Zeitschrift EE

nt 01 | 2021 Neue Impulse für die Energieraumplanung

Resilienz – Integration von Versorgungssicherheit und disruptiven Ereignissen in der Energieplanung

Anna Maria Fulterer, Ingo Leusbrock

Covid-19 hat uns gelehrt, wie bedeutsam Resilienz - also die Fähigkeit, auf „disruptive“ Ereignisse schnell zu reagieren, um wieder zum vorherigen (Gleichgewichts-)Zustand zurückzukehren - auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene ist. Auch Infrastrukturen wie Gebäude und Energiesysteme müssen eine gewisse Resilienz gegenüber punktuellen oder dauerhaften Störungen aufweisen. Diese Störungen können Naturkatastrophen wie Erdbeben und Stürme oder durch Menschen verursachte Ereignisse wie Cyberattacken sein, und werden vielfach unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit diskutiert. Auch langfristige Veränderungen durch z. B. den Klimawandel sind hierunter zu verstehen (Stichwort „urbane Resilienz“).

Campus der Johannes Kepler Universität Linz Foto: AEE INTEC

Gemessen wird die Zuverlässigkeit von Energiesystemen a posteriori durch die Verfügbarkeit von Energie. In Österreich errechnet die zuständige Behörde E-Control jährlich Kennwerte zur Zuverlässigkeit mit Schwerpunkt auf der Stromversorgung. Die Versorgungssicherheit ist im internationalen Vergleich im Strom- und Wärmebereich sehr hoch [1].

Berücksichtigung von Resilienz in der Planung

Durch die Zunahme von disruptiven Ereignissen wie extremen Wetterereignissen werden die Anforderungen an die Infrastruktur stark erhöht. Ebenso steigert die Einspeisung aus dezentralen und mitunter volatilen Energiequellen die Komplexität des Gesamtsystems. Bei Planung und Betrieb von kritischer Infrastruktur wie Krankenhäusern und Universitäten ergeben sich neue Herausforderungen für PlanerInnen, öffentliche Körperschaften und Energieversorger, somit bedarf es einer vertieften Betrachtung. Aus diesen Gründen wurde der Annex 73 „Towards Net Zero Energy Resilient Public Communities“ im Rahmen des IEA EBC Programms ins Leben gerufen [2]. Ziel der Kooperation ist die Entwicklung von Methoden und Tools, welche EntscheidungsträgerInnen darin unterstützen, sowohl die Steigerung der Resilienz als auch die nachhaltige Energieversorgung gemeinsam zu betrachten und in die Planung zu integrieren. Das internationale ExpertInnenteam setzt sich aus WissenschafterInnen und PlanerInnen von der Technologieebene über Gebäude bis hin zu Energienetzen und Resilienz von mehr als 30 Organisationen in zwölf Ländern zusammen.

Maßnahmen für Resilienz von Energiesystemen

Die Analyse von Best-Practice Beispielen aus verschiedenen Ländern zeigt, dass Resilienz derzeit auf höchst unterschiedliche Arten berücksichtigt wird. Diese Unterschiede resultieren sowohl aus unterschiedlichen Herangehensweisen und „Planungskulturen“ in verschiedenen Ländern als auch aus verschiedenen Best-Practice-Beispielen (z. B. Militärbasen gegenüber Uni-Campus). Beispiele für Maßnahmen sind Notversorgung mit Notstromaggregaten, die Integration von Warmwasser- als auch Batteriespeichern, aber auch Redundanz (lat. „Überfülle, Überfluss“. Redundanz bedeutet in diesem Fall das Vorhandensein von zusätzlichen technischen Ressourcen) in Verteilung und Erzeugung. In Fernwärmesystemen sind z. B. zusätzliche Wärmequellen wie Gaskessel in Kombination mit Gasspeichern vorgesehen. Auch erneuerbare Energieträger können zur Resilienz beitragen. Neben technischen sind auch organisatorische Maßnahmen wie Notfallpläne und Evakuierungsroutinen sowie zivile Maßnahmen wie private Wasservorräte, Kerzen und Gaskocher, wie sie vom Zivilschutzverband regelmäßig in Erinnerung gerufen werden, von Bedeutung.

