Zeitschrift EE

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100 % erneuerbare Fernwärme als Ziel

Carles Ribas Tugores, Ingo Leusbrock

Im Jahr 2016 wurden 22 TWh/a, das entspricht 7 % des gesamten österreichischen Energiebedarfs (311 TWh/a, inkl. Strom, Industrie & Verkehr) durch Fernwärme (FW) aufgebracht. 28 % (87 TWh/a) dieses Energiebedarfs wurden in Österreich für Raumwärme genutzt. Die Erreichung internationaler und nationaler Klimaziele wie dem Pariser Klimaabkommen und der Klima- und Energiestrategie Österreichs ist eine große Herausforderung, bei der flexible und nachhaltige Fernwärme eine zentrale Rolle spielt. In einem nachhaltigen und vollständig dekarbonisierten Fernwärme-System muss jedoch weiterhin ein hoher Versorgungsstandard in einem hochkomplexen System (Speicherung, erneuerbare Energien, usw.) ohne fossile Brennstoffe leistbar gestaltet werden. Hier ist die Kombination von (Groß-) Solarthermie, Erdbeckenspeicher und (Absorptions-) Wärmepumpe eine vielfach diskutierte Lösung. Es gibt in Österreich derzeit keine vergleichbaren Systeme wie in Dänemark, in denen diese Komponenten im großen Leistungsbereich zum Einsatz kommen. Die Gründe sind hierfür vielfältig. Zum einen ist ein derartiges System und dessen Integration in ein bestehendes Fernwärmesystem ein komplexes Vorhaben, das für jedes Fernwärmesystem individuell angepasst werden muss. Zum anderen ist ein breites technisches Wissen notwendig, um Planungen zu unterstützen und Diskussionen mit Energieversorgern und Betreibern zielgerichtet voranzutreiben. Aus diesem Wissen heraus ist eine robuste und anpassbare Herangehensweise für eine technische, ökonomische und ökologische Systembewertung erforderlich.

Zukünftiges Kollektorfeld von 5000 m2 in Mürzzuschlag. Bildquelle: SOLID Solar Energy Systems

Diese Vorgehensweise muss es nicht nur erlauben, Ideen und Konzepte bewerten, sondern diese auch im Detail untersuchen zu können. Hier bedarf es neben ingenieurmäßiger Abschätzungen und wirtschaftlicher Kosten- / Nutzenrechnungen auch detaillierter Simulationen der Komponenten und des Gesamtsystems.

Das Projekt Urban-DH-extended

Das Projekt Urban-DH-extended widmete sich in den vergangenen Jahren genau diesen Fragestellungen und Herausforderungen. Zielsetzung im Projekt war es, durch die intelligente hydraulische Integration der Komponenten Langzeitwärmespeicher, (Groß-) Wärmepumpe und solarthermische Großanlage eine flexible Fernwärmebereitstellung zu ermöglichen und die Anteile erneuerbarer Energieträger als auch die Deckungsanteile aus Abwärmenutzung (KWK-Abwärme, Abwärme aus Müllverbrennung, Industrieabwärme) signifikant zu steigern. Die konkrete technische und ökonomische Bewertung dieser Integration wurde durch enge Zusammenarbeit aller Partner, detaillierte Simulationstools und Entwicklung maßgeschneiderter Werkzeuge für ingenieurmäßige Bewertungen, die das Knowhow aller Partner beinhalten, ermöglicht. Konkrete Anwendungsbeispiele für das Projekt waren drei repräsentative Fernwärmeversorgungsgebiete in Österreich (urbane Fernwärme: Wien, mittelgroße Stadt: Klagenfurt, Kleinstadt: Mürzzuschlag) mit den jeweiligen Energieversorgern als Projektpartner.

Übersicht Kenndaten der untersuchten Fernwärmesysteme in Mürzzuschlag, Klagenfurt und Wien

Konkrete Umsetzungsideen und Pläne als Antrieb

Für diese drei beispielhaften Fernwärmeversorgungsgebiete zeigen sich unterschiedliche Herausforderungen für eine Dekarbonisierung der Systeme. Im Rahmen einer Status quo-Erhebung wurden nicht nur die technischen und ökonomischen Randbedingungen, wie z. B. bestehende Infrastruktur oder Netzpläne erfasst, sondern auch technische, ökologische und ökonomische Anforderungen an spätere Umsetzungen. Hieraus wurden Basiskonzepte durch die intelligente Integration der Komponenten Langzeitwärmespeicher, sowohl Tank als auch Erdbeckenspeicher, (Groß-)Wärmepumpe und solarthermische Großanlage entwickelt. Mit einfachen Dimensionierungsansätzen und ingenieurmaßigem Zugang wurden erste technischen Spezifikationen der neuen Systemkomponenten ermittelt und mit den Betreibern der jeweiligen Fernwärmenetze diskutiert und nachgeschärft. Grundlage dieser Diskussionen waren technische Basiskonzepte, unter anderem die Dimensionierung der Hauptkomponenten sowie der energetische Mehrwert. Weiters wurden Wirtschaftlichkeitsabschätzungen und Abschätzungen zu solaren Wärmeerträgen und Systemverlusten, basierend auf Erfahrungswerten, Benchmarks, einfachen und auch simulationsgestützten Berechnungen und Tabellenkalkulationen, durchgeführt. Diese Bewertungen wurden dann genutzt, um mit den Energieversorgern die vielversprechendsten Szenarien auszuwählen.

