Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Solare Prozesswärme – Kriterien für den Vergleich erneuerbarer Technologien

Die exergetisch sinnvolle Dekarbonisierung des industriellen Energiesystems kann nur gelingen, wenn alle verfügbaren Quellen genutzt und, wo sinnvoll, kombiniert werden. Genau damit beschäftigt sich ein gemeinsames Projekt des „Solar Heating and Cooling Programme“ und des „Solar Power and Chemical Energy Systems (SolarPACES)“-Technologieprogramms der Internationalen Energieagentur (IEA SHC Task 64 / SolarPACES Task IV) und speziell ein Teilprojekt (Subtask E) unter der Leitung von AEE INTEC.

Foto: Inventive Power

Hintergrund

Auf den Industriesektor entfallen etwa 30 Prozent des gesamten Energiebedarfs in der EU und den OECD Ländern, wovon etwa 60 Prozent zur Deckung des Prozesswärmebedarfs verwendet werden. Dies entspricht mehr als 1 900 TWh pro Jahr in der EU. Wenn der Sektor nachhaltig dekarbonisiert werden soll, sind neben den Schlagworten Elektrifizierung und Wasserstoff auch Lösungen erforderlich, die sofort verfügbar sind und die Herausforderungen nicht auf die Erzeugung sehr großer Mengen an erneuerbarem Strom verlagern. Solare Prozesswärme ist eine bewährte Technologie, insbesondere im Temperaturbereich bis ca. 400 °C. Das ist von großer Bedeutung, da in Europa fast 60 Prozent des industriellen Wärmebedarfs in diesem Bereich liegen.

Um hohe Deckungsgrade von erneuerbarer Wärme zu erreichen, verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf die Auslegung und den Betrieb von Hybridsystemen, in denen solare Prozesswärme mit Wärmerückgewinnung, Wärmepumpen und Photovoltaik kombiniert wird. Daraus ergibt sich die Herausforderung, bereits bei der Planung dieser Projekte einheitliche Kriterien für alle Technologien einzuführen, die eine objektive technische und vor allem wirtschaftliche Bewertung über den Nutzungszeitraum aller Technologien ermöglichen. Das Hauptziel des IEA SHC Task 64 / SolarPACES Task IV ist es, die Rolle von solaren Prozesswärmeanlagen (SHIP) in industriellen Energieversorgungssystemen sowohl als Einzeltechnologie als auch als Teil eines integrierten Energiesystems zu stärken.

Solare Prozesswärmeanlagen könnten technisch etwa 4 Prozent des gesamten industriellen Wärmebedarfs abdecken. Um dieses Potenzial besser zu nutzen, gab es in den letzten Jahren eine Vielzahl nationaler und internationaler Initiativen. Trotzdem liegt das Wachstum des Marktvolumens noch immer weit unter den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Daher wird im Rahmen von Subtask E (Guideline to Market) und Subtask A (Integrated Energy Systems) konkret darauf eingegangen, ob derzeit verwendete typische Bewertungsparameter wie z. B. Amortisationszeiten aus Sicht der solaren Prozesswärme auch in Zukunft geeignet sind, Industrieunternehmen und Projektentwickler*innen bei der Umsetzung zu unterstützen, und wie neue Ansätze in den verschiedenen Projektphasen von der Idee bis zur Umsetzung und dem Betrieb berücksichtigt werden müssen.

Umfrage zur Bewertung erneuerbarer Technologien

In Subtask E wurden unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder der solaren Prozesswärme (Technologielieferant*innen, Projektentwickler*innen, Industrieunternehmen, Forscher*innen und Investor*innen) relevante Parameter für die Bewertung von erneuerbaren Technologien erhoben und kategorisiert. Insgesamt 65 Kriterien wurden vier Kategorien (allgemeine Projektinformationen sowie wirtschaftliche, technische und methodische Parameter) zugeordnet und anschließend für verschiedene Projektphasen von der Idee und der Machbarkeitsstudie über die Detailplanung bis hin zur Umsetzung und Inbetriebnahme bewertet. Diese Ergebnisse wurden schließlich in eine repräsentative Umfrage überführt um festzustellen, ob sich die Bedeutung bzw. der notwendige Detaillierungsgrad der verschiedenen Parameter in den Projektphasen ändert.

Ergebnisse

Die Umfrage umfasste 51 Teilnehmer*innen aus insgesamt 18 Ländern (siehe Abbildung), wobei kein signifikanter Einfluss des Standorts der Umfrageteilnehmer auf die Aussagen festgestellt wurde. Die Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, neue Bewertungsansätze zu berücksichtigen, die über die reine Betrachtung der Amortisationszeit hinausgehen.

