Zeitschrift EE

 nt 03 | 2022 Speicheroption Bauteilmasse

Das neue Europäische Bauhaus - Umwelt-, Wirtschafts- und Kulturprojekt für Europa

Zum Einstieg ein kurzer historischer Abriss: Ein ungebrochener Glaube an wirtschaftliches und energetisches Wachstum in der Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg erfuhr eine erste Delle in der Folge der ersten sogenannten Ölkrise. Plötzlich gab es höhere Treibstoffpreise, Einschränkungen bezüglich der Benutzung von Kraftverkehrsmitteln und einen Hinweis auf die Endlichkeit mancher Ressourcen. Die Lage „normalisierte“ sich in der Folge wieder, allerdings auf höherem Niveau der Energiepreise.

Im Jahre 1972 veröffentlichte der Club of Rome den Report „Grenzen des Wachstums“. Unverändert weitergeführte Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion werde zum Erreichen der absoluten Wachstumsgrenzen der Erde führen.

Foto: Paula Huotelin

In Österreich entstand eine gesellschaftliche Debatte über Energieverbrauch im Rahmen der Diskussion über das erste (und letzte) österreichische Atomkraftwerk. Auch im Bereich des Bauens wurden Alternativen entwickelt. Das größte Potenzial an Energie bestand schon damals in deren sparsamer Verwendung, insbesondere im Bereich des Bauens. Erste Modelle passiver und aktiver Solarenergienutzung wurden vorgestellt und ausgeführt. Noch heute sind Gebäude jedoch für 40 Prozent der CO2-Produktion verantwortlich. In den 80er-Jahren folgte die Diskussion über das Waldsterben, in den 90ern jene über das Ozonloch, beide Probleme konnten durch entsprechende Maßnahmen bewältigt werden.

Nach der Jahrtausendwende nahm das Bewußtsein für den Klimawandel stetig zu, dieser zeigt sich heute als DIE wesentliche globale Herausforderung, welche in Europa noch von der russischen Aggression überlagert wird und die Notwendigkeit des Ausstiegs aus nicht erneuerbaren und nicht regional produzierbaren Energieträgern noch beschleunigen wird. An sich ist dieses Problem eine Art Kulmination der zuvor genannten.

Zugleich entstand seit dem Jahrtausendwechsel in der deutschsprachigen mitteleuropäischen Architekturwelt die Diskussion über Baukultur, welche ein umfassenderes Verständnis von Planung generell bedeutet. Beginnend bei Raumplanung, Infrastruktur und Verkehr, gewannen auch Landschaftsplanung, und unter dem Stichwort Partizipation, die Einbindung der betroffenen Öffentlichkeit und der Nutzer*innen an Bedeutung. Teil der Baukultur sind klarerweise auch Aspekte der Nachhaltigkeit, der Sparsamkeit im Umgang mit Ressourcen und der Kreislaufwirtschaft.

Politische Rahmenbedingungen und europäische Programme

Der European Green Deal (Europäischer Grüner Deal) ist ein von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden.

Die Europäische Kommission hat 2020 außerdem ihre Strategie für eine Renovierungswelle zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden veröffentlicht (Renovation Wave). Die Kommission beabsichtigt, die Renovierungsquote in den nächsten zehn Jahren mindestens zu verdoppeln und durch Renovierungen für mehr Energie- und Ressourceneffizienz zu sorgen. Bis 2030 könnten so 35 Millionen Gebäude renoviert und bis zu 160 000 zusätzliche grüne Arbeitsplätze im Baugewerbe geschaffen werden.

"Next Generation EU" ist ein Aufbauplan für Europa, um gestärkt aus der Covid-19-Pandemie hervorzugehen, und Wirtschaft und Gesellschaft umzugestalten. Dafür stehen mehr als 800 Mrd. Euro an Investitionssumme zur Verfügung.