Anschließend erfolgte eine detaillierte simulationstechnische Abbildung der ausgewählten Anwendungsfälle. Hierzu kamen im Laufe des Projektes die Simulationstools TRNSYS und Dymola und Weiterentwicklungen dieser Tools zum Einsatz, teilweise auch in Kombination über einen Co-Simulationsansatz zur ganzheitlichen Betrachtung der Systeme. Diese Vorgehensweise ermöglichte eine optimierte Dimensionierung der Anlagenkonzepte und damit eine Nachschärfung der Wirtschaftlichkeitsabschätzung sowie die Bewertung von verschiedenen Regelstrategien und Einbindungsmöglichkeiten in ein bestehendes Fernwärmesystem.

Auf dem Weg zu 100 % erneuerbare Wärme in Mürzzuschlag

Das Fernwärmesystem in Mürzzuschlag steht stellvertretend für viele Systeme in Österreich. Ein hoher Anteil an Biomasse wird ergänzt mit Gaskesseln für die Wintermonate und zur Spitzenlastabdeckung. Eine besondere Herausforderung ist bei solchen Systemen die effiziente Warmwasser-Versorgung in den Sommermonaten sowie eine nachhaltige Substitution des Gasanteils mit erneuerbaren Wärmequellen. In Mürzzuschlag bildet die aktuell laufende Installation einer Großsolaranlage von 5000 m2 in Kombination mit 3 x 60 m3 Tankspeicher einen Startpunkt für die notwendige Dekarbonisierung des Fernwärmesystems. Bereits diese erste Ausbauphase stellt eine Herausforderung in puncto Einbindung in das bestehende System und der Regelstrategien dar, da die Tankspeicher nicht nur als Puffer für die Solaranlage dienen sollen, sondern bei Bedarf überschüssige Wärme aus dem Netz aufnehmen sollen, um so einen konstanten Betrieb der Biomasseanlagen zu ermöglichen. Für die Betrachtung von weiteren Ausbauszenarien war darüber hinaus die passende Größe des Speichers in Relation zur Größe des Solarfeldes eine Fragestellung. Beide Komponenten sollten aufeinander abgestimmt sein, um möglichst geringe thermische Verluste zu erhalten. Die so gefundene Lösung ist aber nicht immer auch die Lösung mit den geringsten Wärmegestehungskosten (siehe Abbildung).

Wärmegestehungskosten des Teilsystems (Solaranlage + Wärmespeicher) unter Berücksichtigung von 30 % Förderung der Investitionskosten der Solaranlage und des Wärmespeichers. Varianten mit Erdbeckenspeicher mit dicken Rahmen dargestellt.

Daher müssen Simulationen des technischen Systems und Wirtschaftlichkeitsberechnungen stets Hand in Hand gehen und mit den Energieversorgern abgeglichen werden.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Zukunftssicherheit von Investitionen in Fernwärmesysteme sind mögliche Auswirkungen einer steuerlichen Belastung von CO2-Emissionen bei der Wärmeerzeugung. Obwohl diese in Österreich noch nicht umgesetzt wurden, sind diese Emissionssteuern bereits in einigen Ländern in der EU Realität (2019: Schweden 115 Euro/t, Finnland 62,50 Euro/t, Dänemark 23 Euro/t (Quelle, abgerufen am 14.2.2020). Zur Darstellung der Wärmegestehungskosten für die erarbeiteten Konzepte bis hin zu 100 % Erneuerbare unter Einbindung von Großsolaranlage, Tank- und / oder Erdbeckenspeicher sowie Absorptionswärmepumpe wurden Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Bei einer Betrachtung für Mürzzuschlag ergab sich, dass eine Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren von 69 % von 86 % durch die Verdrängung des fossilen Energieträgers Gas eine Steigerung der Wärmegestehungskosten von 9 % zur Folge hätte. Ab einer CO2-Steuer von 50 Euro / t CO2,eq haben die untersuchten Konzepte jedoch einen geringeren Wärmepreis als die Fortsetzung des Status quo (siehe nachfolgende Abbildungen).

Darstellung der Wärmegestehungskosten als Funktion der CO2,eq-Emissionen für den Status quo sowie drei Ausbauszenarien. Der Status quo dient als Referenzwert.

Darstellung der Wärmegestehungskosten als Funktion einer CO2,eq-Steuer für den Status quo sowie drei Ausbauszenarien. Der Status quo dient jeweils als Referenzwert.

Fazit

Das Potenzial für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ist in den untersuchten Gebieten enorm und die Umsetzung solcher Konzepte in naher und mittlerer Zukunft eine Realität. Durch die zunehmende Wichtigkeit von nachhaltiger Wärmeversorgung besonders im urbanen Bereich ist ein steigender Marktanteil der hier diskutierten Konzepte vorhersehbar.

Langzeitwärmespeicher, (Groß-)Wärmepumpe und solare Großanlage bzw. Kombinationen davon sind bereits jetzt technisch und ökonomisch interessante Optionen, die besonders bei Einführung einer CO2-Steuer noch mehr Bedeutung gewinnen werden. Dies zeigen auch unlängst gestartete Forschungsprojekte mit starker Industriebeteiligung, wie „gigaTES – Saisonale Speicher zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien für Distrikte“ und „Thermaflex – Wärmebedarf und Wärmeversorgung als flexible Elemente in zukünftigen nachhaltigen Energiesystemen“, sowie erste Umsetzungen wie in Mürzzuschlag.

Weiterführende Informationen

Autoren

Dipl.-Ing. Carles Ribas Tugores ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe „Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter der Gruppe „Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen“ bei AEE INTEC, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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