Kartographische Darstellung der Studienteilnehmer*innen (n=51)

Betrachtet man die ökonomischen Parameter, so zeigt sich, dass die Amortisationszeit sowie die Wärmegestehungskosten und der interne Zinsfuß in allen Projektphasen von hoher Relevanz sind. Die Abschreibung und der Kapitalwert sind besonders im tatsächlichen Betrieb der Anlage relevant. Die Betriebskosten der Komponenten und insbesondere des Gesamtsystems und der Prozessintegration werden in den Phasen vor der Umsetzung (Planung) als mäßig wichtig erachtet, sind jedoch wiederum im Betrieb die entscheidenden Kriterien. Die Investitionsausgaben sind im Allgemeinen von hohem Interesse und erreichen in der Phase der Detailplanung ihren Höhepunkt. Während die Bedeutung der gelieferten Solarwärme, der Speichergröße und der installierten Fläche in allen Projektphasen als sehr hoch eingestuft wurde, ist die Bedeutung technischer Details wie zum Beispiel die Anzahl der installierten Wärmetauscher in der Grobplanungsphase gering, nimmt aber in den späteren Projektphasen zu.

Die Evaluierung umweltökonomischer Parameter zeigt wie erwartet, dass die CO2-Vermeidungskosten in allen Phasen als sehr relevanter Parameter angesehen werden. Wohingegen die geschaffenen grünen Arbeitsplätze überraschenderweise generell von geringerem Interesse sind.

Auswahl der Umfrageergebnisse (6 von 21 Kriterien) und ihre Bedeutung in den verschiedenen Projektphasen: Unerlässlich, Nice-to-have, Neutral, Nicht wichtig.  (Überschreitungswahrscheinlichkeit: der erwartete Ertrag der Anlage und abgeleitete wirtschaftliche Parameter werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 50/90 Prozent nicht unterschritten)

Zusammenfassung und Ausblick

Das übergeordnete Ziel des IEA SHC Task 64 ist es, solare Prozesswärme als wichtigen Bestandteil zukünftiger hybrider Versorgungssysteme im industriellen Sektor zu platzieren. Dazu werden die Ergebnisse aus Subtask E weiter aufbereitet und die relevantesten Bewertungskriterien definiert. Kern ist es, standardisierte technologieübergreifende Berechnungsmethoden der unterschiedlichen Parameter zu definieren, die im Wesentlichen auf Ergebnissen aus Vorprojekten unterschiedlicher Technologiekollaborationsprogramme (TCPS) der IEA aufbaut. Somit soll die solare Prozesswärme mit Technologien wie Abwärmenutzung, Wärmepumpe oder PV vergleichbar werden. Die Bedeutung unterschiedlicher Kriterien in verschiedenen Projektentwicklungsphasen wird ebenso identifiziert. Diese Erkenntnisse fließen schließlich in die Arbeiten des Subtasks A zur Auslegung integrierter Energiesysteme ein und tragen damit dazu bei, die Rolle von solarer Prozesswärme nachhaltig zu stärken.

Zusammenfassend können die folgenden Schlüsselergebnisse der Umfrage angeführt werden:

  • Ökonomische Parameter wie Wärmegestehungskosten, Amortisationszeit oder interner Zinsfuß werden in allen Projektphasen als äußerst relevant angesehen. Auch innovative Ansätze wie P50/P901 sind von hohem Interesse für Investoren.
  • Betriebskosten einzelner Komponenten und des gesamten Systems werden in der ersten Projektphase der Machbarkeitsstudien als mäßig wichtig erachtet, wobei die Bedeutung in den späteren Projektphasen deutlich zunimmt.
  • Investitionskosten sind im Allgemeinen von großem Interesse, wobei die Bedeutung in der Detailplanungsphase ihren Höhepunkt erreicht.
  • CO2-Vermeidungskosten werden in allen Phasen als äußerst relevanter Parameter betrachtet, während die geschaffenen grünen Arbeitsplätze überraschender Weise von geringerem Interesse sind.
  • Es gibt keine signifikanten Auswirkungen des Standorts der Befragungsteilnehmer auf die Umfrageergebnisse.

Die Umfrageergebnisse bestätigen die Notwendigkeit neuer Bewertungskriterien für SHIP (technische, ökonomische, ökologische, nicht-energetische Vorteile) und erfordern gleichzeitig eine klare Definition dieser Kriterien für den gesamten industriellen Sektor. Dies ermöglicht die Vergleichbarkeit der Technologie mit anderen erneuerbaren Energien und stärkt die Rolle und Anerkennung von SHIP in zukünftigen industriellen Energiesystemen.

Autor*innen

Dipl.-Ing. Jürgen Fluch ist Leiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Jana Fuchsberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

https://task64.iea-shc.org/

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