Zeitschrift EE

nt 03 | 2021 Energiequelle Abwasser

Kommunale und industrielle Abwasserreinigungsanlagen als Energie- und Ressourcendrehscheibe

Die Transformation des Energiesektors hat gerade erst so richtig begonnen, wie man unter anderem am kürzlich beschlossenen Erneuerbaren Ausbaugesetz (EAG) und dem „Fit für 55“-Paket der EU-Kommission sieht. Die verstärkte Dekarbonisierung braucht sektorübergreifende Lösungen, kommunale und industrielle Abwasserreinigungsanlagen (ARA) können diese bieten.

Abwasserreinigungsanlage Gleisdorf von oben. Flächen für PV, Biogaserzeugung und Abwasserenergienutzung mit Wärmepumpen sind Hauptkomponenten einer Wärmedrehscheibe. Foto: Schrotter, Gleisdorf

Rahmenbedingungen

Neben dem EAG [1] (Beschluss Nationalrat 07.07.2021) sowie dem „Fit für 55“-Paket (55 % weniger CO2- Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990) ist für Abwasserreinigungsanlagen außerdem die kommende Neufassung der Abfallverbrennungsverordnung relevant, die sich zurzeit in Ausarbeitung befindet [2]. Aus energetischer Sicht ist die hierin angedachte verpflichtende Zuführung des kommunalen Klärschlamms zu einer Phosphor-Rückgewinnung relevant, wodurch aufgrund der steigenden Entsorgungskosten von Klärschlamm und längeren Transportwegen eine Klärschlammtrocknung zunehmend attraktiv wird – ein wichtiger Teil in der energetischen Optimierung der Abwasserreinigungsanlagen.

Die Nutzung von Abwasser als Wärmequelle erfreut sich großer Beliebtheit, was sich in der steigenden Zahl an Umsetzungen widerspiegelt. Der Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV) hat diese Möglichkeit in einem Leitfaden zur Bewertung der „Energetischen Nutzung des thermischen Potenzials von Abwasser“ [3] behandelt. Dieser wichtige Arbeitsbehelf gibt Berechnungsmethoden für die Bewertung der Kanaltemperatur-Absenkung auf den Kläranlagen-Zulauf vor. Das führte auch zur aktuellen Förder-Ausschreibung des Klima- und Energiefonds „Energie aus Abwasser“ (Potenzialstudien - 5.000 EUR, Machbarkeitsstudien-10.000 EUR), womit Umsetzungen zielgerichtet gefördert werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Greening-The-Gas und Wasserstoff-Initiativen zu nennen, womit die Bedeutung der Biogas-Potenziale industrieller und kommunaler Abwasserreinigungsanlagen signifikant erhöht werden.

ARA als Energie- und Ressourcendrehscheibe

Unter diesen Gesichtspunkten kann eine Vision der ARA 2030 entworfen werden. In dieser ist sie die Energie- und Ressourcendrehscheibe, was technologisch und in der regionalen Verankerung begründet ist.

Die ARA als Ressourcendrehscheibe

Phosphor und Stickstoff sind die wichtigsten Dünger für die Landwirtschaft, müssen in der Abwasserreinigungsanlage aber mit hohem Energieaufwand entfernt werden. Während es für die Phosphor-Rückgewinnung einen vorgezeichneten regulatorischen Pfad gibt, fehlt ein solcher gesetzlicher Rahmen für die Stickstoff-Rückgewinnung.

Aktuell zeigt AEE INTEC in Forschungsprojekten, dass sich die Membrandestillation zur AmmoniumsulfatErzeugung (ein Stickstoffdünger) eignet [4]. Langzeittests dazu werden an der ARA Gleisdorf im Rahmen des Projektes ThermaFLEX [5] durchgeführt. Essentiell ist die Entfernung von Stickstoff aus hochkonzentrierten Teilströmen der Abwasserreinigungsanlage (Zentratwasser aus Zentrifuge und Kondensat von Trocknung), um die biologische Abwasserbehandlung zu entlasten und mehr Kohlenstoff für die Biogaserzeugung zur Verfügung zu stellen. Erreichbare hohe Abtrennraten in der Vorreinigung führen zu signifikanten Steigerungsraten in der Biogaserzeugung. Die stoffliche Nutzung von abgetrennter und aufbereiteter Zellulose über Mikrosiebe und Trommelfilter stellt einen weiteren Nutzungspfad dar.

