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Synergien zwischen Energienetzwerken

Das europäische Forschungsprojekt IntegrCiTy (Entscheidungsunterstützende Plattform für Planung und Integration von Multi-Energie-Netzwerken und erneuerbaren Ressourcen in Städten) möchte die integrierte Energienetzwerkplanung vorantreiben. Mit einem Budget von 3,2 Millionen Euro wird ein Werkzeug zur Entscheidungsunterstützung von Energieversorgern, Energieraumplanern und der Politik entwickelt, das die Interaktionen zwischen Energienetzwerken genau modellieren kann.

Die Stadt Vevey am Genfersee arbeitet an einer Energieversorgung, die kompatibel für eine 2000-Watt-Gesellschaft ist. Foto: David Picard

Das Projekt startete 2016 und wird bis März 2019 dauern. Die Kooperation umfasst Forschungsinstitutionen aus der Schweiz, Österreich und Schweden. Fallstudien in Städten der Schweiz und Schweden sowie deren (öffentliche) Versorgungsunternehmen sind Partner dieses Projekts. Die in drei europäischen Teststädten (Genf und Vevey in der Schweiz und Stockholm in Schweden) generierten realen Daten, ermöglichen Überprüfung und Optimierung des entwickelten Tools. Energieplanung sowie Energiemanagement werden somit unter realistischen Bedingungen simuliert und optimiert.

Integrierte Energienetzplanung

Eine erfolgreiche Statdplanung umfasst auch eine durchdachte Energieversorgung. Die Effizienz und die Ausfallsicherheit von Energienetzwerken, wie dem Strom-, Gas-, Fernwärme und Kältenetz, sind die Grundlage einer nachhaltigen Stadt mit Zukunft. Moderne Energienetze sind jedoch komplex und interagieren häufig miteinander. Zum Beispiel wirkt sich die Nutzung von Wärmepumpen auf das Stromnetz aus oder es werden Gas- und Elektrizitätsnetz mit Kraft-Wärme-Kopplung verbunden, um Wärme und Elektrizität gleichzeitig zu erzeugen. Eine wichtige Rolle in der Planung von Energienetzwerken in Städten spielt auch die Industrie, sowohl als Konsument als auch Erzeuger von Energie (Prosumer). Werden bis dato Industrie- oder Gewerbebetriebe oft als Blackbox gesehen, ist es notwendig, diese aktiv in die Versorgungssysteme und Energieraumplanungen der Zukunft zu integrieren. Dafür werden von AEE INTEC Modelle entwickelt, die basierend auf statistischen Daten sowohl Bedarf als auch Potential nutzbarer Abwärme aus Industriebetrieben (exergetisch direkt oder über Wärmepumpen) in zeitlich abhängigen Lastprofilen darstellen und die in die Modelle und Simulationen des Gesamtsystems integriert werden. Die Interaktionen des Systems müssen verstanden werden, um mögliche Synergien zwischen diesen Netzwerken zu finden und eine angemessene Energieinfrastruktur aufzubauen oder die existierende besser zu nützen. Tools, die die verschiedenen Energienetzwerke zusammen modellieren, sind deshalb derzeit dringend nötig.

Ko-Simulation zur Vereinfachung komplexer Strukturen

Neben der normalen Simulation, die eine berechenbare Vereinfachung der realen Welt darstellt, wird dazu das Konzept der Ko-Simulation verwendet. Ko-Simulation ist eine Art von Modellierung, die die Aufteilung eines komplizierten Systems in mehrere einfachere Systeme vornimmt. Die einzelnen Energienetzwerke werden in unterschiedliche Subsysteme aufgesplittet und separat simuliert. Durch die Trennung in Subsysteme braucht die Ko-Simulation eine intelligente „Dirigentin“, die das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Simulationen richtig managt. Dieses Steuerungs-Modul managt den Datenaustausch und den Ablauf der Simulationen. Dadurch wird es möglich das Verhalten des ganzen Systems zu verstehen, die Interaktionen zwischen den Energienetzen zu identifizieren und zu quantifizieren. Einer der Vorteile der Co-Simulation ist, dass jedes Subsystem separat als „Blackbox“ modelliert werden kann. Modelle in verschiedene Programmiersprachen und aus verschiedenen Quellen können somit (theoretisch) problemlos zusammenarbeiten. Damit kann IntegrCiTy bestehende Modelle benützen statt neue zu entwickeln, um Interaktionen zwischen Subsystemen zu untersuchen. So können verschiedene Energieplanungsszenarien schnell und einfach getestet und verglichen werden. Die für die Simulationen verwendete Datenbank implementiert das CityGML Datenmodell. CityGML ist das Standardformat für Geodaten auf Städteebene. Im Projekt wurde dieses Format weiterentwickelt, insbesondere durch die Verbesserung eines Moduls zum Thema „Energie und Netzwerk“. In der Datenbank werden Informationen über die Gebäude (dreidimensionale geometrische Informationen, physikalische Eigenschaften), Energieplanungsszenarien, die sich hinsichtlich Energieproduktion und verwendeter Technologien unterscheiden, sowie verschiedene Energienetzwerkkonfigurationen gespeichert.