Prozess-Integration von Resilienz

Wie aber kann Resilienz konsequent und umfassend in der Energieplanung berücksichtigt werden? Dazu wurde in der internationalen Zusammenarbeit des Annex 73 ein Arbeitsablauf erstellt, welcher die Planung von resilienten und energieeffizienten Energiesystemen erleichtern soll. Dieser Ablauf wird im Rahmen von Pilotstudien getestet und dadurch verbessert. In Österreich wird im Auftrag der Bundesimmobiliengesellschaft untersucht, wie eine resiliente Versorgung des Campus der Johannes Kepler Universität in Linz mit seinen mehr als 100.000 m² Energiebezugsfläche und derzeit mehr als 26 Mio. kWh/a Primärenergieverbrauch (errechnet) aussehen könnte.

Resilienz-inklusiver Prozess zur Energie-Master-Planung

Entscheidend für die Resilienz ist dabei der Blue Sky/ Black Sky - Ansatz. Grundsätzlich besteht der Prozess aus der Bestandserhebung (Phasen 1 und 2), der Analyse des Ist-Zustands (Baseline – Phase 3), der Analyse der Resilienz (Phase 4), der Konzeption von Varianten sowie Planung und Analyse der Varianten (Phase 5) und der Entscheidungsfindung sowie Umsetzung (Phasen 6 und 7). Im Blue-Sky-Teil des Prozesses wird auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie Kosteneffizienz optimiert. Dieser Prozessanteil entspricht dem Standard-Prozedere in der Planung. Die Bewertung von Energie-Effizienz und Nachhaltigkeit wird durch die Berechnung von Kennfaktoren zu Emissionen, Primärenergieverbrauch und Effizienz ermöglicht.

Resilienz-inklusiver Prozess zur Energie-Master-Planung. Quelle: AEE INTEC, nach [3]

Der Black-Sky Anteil beinhaltet die Resilienz-Aspekte und erlaubt es, Auswirkungen von Störfällen und Katastrophen zu berücksichtigen und systematisch qualitativ und quantitativ in der Planung zu integrieren. Hierzu werden unter anderem Fragen zur Annäherung an die Problemstellungen genutzt [3]:

 

  • Welche Funktionen erfüllt die Infrastruktur?
    Z. B. Wärme, Trinkwasserversorgung, Versorgung von Kranken, Informationstechnologien, …
  • Was muss auch im Krisenfall funktionieren?
    Z. B. Lüftung, Licht, Kühlung, Server
  • Welche möglichen Gefahren und Risiken bestehen an einem spezifischen Ort?
    Z. B. Sturmflut an der Küste, Erdbeben in einen Erdbebengebiet
  • Welche Anforderungen haben die kritischen Funktionen an die Infrastruktur?
    Z. B. Wasser, Strom, Wärme auf einem gewissen Temperaturniveau, Lebensmittel, Treibstoff
  • Wie fragil ist die Infrastruktur?
    Z. B. Gibt es redundante Komponenten? Wie robust sind die Komponenten?

Hieraus abgeleitet kann das System anhand seiner Komponenten und ihrer Interaktion dargestellt und die Komponenten auf Anfälligkeit für Störungen und Fehler durch Beschreibung mit Wahrscheinlichkeiten und Fragilitätskurven untersucht werden. Auf dieser Basis wird eine quantitative Bewertung der Resilienz vorgenommen. Auch organisatorische Komponenten müssen berücksichtigt werden, wie z. B. die Auswirkungen eines Notfallplans und die Anfahrtszeit der TechnikerInnen für Reparaturen. Für die Quantifizierung der Resilienz ist dabei entscheidend, dass nicht auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann, da Resilienz sehr seltene Ereignisse betrifft [5].

Die Quantifizierung der Resilienz schon vor dem Störfall ist wichtig, da sie erlaubt, der Resilienz denselben Stellenwert zu geben wie anderen quantifizierbaren Größen wie Kosten, Emissionen oder Energieverbrauch. Damit gelingt auch ein Abwägen zwischen Resilienz, Effizienz und Nachhaltigkeit. Für eine Beurteilung wird mit einer integrierten Methode die Analyse der Varianten und Entscheidungsfindung in einem Mixed-Sky-Ansatz betrachtet, bei dem Resilienz und energetische sowie ökonomische Nachhaltigkeit gemeinsam analysiert und bewertet werden.

Resilienz auf Kosten des Umweltschutzes?