Die ARA als Wärmedrehscheibe

Die ARA als Wärmedrehscheibe ist kein Zukunftsszenario mehr. Sowohl in Kapfenberg als auch Gleisdorf konnte AEE INTEC gemeinsam mit Partnern vor Ort konkrete Umsetzungen anstoßen, in denen Wärmepumpen den Ablauf der Abwasserreinigungsanlagen als Wärmequelle nutzen (thermische Leistungen Kapfenberg 200 kW, Gleisdorf 650 kW). Konzeptionell muss besonderes Augenmerk auf die effiziente Wärmeversorgung der Faultürme und eine mögliche Niedrigtemperatur-Klärschlammtrocknung mit einer Wärmepumpe liegen. Die Nutzung des gewonnenen Biogases vor Ort ist besonders unter exergetisch optimierter regionaler Biogasnutzung kritisch zu sehen.

Photovoltaik-Anlage und Biogasspeicher an der Abwasserreinigungsanlage Kapfenberg. Foto: Wasserverband Mürzverband

Die ARA als Stromdrehscheibe

Schon jetzt wird durch Biogas-BHKW und PV-Anlagen vielfach Eigenstrom an den ARAs erzeugt. Die Nutzung von Biogas in solchen Anlagen für die Stromerzeugung ist wie vorhin genannt zurückhaltend zu sehen, wodurch PV-Anlagen an Bedeutung gewinnen. Aufgrund des hohen Stromverbrauchs kann auch bei größeren Anlagen der gesamte Strom selbst verbraucht werden. Die Einbindung der Abwasserreinigungsanlagen in regionale Energiegemeinschaften nach dem EAG wird von hohem Interesse sein und durch die im Bereich der ARAs vielfach vorhandenen Freiflächen großes Potenzial haben.

Die ARA als Gasdrehscheibe

Die aktuell bereits erzeugten Biogas-Mengen an Abwasserreinigungsanlagen können mittelfristig noch signifikant erhöht werden. Wie angeführt, ist eine alternative Stickstoffentfernung der Flaschenhals für den Primärschlammabzug in der Vorreinigung und somit der Biogaserzeugung. Co-Fermente wie aufbereiteter Biomüll oder Abfälle aus Großküchen und der Lebensmittelindustrie werden auch hier einen wichtigen Beitrag leisten. Für die Einspeisung des Biogases in Gasnetze ist die Aufbereitung zur Biomethanqualität wichtig, wobei eine Bündelung verschiedener Biogaserzeuger sinnvoll erscheint, um Anlagenkosten zu sparen [6]. Durch die Errichtung von Wasserstoff-Elektrolyse können Synergieeffekte erzielt werden:

  • Nutzung des bei der Biogasaufbereitung abzutrennende CO2 für die Methanisierung des Wasserstoffs mit folgender Maximierung der Einspeisemengen und Nutzung des Erdgasnetzes
  • Gesteigerte Einspeisemengen führen zu geringeren spezifischen Kosten
  • Nutzung des anfallenden Sauerstoffs aus der Elektrolyse für die Belüftung der biologischen Abwasserreinigung und somit 80%-ige Volumenstrom-Reduzierung und Stromeinsparungen

Auch für industrielle Abwasserreinigungsanlagen wird das dort erzeugte Biogas zunehmend wertvoll, weil es ein wichtiger Teil einer Dekarbonisierung-Strategie von einzelnen Standorten sein kann. Neben Wärmepumpen für Niedrigtemperatur-Prozesse wird eigenes und bei Bedarf fremdes Biomethan über das Erdgasnetz für die gezielte Dampferzeugung verwendet.

Decision Support Tool für Zukunftsszenarien

Um Zukunftsszenarien für einzelne Abwasserreinigungsanlagen zu untersuchen, wurde im Projekt AR-HES-B [7] ein Decision Support Tool entwickelt. Die Verknüpfung mit dem Strom-, Gas- und Wärme-Netz kann hier ebenso analysiert werden, wie der Einsatz von innovativen Technologien, die den Weg zur ARA der Zukunft ermöglichen. Die Verwendung solcher Tools ermöglicht auch eine Bewertung der Anschlussmöglichkeit an lokale Wärmenetze. So kann und wird im Rahmen der Energieraumplanung das Potenzial verschiedenster Wärmequellen wie industrielle Abwärme oder aus der ARA ausgewiesen. Dadurch können durch Berücksichtigung aktueller Trassenführung, Entwicklung des zukünftigen Wärmebedarfs und Abschätzung des Potenzials der ARA-Einbindung effizient Konzepte und Machbarkeiten für eine Integration der ARA entwickelt werden und Richtung Umsetzung getrieben werden.