Die „Neue Europäische Bauhaus-Initiative“ als Impuls

Bei ihrer Rede zur Lage der Union 2020 hat die Präsidentin der Kommission, Ursula von der Leyen, nicht nur den Green Deal und und die Next Generation EU-Initiative angekündigt, die eine europäische Renovierungswelle auslösen und die Union zu einem Spitzenreiter in der Kreislaufwirtschaft machen soll, sondern auch die Errichtung eines neuen Europäischen Bauhauses angeregt - „einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten“ (Zitat Ursula von der Leyen).

Und die Initiative entwickelt sich, es gibt eine große Anzahl an Organisationen und Initiativen, die hier Partner geworden sind, es gab bereits zwei Folgen eines „New European Bauhaus“-Preises (2021 und 2022) und es entsteht eine gewaltige Sammlung von Beispielprojekten in ganz Europa. Aus einer von der Spitze der EU angeregten Top-down-Initiative soll und kann es gelingen, eine Verbindung mit der Basis unserer Gesellschaften herzustellen, eine unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen.

Das gemeinschaftliche Wiener Wohnprojekt „Gleis 21“ erhielt 2022 den „New European Bauhaus“-Preis in der Kategorie „Regaining a sense of belonging“. Die Preise stehen beispielhaft für die Werte des Neuen Europäischen Bauhauses: Nachhaltigkeit, Integration und Ästhetik. Foto: Hertha Hurnaus

Die Initiative und das Denken des NEB (New European Bauhaus) kann einen wesentlichen Paradigmenwechsel im Denken der europäischen Institutionen und insbesondere der Kommission einleiten.

Der Themenkreis Energie und Nachhaltigkeit wurde auf dieser politischen Ebene und in den maßgeblichen Richtlinien bislang rein quantitativ betrieben. Durch Zählen von Energieverbrauch, Wärmedurchgangszahlen, Lüftungsraten etc. war die Dominante des Einflusses der Baustoffindustrie und der technischen Gebäudeausrüster klar erkennbar.

Mit dem neuen Bauhaus kann nun ein umfassender, gesamthafter Ansatz im Denken von Planung und Gestaltung in den Vordergrund treten. Beginnend so wie beim Baukulturthema mit Raumplanung, Verkehr, Infrastruktur, der Gestaltung der Landschaft und der Freiräume, bei der Dimension des urbanen Planens und der öffentlichen Räume, der Gestaltung der Bebauungen, ihrer Dichte und Ausrichtung bis dann schlussendlich zum einzelnen Gebäude, welches in diese Strukturen eingebettet ist und sich zum Teil auch daraus ableitet.

Im Grunde lösen sich hier die vermeintlichen Widersprüche der einzelnen Planer auf dem Gebiet des Bauens auf, da keiner allein diese umfassende Denkweise abzudecken imstande ist, sondern interdisziplinäres Arbeiten gefordert und notwendig wird.

Ein Aspekt rückt in der Diskussion der letzten Zeit auch stärker in den Vordergrund.

Adaptive Re-Use, also Weiter-, Neu- und Umnutzung von Bausubstanz an Stelle der doch weit üblichen Methode des Abbruchs und der vollständigen Neuerrichtung von Gebäuden.

Klar wird das nicht immer umsetzbar sein, aber es geht um den Paradigmenwechsel in der Haltung: Abbruch nur als Ausnahme und nicht als Normalfall. Ähnlich liegen die Dinge in Bezug auf raumplanerische Widmung. In der Schweiz besteht nun seit einigen Jahren ein Widmungsverbot für neues Bauland, durchaus möglich und lebbar, ohne Krisen zu verursachen. Gerade Österreich mit der größten Pro-Kopf-Versiegelung der Böden sollte hier den gleichen Schritt tun. Und mit der abschließenden Forderung des langjährigen Direktors des Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner, „kein Raum unter drei Meter Raumhöhe“ möchte ich diesen Text abschließen.

Autor

Georg Pendl ist Architekt und Präsident des Architects‘ Council of Europe (ACE)

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