ist das bessere Darstellen einer positiven Utopie, was wir erreichen können, wenn wir jetzt sofort aufhören, Treibhausgase in die Luft zu blasen. Man kann auch sehr provokant fragen, worauf wir jetzt bereits verzichten? Durch unser Verhalten verzichten wir jetzt schon auf gute Luft oder Nahrungsmittelsicherheit. Wir verzichten mit dem jetzigen Verhalten auf eine sichere Lebensgrundlage.

Franz Fischler: Genau genommen ist es schon ein Wahnsinn, dass die größten Verursacher des Klimawandels am wenigsten von den Folgen betroffen sind. Und die, die ihn am wenigsten verursachen, leiden am meisten darunter. Daraus entsteht eine ungeheure Ungerechtigkeit in der Welt. Das kann gar nicht oft genug in die Öffentlichkeit gebracht werden.

Natürlich ist es richtig, dass es ohne Verzicht nicht gehen wird. Aber politisch betrachtet, ist es nicht sehr klug, nur über den Verzicht zu reden, sondern es geht tatsächlich um die Alternativen. Die gibt es. Es geht nicht darum, Mobilität zu verbieten, sondern wir müssen die Mobilität auf eine andere Art und Weise organisieren. Das lässt sich machen, ohne dass da ein großer Komfortverzicht entsteht. Dazu müssen wir die Systeme umstellen, und diese Transformation ist der Schlüssel der ganzen Geschichte. Ich bringe die Leute ja nur dann zum Mitmachen, wenn ich ihnen die Alternativen aufzeige.

Moderator: Gibt es etwas, das Hoffnung macht?

Lisa de Pasqualin: Mir macht Hoffnung, dass sich diese Starrheit der 2000er-Jahre löst und ein gewisses Momentum entsteht. Aus dem müssen wir etwas machen. Das Bewusstsein ist da. Die Zeit ist reif. Es geht jetzt darum, die Dinge in die Hand zu nehmen. Das Klimavolksbegehren ist ein erster Schritt.

Katharina Schneider: Es wird wieder kritisch gedacht, und ich freue mich, wenn ich sehe, wie viele Leute auf der Straße sind. Es wird reflektiert, was passiert. Und es wird nicht mehr nur akzeptiert, was die politischen Akteure vorgeben.

Franz Fischler: Letztlich glaube ich doch an die Einsicht des Menschen, dass er nicht sein eigener Feind sein will. Der Weg der Dekarbonisierung ist ohne Alternative. Wenn das der Großteil der Menschen einsieht, dann haben wir schon gewonnen.

Doris Hammermüller: Ich glaube immer, dass sich etwas ändern kann, wenn alles zusammenpasst. Dass da jetzt so viel Energie entsteht, die auf ausreichend Wissen trifft und auch von der Wirtschaft unterstützt wird – das nährt die Hoffnung, dass wir diesen Moment solange halten können, bis er in der Politik wirklich angekommen ist.

Moderator: Herzlichen Dank an alle für das Gespräch.

 

Dr. FRANZ FISCHLER, Jahrgang 1946, hat an der Universität für Bodenkultur in Wien studiert und war in den 80er-Jahren Leiter der Landwirtschaftskammer in Tirol. Von 1989 bis 1994 Landwirtschaftsminister und von 1995 bis 2004 Europäischer Kommissar für Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums. Heute betreibt er ein Beratungsunternehmen und ist Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

KATHARINA SCHNEIDER MSc, Jahrgang 1993, hat ihren Masterabschluss in Evolutionsbiologie gemacht und steckt momentan in den Vorarbeiten zum Doktorat. Sie ist seit dem ersten Streik in Wien (21. Dezember 2018) bei Fridays for Future und kümmert sich vor allem um Verwaltungsarbeit und die Koordination von Terminen und Anfragen.

MMag. a LISA DE PASQUALIN, Jahrgang 1983, hat in Graz Betriebswirtschaft und Umweltsystemwissenschaften studiert, war mehr als zehn Jahre in Unternehmen für Kommunikation und Nachhaltigkeit verantwortlich und ist jetzt selbständige Resilienz-Trainerin und Nachhaltigkeits-Beraterin. Ehrenamtlich ist sie im Lenkungskreis des Global Compact Netzwerks Österreich tätig und engagiert sich für das Klimavolksbegehren.

DORIS HAMMERMÜLLER MA, Jahrgang 1962, hat Sozialarbeit studiert und ist seit den frühen 80er-Jahren in verschiedenen NGO tätig, beispielsweise als Energieberaterin und Vorstandsmitglied der Umweltberatung NÖ bis 2001. Sie war 1993 eine der Mitbegründerinnen der AEE Arbeitsgemeinschaft Erneuerbar Energie NÖ-Wien, deren langjährige Geschäftsführerin sie heute noch ist.

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