Umsetzungen

Die bereits angeführten Umsetzungen in Kapfenberg und Gleisdorf sind Beispiele für die Potenziale. Im Zuge des Leitprojekts ThermaFLEX [5] wurde beim Demonstrator Gleisdorf das Konzept einer Wärmekopplung zwischen der ARA Gleisdorf und dem Fernwärmenetz der Stadtwerke Gleisdorf entwickelt. Das Projekt befindet sich in Detailplanung und Ausschreibungsvorbereitung mit folgenden technischen Eckdaten

  • 1.050 m Wärmeleitung vom Gleisdorfer Süden (ARA Gleisdorf) ins Stadtzentrum
  • Biogasüberschüsse und eine Wärmepumpe (650 kW Wärmeleistung) werden über diese Wärmeleitung das Fernwärmenetz in den 4 Sommermonaten (gemeinsam mit vorhandenen Solaranlagen) vollständig versorgen
  • Im Winter wird auf niedrigem Temperaturniveau Fernwärme-Bandlast zur Verfügung gestellt.

Umsetzungsplanung Wärmekonzept ARA Gleisdorf. N-MD (Stickstoff Membran-Destillation) ist als Container zu Forschungszwecken integriert. Trocknung und zweite PV-Anlage als zukünftig angedachte Erweiterungen. Quelle: AEE INTEC

Conclusio

Die Dekarbonisierung stellt für alle Sektoren eine große Herausforderung dar, der mit innovativen Lösungen zu begegnen ist und somit einen Business-Case für die beteiligten Stakeholder darstellt. Die Transformation der Abwasserreinigungsanlage in eine Energie- und Ressourcendrehscheibe stellt für diese einen radikalen Paradigmenwechsel dar. Durch die Nutzung der Energieerzeugungspotenziale wird der Eigenbedarf weit überschritten, die Initiierung als lokale Energiezelle ein logischer Schritt in der notwendigen Sektorkopplung zwischen Gas-, Strom- und Wärmenetz. Jetzt gilt es alle Beteiligten einzubinden und die kommunale Energieraumplanung neu zu gestalten.

Weiterführende Informationen

www.ar-hes-b.aee-intec.at

https://greenenergylab.at/projects/thermaflex/

https://www.oewav.at/Publikationen?current=424466&mode=form

Literatur

[1] Bundesgesetz über den Ausbau von Energie aus erneuerbaren Quellen (Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – EAG). Nationalratsbeschluss am 7.7.2021

[2] Grech Hubert (2021) Zukünftige Klärschlammbewirtschaftung. Vortrag 16.06.2021. BMK Abt. V/3., Wien

[3] ÖWAV (2021). Arbeitsbehelf 65 - Energetische Nutzung des thermischen Potenzials von Abwasser. Wien. Abrufbar unter https://www.oewav.at/Publikationen?current=424466&mode=form

[4] D.M. Scheepers, A.J. Tahir, C. Brunner, E. Guillen-Burrieza, Vacuum membrane distillation multi-component numerical model for ammonia recovery from liquid streams, Journal of Membrane Science, Volume 614, 2020, 118399, ISSN 0376-7388, https://doi.org/10.1016/j. memsci.2020.118399.

[5] Das ThermaFLEX Leitprojekt wird vom österreichischen Klima- und Energiefonds im Rahmen der Forschungsinitiative "Green Energy Lab" als Teil der österreichischen Innovationsoffensive "Vorzeigeregion Energie" gefördert. Mehr Infos: https://thermaflex.greenenergylab.at

[6] Thomas Kienberger, Christoph Sejkora, Matthias Greiml, Lukas Kriechbaum (2019) - Greening the Gas – Kostenbetrachtung der Einbindung

[7] Abwasserreinigung zur hybriden Energiespeicherung, Energiebereitstellung und Wertstoffgewinnung (AR-HES-B) www.ar-hes-b.aee-intec.at/

Autor*innen

Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Jürgen Fluch ist Leiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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