Fallbeispiel Vevey (Schweiz)

Wechselwirkungen des analysierten Energienetzwerks der Stadt Vevey – überarbeitet nach M. Capezzali et al. [1]

Vevey ist eine mittelgroße Stadt (ca. 20‘000 Einwohner [2]) am Genfersee in der Schweiz. Die Stadt möchte eine Energieversorgung implementieren, die mit einer 2000-Watt-Gesellschaft kompatibel ist. Dies bedeutet einen wesentlich verringerten Energieverbrauch, insbesondere im Bereich Wärmeerzeugung und -verteilung. Der Bau eines Fernwärmenetzes, das die Wärme des Seewassers nützt, wäre eine Lösung, um die seenahen Gebäude zu heizen. Mit Hilfe einer oder mehrerer Wärmepumpen könnten die nötigen Temperaturen für Heizung und Warmwasserversorgung gewährleistet werden. Das im Projekt IntegrCiTy entwickelte Tool simuliert und optimiert dieses Fernwärmenetzwerk in Verbindung mit dem Stromnetz. Vier Szenarien wurden analysiert:

  • Business as usual (BAU): Dieses Szenario dient als Bezugspunkt und repräsentiert die aktuelle Situation. Auf der Grundlage der gesammelten Daten verwendet die Mehrheit der Wohnungen Gas als Heizmedium, auch Heizöl und Strom kommen zum Einsatz.
  • SCE 1: Eine zentrale Wärmepumpe erwärmt das Seewasser auf 25°C. Das Wasser wird dann von verschiedenen kleinen dezentralen Wärmepumpen in Gebäudenähe auf das nötige Temperaturniveau gebracht.
  • SCE 2: Das Seewasser mit einer Temperatur von ca. 12°C wird direkt von verschiedenen dezentralen Wärmepumpen in den Gebäuden aufgewärmt. Diese Wärmepumpen erhitzen das Wasser auf ein akzeptables Niveau für Heizung und die Produktion von Warmwasser.
  • SCE 3: Eine zentrale Wärmepumpe erhitzt das Seewasser bis 70°C und speist es dann in das Fernwärmenetz ein. Dort kann es direkt zum Heizen oder der Warmwasserproduktion verwendet werden.

Zu Beginn der Analyse wurden verschiede Trassen des Fernwärmenetzes simuliert. Das entwickelte Tool macht diesen Prozess einfach und effizient: das hydraulische sowie thermische Gleichgeweicht des Systems kann schnell überprüft werden.

In den Untersuchungen wurde zum Beispiel die Wirkung verschiedener Rohrdurchmesser auf Druck und Temperatur des Wassers in den Heizanlagen verglichen und optimierte Rohrdurchmesser ermittelt. Danach wurden die Auswirkungen der Wärmepumpen auf das Stromnetz unter Berücksichtigung der geplanten Installation neuer Solarmodule abgeschätzt.

Ein von CREM vorgeschlagenes Szenario mit optimierten Rohrdurchmessern [mm] in Vevey - überarbeitet nach P. Puerto [2]

Für alle Szenarien wurden zwei wichtige Indikatoren, die CO2-Emissionen und der Endenergieverbrauch, berechnet. Die drei analysierten Szenarien zeigen eine deutliche Verbesserung für diese beiden Indikatoren, die Szenarien 1 und 2 zeigen das größte Einsparpotential beim Endenergieverbrauch. Auf dieser Grundlange können nun ökonomischen Berechnungen hinsichtlich verschiedener konkurrierender Fernwärmenetzanbieter durchgeführt werden. Verschiedene Geschäftsmodelle können so nebeneinander bestehen, während die Stadt Vevey ihre energiepolitischen Ziele realisieren kann. Drei Szenarien (SCE 1-3) für das Fernheizsystem von Vevey (überarbeitet nach P. Puerto [3]) wurden mit einem Business- as-usual-Modell (BAU) in Hinblick auf Endenergieverbrauch und CO2–Emissionen verglichen.

  • BAU: Dieses Szenario dient als Bezugspunkt und repräsentiert die aktuelle Situation.
  • SCE 1: Eine zentrale Wärmepumpe erwärmt das Seewasser auf 25°C, dezentrale Wärmepumpen erzeugen das nötige Temperaturniveau.
  • SCE 2: Das Seewasser mit einer Temperatur von ca. 12°C wird direkt von verschiedenen dezentralen Wärmepumpen in den Gebäuden aufgewärmt.
  • SCE 3: Eine zentrale Wärmepumpe erhitzt das Seewasser bis 70°C und speist es in das Fernwärmenetz ein.

Abbildung

Ausblick und Ziele für Stockholm und Genf

Offene Fragen im Fallbeispiel Vevey beziehen sich auf den Einfluss des neuen Fernwärmenetzes auf das Gasnetz. Wie wird sich der Gasverbrauch ändern? Kann Vevey durch Biogasimporte seine Bilanz verbessern? Könnte das Gasnetz für Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden, um die Effizienz der Energieversorgung weiter zu verbessern und die Stromproduktion zu erhöhen? Wie hoch sind die CO2-Emissionen und der Primärenergieverbrauch in diesem Fall im Vergleich zur Fernwärme? Das Projekt IntegrCity soll für die Beantwortung dieser Fragen die Grundlage schaffen. Das IntegrCity Tool wurde für ähnliche Analysen auch in zwei Quartieren in Stockholm und Genf verwendet. Im Stadtteil «Hammarby Sjöstad» in Stockholm ist es das Ziel, ein Fernheizsystem und kleine private Wärmepumpen wirtschaftlich und ökologisch zu vergleichen. In Genf sollen die Wirkungen von Erdwärme und Fernwärmesystemen untersucht werden.

Literatur

  1. Service cantonal de recherche et d’information statistiques, Atlas statistique du Canton de Vaud, 2016
  2. M. Capezzali et al. Développement d’un outil d’aide à la décision pour l‘intéropérabilité des réseaux énergetiques, Aqua & Gaz, 12, 2017
  3. P. Puerto IntegrCiTy and Co-simulation - Progress Report, 2017

Autoren

Dr. Diane von Gunten arbeitet als Ingenieurin am Centre de Recherches Energétiques et Municipales (CREM). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Jakob Rager ist Direktor des Centre de Recherches Energétiques et Municipales (CREM). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

www.crem.ch/ProjetIntegrCiTy

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