Viele ExpertInnen waren der Meinung, dass Versorgungssicherheit nur mithilfe von fossilen Energien und durch zentrale Systeme gewährleistet werden kann. Bisherige Ergebnisse aus der internationalen Kooperation zeigen jedoch, dass Resilienz und Nachhaltigkeit sich auch wechselseitig verstärken können, und Ansätze zur Kosten-Reduktion und Nutzung von erneuerbaren Ressourcen gleichzeitig auch zu verlässlicheren Energiesystemen führen.

Ein konkretes Beispiel dafür sind Speicher für Wärme und Kälte: Sie erlauben einen höheren Nutzungsgrad von erneuerbaren Energien. Durch die Steigerung der Redundanz wird die Resilienz erhöht und ein kurzzeitiger autarker Betrieb ermöglicht. Gleichzeitig können Betriebskosten gesenkt werden, da in Zeiten hoher Energiekosten auf den Speicher zurückgegriffen werden kann. Auf Gebäudeebene kann Bauteilaktivierung zur Resilienz beitragen, indem sie genauso wie ein Speicher die Auswirkungen eines Versorgungsausfalls reduziert. Gleichzeitig erlaubt Bauteilaktivierung die Nutzung erneuerbarer Energien, da Heizen und Kühlen mit nahezu Umgebungstemperatur möglich ist.

Fazit

Die sehr gute Versorgungssicherheit in Österreich beweist, dass Resilienz hierzulande einen hohen Stellenwert in der Energieversorgung hat. Laufende Entwicklungen wie die Dezentralisierung der Versorgungssysteme und gesteigerte Umweltgefahren bedürfen jedoch einer Verankerung von Resilienz in der Planung von Versorgungssystemen auf Gebäude- und kommunaler Ebene. Der im IEA ECB Annex 73 entwickelte und hier beschriebene Ansatz kann als Grundlage zur Integration von Resilienz auf diversen Ebenen dienen und bietet interessante Anknüpfungspunkte und Synergien mit bestehenden Planungstools.

Statement

"Die Energietransition im Gebäudesektor ist nur erreichbar, wenn es gelingt, die Einzelbetrachtung von Gebäuden zugunsten des Quartierskontexts aufzuweiten, um innovative und wirtschaftliche Ansätze für den Neubau und Gebäudebestand umzusetzen. In der Zusammenarbeit mit AEE INTEC im IEA-Projekt „Towards Near Zero Energy Resilient Communities“ ist es auf Basis der von AEE INTEC analysierten Fallstudien aus den 12 Teilnehmerländern erstmals gelungen, eine Reihe von wertvollen Benchmarks und Zusammenhängen zu identifizieren und für zukünftige Projekte zugänglich zu machen. Mit dem „Case Study Book- Near Zero Energy Resilient Communities“ hat das hochmotivierte Projektteam von AEE INTEC einen wichtigen Meilenstein für die Planung von dekarbonisierten Quartieren für Forschung und Praxis bereitgestellt."
-- Rüdiger Lohse, KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH, Operating Agent von IEA EBC Annex 73

Weiterführende Informationen

  1. 2019 betrug die kundenbezogene Nichtverfügbarkeit SAIDI etwa 51 Minuten, im Jahr 2008 waren es 44 Minuten. https://www.e-control.at/statistik/strom/statistik-fuer-versorgungsqualitaet/stoerungsstatistik
  2. Projektlinks https://www.iea-annex73.org/annex-73/, https://annex73.iea-ebc.org/
  3. nach: « Jeffers, Robert, et al. "Integration of Resilience Goals into Energy Master Planning Framework for Communities." ASHRAE Transactions 126.1 (2020)“
  4. Vugrin, E., A. Castillo, and C. Silva-Monroy. 2017. Resilience Metrics for the Electric Power System: A Performance-Based Approach. Sandia National LaboratoriesReport. SAND2017-1493.
  5. Ein Beispiel sind die Maßnahmen nach Ausfall eines Kraftwerks zur Wiederherstellung der Wärmeversorgung im Nürnberg (Feb. 2021) https://www.spiegel.de/panorama/nuernberg-ruft-nach-brand-in-kraftwerk-katastrophenfall-aus-a-eb8063b3-17ae-4651-932d-6578bd984b99

AutorInnen

Dr.in Anna Maria Fulterer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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